Abschnitt 1

Ein Nachmittag bei den Karthäusern


Was ist das für ein Gebäude? fragte ich den liebenswürdigen Vikar Z., der mir gegenüber im Coupé saß. Wir hatten eine Tagestour nach der vom Baumeister Fischer herrlich wiederhergestellten Wupperburg gemacht und befanden uns auf der Rückkehr zu den heimischen Penaten in Oberhausen. Der Schnellzug sauste mit uns auf der gradlinigen Strecke Düsseldorf-Duisberg dahin. Zur Linken, vielleicht 1 Kilometer von der Bahn entfernt, erhob sich in freiem Felde, von einer hohen Mauer umgeben, ein gar stattlicher Komplex von Gebäuden mit einer Kirche in der Mitte. Auffallend war mir eine Anzahl gleichmäßig gebauter Häuschen, an denen keine Fenster zu sehen waren.


Das ist das Karthäuserkloster „Hain“; es ist das einzige in Deutschland, erwiderte mein Vikar und gab mir folgende weitere Auskunft: Der Orden ist vom heiligen Bruno von Köln gestiftet, der sich 1084 mit sechs Genossen in der Einöde Chartreuse bei Grenoble dem Einsiedlerleben widmete. Im Oktober werden 800 Jahre seit seinem Tode verflossen sein. Die Karthäuser sind zum strengsten Leben verpflichtet, beobachten strenge Fasten und Schweigen und beschäftigen sich mit Handarbeit. Sie üben Gastfreiheit und Wohlthätigkeit und haben teilweise eine höhere Bildung.

Wenn Sie Lust haben, fuhr der Vikar fort, können wir das Kloster einmal besuchen. Das interessierte mich allerdings sehr und so war die Sache abgemacht. Acht Tage später dampften wir zu dritt mit dem Bummelzuge (Schnellzüge halten nicht auf der Strecke) nach Rath, von wo man noch 1/4 Stunde bis zur Karthause hat.

Bald standen wir vor dem Thore. Ein Fenster öffnete sich, und der Bruder Pförtner fragte nach unserem Begehr. Ohne Umstände wurden wir eingelassen, und sogleich erschien ein Laienbruder in langem weißem Mantel, mit geschorenem Haupt und langem braunem Bart, der uns in freundlichster und gefälligster Weise wohl über eine Stunde lang herumführte.

Zuerst ging's in die Kirche, neu und geschmackvoll eingerichtet, mit Parkettfußboden, an den Wänden Oelgemälde, Heilige darstellend, darunter in erster Linie den heiligen Bruno. Er sitzt an einem Tische und betrachtet gedankenvoll einen Schädel. In dem Augenblick, als wir eintraten, verließ gerade die Brüderschar den Raum, einer leise hinter dem andern herschreitend. Eine andere kleinere Kapelle, an der wir vorbeikamen, war durch Gerüste der eben darin beschäftigten Handwerker versperrt. Behaglich, einfach und vornehm ausgestattet ist der Kapitelsaal, an dessen Wänden sich Bänke herumziehen, auf denen die Brüder bei ihren Beratungen sitzen. Auch ein Speisesaal ist vorhanden: in ihm werden nur an hohen Festtagen die Mahlzeiten eingenommen, während sonst jeder Mönch in seiner Zelle ißt.

Diese Einzelwohnungen der Brüder waren für uns natürlich der interessanteste Teil unseres Rundganges. Eine in Benutzung befindliche Zelle durften wir, der Störung wegen, nicht betreten; allein es stand gerade eine leer, und in diese traten wir nun. Im Erdgeschoß zwei Räume, im ersten Holz und Kohlen, im zweiten eine Drehbank mit einem Schemel davor. Kein Ofen. Als ich meine Verwunderung aussprach, erwiderte lächelnd der Führer: Sie müssen sich eben warm arbeiten. Am Eingang des ersten Raumes ist eine Oeffnung mit Schieber angebracht, wo das Essen hindurch gereicht wird. Wir stiegen eine Treppe hinauf zu dem Wohn- und Schlafzimmer. Das Meublement des Wohnzimmers besteht aus Tisch, Stuhl und Schrank, das des Schlafzimmers aus einem Bett, einer Waschvorrichtung und einem Betstuhl. An der sonst kahlen Wand hängt eine Uhr. Nicht alle haben eine Uhr, die meisten richten sich nach der Glocke. Auch die Tagesordnung hängt an der Wand; sehr lang, sehr streng.

Morgens halb 5 Uhr aufstehen; der Tag vergeht zwischen Gebet, körperlicher Arbeit, Betrachtung, Kirchenbesuch, Mahlzeiten. Die Mahlzeiten sind knapp. Fleisch giebt es gar nicht, dagegen Fisch; zahlreiche Fasttage sind eingelegt. Dennoch sehen die Brüder, die wir zu Gesichte bekamen, nicht elend aus. Gleich nach 10 Uhr wird zu Mittag gegessen; gemeinsame Spaziergänge außerhalb der Klostermauern finden häufig statt. Ein Nachmittag der Woche ist zum Sprechen frei gegeben.

Zwischen 5 und 6 Uhr wird zu Bett gegangen, gegen 11 Uhr ruft die Glocke zum Aufstehen und Beten; nach kurzer Ruhe findet gemeinsamer Gang zur Kirche statt, wo man wohl bis gegen 2 Uhr nachts bleibt. Dann wird bis halb 5 Uhr wieder das Bett aufgesucht. Man sieht, bequem ist es nicht, Karthäuser zu sein, und 7 Jahre Bedenkzeit haben die Aufzunehmenden.

Dann erst, nach dieser langen Selbstprüfung, fällt der Würfel, und nachher giebt es freilich kein „Zurück“ mehr.

Hinter jedem Häuschen ist ein kleiner Garten, in dem der Mönch Obst und Wein und Blumen zieht. Eine hohe Mauer umgiebt ihn, über die kein Blick dringt. Der Garten, den wir sehen, ist verwildert, eben, weil augenblicklich die pflegende Hand fehlt.

Innerlich ergriffen von dem, was wir gesehen, einen nachhaltigen Eindruck mitnehmend, treten wir in den langen, hallenden Kreuzgang zurück, der so schön kühl ist und still, als ob das Kloster unbewohnt wäre. An der Wohnung des Priors kommen wir vorüber, auch an der Bibliothek, in die einzutreten es jedoch erst einer besonderen Erlaubnis bedurft hätte.

Durch ausgedehnte Gärten schreiten wir nun, die alles, was die Brüder zum Leben brauchen, reichlich hervorbringen, und wohl noch mehr. Alles scheint rationell und fachmännisch betrieben zu werden, alles legt Zeugnis ab von vorzüglicher Pflege. Da gedeiht Wein an den Wänden, der voller Trauben hängt, da steht eine Tomatenpflanze neben der andern, einige Früchte schon rot; die Apfel- und Birnbäume beugen sich unter der Last; in einem Glashause hängen durch ein Drahtgitter lange, dicke Gurken; auch Blumen fehlen nicht. Mächtige Bienenhäuser liefern köstlichen Honig; schon 1000 Pfund dieses Jahr hat der Bruder Bienenvater verkauft.

Vor einem Gebäude liegen Fässer; da wird der berühmte Liqueur (Chartreuse) auf Flaschen gefüllt. Man bezieht ihn aus dem Mutterhause (der Chartreuse in den französischen Alpen) lieber in Fässern als in Flaschen, da sich der Zoll etwas niedriger stellt. Das Kilogramm der dazu verwendeten Kräuter soll 200 Franken kosten.

Seltsam mutet der Friedhof an; er weist kein einziges Grab auf. Freilich ist die Karthause erst seit 1890 wieder bewohnt; 1869 gegründet, hat sie während der Jahre 1875-90 geruht.

Wir traten nun in die Werkstätten der Laienbrüder. Ueberall herrschte reges Leben, jeder war bei seinem besonderen Gewerbe thätig. Es sind meist gelernte Handwerker, die sich später zum Klosterleben entschlossen haben. Da war eine Stellmacherei und Schmiede, eine Schuhmacherwerkstatt, eine Weberei. Der Bruder Weber ließ munter sein Schiffchen hin- und herfliegen; in großen Schränken waren die Produkte seiner Thätigkeit aufbewahrt: Tuch, Hemdenzeug, Taschentücher, Läufer für die Kirche u.a.m.; alles derb, dauerhaft, einfach. Ich wollte ein Taschentuch kaufen, doch wurde es schließlich vergessen, da erst höhere Erlaubnis eingeholt werden mußte; ohne solche darf kein Stück aus dem Kloster. In einer größeren Waschküche sahen wir mehrere Brüder ebenso fleißig wie Waschfrauen arbeiten, aber ohne deren Schwatzhaftigkeit. Beim Arbeiten ist es übrigens gestattet, Notwendiges zu besprechen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco