Vierter Abschnitt. - Spezialitätenhotel - Casa Brun - Rendevous - Moral - Portemonnaie - Oratorium Santa Cecilia - Kuriositäten - Liebhaberkünste - Plüschsofas.

Um ja nicht in ein Spezialitätenhotel zu geraten, stieg ich in Bologna in der alten ehrwürdigen Casa Brun ab, die viel zu schweizerisch-solid ist, als daß sie irgendwelchen unpassenden Rendezvous offen stehen sollte. Meine Moral hat auch nicht im geringsten dort gelitten, aber mein Portemonnaie fand, daß die moralische Sicherheit etwas teuer erkauft sei. Indessen, was tut man nicht der Moral zuliebe? Ich für mein Teil bin zu jedem Opfer bereit, zumal dann, wenn die Küche eines Hotels so gut ist wie seine sittliche Solidität. Und dies darf der Casa Brun noch immer nachgerühmt werden.

Ich hatte eigentlich vor, in der Umgebung Bolognas eine Villa für den nächsten Winter zu suchen, aber ich fand, daß es ein Fiesole dort nicht gibt, und so beschränkte ich mich auf den Besuch des wunderschönen Friedhofs und des Oratoriums Santa Cecilia. Beides kannte ich noch nicht. Nun ich es kenne, erkläre ich: der kennt Bologna nicht, der es unterlassen hat, die heilige Cäcilie und den Friedhof zu besuchen. Der Friedhof von Bologna ist nicht so großartig gelegen und angelegt wie der Genuas, hat auch nicht so viele moderne Kuriositäten wie dieser, aber er besitzt einige entzückende Skulpturen aus der Zeit des Empirestiles, die zu betrachten ein großes Vergnügen ist. Besonders die „verschleierte Dame“ ist mir in der Erinnerung geblieben: eine trauernde Grazie, aber nicht aus der Mythologie, sondern aus dem Leben. O anmutvolle Melancholie! Ich mochte einen Abguß davon haben, der in einer beschnittenen Lorbeerlaube stehen sollte, eine Bank darunter mit der Aufschrift:


Wagt euch nicht her, Lärm und gemeine Lust,
Geklimper und Geschrei!
Hier träumt, umschleiert Angesicht und Brust,
Melancholei.
Sie will das Leben nur durch Schleier sehn
Und weit von ihm entfernt.
Sie kennt die süße Ruh: in sich zu gehn,
Und hat der Wehmut großes Glück gelernt.


Von ähnlicher Art ist der Trost, den die Kunst Lorenzo Costas und Francesco Francias im Cäciliengebethaus spendet. Früher versuchte ich, solche Bilder nachzuerzählen. Heute weiß ich, daß das im besten Falle Dazudichterei ergibt. Jugend mag das immerhin besorgen. Warum soll man sich mit 20, 25, auch 30 Jahren nicht auch mal in eine gemalte Cäcilie verlieben? Treibt man mäßigen Windes den Fünfzigern entgegen, so tut man besser, die Hand von solchen Liebhaberkünsten zu lassen und sich damit zu bescheiden, daß man zu sich sagt: Was in Linien und Farben einmal voll ausgesprochen worden ist, läßt sich in Worten nur übertreiben; nimm, was du siehst, Mann, ganz in dich auf und warte, ob es bei Gelegenheit einmal seine Auferstehung im Verse erlebt, ohne daß du weißt, woher dir dieses Glück geschieht. – Hier aber sage ich nochmals: geht zur heiligen Cäcilie, wenn ihr nach Bologna kommt. Sie wohnt zwar schlecht, in einem etwas verwahrlosten Raume, aber ich hoffe, daß es euch damit geht, wie mir: mich ergreift Schönheit um so mehr, wenn man sie sich selber und dem Reize ihrer alten durch keine Restauration vermodernisierten Umgebung überlassen hat. Noch eine Weile, und die Tüncher kommen oder die Freskenabsäger. Ich für mein Teil werde die holdselige Cäcilie weder besuchen, wenn die Wände ihrer Umgebung in stilgerechter blitzblanker Buntheit prangen, noch wenn sie selber zwischen Plüschsofas in einem königlich italienischen Museum steht. (Daß man sie selber jetzt schon etwas „ausgebessert“ hat, ist schade; man wird in Italien und anderswo so lange an den alten Kunstwerken herumrestaurieren, bis der Zukunft nichts weiter überliefert ist, als jeweilig moderne Nachpfuscherei. Ist es nicht ein Zeichen pöbelhaftem Frechheit, seine Hände selbst an Heiligtümer zu legen? Und ein Schwindel ist es obendrein.)

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Fiesole nach Pasing