Erstes Capitel. - Adel, Geschlechter, Provinzen, Standesunterschiede, Vorrechte des Adels, Fürstenschlösser, Grundbesitz, Richter-Collegien, Verwaltung, Militär, Glücksgüter, Privilegien, Talente, Gerichtsbarkeit, Tyrannei, Leibeigenschaft.

Erstes Capitel
Die Herrschaft Richten war eine der reichsten Besitzungen in der Monarchie, und die Freiherren von Arten, denen sie gehörte, eines der ältesten Geschlechter des inländischen Adels. Sie waren am Hofe wohlgelitten, in der Provinz, in welcher ihre Besitzungen lagen, geachtet und beliebt, und jene ruhige Vornehmheit, welche die alten Geschlechter kennzeichnete, hatte in den Freiherren von Arten stets ihre würdigsten Vertreter gefunden.

Es war damals aber auch das goldene Zeitalter für den Adel. Die Standesunterschiede wurden in der Gesellschaft noch aufrecht erhalten, und hatten doch aufgehört, eine Schranke für den Edelmann zu sein, wenn er geneigt war, sich gelegentlich über dieselbe fortzusetzen. Sie schützten ihn, ohne ihn zu hindern. Die Vorrechte des Adels waren groß im Staate, seine Pflichten und Lasten für das Allgemeine sehr gering. Der Grundbesitz war fast ausschließlich in seinen Händen, und man hatte trotzdem bereits angefangen, die Güter gewerblich zu benutzen und ihren Ertrag dadurch zu erhöhen. In den Fürstenschlössern, in den Richter-Collegien, in der Verwaltung und im Militär, überall herrschte der Adel vor, und daneben hatte er sich vielfach eine Bildung erworben, die zu besitzen er stolz war. Er hatte sich den Gelehrten, den Schriftstellern, den Künstlern und Dichtern genähert und befreundet, da er selbst bedeutende Menschen und schöne Talente in seinen Reihen zählte, und während man sich auf diese Art völlige Freiheit für jedes Streben und Thun zu sichern verstand, wagten die bürgerlichen Klassen es noch nicht, dem Adel die Vorrechte streitig zu machen, welche er sich angeeignet hatte und nun seit Jahrhunderten besaß.


Kamen diese Glücksgüter und Privilegien rohen Naturen in die Hände, so boten die eigene Gerichtsbarkeit und die theilweise noch zu Recht bestehende Leibeigenschaft den Gutsherren die Mittel zu einer Tyrannei, unter welcher das Land und die Leute schwer zu leiden hatten; und Selbstsucht und Willkür auf der einen Seite erzeugten dann auf der anderen einen Haß und eine Aufsässigkeit, die um so erbitterter wurden und um so tiefer wurzelten, je weniger sie sich kund zu geben vermochten. Gelangten aber wohlwollende und gebildete Edelleute zu dem Gebrauch solcher aristokratischen Rechte und Macht, so bildete sich durch ihren vorsorglichen und mäßigen Gebrauch zwischen der Gutsherrschaft und ihren Hörigen ein Verhältniß des Schutzes und der anhänglichen Dankbarkeit heran, welches in den Edelleuten das Gefühl einer gewissen Souverainetät entstehen ließ und ihnen neben dem Bewußtsein ihrer großen persönlichen Freiheit eine würdevolle Herablassung verlieh, die sie beliebt und dadurch liebenswürdig machte.

Der Freiherr Franz von Arten, welcher die Herrschaft Richten zu Ende der achtziger Jahre im vorigen Jahrhundert besaß, war in diesem Sinne das Musterbild eines Edelmannes. Er hatte eine vortreffliche Erziehung genossen, hatte viele Jahre seiner Jugend auf Reisen zugebracht, lange und mit großem Erfolge an den verschiedenen Höfen von Europa verweilt, und sich dadurch jene weltmännische Gewandtheit zu eigen gemacht, welche ihm den Anspruch gab, unter seinen Standesgenossen für einen vollkommenen Cavalier zu gelten. Aber neben den leichten, gefälligen Formen hatte er, wie die Richtung jener Zeit es eben mit sich brachte, sich auch eine schönwissenschaftliche und künstlerische Bildung erworben, und Schloß Richten, das von seiner mäßigen Höhe weithin über das rundum flache Land bis zu den fernen Gebirgen hinabsah, zeigte in seinem Aeußern wie in seiner inneren Einrichtung, daß es von einem eben so prachtliebenden als gebildeten Edelmanne bewohnt werde.

So lange sein Vater lebte, hatte der Baron sich trotz aller Vorstellungen desselben nicht zur Ehe überreden lassen. Er fühlte sich nach den Erfahrungen, welche er bei den Frauen gemacht hatte, nicht geneigt, seine Zufriedenheit und seine Zukunft weiblichen Händen dauernd anzuvertrauen, und erst das Ableben seines Vaters, das den Baron als den letzten Arten von der Linie Richten antraf, brachte ihm mit der Pflicht, für das Fortbestehen seines Stammes zu sorgen, den Entschluß, sich zu vermählen.

Der Baron war damals in der Mitte seiner vierziger Jahre und ein schöner Mann. Hätte er bis dahin weniger Erfolg bei den Frauen gehabt, so würde er vielleicht in diesem Alter noch das Verlangen gefühlt haben, eine Heirath zu schließen, an welcher das Herz lebhaften Antheil genommen. Er hatte aber viel geliebt und zweifelte gar nicht daran, Neigung zu erwecken, wo er solche anzuregen und zu gewinnen wünschte. Er schritt daher sehr kaltblütig zu einer Wahl und hielt sich bei derselben nicht eben lange auf.

Nächst den Freiherren von Arten waren die Grafen Berka das angesehenste Geschlecht der Provinz. Die Ahnenreihe der Herren von Arten reichte allerdings weiter in die Vergangenheit zurück, dafür hatten aber die Grafen Berka dem Lande in dem letzten Jahrhundert einen seiner bedeutendsten Feldherren und einige einflußreiche Staatsmänner gegeben, und reich waren die Häuser, eines wie das andere. Nur ein wesentlicher Unterschied waltete zwischen ihnen ob. Die Grafen Berka waren, wie der ganze Adel der Provinz und wie das ganze Landvolk, protestantisch; die Herren von Arten hingegen hatten in den Heeren des deutschen Kaisers gefochten bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges und waren Katholiken geblieben für und für.

Indeß der Adel war im Allgemeinen in jenen Tagen, von denen wir erzählen, nicht orthodox, und Baron Franz fand in sich kein Bedenken gegen eine Ehe mit einer nichtkatholischen Frau. Die Frauen des Berka’schen Geschlechtes waren zudem fast alle schön, es umgab sie der Ruf strengen Wandels, und die Verehrung, welche sie genossen, hatte ihnen jene Ruhe und Sicherheit in der äußeren Erscheinung gegeben, welche den Frauen des hohen Adels so viel anmuthige Freiheit verleiht.

Mit einer Gräfin Berka glaubte der Baron am wenigsten zu wagen. Die einzige Tochter des Hauses zeigte sich ihm nach kurzer Bewerbung geneigt, die Eltern gaben mit Freuden ihre Einwilligung; noch ehe der Herbst herankam, wurde die Zeit der Hochzeit festgesetzt, und der erste Nachtreif ruhte auf dem Lande, als man in Berka eines Abends den Ehevertrag des Barons mit Comtesse Angelika unterzeichnete.

Der Baron befand sich dabei in der angenehmsten Verfassung. Die zurückhaltende Zärtlichkeit seiner Braut hatte einen eigenthümlichen Reiz für ihn, die Aussicht, das schöne Mädchen bald sein eigen zu nennen, regte ihn angenehm auf. Er war von den mancherlei Festen hingenommen, welche man zu Ehren der Verlobten in den beiderseitigen Familien auf den verschiedenen Besitzungen derselben veranstaltete, und dazwischen beschäftigten ihn die Vorkehrungen, die er in seinem Schlosse traf, um es vor der Ankunft seiner jungen Gattin in einer Weise einrichten zu lassen, die ihrer und seiner Bequemlichkeit, ihrem und seinem Geschmacke genügen konnte.

Etwa vierzehn Tage vor seiner Hochzeit befand er sich eines Mittags in dem für seine Frau bestimmten Wohnzimmer. Sein Caplan war bei ihm, und sie überlegten gemeinschaftlich, ob man die beiden antiken Statuen des Amor und der Venus, welchen man neue Postamente gegeben hatte, neben dem Kamine oder in den Ecken des Zimmers aufstellen lassen solle. Als der Baron sich eben für das Letztere entschieden hatte, weil Kunstwerke, wenn sie neben dem Kamin stehen, die Aufmerksamkeit, welche den Lebenden, welche der Gesellschaft zukommt, auf sich zu lenken pflegten, brachte der Diener ihm einen Brief.

Der Freiherr blickte das Schreiben an, steckte es, ohne es zu öffnen, in die Tasche und versetzte kurz: Sag’ Er, ich sei beschäftigt!

Dem Diener schien diese Abfertigung des Briefes nicht aufzufallen, der Baron war offenbar in seiner heiteren Stimmung gestört worden. Er trat noch ein paar Mal hieher und dorthin, die Wirkung der Statuen zu beurtheilen, dann entließ er die Diener, welche dabei behülflich gewesen waren, und ging langsam im Zimmer auf und nieder, als wolle er den Eindruck prüfen, welchen es auf den Beschauer bei einem ersten Anblicke machen würde.

Er war mit seiner Einrichtung zufrieden. Die gediegene Pracht that der Wohnlichkeit keinen Abbruch, es stimmte Alles zusammen, und was die Schönheit des Raumes noch erhöhte, das war der unbegrenzte Blick in die Ferne, den das Zimmer aus seinen hohen Bogenfenstern darbot.

Der Tag war sonnig, die Luft so fein, daß sie dem Blicke nirgend ein Hinderniß entgegenstellte. Auf dem Rasenplatze vor dem Schlosse lag stellenweise noch der weiße Reif, unter welchem das Gras sommerlich grün und frisch hervorsah. Die weithin sich erstreckenden gradlinigen Hecken von Buchsbaum, die scharf zugespitzten Obelisken und Taxus-Pyramiden hatten durch die späte Jahreszeit noch nichts von ihrer Farbe und Form verloren. Sie entsprachen auch jetzt noch der architektonischen Absicht: die herrschaftliche Wohnung über die Grenze des Hauses hinaus in das Freie fortzusetzen, und am Ende des Gartens hoben sich die Bäume des sogenannten Bosquets empor, majestätische Kiefern, deren braunrothe Stämme, wie die Pinien, breite, grüne Kronen trugen, und prächtige Eichen, noch voll von ihrem üppigen und jetzt goldgelb gefärbten Laube.

Der Baron ging an das eine, dann an das andere Fenster. Er hatte Neigung genug für seine Braut gewonnen, um sich von ihrer Zufriedenheit Genuß zu versprechen, und es freute ihn, seiner edlen Gattin diese Heimath bieten zu können. War es Zufall oder Absicht, sein Blick fiel in den Spiegel, als er sich zurück in’s Zimmer wendete, und ohne daran zu denken, richtete er sich dabei mit Selbstgefühl empor.

Er war ein Mann, der gefallen konnte, gefallen mußte. Die große, breitbrüstige Gestalt entsprach dem stolzen Kopfe vollkommen. Der prächtige Haarbeutel fiel vornehm über den kräftigen Nacken auf den niedrigen Kragen des gestickten, breitschößigen Tuchrockes herab; die fein gepuderten Seitenlocken machten die Gesichtsfarbe noch brauner und frischer, die dunkeln Augen noch lebendiger aussehen, und als der Baron sich nach dieser unwillkürlichen Musterung der persönlichen Vorzüge, die er seiner Erwählten darzubieten hatte, auf dem Kanapee niederließ, hätte Jeder ihn in der besten Stimmung glauben müssen, der ihn weniger lange kannte, weniger genau zu beobachten gewohnt war, als sein Caplan.

Nur um einige Jahre älter als der Baron, war er einst als Erzieher desselben in das von Arten’sche Haus gekommen und hatte später den jungen Freiherrn als Gouverneur auf dessen erster großer Reise begleitet. Er war es denn auch gewesen, der den Geschmack des jungen Edelmannes für die schönen Wissenschaften und für die Künste entwickelt und gepflegt hatte. Was aber den gebildeten und ehrgeizigen jungen Geistlichen später bewogen, sein Leben ganz dem Dienste des freiherrlichen Hauses zu weihen, statt an irgend einem Collegium oder in der Kirche die Laufbahn zu verfolgen, für die er sich vorbereitet hatte und welche seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend gewesen wäre, das war eigentlich selbst der freiherrlichen Familie ein Räthsel geblieben. Indeß sie hatte zu benutzen gewußt, was sich ihr dargeboten hatte. Der Freiherr besaß in seinem Caplan neben einem sehr formvollen und gelehrten Gesellschafter zugleich einen Bibliothekar und Archivar, und die Familie von Arten hatte in ihm einen geistigen Berather, dessen Treue, dessen umsichtige Verläßlichkeit sich bei den verschiedensten Gelegenheiten eben so tröstend als klug vermittelnd und versöhnend bewährt hatte.

Gemeinsame Jugenderinnerungen und ein langes gemeinsames Leben hatten den Baron und den Caplan zu Freunden gemacht, so weit Herr und Diener, so weit ein auf seine Standesvorrechte stolzer Edelmann und ein auf seine Würde achtsam haltender Geistlicher, so weit ein freier Lebemann und ein Mann von Selbstbeherrschung und von dem strengsten Lebenswandel Freunde sein konnten.

Der Baron war ein Freidenker in Bezug auf die Dogmen der Religion, aber er hatte eine lebhafte Phantasie, und während er die biblischen Wunder leugnete, war er sehr geneigt, nach der Weise seiner Zeit, an das Wunderbare zu glauben. Der Caplan seinerseits war ebenfalls nicht streng orthodox, indeß er war ein eifriger und treuer Bekenner seiner Kirche und hielt für seine Person unwandelbar an dem Moral- und Sittengesetze derselben fest. Er hatte Anfangs die Verbindung des Barons mit einer Protestantin, so weit es an ihm lag, zu verhindern gesucht. Als er dann aber gesehen, daß der Entschluß desselben einmal gefaßt sei, hatte er sich durch die vortrefflichen Eigenschaften der jungen Gräfin mit der Absicht des Freiherrn ausgesöhnt, und zufrieden, daß derselbe überhaupt zur Ehe schreite, das Weitere vertrauensvoll der Zukunft überlassen.

Wenn der Baron sich dem Geistlichen überlegen fühlte, weil er sich das Recht zuerkannte, sein Leben nach seinem Ermessen zu führen und zu genießen, so gaben dem Caplan seine makellosen Sitten und seine gründliche Gelehrsamkeit ein moralisches Uebergewicht über den Baron, das um so schwerer in die Wage fiel, als ruhige Menschenbeobachtung und Welterfahrung den Geistlichen milde und nachsichtig für fremde Schwäche gemacht hatten. Da nun der Baron von weichem Herzen war und das Gute liebte und that, sofern es ihm keine großen Opfer kostete, und da er in seinem Leben auf äußern Anstand hielt, so hatte der Caplan unter dem Schutze seines Herrn vielfach nützlich wirken, viel Gutes fördern, manches Unrecht verhindern oder vergüten können, und beide waren in der Regel mit einander auch wohl zufrieden gewesen. Der Caplan wußte viel Lobenswerthes an seinem Herrn zu würdigen; der Baron rühmte sich, einen verläßlichen Freund und einen wahren Schatz an Jenem zu besitzen, und eben diesen Morgen hatten sie bei Aufstellung der Statuen wieder eine recht angenehme Stunde mitsammen zugebracht.

Auch jetzt, als der Baron dem Caplan gegenüber Platz genommen hatte, sagte er, noch einmal nach den beiden Ecken des Gemaches hinblickend, als habe ihn bis dahin nichts Anderes beschäftigt:

Die beiden Figürchen behaupten sich doch überall! Sie werden, denke ich, meiner Frau in diesem Zimmer Vergnügen machen, wenn schon ich freilich an eine Frau nicht dachte, als ich sie damals in Neapel erstand.

Gewiß! sie nehmen sich hier noch besser aus, als in der Bibliothek. Die halbe Lebensgröße schrumpfte in dem hohen Saale zu sehr zusammen, bestätigte der Caplan, der schon früher mehrmals vorgeschlagen hatte, die Statuen aus dem Bibliotheksaale zu entfernen und hier aufzustellen.

Eine kleine Weile saßen die beiden Männer schweigend sich gegenüber. Des Barons Blicke glitten von einem Gegenstande auf den anderen, selbst seine Stellung wechselte er ungewöhnlich oft. Dem Caplan entging das nicht. Er lehnte gelassen in seinem Sessel. Den Kopf auf die Hand gestützt, sah er dem Spiele der Flammen im Kamine zu, es ruhig erwartend, was der Baron ihm mitzutheilen haben werde. Denn daß dieser ihm eine Eröffnung zu machen gedenke, davon hielt er sich überzeugt.

Wissen Sie, lieber Freund, nahm der Baron denn auch mit einem Male das Wort, ich fange an, mit einer Art von Vergnügen an die Ehe zu denken, so schwer mir der Entschluß dazu Anfangs auch geworden ist. Ja, ich habe Stunden, in denen ich es bedauern könnte, mich nicht früher verheirathet zu haben.

Dieses Bedauern ist vielversprechend für die Zufriedenheit Ihrer Zukunft, gnädiger Herr, versetzte der Caplan verbindlich.

Ich glaube das selbst, fuhr der Baron fort. Wäre es freilich nach meinem verstorbenen Vater und nach Ihnen gegangen, so hätte ich mich schon vor zwanzig Jahren verheirathen müssen, und es mag vielleicht recht gut sein, wenn man sich in der Jugend mit aller Schwärmerei der ersten Liebe zur Ehe entschließt. Sie hat uns dann für das Opfer, für das nicht hoch genug anzuschlagende Opfer unserer Freiheit, neue Genüsse und große Entzückungen zu bieten, die sie uns später, wenn wir die Frauen kennen und den Werth der Ungebundenheit erst völlig schätzen lernten, nicht mehr zu gewähren hat. Ein fertiger Mann befindet sich einem jungen Mädchen gegenüber doch immer in der Lage, ohne alle eigenen Illusionen großen Illusionen entsprechen zu sollen, und Sie müssen mir zugeben, daß dies seine bedenkliche Seite hat.

Der Caplan blickte mit dem Ausdrucke einer gewissen Verwunderung den Sprechenden an, dessen Worte etwas ganz Anderes aussagten, als die Einleitung hatte vermuthen lassen. Der Freiherr bemerkte dies, und schnell einlenkend, sprach er: Trotz dieser Einsicht, die sich ein Mann wie ich nicht fortphilosophiren kann, ist meine bevorstehende Gebundenheit mir erwünscht. Auch die Lust an der Freiheit, an der Selbstbefriedigung erschöpft sich, und ich stelle es mir angenehm vor, das Glück eines jungen Wesens zu machen, das mir vertrauensvoll sein Leben in die Hand giebt. Es mag in solchem Gefühle sich das herannahende Alter verkünden, aber in der That, ich empfinde so!

Ein kaum merkliches Lächeln in seinen Mienen widersprach jedoch dieser Behauptung über sein alter, und der Caplan wußte zudem, daß der Freiherr es nie mals ernstlich meinte, wenn er desselben erwähnte, ja, daß er in solchen Fällen immer auf einen Widerspruch rechnete. Aber diesmal fand der Caplan es nicht angemessen, ihm die Genugthuung eines solchen Widerspruches zu gewähren. Er bemerkte daher nur, daß die junge Gräfin liebreich und liebebedürftig erscheine, daß der Baron also darauf rechnen könne, für seine beabsichtigte Hingebung durch eine schöne Zärtlichkeit belohnt zu werden, und daß überdies seine reife Erfahrung ihm neben der jungen Frau die Möglichkeit gewähren werde, dieselbe nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu erziehen.

Gewiß! gewiß! rief der Baron mit einer Ungeduld, die bei dem ruhigen Gange dieser Unterhaltung nicht berechtigt schien; aber grade mit dem Erziehen ist es ein eigenes Ding!

Er brach davon ab, und sprach dann nach einer Pause mit sichtlicher Ueberwindung: Sie wissen, daß ich nichts halb zu thun liebe. Ich bin also genöthigt – er stand auf, rückte ein Bild an der gegenüber liegenden Wand zurecht und sagte darauf mit einer gewissen Heftigkeit, als wollte er sich zwingen, es auszusprechen: Ich muß den Handel in Rothenfeld zu Ende bringen! Pauline muß fort!

Es war ihm lieb, dies ausgesprochen zu haben; es kam ihm damit festgestellt und also halb geschehen vor. Er nahm eine Prise aus der goldenen Dose, auf welcher das Bild seiner Braut gemalt war, und bot sie darauf dem Caplan dar.

Dieser griff behutsam hinein, und während er den feinen Taback mit gespitzten Fingern langsam zur Nase führte, sagte er, den Kopf beim Schnupfen senkend, daß er den Freiherrn nicht anzublicken brauchte: Das wird allerdings eben so unerläßlich als zweckmäßig sein! Er säuberte darauf leichthin das schwarze eng anliegende Gewand von dem Taback, der etwa darauf verschüttet sein konnte, knipste mit den feinen Fingern die paar Körnchen hinunter, welche auf dem seidenen Beinkleide liegen geblieben waren, und sah mit seinem klaren, ernsten Auge dem Freiherrn nach, der im Zimmer hin und wieder ging.

Seit vollen sechs Jahren war der Name Pauline zum ersten Male zwischen ihnen genannt worden, und es dünkte dem Baron, als sei er durch das bloße Aussprechen dieses Namens dem alten Freunde näher gebracht, als seit langer Zeit; denn ein Lebensgenosse, dem wir geflissentlich vorenthalten, was uns beschäftigt, rückt uns in demselben Grade fern und ferner, in welchem der Gegenstand unserer verborgenen Theilnahme uns näher tritt.

Weil der Baron aber die ihm peinliche Mittheilung baldmöglichst abgethan zu haben wünschte, sagte er: So verschieden unsere Ansichten in Manchem, und eben auch in diesen Dingen sind, so werden Sie mir doch zugeben müssen, mein Freund, daß über dem Menschen eine Unfreiheit liegt, gegen die er – mögen Sie dieselbe Geschick, Schicksal, Verhängniß, Vorsehung oder wie Sie immer wollen, nennen – ohnmächtig ist. Das macht es mir so entmuthigend, in die Vergangenheit zurückzublicken. Unser Wollen und unser Vollbringen decken sich so selten, unsere Absichten und unsere Thaten entsprechen einander oftmals so wenig. Und dabei bilden fremdes Empfinden und der Zufall noch so unabweisliche Faktoren in jedem Menschenleben, daß man oft fragen möchte: Was war That und was Erleiden? Was war Schicksal und was freier Wille? Wo endet das Verdienst, wo beginnt die Schuld? Wo haben wir zu sühnen, wo uns selber zu bewahren? Denn die Moral, welche Kirche und Staat als Canon aufstellen, kann nur äußere Entscheidungen und Entschlüsse hervorrufen; den inneren Zwiespalt lösen ihre Gesetze nicht.

Mich dünkt aber, hob der Caplan an, welcher dem Baron bis dahin mit Achtsamkeit gefolgt war und der den Seelenzustand desselben deutlich übersah – mich dünkt aber, der Fall, dessen Sie gedenken, ist nichts weniger als verwickelt, wenn schon er ....

Und wieder ließ der Baron ihn nicht vollenden. Urtheilen Sie nicht, lieber Freund, und vor Allem verdammen Sie nicht, ehe Sie nicht die Reihe von besonderen Thatsachen und die einander widerstrebenden Empfindungen kennen, die hier mitwirken und mich peinigen, sprach er, jede Einwendung des Geistlichen im Voraus abwehrend. Denn bedrängt, wie er sich fühlte, wünschte er doch Herr des Gespräches zu bleiben und mit seinem Vertrauen vorzugehen oder einzuhalten, wie es ihm im Augenblicke passend scheinen würde. Es war auf eine Herzenserleichterung und allenfalls auf Beistand, nicht auf eine Selbstanklage oder eine Ermahnung von ihm abgesehen, welche der Caplan in früheren Jahren, als der Baron sich noch bisweilen zu den kirchlichen Ceremonien entschlossen, ihm nicht erspart hatte.

An und für sich, als nackte Thatsache betrachtet, fuhr der Baron mit absichtlich zur Schau getragener Leichtigkeit fort, ist die Sache im Grunde der einfachsten eine. Der unverheirathete Gutsherr hat die Tochter seines Jägers, hat ein Mädchen von seinen Gütern zur Geliebten gehabt und denkt dasselbe aufzugeben, es abzufinden, weil er sich verheirathen will, verheirathen muß. Das kommt, wie Sie, mein Freund, es von Ihrem Standpunkte aus auch tadeln mögen, doch alle Tage vor und ist etwas so Gewöhnliches, daß es in der That kaum die Rede darüber werth wäre! Und doch – können Sie es Sich denken? habe ich mir den Entschluß zu meiner Heirath förmlich abringen müssen! Doch habe ich es auch noch bis heute, wo meine Hochzeit vor der Thüre steht, nicht über mich gewinnen können, dem armen Geschöpfe zu sagen: Nimm dein Kind und geh’! – Abrahams Handlungsweise gegen Hagar ist mir stets als eine rohe Grausamkeit erschienen.

Der Caplan ließ eine kleine Weile in Schweigen verstreichen, dann versetzte er bestimmt und gemessen wie immer: Ich kann mir wohl vorstellen, wie eben Sie Sich schwer zu einem solchen Schritte entschließen können. Hier aber, wo ein beklagenswerthes Ereigniß unabänderlich feststeht, wo eine zwingende Nothwendigkeit zur Entscheidung drängt, gilt es allein, um jeden Preis ein neues und größeres Uebel zu verhüten! Mich dünkt, Herr Baron, Sie haben gar keine Wahl in diesem Augenblicke!

Keine Wahl? Wie meinen Sie das? fragte der Freiherr mit jener halben Zerstreutheit der Vornehmen, die selten achtsame Zuhörer sind und mit ihren Gedanken umherzuschweifen beginnen, sobald sie selbst nicht sprechen. Keine Wahl? Wie meinen Sie das?

Ich meine, daß Ihre Verheirathung für Sie eine Nothwendigkeit geworden ist. Ihre Wahl ist eine in jedem Betrachte glückliche und vortreffliche zu nennen. Die künftige Frau Baronin hat neben ihren anderen seltenen Vorzügen ein weiches Herz und eine schöne, reine Seele. Sie hat für diese eine eben so reine Lebensatmosphäre zu verlangen, und Paulinen’s Nähe würde diese ohne alle Frage bald beeinträchtigen. Ganz abgesehen davon, daß für den verheiratheten Mann ...

Ich weiß das, ich weiß das! Ich habe mir das alles längst und selbst gesagt! rief der Baron mit schnell erwachter Ungeduld lebhaft aus. Sie sehen ja auch, mein Entschluß steht fest! Ich habe im Leben ähnliche Händel, ich habe tiefere Herzensverbindungen sonst auch mit raschem Entschlusse, mit fester Hand zerrissen und mich damit beruhigt, daß Selbsterhaltung eine gebietende Pflicht, und jeder Mann in der Lage sei, für sein Wohlbefinden selbst zu sorgen! Ja, ich bekenne Ihnen, ich finde es eigentlich eine unbegreifliche Schwäche von mir, daß es mir so widerstrebt, das Natürliche, das Sittlichgebotene zu thun, und wenn ich mein innerstes Herz befrage, so ist es außer der wirklichen Zuneigung, welche ich für das Mädchen und für den Knaben hege, eine Art von Aberglauben, der mich an Paulinen festhalten, eine unheimliche Ahnung, die mich zögern macht, die Arme von hier fortzuschicken!

Diesen letzten Einflüssen, Herr Baron, hätte ich Sie in der That nicht mehr, und am wenigsten in diesem Falle unterworfen geglaubt, bemerkte der Caplan mit vieldeutigem Lächeln.

Der Baron beachtete das kaum, er hing schweigend seinen Gedanken nach. Ich habe sie einst als ein Pfand des Glückes angesehen, habe im Geiste meinen Stern an den ihrigen geknüpft, als sie noch ein hülflos Kind gewesen ist, sagte er nach einer Pause, gleichsam in sich selbst hineinredend, und, fuhr er dann nach einem neuen, kurzen Schweigen lebhafter fort, Sie können sich in der That nicht denken, lieber Freund, in welcher Verfassung ich nach meinem zweiten Aufenthalte in Dresden in die Heimath zurückkehrte. Die traurige Angelegenheit mit der Gräfin, das unglückliche Duell mit ihrem Manne lagen mir auf der Seele. Mein Herz war verzagt, mein Sinn beschwert, mein Ehrgefühl durch den herzlosen Leichtsinn der Gräfin, die mich über dem Sarge ihres Gatten einem jungen Laffen aufopferte, empfindlich gekränkt. Ich glaubte, der großen Welt, der Höfe, der Frauen müde zu sein. Ich fühlte einen Widerwillen gegen die Unnatur aller der Verhältnisse, die wir uns als Convenienzen auferlegen, und als ich von der Höhe der Berge Schloß Richten erblickte, als ich so einsam dahinfuhr und die Bäche rieseln, die Halme sich im Morgenwinde wiegen sah, als die Bäume unserer Wälder mir ihren Schatten spendeten und ihren Willkomm zuflüsterten, da erwachte in mir eine nie gefühlte Freude an der Natur, und ich gelobte mich in der Stille meines Herzens ihr und ihren einfachen Freuden und Pflichten an. Es war eine Stunde, deren ich mich lebenslang als einer schönen, feierlichen erinnern werde.

Und doch war gerade jener Zeitpunkt einer der traurigsten für diese Gegend, wendete der Geistliche ein. Wenigstens haben Alle, die ihn hier durchlebten, ihn schwer genug empfunden. Die Berichte, welche man der verstorbenen Frau Baronin nach Italien sandte, klangen, obschon man gewiß sich in denselben vorsichtig geäußert hatte, untröstlich genug.

Mir in meiner Stimmung, entgegnete der Baron, kam das allgemeine Unglück nur wie ein Mahnruf für mich selber vor. Die Seuche, welche die Provinz heimsuchte, hatte auch bei uns große Verheerungen angerichtet. Ganze Familien waren dem Typhus erlegen, ganze Häuser ausgestorben und leer. Selbst in unserm Hause fand ich fast ein neues Dienstpersonal vor, und gerade am Tage meiner Ankunft war die Frau meines Jägers ihrem Manne in das Grab gefolgt.

Sie war, wie man uns bei unserer Rückkehr sagte, die letzte Person, welche im Schlosse starb, bemerkte der Caplan.

Sie war überhaupt die letzte Person, die auf unseren Gütern starb, bestätigte der Baron, und tief aufathmend fügte er hinzu: Und eben daran knüpft sich für mich das Verhängnißvolle. – Er blieb stehen, setzte sich dann wieder vor dem Kamine nieder und sagte: Sie waren mit meiner Mutter und Schwester abwesend, und mein Vater nicht geneigt, sich irgendwie auszusetzen. Die Angst vor der Ansteckung war also maßlos geworden, als ich nach Hause kam. Man hatte in der letzten Woche Noth gehabt, die Leichen unter die Erde zu bringen, oder den Kranken auch nur die nothdürftigste Pflege und Wartung zu verschaffen. Als die Frau des Jägers nun auch gestorben war, wollte mein Vater das ebenfalls erkrankte Kind derselben nicht mehr im Hause leiden, und überall weigerte man sich, das kleine, kranke Geschöpf aufzunehmen. In einer Stimmung, wie die meine damals war, und mit siebenundzwanzig Jahren schlägt man das Leben nicht eben hoch an. Es fiel mir also nicht sonderlich schwer, ein gutes Beispiel zu geben. Trotz aller Bitten und Warnungen meines Vaters half ich die Frau bestatten, fuhr ich selbst das kranke Kind, dem der Arzt das Leben abgesprochen hatte, zu meiner Amme, die damals noch eine rüstige, unverzagte Frau war, und sich mir zu Liebe, seiner Pflege zu unterziehen versprach.

Der Baron hielt einen Augenblick inne, dann sagte er, an seinen früheren Ausspruch anknüpfend: Diese That war Freiheit; was ihr folgte, möchte ich Verhängniß nennen. Denn als ich mit dem kranken Kinde durch den Wald fuhr und es so elend in seinen Kissen auf dem Rücksitze des Wagens vor mir liegen sah, schoß mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf: wenn das Kind wider alles Erwarten genese, wenn es mir die tödtliche Krankheit nicht übertrage, so solle mir das ein Zeichen sein, daß mir noch Freude und Wirksamkeit hienieden bestimmt sei, und wie ein Pfand meines Glückes wolle ich dann die Kleine ansehen und in meiner Nähe behalten.

Der Baron hatte das alles in eigenem Rückerinnern gesprochen. Jetzt blickte er dem Caplan fest ins Auge, als wolle er dessen innerste Meinung erforschen, ohne daß er um dieselbe zu fragen oder sie anzuhören brauchte, und sagte: Ich weiß, was Sie über solch ein Würfelspielen mit dem Zufalle denken. Sie nennen es unchristlich; ich nenne es thöricht, und doch übte es damals, übt es noch in dieser Stunde seinen Einfluß auf mich aus. – Um des Beispiels willen, so sagte ich mir damals, in der That jedoch mehr, um mein Schicksal zu erproben, fuhr ich im Laufe der nächsten Woche häufiger nach Rothenfeld hinüber, um nach dem Kinde zu sehen. Was der Mensch aber zu beobachten anfängt, darauf richtet er seine Neigung, und hatte ich doch ohnehin meine eigene Zukunft in meiner Phantasie an dieses Kind geknüpft! Ich sorgte mich um dasselbe, sein Ergehen beschäftigte mich lebhafter, als ich es für möglich gehalten hätte, ja ich empfand eine große Freude und Beruhigung, als die Kleine sich zu erholen begann und endlich vollständig genas. Ich glaubte von jenem Zeitpunkte ab wieder an die Zukunft, ich hoffte für mich wieder etwas von der Zukunft.

Ihre Theilnahme an dem Kinde hatte, als wir von Venedig heimkehrten, für die verstorbene Frau Baronin und auch für mich allerdings etwas Auffallendes. Wir wußten uns Ihr Verhalten nicht zu enträthseln und fanden Sie überhaupt ganz ungemein verändert. Indeß die Mittheilungen, welche Sie mir eben zu machen belieben, erklären mir jene Theilnahme wie jene Veränderung, bemerkte der Caplan, der immer nur dann sich in die Rede des Freiherrn mischte, wenn er befürchtete, daß sie ins Stocken gerathen, und die Angelegenheit, um welche es sich handelte, dadurch nicht zu ihrem Ende geführt werden möchte.

Die Wandlung in meinem Wesen war natürlich genug, meinte der Baron. Der Wechsel der Umgebungen und der Zustände war für mich sehr grell gewesen. In Dresden ein Leben des Genusses, welches mir das Herz zerrissen, hier Noth und Elend, an denen ich mich aufgerichtet hatte. Nun kamen Sie mit meiner Mutter von dem Sterbebette meiner Schwester aus Venedig heim ....

Ja, fiel der Caplan ihm mit einer Weise in die Rede, als wünsche er bei dieser Erinnerung nicht zu verweilen, der Verlust, welchen die Frau Baronin, welchen das Haus erlitten hatte, machte dieselbe nur geneigter, sich der Unglücklichen auf den Gütern anzunehmen. Das kam Ihrem Schützlinge damals sehr zu Statten.

Gewiß! Auch verlor ich Pauline, so lange meine Mutter lebte, mehr und mehr aus den Augen, sprach der Baron, der sich von dem Caplan schnell wieder zu seiner Erzählung zurückgeführt fand. Mein Sinn hatte sich allmählich erheitert, ich überließ mich wieder den Neigungen meines damaligen Alters. Ich wechselte öfter den Aufenthalt, und wenn ich dazwischen die Kleine einmal wiedersah, so freute ich mich ihres Gedeihens, sah mit Vergnügen, wie hübsch sie sei, und ließ mir von meiner Mutter und von der alten Margarethe erzählen, daß das Kind mich wie seinen Herrgott verehre und liebe, während ich selbst es nicht vergessen konnte, daß ich es einst als Glückspfand betrachtet hatte. – Jahre gingen so hin. Man schickte Pauline in die Schule, in der freilich wenig genug zu lernen war; aber sie ließ sich gut an, und als man sie dann nach dem Tode meiner Mutter confirmirte – ich lebte eben wieder im Auslande –, fragte man mich, ob man sie jetzt in fremde Dienste thun oder versuchen solle, sie im Schlosse unter die Dienstboten einzureihen. Um der Anfragen ledig zu werden, bestimmte ich, daß sie bei Margarethe bleiben solle; und vor der Wohnung meiner Amme, unter ihrer Thüre sitzend, sah ich Pauline eines Abends zum ersten Male wieder, als ich nach längerer Abwesenheit von Hause einmal nach Rothenfeld hinüberritt, meine Amme zu besuchen. Mein Vetter Waldern begleitete mich auf diesem Ritte. Mich erblicken, auf mich zustürzen, meine Hände küssen war für Pauline, sobald ich vom Pferde gestiegen, das Werk eines Augenblickes. Es überraschte mich, sie so erwachsen zu sehen, wie meinen Vetter der ganze Vorgang überraschte. Um ihn aufzuklären, sagte ich, daß ich das Mädchen hätte erziehen lassen. Für sich? fragte er lächelnd, und ich ließ die Frage unbeachtet, weil sie mir zuwider war. Gutsherrliche Liebschaften waren niemals mein Geschmack, und meine Sinne haben mich nie beherrscht ohne die Mitwirkung meines Herzens. Trotzdem aber wurde ich das Bild des schönen Geschöpfes, das in seiner feurigen Dankbarkeit mir nur noch reizender erschien, nicht wieder los, und ich mußte mir bald sagen, daß es so gar leicht für mich sei, es zu besitzen, um mich in dem Vorsatze, das Mädchen zu meiden, aufrecht zu erhalten. Hätte Paulinen’s Zuneigung sie mir nicht immer wieder in den Weg geführt, ich würde meinem Vorsatze treu geblieben sein.

Der Caplan wurde von dieser Aeußerung betroffen. Der Baron mußte sehr erregt, sehr erschüttert sein, daß er sich vor sich selbst in solcher Weise zu rechtfertigen suchte, daß er es nicht fühlte, wie nahe es an das Gebiet des Komischen grenzte, wenn er, der erfahrene, herzenskundige Lebemann, es unternahm, sich halbwegs als durch die Liebe eines Kindes verleitet, darzustellen. Er mochte wohl auch etwas von dieser Verwunderung in den Mienen des Caplans bemerken, denn er brach plötzlich ab und sagte dann: Was soll ich Ihnen erzählen, wie ein unerwartetes Begegnen in einsamer Stunde einmal meine Sinne anfachte, wie des Mädchens Hingebung es mir in die Arme warf!

Er erhob sich nach diesen Worten und begann wieder im Zimmer umherzugehen. Dem Genusse folgte die Reue auf dem Fuße, sagte er kurz und schnell, als wolle er bald beenden, was ihm zu erzählen noch übrig blieb. Das Mädchen war mein Schützling gewesen; ich konnte das nicht vergessen. Unzufrieden mit mir selbst, dachte ich dem Handel keine weitere Folge zu geben. Ich hatte fest beschlossen, Pauline sogleich zu entfernen, und suchte nur nach einem Orte, nach dem ich sie schaffen, oder nach einem Manne ihres Standes, mit dem ich sie verheirathen und von welchem ich eine gute Behandlung des armen Geschöpfes erwarten konnte, denn ich wollte ihr in jedem Falle ein möglichst gutes Loos bereiten. Aber die Leidenschaft des Mädchens hatte etwas Dämonisches. Sie hing sich mit einer Gewalt der Liebe an mich, die ich in ihrem Alter und in ihrem Stande nicht für möglich gehalten hätte. Wie an meine Schritte gebannt, folgte sie mir mit einer Art von Instinkt. Sie schien meine Gedanken, meine Absichten im Voraus zu errathen; wohin ich kam, fand ich sie; wo ich sie nicht vermuthen konnte, erschien sie plötzlich. Sie wurde mir eine Art von psychologischem Räthsel. Wir wissen ja so wenig von der verborgenen Macht, welche die Wesen aneinander kettet! Ich konnte mich der Vorstellung nicht erwehren, daß ein geheimnißvoller Zusammenhang dieses Mädchen mir verbinde; aus Mitleid, aus einer menschenfreundlichen Grille und, ich mag mich Ihnen nicht besser darstellen, als ich bin, aus Genußsucht endlich behielt ich sie.

Ich verbot ihr jedoch, mir zu folgen oder jemals nach Richten zu kommen; ich versprach, sie aufzusuchen. Ihre Freude war groß, ihr Gehorsam unbedingt, und bald war mir das Idyll, bald war sie selbst mir in das Herz gewachsen. Ich unterhielt mich damit, ihren Verstand zu entwickeln; ich wollte sehen, was Erziehung aus einem Naturkinde zu machen vermöge. Ich wollte einmal eine ungekünstelte, ungeheuchelte Liebe genießen, mich an der reinen, einfachen Natur erfreuen. Ich wies den neuen und tüchtigen Schullehrer an, ihren früh abgebrochenen Unterricht wieder aufzunehmen. Paulinen’s Wißbegier, durch das Verlangen, mir näher zu rücken, gesteigert, war so unermüdlich, als ihr Fleiß. Ihre Fortschritte überraschten mich. Neben den geistreichsten Frauen hat mich oftmals das Gefühl einer Ermüdung beschlichen; neben Pauline habe ich das nie empfunden. Ihre Ursprünglichkeit machte sie mir immer reizend, sie ist durch aus eigenartig. Ich habe viel Freude an ihr gehabt.

Der Caplan hatte durch sein Schweigen dem Freiherrn die Genugthuung vollen Aussprechens gewähren wollen, um danach zu berechnen, was geschehen müsse, ein gethanes Unrecht möglichst zu sühnen und neue, weiter fortgeführte Sünde zu verhüten. Nun, da der Baron anfing, sich in die Erinnerungen zu versenken, welche ihn an Pauline fesselten, dünkte es dem Geistlichen an der Zeit, diesen Erinnerungen ein Ziel zu stecken, und er fragte plötzlich nach Paulinen’s Alter.

Sie war siebenzehn Jahre, als ich sie einrichtete, und neunzehn, als sie den Knaben gebar, der nun im sechsten Jahre steht, antwortete er. Die Frage des Caplans hatte den Baron aber unbehaglich aufgeschreckt; er setzte seinen Weg durch das Zimmer eine Weile lautlos fort.

Auch an dem Knaben hänge ich, sagte er dann mit einem Male. Er erschreckt mich oft durch seine Aehnlichkeit mit meinem Vater und mit mir. Dazu ist er an meinem Geburtstage, wie Pauline an dem Geburtstage meiner Mutter, geboren, deren Namen sie ja auch trägt, fügte er mit unverkennbarer Zärtlichkeit hinzu.

Und weiß sie es bereits, daß Sie sie entfernen wollen, entfernen müssen? fragte der Caplan, um den Baron von der Betrachtung dessen abzulenken, was er als das Dämonische anzusehen liebte.

Ja, sie weiß es. Als sie durch mich zuerst von meiner bevorstehenden Verheirathung erfuhr, nahm sie die Nachricht mit anscheinender Fassung auf, und weil ich sie verständig zu finden wünschte, hoffte ich, daß sie es sei und daß sie mir keine Schwierigkeiten bereiten würde. Ich belobte sie, ich sagte ihr, daß sie mir eine Beruhigung gewähre, mir einen Beistand leiste, daß ihre Zukunft mir sehr am Herzen liege, daß ich für den Knaben in jedem Betrachte sorgen würde, und ich verließ sie, sehr zufrieden, sie so fügsam gefunden zu haben. Ja, ich war ihr dankbar, recht eigentlich dankbar dafür, daß sie mir erleichterte, was mir selber so schwer fiel. Ich hatte aber nicht berechnet, daß sie nicht über den Augenblick hinaus zu denken pflegte, wenn ich bei ihr war.

Der Baron wollte die ihn drückende Angelegenheit gern wie ein Geschäft behandeln und zum Abschluß bringen. Aber wie sehr er sich auch dazu zwang, der Zwiespalt zwischen seiner Vernunft und seiner Empfindung, zwischen seinen Absichten und seinem Gewissen verrieth sich immerfort, und er hatte Pauline vielleicht nie zärtlicher im Herzen getragen, als in dieser Stunde, in der er sich für immer von ihr loszumachen strebte.

Paulinen’s Knabe ist natürlich protestantisch, wie die Mutter, bemerkte der Caplan, der den Baron bei den Thatsachen festzuhalten wünschte und der es damit verrieth, daß er von den Vorgängen in Rothenfeld wohl unterrichtet sei.

Ja, sprach der Baron, aber ich bekenne Ihnen ehrlich, ich wünschte, daß es anders wäre; denn der Katholicismus kommt mit seinen Lehren dem Bedürfnisse der Schwachen, der Leidenden doch weit mehr, ich möchte sagen, sichtbarer, faßbarer zu Hülfe, als der Protestantismus es thut. Und auch hier trage ich eine Schuld. Es hätte mich nur ein Wort gekostet, den Knaben unserer Kirche zu übergeben; aber die Mutter würde ohne Zweifel dem Kinde dann nachgefolgt sein. Ich habe dies zu thun versäumt, und jetzt gäbe ich doch viel darum, wenn die arme Pauline unserer Kirche angehörte.

Ist sie denn überhaupt eine religiöse Natur? fragte der Geistliche.

Sie war es ganz unstreitig! Indeß die zelotische Strenge des Neudorfer Pfarrers hatte sie so beängstigt, daß ich sie, um sie zu beruhigen, nur leider von der Kirche entwöhnen mußte. Das ist jetzt in der That ein großes Unglück für sie und für mich. Wenn Pauline Katholikin wäre, wenn sie einer Kirche vertrauensvoll angehörte, wenn sie sich aussprechen, beichten, Rath und Trost finden, ja, selbst büßen könnte, so würde das in diesem Augenblicke eine Wohlthat, es würde die größte Hülfe, es würde eine Rettung für sie sein. – Und ihr zu helfen, mir zu helfen, das ist es, was ich jetzt von Ihnen zu fordern genöthigt bin, mein alter Freund! schloß der Baron im Tone bittender Herzlichkeit.

Der Caplan zögerte zu antworten; er ging offenbar mit sich zu Rathe. Und was verlangen Sie von mir? Was wünschen Sie, daß ich für Pauline thue? fragte er danach.

Gehen Sie zu ihr, mein Freund! Zeigen Sie ihr, daß Sie Alles wissen, suchen Sie ihr Vertrauen zu gewinnen. Seit die alte Margarethe todt ist, hat sie Niemand mehr gehabt, der Theil an ihr genommen hat, sagte der Freiherr. Der Vorzug, den ich ihr einräumte – Sie kennen ja die Menschen – machte sie unbeliebt. Man mißgönnte ihr denselben von der einen Seite, und warf von der anderen den Stein auf sie. Man mißtraute ihr und beneidete sie. Sie war also, mehr als gut ist, auf mich allein angewiesen. Stellen Sie ihr die Dinge vor, wie sie liegen. Machen Sie ihr meine und ihre Lage klar. Was Sie ihr sagen, wird uneigennütziger, milder scheinen, als meine Vorstellungen, und wird darum eindringlicher wirken. Sagen Sie ihr, daß sie, schon um ihrem Knaben eine gute Zukunft zu bereiten, sich früh mit ihm von hier entfernen müsse. Mit einem Worte, bester Freund! er ging auf den Caplan zu, ergriff seine Hände und sagte mit einer Bewegung, die er nicht mehr bemeistern konnte: Ich kenne Ihre Grundsätze, aber ich kenne auch Ihre Anhänglichkeit, Ihre Freundschaft für mich. Ich habe Ihre Gewandtheit und Rechtlichkeit vielfach schätzen zu lernen Ursache gehabt, und hier handelt es sich nicht einzig und allein um mich. Ein armes, unglückliches Weib hat Ihren erbarmungsvollen Beistand nöthig, und Pauline liegt mir mehr am Herzen, als mir lieb ist. Beruhigen Sie sie um meiner Ruhe willen. – Und vor allen Dingen machen Sie, daß sie sich entfernt, denn ich bin das zu thun nicht im Stande – und fort muß sie!

Er wandte sich danach schnell ab, verließ das Zimmer, und der Caplan blieb allein zurück.

Er sah dem Freiherrn gedankenvoll nach. Immer der Alte, sagte er endlich, indem er eine Prise nahm, seinem Herzen wie seinen Sinnen und seinen Phantasmen unterthan. Eben so leicht geneigt, sich die Zügel schießen zu lassen, als sich dessen anzuklagen und sich davon freizusprechen. Wann wird die Stunde endlich für ihn schlagen?

Er blieb wie in Gedanken vor den Bildern stehen, welche die Hauptwand des Zimmers schmückten. Sie stellten die Eltern und die verstorbene Schwester des Freiherrn vor. Er betrachtete das Portrait der Letzteren lange und liebevoll.

Nur Etwas von ihrem klaren, festen Sinne, und welch ein Anderer wäre auch er geworden! rief er aus. Dann entfernte er sich ebenfalls, und nur die hellen Sonnenstrahlen belebten das schöne, würdige Gemach.