Abschnitt 2

Von Helsingör nach Gent


Die Nacht vom Dienstag zum Mittwoch wurde durch keinen Nebel gestört. Wir passierten die holländische Insel Terschelling und einige Stunden später Terel, und als ich aufstand (8 Uhr), befanden wir uns nahe der Küste. Die Dünen von Scheveningen wurden sichtbar; wir waren nur 3-4 Kil. vom Lande entfernt und sahen ganz deutlich das mächtige, kuppelgeschmückte Kurhaus, davor am Strande viele Strandkörbe, auf den Dünen Villen, und dahinter rechts Türme, die zur Stadt Haag gehörten. Ab und zu tönten Kanonenschüsse zu uns herüber; die Holländer übten sich wohl, die Atchinesen zu besiegen. Das Wasser war so glatt, fast wie ein Spiegel, kein Lüftchen rührte sich. Nach mehreren Stunden wurde das Feuerschiff „Hoek van Holland“, wieder nach einigen Stunden das von „Schouwensbank“ passiert; sie liegen etwa 10 M. (20 Kil.) von der Küste entfernt. Da die Zeit der Flut war und wir gerade gegen den vom Atlantischen Ozean hereindringenden Strom fuhren, so lief das Schiff stündlich etwa 2 Meilen weniger als unter normalen Verhältnissen. Wir hielten nun Umschau nach einem Lotsen; endlich sahen wir einen Kutter, der sich durch die Flagge am Mast von den Fischerjachten unterscheidet. Wir setzten die Lotsenflagge auf und fuhren auf ihn los, er näherte sich uns gleichfalls; als wir ganz nahe waren, erkannten wir das Wort „Maas“, das in großen Buchstaben auf dem Segel stand. Wir lenkten also ab von ihm, denn wir konnten nur einen Schelde-Lotsen brauchen. Etwa um 5 Uhr trafen wir einen Lotsen, der uns nach Vlissingen brachte. Um von der See nach Gent zu gelangen, brauchten wir 4 verschiedene Lotsen und im ganzen etwa 16 Stunden. Der Seelotse, den wir auf dem Meere aufgabelten, war ein noch sehr junger Mann, 32 Jahre und schon 5 Jahre Lotse, 7 Jahre verheiratet, hat 5 Kinder, seine Brüder sind auch Lotsen oder bei der Marine. Man sieht, das Gewerbe bleibt bei der Familie. Mit den Holländern verständigt man sich, indem jeder seine eigne Sprache spricht, sie holländisch, wir plattdeutsch. Wenn man auch nicht jedes Wort versteht, so merkt man doch, was der andere will. Sobald ein Lotse an Bord ist, wird das Steuerruder mit Dampf gelenkt, damit es schneller jedem Befehl gehorcht. In hellem Sonnenschein lag die Dünenküste der Insel Walcheren vor uns, und man erkannte das Kurhaus und einige Villen des Seebades Domburg, wo ich vor 3 Jahren badete. Am Eingang der Schelde erschien der mächtige Kirchturm des Dorfes Westkapelle, der noch aus der spanischen Zeit stammt, aber nicht mehr benutzt wird; daneben ein kleinerer Leuchtturm. Hohe, wildzerrissene Dünen, wie ein Alpengebirge im kleinen, türmen sich links; das andere Ufer der Schelde verliert sich in weiter Ferne. So breit der Fluß ist, so eng ist das Fahrwasser für tiefergehende Schiffe. Die ausgehenden Dampfer darunter hauptsächlich Deutsche, Dänen, Engländer, auch ein Grieche, die meist von Antwerpen kamen, mußten ganz nahe an uns vorbei. Auf den Sandbänken im Flusse sonnen sich drei Seehunde, die neugierig die Köpfe nach uns erheben, und Hunderte von Möven. Zur Linken erscheint bald das prächtige Kurhotel Vlissingen; am Strande herrscht reges Leben, man kann die Menschen, hauptsächlich Damen und Kinder, ziemlich genau durch das Glas sehen. Nach Umfahrung einer Ecke taucht Vlissingen mit seinen grauen Festungswällen auf, von denen das Standbild des holländischen Seehelden de Ruyter herabblickt. Auf der Vlissinger Reede verließ uns der erste Lotse und ein zweiter kam an Bord; er brachte uns, während wir Abendbrot aßen, nach der Reede von Terneuzen. Etwas abseits vom Fahrwasser lag ein großes gestrandetes Segelschiff, dessen Masten am Vorderteil aus dem Wasser ragten. Der zweite Lotse wurde durch einen dritten abgelöst, einen dicken, sehr gemütlichen Mann in buntgestickten Hausschuhen, der uns die kurze, aber schwierige Strecke von der Reede in den kleinen Hafen von Terneuzen brachte; da das Wasser noch nicht die gehörige Tiefe hatte, so fuhren wir mit voller Kraft durch die enge Einfahrt und saßen gleich darauf auf dem Schlamm fest, vor uns eine norwegische Brigg, die ebenfalls in den Genter Kanal wollte.


Terneuzen ist eine kleine Stadt von 7.000 Einwohnern und liegt ganz niedlich mitten in ihren grünen Festungswällen und dem Glacis. Auf den Wällen promenierte die Terneuzer Damen- und Herrenwelt, und auch wir ließen uns an Land rudern, um einen Rundgang durch die Stadt zu machen und in einigen Wirtschaften Dortmunder Bier zu trinken. Nachts um 11, als das Wasser höher gestiegen war, gingen wir mit einem 4. Lotsen in die Schleuse und blieben der Dunkelheit wegen bis 3 Uhr dort liegen. Dann begann die Kanalfahrt. Um 5 stand ich auf und ließ die grünen Ufer an mir vorbeigleiten. Ueppige Felder und waldige Baumanpflanzungen mit Dörfern und einzelnen Häusern, auch einige Villen mit schönen Parks begleiten den Kanal; zu beiden Seiten läuft die Landstraße, auf der allerlei Fuhrwerke entlang zogen, auch Radfahrer und Hundefuhrwerke. Ein von 3 Hunden gezogener, zweirädiger Wagen trug 2 stramme Bauernmädchen, einer mit 4 Hunden bespannt 3 Burschen. Die Benutzung des Hundes als Zugtier soll hier viel weiter gehen als bei uns; der 1. Maschinist erzählte, er habe einst vor einer Kirche in Terneuzen 10 Hundefuhrwerke stehen sehen, deren Insassen inzwischen im Gotteshause ihre Andacht verrichteten.

Das Wetter war sehr warm, fast zu warm; die Fahrt auf dem spiegelblanken Wasser unter dem Segeldach der Kommandobrücke war sehr angenehm. Die Vögel zwitscherten, der Kuckuck rief - es war eine idyllisch-schöne Fahrt.

Der Kanal ist 30-40 km lang, also knapp halb so lang wie der Kaiser Wilhelm-Kanal, zwölf Drehbrücken waren zu passieren, die meist einen so engen Durchgang hatten, daß es ganz ängstlich anzusehen war, wenn das Schiff auf den Pfeiler loszufahren schien, schließlich aber doch richtig mitten zwischen beiden Pfeilern hindurchglitt, ohne anzustoßen.

Bei St. Anton an der belgischen Grenze fand eine leichte Zollrevision statt; von meinen Zigarren und dem Kakao, den ich in Terneuzen gekauft hatte, wurde gar keine Notiz genommen.

Um 9 Uhr langten wir in Gent an und gingen vor Anker; sofort begann das Löschen der Planken; der Makler (ein Aachener) kam an Bord, ebenso ein Metzger, der seine Waren anbot und auch mit allerlei Aufträgen bedacht wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco