Abschnitt 2

Friedrichsruh


Wir treten in ein Gemach von anmutigerer Ausstattung; es ist das Boudoir der Fürsten. Die Wände sind zwar ebenfalls, wie überall, in Grau gehalten, die Decke in Weiß; allein ein traulicherer, anheimelnder Hauch scheint hier zu wehen. Reizende Defreggersche Skizzen zieren die eine Wand, während an den übrigen besonders die Photographie des Fürsten (als Kürassier) und das Oelbild der Gräfin Rantzau hervorragen. – Durch einen Vorsaal schreitend, in welchem eine russische Schlittendecke, mit dem Wappen Bismarcks und dem lateinischen Wahlspruche: „In trinitate robur“, gelangen wir in das Schlafgemach der Fürstin, mit einem Kruzifix, dem Bilde des Fürsten, sowie einer Ansicht von Friedrichsruh im Winter, durch ein äußerst einfaches Badezimmer vom Schlafgemach des Fürsten getrennt, in welch letzterem die Portraits der Fürstin und des Sohnes Wilhelm.


Hieran stößt das vielleicht interessanteste Zimmer des ganzen Schlosses: Bismarcks Arbeitszimmer. Ueberall bedeutsame Erinnerungen; an den Wänden die drei Kaiser, Kaiser Wilhelm II. auch als Prinz zu Pferde, Kronprinz Rudolf von Oesterreich; auf dem umfangreichen Schreibtisch eine Granate, ein Kohlenblock aus dem Bismarckschacht. Ganz besonders fesselt ein einfaches, unscheinbares Tischchen von Mahagoniholz die Aufmerksamkeit. Auf einer daran befestigten Messingplatte stehen folgende Worte: „Auf diesem Tisch ist der Präliminarfriede zwischen Deutschland und Frankreich am 26. Februar 1871 zu Versailles rue de Provence Nr. 14 unterzeichnet worden.“

Neben dem Arbeitszimmer befindet sich die Bücherei. Sie ist nicht reichhaltig; wenige hundert Bände. Zu wissen, welche Bücher ein großer Mann vorzugsweise zur Hand hat und demnach wohl am meisten benutzt, scheint mir nicht unwichtig. Ich führe deshalb einige Büchertitel an. Voran prangen da die Klassiker; System der erworbenen Rechte von Lassalle, überhaupt eine große Anzahl nationalökonomischer Werke; Stackes deutsche Geschichte, Predigten von Pank, neuere Dichter, darunter Scheffel. Dazu landwirtschaftliche Werke und eine Anzahl Wörterbücher: lateinisch, englisch, schwedisch u.a.

Das prächtigste Zimmer ist das Audienzzimmer. Von berühmten Zeitgenossen sind da vertreten Beaconsfield, Cardinal Hohenlohe, Monsieur Thiers, Moltke (eine Büste mit Lorbeerkranz). Vier Familienbilder hängen zusammen: links Herbert, rechts Wilhelm, in der Mitte unten die Fürstin, darüber die Gräfin Rantzau, letztere in Oel gemalt. Bismarcks Photographie mit der facsimilierten Unterschrift: Wir Deutsche fürchten Gott und sonst niemand; darunter und daneben in gleicher Ausstattung die Photographieen der drei Kaiser und Moltkes mit je einem passenden Ausspruch, wie: „Ich habe keine Zeit müde zu sein,“

„Lerne leiden ohne zu klagen“ und andern. Eine kunstvoll geschnitzte, hölzerne Truhe enthält sämtliche, beim Tode Kaiser Wilhelms I. erschienenen Trauerzeitungen, von einem Patrioten gesammelt. Ein Modell des Denkmals des Großen Kurfürsten; in der Ecke ein Schirmständer aus Hirschgeweihen.

Als letztes Zimmer wurde uns gezeigt das sehr einfache, kleine Arbeitszimmer des Geheimrats Rottenburg, des Sekretärs des Fürsten. Außer den Photographieen des Berliner Kongresses und der Konstantinopeler Botschaftersitzung fällt ins Auge eine Kreidezeichnung Lenbachs, den Fürsten darstellend. Auch hier, wie so oft im Schlosse, Hirschgeweih zu Gebrauchsgegenständen verwendet.

Wir waren am Ende unsrer Wanderung durch Schloß Friedrichsruh.

Wir traten hinaus und atmeten die herrliche Luft, die nach dem Regen doppelt würzig schien. Riesige Fichten umrauschen das einsame, schmucklose Haus und schirmen es vor Wind und Wetter; Rosenstöcke sehen in die niedrigen Fenster hinein. Wir gingen rings herum um das Gebäude, von niemand gestört, und stiegen endlich auf den Altan, der eine ähnliche, aber noch freiere Aussicht bietet als das Speisezimmer. Welch lauschiges Plätzchen ist das! Das Summen der Bienen, das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Wasserfalls, den die Aue bildet, sind das einzige Geräusch; hin und wieder donnert ein Eisenbahnzug vorbei, dessen Getöse durch die Mauer und die Bäume abgedämpft wird. Ein wundervoller Regenbogen, in so intensiven Farben, wie er selten zu sehen, spannte sich über die graue Wolkenwand; und ohne abergläubisch zu sein, war ich geneigt, ihn für ein glückliches Zeichen fortdauernden Friedens zu halten. Möchte dieser Glaube nicht trügen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Haparanda bis San Francisco