Fünfter Abschnitt. - Fertigkeit der bologneser Eßwarenhändler - Mortadella di Bologna - Acqua di Felsina - Venedig - Lagunen - Trambahnlosigkeit - terra firma - Gondeln - Pianofortefabrikanten - Gesellschaftsreisende - Honigmond - Heuschreckenplage - Lodenjoppe - Adlerfeder - Vaterlandsprotzen - Fürst Bülow - Bismarck - Husar - Kulturparvenus - Tearoom - Margueritta - Lord Byron - Popolanen.

Nachdem ich wiederum die erstaunliche Fertigkeit der bologneser Eßwarenhändler bewundert hatte, die Riesenkugeln der nicht genug zu preisenden Mortadella di Bologna in papierdünne Scheiben zu zerlegen (wodurch der Wohlgeschmack dieser Wurst der Würste erst ganz zur Geltung kommt) machte ich mich, wohl versehen mit Mortadella und, damit die Nase auch was habe, mit Acqua di Felsina, auf und fuhr nach Venedig.

Venedig! Ich wünschte, daß ich einen Ausruf erfinden kannte, der wie ein Schrei der Lust alles das verkündete, was mir diese Stadt ist. Dieser Wunsch kennzeichnet den Zustand von Faulheit und Entzücken, in dem ich mich fast immer befand, wenn ich in Venedig war. – Ja, ich liebe diese Stadt mehr, als irgend eine andre: es ist eigentlich die einzige Stadt, die ich liebe. Vermutlich deshalb, weil es keine Stadt gibt, die so ganz Stadt wäre, wie diese: so ganz Kunst. Denn ich liebe das Entschiedene.


Mag sein, daß auch das Verfallende an Venedig mir so lieb ist, und das völlig Extraordinäre. Nicht zu vergessen seine göttliche Ruhe auf den Kanälen und entlegenen Plätzen, vor allem seine Freiheit vom Gerassel der Wagen: seine Trambahnlosigkeit zumal.

Ihr verdankt es diese wunderbare Stadt auch, daß man sich an ihrer Architektur noch erfreuen kann, ohne durch dicke Drahtlinien geniert zu werden, die nun auch in Italien die architektonischen Bilder zerreißen.

Die Hauptsache aber ist: Venedig ist arm, Venedig hat keine Möglichkeit, Industrie im großen Stile zu beherbergen: reich und häßlich zu werden.

Das ist den Venezianern natürlich sehr unangenehm. Auch sie möchten gerne alte schöne Paläste einreißen und dafür Fabriken bauen. Bei allen Teufeln: ich freue mich innig, daß das nicht geht.

Jetzt sind sie dabei, einen Straßendamm über die Lagunen weg zur terra firma zu errichten. Ist diese Straße mal da, so hoffen sie, daß draußen Fabrikquartiere erstehen werden. Meinetwegen. Wenn nur die alte edle Venezia selber bleibt, was sie ist: die Stadt der verfallenden Paläste, der verschwiegenen Winkel, der graziösen Brücken, der engen Gassen, der lautlosen braunen Kanäle, der schwarzen Umschlagtücher, der schwarzen Gondeln.

In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sollen die Stadtväter Venedigs ernstlich den Plan erwogen haben, den großen Kanal sowohl wie die nächstgelegenen kleinen zuzuschütten, um einen neuen Stadtkern zu bilden. Auch ein paar Dutzend der alten Paläste sollten daran glauben. Die, im Laufe der Jahrhunderte eisenhart gewordenen Pfähle, auf denen diese stehen, sollten, so heißt es, an amerikanische Pianofortefabrikanten verkauft werden, da ihr Holz das beste für den Pianofortebau sei. Diese Legende ist wohl eine Satire. Aber sie ist gut erfunden. Es hat in der Tat eine Zeit gegeben, wo die Venezianer höchst unglücklich darüber waren, keinen Boulevard, sondern den gran canale, keine großen Mietshäuser, sondern Paläste zu haben. Heute wissen sie ihre Spezialität besser zu schätzen. Da sie keine andere Industrie erheblichen Umfangs besitzen, haben sie die Fremdenindustrie im großen Stile ausgebildet. – Wer dürfte es ihnen verdenken? Es geschieht im ganzen auf liebenswürdige Manier, und das Geschmacklose, das damit einhergeht, läßt sich vermeiden, wenn man, zumal des Abends, den großen Kanal vermeidet. Wer aber ganz unbehelligt davon bleiben will, der besuche Venedig im Winter. Um diese Zeit ist die Lagunenstadt nicht bloß miasmen-, sondern auch fremdenrein.

Diesmal begann der Zufluß der Hochzeitsreisepaare eben, als ich dort war. Nun, es ließ sich ertragen. Die eigentliche Heuschreckenplage beginnt erst im Mai, der noch immer der beliebteste Honigmond ist. Auch fehlten die Gesellschaftsreisenden noch gänzlich, als welche gerade in Venedig mit einer Scheußlichkeit auftreten, die man als nationale Gefahr für den Ruf der Deutschen im verbündeten Italien bezeichnen muß. Ihnen verdanken wir es, wenn in italiänischen Blättern selbst intelligenter Herkunft noch von „deutschen Barbaren“ geredet wird. Es fällt mir nicht ein, dies Geschwätz zu verteidigen, so weit es nichts als nationalistische Phrase derer ist, die, mit Gott weiß wie viel germanischem Blute im Leibe, von der Herrlichkeit der „lateinischen Rasse“ (einem Unsinn) reden und, mit Wissen äußerst wenig beschwert, das Vaterland Goethes für eine Art europäischen Indianerterritoriums zu halten scheinen, wo man säuft, exerziert und in schwerfällige Banausenschädel mühsam stopft, was von der Herren Latiner Kulturtafel gefallen ist. Dieses dumme Zeug ist nicht der Beachtung wert. Jeder wirklich gebildete Italiäner zuckt die Achseln darüber. Wenn sich aber italiänische Journalisten darüber mokieren, daß deutsche Touristen in Venedig mit der Lodenjoppe erscheinen, eine Adlerfeder auf dem Älplerhute, in der Hand den Bergstock, an den Füßen genagelte Stiefel, so haben sie ganz recht. Schon wird in venezianischen Volksstücken diese Sorte Deutscher lächerlich gemacht; diese und eine andere, noch weniger erfreuliche: die der Vaterlandsprotzen. Ich sah solcher einmal fünf Gondeln voll den Grankanale entlang fahren, schwarz-weiß-rote Fähnchen schwingend und dazu die Wacht am Rhein gröhlend. Das ist nicht bloß geschmacklos, sondern lümmelhaft und hahnebüchen dumm.

Diesmal genoß ich eines eleganteren Anblicks. „Il gran cancelliere dell' impero germanico“ weilte in Venedig und ging fleißig spazieren in den engen Gäßchen hinter seinem Hotel. Da ich in demselben Hause wohnte (das zwar Hotel Britannia heißt, aber ganz deutsch ist), so hatte ich verschiedene Male Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, daß Fürst Bülow ein sehr munterer Reichskanzler ist, der witzig zu erzählen und seine Erzählungen dramatisch zu beleben weiß, so zwar, daß er Stimmen und Bewegungen gleichermaßen gut imitiert. Ich denke mir, daß auch diese Begabung ihn bei S. M. beliebt macht. Doch möchte ich diese Bemerkung nicht als abschätzig genommen sehen. Zur Diplomatie gehört auch die Kunst, denen zu gefallen, auf deren Mitwirkung man wesentlich angewiesen ist, und die es in der Hand haben, sich andere Partner auszusuchen. Zu den Gefahren der Monarchie gehört es, daß Genies, denen diese gefällige Kunst nicht eignet, der öffentlichen Wirksamkeit entzogen werden können, weil sie nicht imstande sind, sich nach Bedürfnis einzuspielen. Das staatsmännische Genie ist meist (nicht immer) heroisch beschränkt, es läßt sich zu vielen Rollen nicht gebrauchen; es ist vielmehr geneigt bei aller Loyalität selbst der höchsten Stelle die Rollen zu diktieren. Wenn aber die höchste Stelle selber durchaus nur nach dem Heroenpart verlangt, so muß die Peripetie eintreten und das ungefällige Genie wird ausgeschaltet. Ein Glück, wenn dann wenigstens ein Talent an seine Stelle tritt, das die Gefälligkeit nur so weit treibt, als es ohne Gefährdung der Interessen möglich ist, die noch höher stehen als die höchste Stelle. Es hat unter Umständen die Pflicht, auch contre coeur weiter zu spielen: dann, wenn es weiß, daß nichts Besseres nachkommt. Wenn man den Fürsten Bülow immer wieder daran erinnert, daß er kein Bismarck ist, so sollte man nicht vergessen, daß auch Wilhelm der Zweite nicht Wilhelm der Erste ist, und wenn man sich dies recht deutlich ins Bewußtsein nimmt, so wird man wohl zu dem Schlusse gelangen müssen, daß nicht viel damit gewonnen wäre, wenn sich der Husar kürassiermäßig gebärdete. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß das Drama geendet und ein Salonstück begonnen hat, in dem für Heroen kein Platz ist. Seien wir froh, wenn in hervorragender Rolle ein Mann von Geist darin beschäftigt ist, der deplacierte Entgleisungen ins Heroische abwendet und dafür sorgt, daß nicht gar ein Intrigenstück daraus wird. Mehr können wir, wie die Dinge (und Personen) stehen, zurzeit kaum verlangen und erwarten. Doch tun alle die ein gutes Werk, die nicht müde werden, daran zu erinnern, daß in einem großen Volke heroische Gefühle und Bedürfnisse wohl einmal schlummern aber nicht einschlafen dürfen, und daß man auf einen Wechsel des Repertoires vorbereitet sein muß.

„Ein garstig Lied, pfui, ein politisch Lied!“ Es ist aber nicht bloß der Kanzler des Deutschen Reiches daran schuld, daß ich mich, von Venedig redend, einer politischen Ruine, dazu verlocken ließ, sondern auch der gran cancelliere della poesia italiana. Doch würde Gabriele d'Annunzio mit diesem Titel keineswegs zufrieden sein. Wenn Nikolaus der Friedliche jetzt Zar aller Reußen ist, so ist Gabriele der Kriegerische heute Cäsar aller Lateiner. Die Höhe seines Ehrgeizes wird nur von der seiner Stehkragen erreicht. Alles an ihm ist glorios. Fällt ein Stück von ihm durch, so erhebt er den Durchfall noch in sublime Regionen, indem er ein Manifest erläßt, worin er seine Kritiker betrunkene Sklaven nennt. Stets ist er aktuell: wenn nicht in der Literatur, so durch Amouren, und wenn er wirklich einmal pausiert, so phantasieren ihm seine lateinischen Untertanen Legenden an, die lorbeerraschelnd durch die Zeitungen laufen. Ha: Gabriele ritt jüngst nackt ins Meer auf einem schwarzen Hengste (Preis 50 000 Lire) und ward, zum Strande kehrend, von seiner Geliebten (Preis 50 000 Lire) mit einem purpurnen Linnen abgetrocknet. Ha: Gabriele besitzt 50 Hunde, 20 Pferde, einen nach Maaß gemachten Marmorsarg und ein Lesezeichen, aus einer japanischen Schiffsfahne gefertigt, die beim Untergang der russischen Flotte mit dabei war. Ha: Gabriele erhielt kürzlich von einem betrogenen Ehemann (herzoglichen Geblütes) drei Ohrfeigen, sechs Nasenstüber, fünf Tritte gegen den Magen (Arztkosten 10 000 Lire). Ha: Gabriele entließ einen Kammerdiener, weil dieser es gewagt hatte, ihm ein Nachthemd zu reichen (Preis 500 Lire), das schon einmal gebraucht war. – Das kann man komisch finden, aber es ist vielleicht nicht komischer, als mancher Hofbericht in Deutschland, der sich manchmal mit weniger interessanten Erlebnissen weniger interessanter Personnagen beschäftigt. Dagegen fand ich sehr schön, daß in Venedig, als „La Nave“ aufgeführt worden war, die Verse d'Annunzios das Stadtgespräch bildeten; aber nicht so, wie man wohl auch bei uns von Versen redet: kritisch, abwägend, silbenstochernd, sondern gleichsam in einer Wolke von Enthusiasmus. In jedem Kaffeehaus hörte ich sie; man kostete sie aus, überbot sich darin, sie schön vorzutragen. Und Ruderklubs luden den anwesenden Dichter ein, ihre Ruder poetisch zu segnen.

Dieser Ueberschwang war indessen doch nicht rein poetischer Natur, sondern politisch tingiert, wie, allem Anscheine nach, (denn ich kenne es nicht) das Drama von der Gründung Venedigs selber. Wenn ich die Zeitungen richtig verstanden habe, so besorgt d'Annunzio mit La Nave unter anderem auch das, was bei uns der Flottenverein tut: „Das Schiff“ fordert mehr Schiffe. Daß Gabriele seinen Lateinern nebenbei auch die Weltherrschaft reklamiert, halte ich für sicher. Zu ihm gehört jeglicher Größenwahn. Ohne seine Megalomanie wäre er nichts weiter als ein glänzender Dekorateur. Man kann sagen, daß bei ihm der Größenwahn das Genie ersetzt. Die instinktive Sicherheit des ästhetischen Urteils bei den Italiänern zeigt sich darin, daß sie die große Wortkunst ihres Gabriele zwar nach Verdienst schätzen und mit Kennergefühl preisen, sich aber durch seine blendende Diktion nicht dazu hinreißen lassen, ihn zu ihren großen Poeten zu stellen. Ich habe mich anfangs sehr darüber gewundert, denn ich glaubte, ein Dichter wie d'Annunzio müßte von ihnen geradezu als eine Art Inbegriff des Genies ihrer Rasse vergöttert werden. Weil der Italiäner sich leichter als der Deutsche zur Begeisterung hinreißen läßt, glauben wir, er besitze weniger Urteil als wir, die wir uns für die geborenen Kritiker halten, weil sich bei uns Kunstwerken gegenüber Enthusiasmus schwerer einstellt. Das ist ein Irrtum. Die große Empfänglichkeit der Italiäner für starke Kunstäußerungen beruht keineswegs auf einem Mangel an ästhetischer Kritik. Der Italiäner besitzt nur nicht jenes eigentlich unästhetische kritische Bedürfnis, hinterher die Gründe seines Enthusiasmus zu zergliedern. Wo er einmal ja gesagt hat, bleibt er mit Leidenschaft dabei. Aber er sagt durchaus nicht zu allem ja, – auch dann nicht, wenn er damit in den Ruf eines auserlesen Verständigen kommen könnte, der seiner Zeit voraus ist. Der Snob ist in Italien so gut wie unbekannt, weil es dort eine alte ästhetische Kultur gibt, die dem Typus des Kulturparvenus nicht günstig ist. Nur in der Musik scheint sich eine Art Snobismus herausbilden zu wollen.

Ich hatte Gelegenheit, in einem Tearoom zu Venedig (keine italienische Stadt ohne Tearooms) zwei junge venezianische Adelige, deren Namen ich zufällig erfuhr, über die Salome von Strauß reden zu hören, die sie in Mailand genossen hatten. Sie sahen genau wie junge Engländer aus und flochten auffällig viele englische Wendungen in ihre Reden ein.

„Ich habe“, sagte der eine, „die Empfindung gehabt, daß das gar nicht mehr Musik war, sondern verrücktgewordene Natur in Tönen. Eine unglaubliche Sache. Nicht eigentlich angenehm; eher beängstigend, aber höchst eindrucksvoll.“

„Es ist Musik“, sagte der andre, „aber barbarische. Diese Germanen streifen alle Fesseln der edleren Form ab und führen ihre alten Kriegstänze auf.“

„Ganz falsch!“ war die Antwort. „Die Deutschen sind dekadent. Ihre Natur ist krank, wahnsinnig, hilflos. Sie haben keine Kraft mehr für die Form. Sie können nur noch heulen, stammeln, wiehern, kreischen. Aber es geschieht, wenn auch krank, so doch mit einer Inbrunst, daß man erschüttert wird und hinterher jede noble Form wie etwas Schwächliches empfindet. Es ist das Ende der Musik.“

Wieder der andre: „Aber jeder Musiker sagt dir, daß es nie eine Musik gegeben hat, die sich mit dieser an Kunst vergleichen läßt, oder besser: an Technik. Aber das ist doch schließlich dasselbe. Gewiß ist, daß Verdi nicht ausdrücken konnte, was Strauß ausdrückt, und daß Strauß ausdrückt, was wir empfinden. Wenn du das dekadent nennst, so sind wir eben auch dekadent, denn sonst könnten wir es nicht verstehen und mit Beifall begrüßen.“

So, präziser gefaßt, als es gesprochen wurde, der Extrakt des Gespräches. – Ich ging dann hinaus, zum Markusplatz, und der Zufall wollte es, daß die Kapelle einmal ausnahmsweise lauter ältere italienische Musik spielte: Musik, die meist schon zum Gassenhauer geworden ist, oder uns so vorkommt, weil sie uns keine Rätsel mehr aufgibt.

Da ich kein Renommee als Musikkritiker zu verlieren habe, darf ich ruhig bekennen, daß mir diese Musik sehr wohl tat. Sie erheiterte mich, war wie eine Aufforderung zum Tanze mit dem Leben. Ich wurde leichtsinnig und begann ein Gespräch mit einer kleinen Rothaarigen, die wohl nur einen Lord Byron bedurfte, um sich als eine Marianna zu entpuppen und eine guerra di landia aufzuführen, falls ihr eine Margueritta aufoktroyiert worden wäre. Aber ich bin viel zu bescheiden, als daß ich auch nun auf diesem Gebiete mit dem großen Lord wetteifern wollte. Es ging schon deshalb nicht, weil mir der venezianische Dialekt, den er beherrscht hat wie die Grazien, noch immer nicht eingegangen ist. Ich begnügte mich damit, der Kleinen zu eröffnen, daß sie ein hübsches Mädchen sei, wofür sie mich mit der Erwiderung beglückte, ich sei ein liebenswürdiger Fremdling.

„Was machen Sie denn tagsüber?“ fragte ich.

„Blumen aus Perlen,“ sagte sie.

„Das muß ja sehr reizend sein,“ sagte ich.

„Aber es wird schlecht bezahlt,“ sagte sie.

„Das ist nun so,“ sagte ich, „die hübschesten Sachen werden meist am schlechtesten bezahlt. Mir geht's auch manchmal so.“

„Ach,“ meinte sie, „Sie sehen nicht so aus, als ob Sie sich mit Polenta und Käse ernährten.“

Schon wollte ich ihr Bonbons kaufen, da erschien ihr Bräutigam und scheuchte mich mit einem Blick von dannen, der wie ein Dolchblitz funkelte. „Felicissima notte“, sagte ich.

Er empfahl mich der Madonna zu einem Geschäfte, das mich der Hölle überliefern würde, wollte ich es auch nur in Gedanken erwägen.

Darin sind die Popolanen Venedigs nämlich von einer blasphemischen Phantasie, die an Ruchlosigkeit und Schmutz unmöglich überboten werden kann. Ich glaube, die geringe Anzahl von Delikten gegen Leib und Leben, durch die sich Venedig auszeichnet, kommt daher, daß das venezianische Volk so fürchterlich mit dem Maule sündigt. Aber schrecklich ist es doch, derlei anzuhören. Worte können so furchtbar sein wie Taten. „Hüte deine Zunge!“ ist eine Mahnung, die von frühauf einem jeden immer vorgehalten werden sollte. Die gute Kinderstube, die das besorgt, macht sich um Seele und Zukunft des Kindes sehr verdient. Wer seine Zunge im Zaume hat, hat meist sich selber in der Kandare. – Wenn nur nicht die Nerven wären, diese zitternden Sehnen, von denen die bösen Worte allzu schnell und allzu scharf fliegen. Ich habe es mir seit einiger Zeit zur Gewohnheit gemacht, in Augenblicken, wo die Nerven vibrieren und ein böses Wort abschnellen wollen, vor mich hin zu sagen: M. h. M! Dieses Geheimsiegel bedeutet: Mensch, halt's Maul! – Hätte ich darnach immer gehandelt, so würde ich mir, und was mehr ist: geliebten Menschen viel Unangenehmes erspart haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Fiesole nach Pasing