Zweites Capitel. - Caplan, Rothenfeld, Freiherrn, Baron, Stockrosen, Zinngeräthschaften, Canapé, Kaffeegeräth, Nähkästchen, Nußbaumholz, Dormeusenhaube, Baronin, Schloss, von Kindesbeinen an.

Zweites Capitel. Noch an demselben Abende ließ der Caplan sich den kleinen Wagen anspannen, der ihm seit langen Jahren zu seinem Privatgebrauche überwiesen worden war, und fuhr nach dem fast eine Stunde entlegenen Dorfe Rothenfeld hinüber, die Geliebte des Freiherrn aufzusuchen.

Vor dem Dorfe stieg er aus. Er wollte den Wagen nicht vor Paulinen’s Thür stehen lassen. Das kleine Haus lag am Eingange des Dorfes. Es hatte, seit Pauline die Geliebte des Barons geworden war, einige Veränderungen erhalten, die es, so gering dieselben auch waren, doch vortheilhaft von den andern Häusern des Dorfes unterschieden. Es war sauber getüncht, die Fenster höher ausgebrochen, hatte grüne Läden vor denselben, und ein Gärtchen, in welchem noch einzelne Stockrosen farbig über ihre bereits braun gewordenen Blätter emporragten. Auch noch jetzt im Herbste und trotz des vielen abgefallenen Laubes verrieth es eine liebevolle Pflege.


Die Hausthüre stand offen, der kleine Vorplatz war sauber mit Sand bestreut, das Feuer auf dem Heerde brannte hell. Es beleuchtete die Reihen weiß und blauer Fayence-Teller und blanker Zinngeräthschaften auf dem Simse und in den Borden. Eine ganz junge Magd spann bei seinem Scheine. Als der Schritt des Caplans auf dem knisternden Sande der Schwelle hörbar wurde, öffnete sich die Stubenthüre und Pauline kam heraus. Aber kaum hatte sie den Geistlichen erkannt, so trat sie erschreckend zurück, und mit einer Miene, in der sich ihre Enttäuschung aussprach, sagte sie: Herr Caplan! Sie sind es, Herr Caplan? Sie hier? Sie faßte sich jedoch schnell und nöthigte ihn mit feiner Handbewegung zum Eintritt.

Das Zimmer war bescheiden und freundlich wie das Haus. Ein Canapé mit grünem Rasch überzogen, ein Lehnstuhl daneben, Tische, Stühle und Schränke von Nußbaumholz mit weitgeschweiften Füßen, und ein kleiner Spiegel in zinnernem, vielgeschnörkeltem Rahmen gaben ihm eine hübsche Behaglichkeit. Auf dem Tische stand sauberes Kaffeegeräth neben dem Nähkästchen, von welchem die Arbeit niedergeglitten war. Trockene Eicheln und Kastanien, in Häufchen gesondert, bedeckten den andern Theil des Tisches. Sie machten das Spielzeug des Knaben aus, der, auf einem Stuhle knieend, den ungewohnten Gast mit neugierigen Blicken betrachtete.

Sie hier, Hochwürden? wiederholte Pauline. Was ist dem gnädigen Herrn zugestoßen?

Sie erwarteten also den Herrn Baron? fragte der Geistliche und ließ sich auf den großen Lehnstuhl nieder, den sie ihm trotz ihrer Verwirrung mit guter Manier angeboten hatte.

Ich dachte – ich hatte heute Morgen an den gnädigen Herrn geschrieben – und ich hoffte also immer noch – sprach sie, unentschlossen, was sie sagen solle, und sich deßhalb selbst fortwährend unterbrechend. Dann nahm sie sich plötzlich zusammen und sagte sehr bestimmt: Hochwürden, was ich hören soll, das sagen Sie mir gleich und grade heraus. Sie sind zu mir nicht bloß von ungefähr gekommen!

Sie hob dabei den Knaben vom Stuhle herunter und hieß ihn in die Küche zu dem Mädchen gehen. Als er sich entfernt hatte, setzte sie sich vor ihre Arbeit hin, die Hände auf den Tisch gelegt und offenbar auf eine schwere Mittheilung gefaßt.

Der Caplan hatte sie nicht in der Nähe gesehen und nicht gesprochen, seit sie nicht mehr nach Richten und in das Schloß gekommen war. Er fand sie daher in jedem Betrachte verändert. Sie hatte die Kleidung der Landleute abgelegt und trug sich wie die städtischen Frauen bürgerlichen Standes. Das enganliegende Leibchen des großblumigen Kattunrockes, das weiße Busentuch, das Nacken und Kehle freiließ, die kleine Dormeusenhaube, die, ihr auf dem Hinterkopfe sitzend, die Fülle ihres braunen Haares nicht zu fassen vermochte, kleideten sie vortrefflich. Sie war wirklich schön zu nennen, ihre Züge waren rein und sehr weiblich, nur die kleine Stirn mit den nahe zusammengewachsenen und scharfgezeichneten Brauen gab dem Kopfe etwas Finsteres und Hartes, und erklärte dem Caplan die Gewalt, welche Pauline über den Baron besaß, und die geheimnißvolle Macht, durch die er sich an das Mädchen gebunden glaubte.

Der Caplan hatte es sich auf der Fahrt nach Rothenfeld ruhig zurecht gelegt, was er ihr sagen und wie er sie behandeln wolle, aber wie es auch den Gescheutesten manchmal zu begegnen pflegt, daß sie ihr einstiges Wissen und ihre Vorstellungen von den Personen festhalten, wenn diese längst nicht mehr dieselben sind, so hatte er trotz seiner sonstigen Lebensklugheit es außer Acht gelassen, daß er die jetzige Pauline gar nicht kannte, daß der natürliche Verlauf der Zeit, daß der langjährige vertraute Umgang mit dem Freiherrn sie verändert haben mußten. Als er sie denn jetzt plötzlich vor sich sah, fand er, daß Alles, was er ihr vorzuhalten beabsichtigt hatte, für sie und ihren gegenwärtigen Zustand nicht mehr paßte. Es war ihm daher recht erwünscht, daß ihre lebhafte Besorgniß ihm die Mühe ersparte, sie auf seine Mittheilungen vorzubereiten, und daß sie ihn ohne sein Zuthun als den Boten übler Kunde ansah.

Ich komme allerdings nicht zufällig hieher, sagte er, aber dem Herrn Baron ist kein Unglück zugestoßen. Er befindet sich wohl und wird morgen in aller Frühe auf einige Tage nach der Stadt reisen, jedoch noch einmal hieher zurückkommen.

Das war immer sein Vornehmen, versetzte sie, und weil ich das wußte, schrieb ich eben heute. – Beide sprachen dabei das Wort von der Vermählung des Barons geflissentlich nicht aus.

Was machte Sie also eine üble Nachricht vermuthen, als ich kam? fragte der Caplan.

Sie sah ihn mit raschem Blicke forschend an, als wolle sie erspähen, was sie etwa von ihm zu erwarten habe; dann zuckte sie leise mit den Schultern und meinte seufzend: Sie werden das wohl wissen, Hochwürden, daß mir jetzt vom Schlosse nichts Gutes mehr kommt. Sie sind ja auch niemals hier gewesen, seit ich hier allein im Hause wohne!

Sie wurde roth, als sie diese Worte sprach, und der Caplan hätte die Aeußerung für seine Zwecke nicht besser wünschen können. Das ist leider wahr und sehr erklärlich, sagte er. Als die verstorbene Frau Baronin noch am Leben war und Sie im Schlosse noch aus- und eingingen, war es freilich anders, und die gnädige Frau hat sicherlich nicht erwartet, was hernach geschehen ist.

Hochwürden, rief Pauline und hob die Hände unwillkürlich bittend zu ihm empor, sprechen Sie davon nicht, jetzt nicht! Seit neun Tagen ist der Herr Baron nicht mehr hier gewesen, obschon er auf dem Schlosse war die ganze lange Zeit; seit neun Tagen ist mein Leben ein einziges Warten gewesen Tag und Nacht! Ich weiß vor Angst und Qual nicht mehr, wie mir zu Muthe ist; ich habe genug auf dem Herzen, auch ohne daß ich an die selige Frau Baronin denke!

Und hoffen Sie denn, daß Sie hier in Rothenfeld, so lange Sie in der Nähe des Schlosses leben, jemals zur Ruhe kommen werden? fragte er nachdrücklich.

Sie war bis dahin äußerlich gefaßt und ruhig gewesen, bei dieser Frage aber fuhr sie augenblicklich leidenschaftlich empor. So lange ich in der Nähe des Schlosses bin? Wo soll ich denn anders sein als hier, als hier, wo ich geboren bin und hingehöre? Ich gehe auch nicht fort von hier, gewiß und bestimmt nicht! Ich habe ihm das selbst gesagt seit all den Wochen und Wochen, und wenn Sie nur deßhalb hergekommen sind, Hochwürden, so .... Sie vermochte seinem ruhigen Blicke gegenüber das trotzige Wort nicht zu vollenden, und plötzlich abbrechend rief sie: Alles, alles, was er will – nur nicht fort von hier!

Sie nannte den Namen des Barons auch jetzt wieder nicht, indeß die Art, in welcher sie ihn bezeichnete, gab deutlich das Verhältniß kund, in dem sie seit Jahren zu ihm gestanden, und das Gefühl der Berechtigung, daß sie dadurch neben ihm gewonnen hatte. Sie dauerte den Caplan; er sah sie an, um in ihrem gramerfüllten und doch stolzen Antlitz die Züge des einst so freundlichen und heiteren Kindes wiederzufinden, und unwillkürlich gab er ihr schweigend die Hand. Das machte einen erschütternden Eindruck auf sie. Sie schlug die Augen nieder und schien sich ihrer Heftigkeit zu schämen.

Es thut mir leid, sagte er, daß ich Sie so wiederfinde und daß ich mit solchem Auftrage, wie der meine, zu Ihnen kommen muß; denn allerdings ist es die Nothwendigkeit Ihrer Entfernung, die ich Ihnen begreiflich zu machen wünsche. – Er hielt inne, sein Blick lag fortdauernd mit demselben ruhigen Ernste über ihr. Sie waren solch ein gutes Kind, solch braves Mädchen! sagte er nach einer Weile.

Ein Zug von Schmerz flog über ihre Mienen, sie antwortete und regte sich nicht.

Als ich es dem Herrn Baron verhieß, zu Ihnen zu gehen und mit Ihnen zu sprechen, fuhr der Caplan fort, brachte ich ein Opfer damit. Jetzt freut es mich, daß ich gekommen bin, denn ich hoffe, auch Ihnen soll es zu Gute kommen.

Mir? Was können Sie mir helfen, wenn Sie es auch wollten? unterbrach sie ihn. Der gnädige Herr allein ....

Der Caplan ließ sie nicht weiter sprechen. Es ist fern von mir, fuhr er fort, Ihnen Vorstellungen, Vorwürfe zu machen, welche Ihr eigenes Gewissen Ihnen in ruhigen Stunden sicherlich nicht erspart. Es ist eben so fern von mir, Ihnen den Weg nennen zu wollen, auf dem Sie bisher gegangen sind. Sie haben Verstand, Sie haben ein Herz, Sie müssen also den Unsegen Ihrer Lage selbst empfunden haben, und Ihr Kind wird den Makel seiner Geburt durch sein ganzes Leben tragen. Aber Sie waren jung, als Sie den ersten Schritt zur Sünde thaten, und ....

Sünde? wiederholte sie, indem sie sich aufrichtete, was habe ich denn gesündigt?

Pauline! rief der Geistliche mit Strenge, wen wollen Sie jetzt täuschen, sich oder mich?

Nicht Sie, nicht mich! entgegnete sie fest und mit einer Sicherheit, welche ihrem Wesen einen großen Adel verlieh. Es ist wahr, ich bin seit Jahren die Geliebte des gnädigen Herrn! Soll das mein Verbrechen sein? – Wer sich einen Baum groß zieht, dem gehört der Baum, der kann damit schalten und walten, wie’s ihm gutdünkt, und wenn der Baum von sich wüßte, wie ein Mensch, so müßt’s ihm recht und lieb sein, wenn sein Herr sich an ihm freut. Als ich klein war, fuhr sie mit wachsender Lebhaftigkeit und Freiheit fort, kleiner und hülfloser als jetzt sein Kind, da hat er sein Leben daran gesetzt, mir das meine zu erhalten. Obdach und Nahrung, Kleidung und Wartung, Pflege und Lehre habe ich gehabt, und Alles durch ihn, und habe keinen andern Menschen auf der Welt gehabt, als ihn. Was er mich hat thun heißen, das habe ich gethan von Kindesbeinen an. Als ich groß geworden war, hat er mir gesagt, daß er mich liebte und daß er mich nie verlassen würde, und ich habe ihm das geglaubt, denn ich habe an ihm gehangen, seit ich denken kann, und was er mir versprochen hat, das hat er auch immer gehalten. Es hat mir mein Gewissen auch nicht beschwert, als das Kind gekommen ist und hat mich mit seines Vaters Augen angesehen. Gar nicht! – Ja, wenn ich eine Dame gewesen wäre! – Aber mich konnte der gnädige Herr ja doch nicht heirathen!

Sie schwieg, als müsse dieser letzte Grund den Geistlichen selbst ohne Weiteres überzeugen, und erstaunt über die besondere Richtung, welche diese Natur genommen hatte, fragte dieser: So hat Ihr Gewissen Ihnen nie gesagt, daß Sie auf falschem Wege gingen?

Niemals! antwortete sie bestimmt. Ich habe gethan, was ich nicht anders konnte. Er hat mir immer versichert, daß er nicht heirathen würde, daß ich immer bei ihm bleiben solle und daß er nicht von mir lassen werde. Wenn es dann manchmal auch geheißen hat, daß er eine Frau nehmen würde, und ich mir darüber Sorgen und Gedanken gemacht habe, so ist das immer eine unnöthige Sorge gewesen. Und ich bin ja auch immer glücklich und wie im Himmel gewesen, bis – bis nun in diesem Sommer. Sie konnte das Wort von der Verlobung des Barons nicht über ihre Lippen bringen.

Und der Pfarrer, der Pfarrer von Neudorf, bei dem Sie ja eingepfarrt sind, hat er Sie nie zur Rede gestellt, Sie nie gewarnt?

Hochwürden, weßhalb wollen Sie das wissen? fragte sie mißtrauisch.

Weil ich finde, daß Ihnen ein ehrlicher, wahrhaftiger Freund gefehlt hat! erwiederte er mit immer steigendem Antheile an dem jungen Weibe.

Sie meinen also, der Herr Pastor hätte als solch ein Freund an mir handeln sollen?

Es würde das wenigstens seine Pflicht und eine Wohlthat für Sie gewesen sein.

Nun, rief sie mit einem Anflug von Spott, dann hat er seine Pflicht nicht gut verstanden! Und eine Wohlthat für mich hätte es sein sollen? Das heißt doch nicht wohlthun, wenn man einem das Herz im Leibe bricht und einem sagt, daß man diesseits und jenseits verdammt und verloren sei, weil man gethan hat, was man nicht anders konnte, was man ... Sie stockte, wollte weiter sprechen, besann sich wieder und sagte endlich: Was hätte er denn auch mit mir machen sollen?

Er hätte Sie wenigstens darauf aufmerksam machen sollen, daß nichts Bestand hat, was wider Gottes Gebot und wider die Sitte der Menschen ist, antwortete der Caplan ihr sanft und ernsthaft. Sie würden es dann, deß bin ich gewiß, weit weniger schwer gefunden haben, sich jetzt in das Nothwendige zu schicken, und würden nicht so rathlos und verzweifelt sein, als ich Sie leider finde.

Sie blieb ruhig sitzen, seufzte leise und sah ihn nachdenklich an. Er fragte sie, was sie beschäftige.

Ich denke darüber nach, daß es besser wäre, Sie wären gar nicht hergekommen! entgegnete sie ihm.

Und doch kam ich in der besten Absicht! bedeutete er sie.

Sie sagte, davon sei sie überzeugt, aber statt sich dadurch gekräftigt zu fühlen, rief sie plötzlich mit der ihr eigenthümlichen unterdrückten Heftigkeit: Sehen Sie mich nicht so an, Hochwürden, ich halte das nicht aus!

Sind Sie der menschlichen Theilnahme, der wohlgemeinten Sorge denn so sehr entwöhnt? fragte er mit großer Weiche des Tones und der ganzen Milde seines Herzens.

Ja, sehr entwöhnt! wiederholte sie klanglos; und mit hervorquellenden Thränen rief sie: Ach, Hochwürden, machen Sie mir das Herz nicht weich, dann kann ich mir gar nicht mehr helfen, und weiß jetzt erst recht nicht, was aus mir werden soll!

Sie wollte aufstehen, er nahm sie bei der Hand und nöthigte sie dadurch, sich niederzusetzen; widerstrebend gab sie nach.

Weine nur, Pauline! sprach der Caplan, dem sie mehr und mehr beklagenswerth erschien und der sie in dem Gedanken an ihre Vereinsamung zum ersten Male wieder wie in den Tagen ihrer Kindheit Du und mit ihrem Namen anredete. Weine Dich aus! Es mag lange her sein, daß Du nicht von Herzen um Dich selbst geweint hast! – Sie regte sich nicht, nur ihre Thränen brachen neu hervor. – Das Weinen wird Dir das Herz erleichtern, und Du mußt viel gelitten haben, ehe Du Dich so gegen die Stimme Gottes, die Jeder in seinem Gewissen in sich trägt, verhärtet hast! fuhr der Caplan fort.

Sie weinte bitterlich. Mit Einem Male jedoch trocknete sie ihre Thränen, und sich auflehnend gegen die Wirkung, welche sein Zuspruch auf sie übte, rief sie: Wenn Gott es zulassen kann, daß ich so ohne Grund und ohne meine Schuld verstoßen werde, so giebt es keinen gerechten, keinen barmherzigen Gott mehr in der Welt! – Aber kaum hatte sie diese wilden Worte ausgesprochen, so schlug sie die Hände vor dem Gesichte zusammen und der Klageruf: Es wird mich noch von Sinnen bringen! rang sich aus ihrem gequälten und verzweifelnden Herzen hervor.

Armes Weib! sagte der Caplan, ergriffen von ihrem Schmerze, und sich ihm plötzlich zu Füßen werfend, flehte sie: Helfen Sie mir! Ach, helfen Sie mir, Hochwürden! Auf Sie hört er, zu Ihnen hat er Vertrauen; er hat das hundert und aber hundert Mal gesagt! Sie können das Alles durchsetzen bei dem Herrn Baron! Wenn Sie nur wollten! Sie könnten mir helfen!

Er ließ sie absichtlich auf ihren Knieen vor sich liegen, denn dem herzbeladenen Menschen thut es wohl, sich vor demjenigen zu beugen und zu demjenigen empor zu sehen, von dem er Beistand erwartet, und mit tiefem Erbarmen fragte er sie, was sie wünsche und was sie denn verlange.

Hier bleiben will ich! sagte sie mit einem Tone, der, so leise er war, doch unheimlich wie der Wahnsinn klang, hier bleiben will ich, weiter nichts!

Der Caplan war sehr erschüttert. Er sah mit Schrecken, wie gut der Freiherr den Charakter und den Seelenzustand seiner Geliebten beurtheilt hatte und wie gründlich er Paulinen’s religiöses Bewußtsein untergraben, als sie, durch die Vorstellungen des Pfarrers angeregt, über ihr Verhältniß zu dem Baron unsicher geworden war, und Reue gefühlt haben mochte. Jetzt, da derselbe sie, wenn auch mit Bedauern, zu entfernen beabsichtigte, wünschte er allerdings, sie gläubig und unter dem Einflusse sittlicher Begriffe zu finden, um sie auf einen höheren Trost und eine innere Belohnung verweisen zu dürfen; aber der Geistliche kannte das Menschenherz genugsam, um ihm irgend eine Sammlung oder Erhebung zuzumuthen, wenn es sich so bedrängt und so im Aufruhr befindet. Alles, was er daher in diesem Augenblicke anstreben konnte, war, Pauline über denselben fortzuhelfen und sie zu der Entfernung zu bestimmen, die ihm für alle Theile unerläßlich schien. War das erreicht, so konnte man nachher versuchen, ein neues Leben in der Verlassenen aufzuerbauen und sie auf den Weg zu leiten, auf welchem nach der Ueberzeugung des Geistlichen allein Heil und Trost für sie zu finden war.

Du willst hier bleiben, Pauline, sprach er, und ich begreife es, daß Du dieses wünschest. Aber hast Du Dir auch bedacht, was Dir hier bevorsteht? Er machte eine kurze Pause und sagte danach im Tone ruhiger Erzählung: Heute in vierzehn Tagen, in drei Wochen, wird vielleicht die Frau Baronin an der Seite des Herrn Barons durch das Dorf fahren, und er wird ihr sagen, wer in diesem und wer in jenem Hause wohnt, und er wird sie dann bitten, seinen Unterthanen eine gütige Herrin, den Kindern des Dorfes eine Mutter zu sein, wie die selige gnädige Frau es Dir und allen Andern auch gewesen ist. – Und wieder schwieg er einen Moment, da er merkte, wie achtsam und gespannt sie seinen Worten folgte. Wenn der Herr Baron dann an Dein Haus kommen wird, fuhr er fort, indem er sie scharf dabei ansah, was soll er ihr dann sagen? Wenn sie Deinen Knaben sieht, was wird er von seiner Frau für denselben erbitten können, mit welchem Herzen wird er ihn in Zukunft betrachten? Und Du selbst, Pauline! Wünschest Du der Frau Baronin zu begegnen? Oder lüstet’s Dich, Dich zu verbergen, wenn sie mit ihrem Manne hier vorüberkommen wird? – Willst Du es hinter den Vorhängen Deines Fensters mit ansehen, wie der Baron vor Deiner Thür das Auge niederschlägt und den Blick abwendet, wenn Dein Sohn ihm in den Weg tritt? – Willst Du den Knaben lehren, den Herrn Baron zu meiden, dem er jetzt zutrauensvoll seine Arme entgegenstreckt? Und was soll Dein Sohn der Frau Baronin antworten, wenn sie ihn einmal fragen wird, wer er sei und wem er angehöre?

Pauline war schon lange von ihren Knieen aufgestanden. Bleicher und bleicher werdend, das Auge finster und starr auf den Fußboden gerichtet, hatte sie den Worten des Geistlichen zugehört. Das leise Zucken ihrer Lippen, das Zusammenziehen ihrer Augenbrauen verriethen, was in ihr vorging.

Ueberlege es Dir wohl, Pauline, hob er noch einmal an, überlege es Dir wohl, was Dein Verlangen, hier zu bleiben, Dir eintragen wird. Furcht, Schrecken, Eifersucht, Verzweiflung für Dich, Heuchelei und Lüge für den Knaben, Verachtung für Euch Beide, das ist es, was Du Dir hier bereiten willst, was Dein Theil sein wird, bis der Kummer und die gerechte Forderung der Frau Baronin Dich früher oder später doch von hier forttreiben werden!

Nein, nein, das ist unmöglich! rief sie. Sie ist ja auch ein Weib! Wenn sie ein Herz hat, wird sie, muß sie Mitleid mit mir haben! – Und es schien, als gehe der Unglücklichen mit diesem Gedanken ein neuer Stern der Hoffnung auf.

Der Caplan schüttelte verneinend das Haupt. Du irrst Dich, sagte er; sie wird Deine Nähe fürchten, und was wir fürchten, das bemitleiden wir nicht, das beklagen wir nicht, das hassen wir viel eher!

O, ich hasse sie auch! stieß Pauline leidenschaftlich hervor, und ihre Augen funkelten in wildem Feuer.

Wie solltest Du nicht, da Du nur Dich im Auge hast, da Du nach Recht und Unrecht, nach Schuld und Unschuld nicht mehr fragst! sprach der Geistliche, einen neuen Weg zu Paulinen’s Verstand und Herz versuchend.

Hochwürden! rief Pauline flehend.

Beharre in der Härtigkeit Deines Herzens! fuhr er fort, ohne ihren Ausruf zu beachten; weide Dich daran, das Leben der jungen, schuldlosen Gutsherrin zu beunruhigen; zwinge den Baron, sich immer wieder daran zu erinnern, was er gegen Dich und mit Dir gesündigt hat, verbittere ihm den Frieden der Ehe, die er eingehen will! Aber sage dann nicht, daß Du jemals Dankbarkeit, daß Du Liebe für ihn empfunden hast, daß etwas Anderes, als Dein eigenes Gelüsten und Deine Selbstsucht Dich ihm angeeignet haben! Der Zeitpunkt, verlaß Dich darauf, wird dann nicht lange auf sich warten lassen, in welchem er mit Schrecken an Dich denken und, Selbstsucht gegen Selbstsucht setzend, sich berechtigt fühlen wird, auch ohne Deine Zustimmung Dich von hier fortzuschicken!

Und wenn ich gehe? fragte sie nach langem Schweigen; wenn ich gehe – und vergessen werde? – Sie barg ihr Gesicht in ihre Hände, der Schmerz gewann wieder eine wohlthätige Herrschaft über die Erbitterung in ihr.

Du wirst nicht vergessen werden, kannst nicht vergessen werden! tröstete der Caplan. Reue und Bedauern werden den Baron an Dich erinnern; Dank für den Frieden, welchen Deine Entfernung allein ihm in seiner Ehe möglich macht, Neigung und Sorge für den Knaben werden ihn Dir dauernd verbunden halten, und Du ganz allein sollst über Deine Zukunft zu entscheiden haben, in welcher Reue und Buße auch Dich hoffentlich zur Einkehr in Dich selbst, zum Frieden führen werden!

Aber Pauline hatte in ihrer Herzenszerrissenheit seine letzten Worte wieder nicht beachtet, und sich immer nur an das Nächste haltend, rief sie: Meine Zukunft? Was kümmert mich die! – und abermals versank sie in ihr Brüten.

Der Caplan sah, je länger er mit ihr sprach, es immer deutlicher ein, daß hier mit Einem Schlage nichts auszurichten sei, und daß man ihr Zeit lassen müsse, sich durch Aufregen und Nachdenken zu erweichen und zu ermüden; denn er hielt sie für einen der Charaktere, welche nur dann zum Nachgeben bewogen werden können, wenn ihre Kraft erschöpft ist. Er erhob sich also, um zu gehen.

Ich habe Dir die beiden Wege gezeigt, zwischen denen Du zu wählen hast! sagte er eindringlich. Deine Entfernung ist nothwendig und darum unabänderlich beschlossen! An Dir ist es, zu wählen, wozu sie sich für Dich gestalten soll: zu einer Buße und Erhebung, oder zu einer Strafe und neuen Pein! An Dir ist es, zu wählen; von Dir allein wird es abhangen, wie der Herr Baron in Zukunft Deiner gedenken soll! Ueberlege Dir das wohl, ehe Du entscheidest!

Er gab ihr die Hand und ging der Thüre zu. Als er dieselbe bereits geöffnet hatte, fragte Pauline schnell und unerwartet: Hochwürden, ist die Gräfin schön, ist sie sehr schön?

Hast Du nichts Anderes zu denken? versetzte er, von dieser Wendung ihres Sinnes überrascht.

Ist sie schön? Liebt er sie denn sehr? wiederholte sie dringend.

Der Caplan sah, daß er ihr diese Fragen beantworten müsse. Die Comtesse ist jung und schön und edel, sagte er; sie verdient die Neigung, welche der Herr Baron ihr zugewendet hat, in vollem Maße.

Pauline schwieg darauf. Der Caplan wußte nicht, was in ihr vorging, was er von ihr denken sollte. Er stand zögernd an der Thüre still; sie stützte sich mit der Hand auf den Tisch.

Willst Du sonst nichts weiter? fragte er nach einem längern Abwarten.

Nein! Nichts!

So lebe wohl!

Leben Sie wohl, Hochwürden! erwiderte sie ihm mit anscheinender Ruhe, aber gleich darauf wallte das Herz ihr auf, und mit einer Innigkeit des Tones, welche sehr abstach gegen ihre letzten Worte, sagte sie: Hochwürden, kommen Sie wieder! Mein Unglück ist so groß, so grenzenlos groß, daß ich es nicht begreifen kann!

Sie hielt, als schwindle ihr, die Hände gegen den Kopf und setzte sich nieder. Der Caplan versprach ihr, sie bald wiederzusehen, ermahnte sie nochmals zum Nachdenken, und verließ sie weit besorgter, als er gekommen war.

Nun er Pauline kannte, hielt er ihre Entfernung erst vollends für unerläßlich. Bei der Schwäche des Barons, bei der Gewohnheit, welche ihn an sie kettete, war Alles für das Glück seiner Ehe und für den Frieden der jungen Frau zu fürchten, wenn Pauline blieb. Und doch sah er noch nicht ein, wie man sie auf dem Wege der Güte in so wenig Tagen zur Abreise werde bestimmen können, während er wußte, daß der Baron vor jeder offenen Gewaltthätigkeit und Härte zurückschrecken würde, wennschon er es sonst eben nicht scheute, Andere leiden zu machen, sofern ihm selbst nur das persönliche Einschreiten und der Anblick des von ihm erzeugten Leidens erspart blieben.

Bei der Abendtafel saßen der Freiherr und der Caplan sich allein gegenüber, denn es waren keine Gäste im Schlosse, weil des Freiherrn Abreise so nahe bevorstand. Der Freiherr sprach von lauter äußerlichen Dingen, obgleich es ihm nicht entging, daß der Caplan sich ernster und stiller zeigte, als gewöhnlich. Indeß er war nicht eilig, die Ursache von dem Nachdenken desselben zu erfahren, und erst als die Dienerschaft sich entfernt hatte und auch jener sich zurückziehen wollte, fragte der Baron ganz beiläufig, ob der Caplan vielleicht schon in Rothenfeld gewesen sei. Dieser bejahte es.

Nun, und wie haben Sie Pauline gefunden? fuhr der Baron in der früheren leichten Unterhaltungsweise fort. Sie war außer sich, nicht wahr? Ich kenne das an ihr, und eben darum wünschte ich, daß grade Sie mit ihr verhandeln sollten. Haben Sie etwas ausgerichtet?

Der Caplan versetzte, Pauline sei allerdings sehr aufgeregt gewesen, wie das bei einer solchen ersten Unterredung mit einem Manne, der ihr in diesem Falle ein Fremder sei, nicht fehlen könne. Es lasse sich aber eben darum von diesem Zusammentreffen nichts Bestimmtes sagen, man müsse Geduld haben und weiter zusehen. Er hoffe und wünsche, daß man zu einem verständigen Uebereinkommen gelangen werde, weil man kein Mittel sparen dürfe, ein solches zu erreichen.

Er sprach dabei nichts Bestimmtes aus; der Baron war auch sehr zufrieden damit, nichts Näheres hören zu müssen. Er war stets bereit, seine Last auf die Schultern seiner Untergebenen zu laden und ihnen ihre Mühewaltung als eine Ehrensache anzurechnen. Er versicherte daher dem Caplan, daß er volles Zutrauen zu seiner Einsicht und zu seiner Freundschaft hege; daß er zu jeder Forderung, welche Pauline für ihre äußeren Umstände mache, im Voraus seine Bewilligung ertheile, und daß er also die ganze Leitung und Läuterung der peinlichen Verhältnisse dem Freunde überlasse.

Ich habe Ihnen heute den höchsten Beweis von Vertrauen gegeben, lieber Freund, den ein Mann dem andern zu geben im Stande ist, sagte er. Ich habe Sie gebeten, in einer mir äußerst wichtigen und schmerzlichen Angelegenheit statt meiner zu handeln. Was Sie für nöthig erachten, werde ich unbedenklich thun, was geschehen wird, wird allein Ihr Werk sein! –

Er betonte dieses Letztere, als gebe er im Voraus seinen Dank zu erkennen; aber der Caplan wußte, daß der Baron sich dieser Wendung ohne Zweifel sehr wohl erinnern würde, wenn es etwa darauf ankommen sollte, dem Vermittler die ganze Verantwortlichkeit für ein Mißlingen oder für irgend eine unangenehme Verwicklung zuzuwenden, und als wolle er ihm gar nicht Zeit zu irgend einer Entgegnung einräumen, fügte der Baron mit wiedergekehrtem Gleichmuthe leichtfertig hinzu: Nur das Eine halten Sie fest, daß der Gedanke an das arme Geschöpf mir wehe thut, weil es mich in der That mehr liebt, als Männer meiner Art eigentlich in ähnlichen Verbindungen geliebt zu werden wünschen.

Darauf gab er einige Aufträge, die er hier im Schlosse während seines Aufenthaltes in der Stadt vollzogen zu sehen wünschte, und empfahl dieselben dem Caplan eben so angelegentlich, als er ihm Pauline empfohlen hatte. Seine Wiederkehr und die Abreise zur Hochzeit wurden auf Tag und Stunde festgesetzt, und in aller Frühe des nächsten Morgens brach der Freiherr von seinem Schlosse auf.

Es war noch nicht völlig hell, als er durch Rothenfeld fuhr und an Paulinen’s Haus vorüberkam. Er bog aus Gewohnheit den Kopf ein wenig hervor; die Hausthüre, die Fensterladen waren noch geschlossen. Er hatte in ihrem Schutze manche Stunde voll Genuß durchlebt. Die Erinnerung daran bewegte ihn, aber in einer Weise, als läge die Zeit, in der es geschehen war, ein halbes Menschenleben hinter ihm. Er hatte jetzt nur die nächsten Tage, nur die Verbindung mit Gräfin Angelika im Sinne. Mit der Vergangenheit hatte er sich gestern abgefunden, als er dem Caplan davon ausführlich gesprochen hatte. Pauline zu befriedigen und zu trösten war nun dessen Sache.

Als der Wagen um die Ecke bog, sah der Baron das Haus noch einmal von der andern Seite vor sich. Es fiel ihm ein, daß es, wenn Alles nach seinen Wünschen gehe, bei seiner Heimkehr bereits verlassen sein werde, und noch einmal überschlich ihn die Wehmuth, die ihn gestern zu den Mittheilungen an den Caplan bewogen hatte. Aber er verscheuchte sie schnell mit dem erfreulichen Gedanken, daß er für sein Alter doch noch eine große Frische der Empfindung besitze. Als feiner Egoist verstand er es vortrefflich, sich selbst seinen Schmerz in eine gewisse Befriedigung zu verwandeln, und wie er sich am gestrigen Tage im Hinblicke auf seine junge Verlobte, seiner Wohlgestalt gefreut hatte, so erfreute es ihn jetzt, daß die Trennung von einer Geliebten ihn noch wirklich im Gemüthe leiden mache. Seine Braut konnte sich nach seiner Meinung des Besten zu einem Manne versehen, der neben den Erfahrungen der reifen Jahre alle Vorzüge der Jugend bewahrt hatte.

Was aber Pauline anbetraf, so gestand er es sich im Vertrauen, daß sie an Anziehungskraft für ihn verloren habe, daß sie nicht mehr dieselbe sei, als vor fünf Jahren. Was sie an Entwicklung gewonnen, das hatte sie an Ursprünglichkeit eingebüßt, und es war im Grunde nicht übel, daß seine Heirath ihm die Pflicht auflegte, sich von ihr zu trennen. Daß es ewig währen könne zwischen ihr und ihm, hatte sie ja selbst nicht glauben können. Aber er wollte in jeder Weise für sie sorgen, für sie und für sein Kind, und wenn er das that, so war ihr doch immer ein ganz anderes Loos gefallen, als ihr ohne sein Dazwischentreten jemals hätte zu Theil werden können. Er war also beruhigt und durchaus mit sich zufrieden.