Dritter Abschnitt. - Facchino - Gepäckträger - Bologna - coram publico - brutta bestia - Fieramosca - treno omnibus - Giotto - Palazzo Strozzi - Contessa Murri - Italiäner - Reisebegleiter - homosexuelle Stelldicheins - Vergnügungsetablissements - Prinz Kuckuck - Hauptstadt der Päderastie -

Ich weiß heute noch nicht, aus welchen eisenbahntaktischen Finessen es geschah, daß zwei Schnellzüge beinah gleichzeitig nach Bologna abgingen; bekannt und unvergeßlich ist mir aber die Tatsache, daß ich bei dem, den ich mir zur Fahrt auserkoren hatte, vergeblich auf den Facchino (Gepäckträger) mit meinem Gepäck wartete; daß ich ihn, alle Facchinos von Florenz fürchterlich verfluchend, abfahren ließ; daß ich heiligen Zornes voll, ins Bahnhofsvestibül stürzte, fest entschlossen, den Pflichtvergessenen coram publico eine brutta bestia zu heißen; daß mir der Portier phlegmatisch erklärte, der Mann werde am „anderen“ Schnellzug stehen, und daß dieser, als ich meinen Träger erreicht hatte, eben abfuhr.

Ha! Wie prachtvoll habe ich geflucht! Nicht im mindesten habe ich mich daran gekehrt, daß der Erzbischof von Florenz an allen Anschlageplätzen auf riesigen Plakaten männiglich des eindringlichsten ersuchte, das häßliche bestemmiare zu unterlassen. Ich mußte dieses Ventil öffnen. Donnert ja doch auch der liebe Gott, wenn zuviel Elektrizität in der Luft ist. Ein wahres Glück, daß mir das Blitzen versagt war. Jener Facchino wäre sonst heute eine Leiche, und im Fieramosca hätte es eine scheußliche Neuigkeit zu lesen gegeben unter dem Titel: „Brutalität eines deutschen Barbaren“. – Als ich mich ausgedonnert hatte, begab ich mich nach Santa Maria Novella und verrichtete in der Spanischen Kapelle meine Andacht vor dem hochheiligen Giotto, bis der nächste Omnibus nach Bologna ging.


Treno omnibus heißen in Italien die Bummelzüge. Ein ehrlicher und passender Name. Doch würde sich ein Autobus die Anzüglichkeit verbitten. – Bei meiner Vorliebe für langsame Verkehrsmittel befreundete ich mich mit dem Omnibus bald. Ich hatte mich vorsorglich mit einer schweren Last von Strozzibrödchen versehen (von mir so benannt, weil diese köstlichen mit Trüffelpaste bestrichenen Weißbrode gegenüber dem Palazzo Strozzi verkauft werden), führte Viktor Hehns „Italien“ bei mir und hatte außerdem einen Bologneser Rechtsanwalt zum Reisebegleiter. Wie hätte ich mich da langweilen können? Nein, das tat ich gar nicht. Am wenigsten dann, als mich der Advokat angesprochen hatte. Er erzählte mir die ganze Geschichte der armen Contessa Murri, und ich fand wieder einmal, daß mein „Prinz Kuckuck“ ein erbärmlich harmloser Roman ist. Zur Revanche erzählte ich ihm den Prozeß Eulenburg (den zweiten der unter der Firma Harden–Moltke gehenden). Ich werde mich hüten, wiederzugeben, welche Meinungen der italiänische Jurist über die Prozeßführung äußerte. Nicht verschweigen aber möchte ich, daß auch dieser gebildete Italiäner (wie schon manche vor ihm) mir bekannte, die Päderastie für eine Art weitverbreiteten deutschen Gesellschaftsspiels zu halten.

Ich verteidigte natürlich die Sitten des Vaterlands, fand aber wenig Glauben. Der Advokat meinte sonderbarerweise, die Sache hinge mit dem Militarismus zusammen. „Als ich zum ersten Male preußische Husaren sah“, sagte er, „war ich erstaunt, mit welcher Naivität die Militärverwaltung es zuläßt, daß diese verfänglichen Neigungen gewissermaßen Uniformzuschnitt erhalten.“ Ich dachte an das Exterieur des Herrn von Podbielski und lachte lauter, als höflich war. Ein anderes Argument des Bolognesers war ernsthafter. Er behauptete, daß es in Florenz zwei Hotels gäbe, die zu homosexuellen Stelldicheins benutzt würden, und die Kundschaft dieser sonderbaren Vergnügungsetablissements bestehe zu drei Vierteln aus Deutschen, zu einem Viertel aus Engländern. Daß ich davon auch schon in Florenz gehört hatte, verschwieg ich ihm und stellte mich sehr erstaunt. Tat überhaupt, im Vertrauen darauf, daß er den „Prinzen Kuckuck“ zuversichtlich nicht kannte, recht naiv und erzählte ihm dann, was ich (aus meinem Roman) von Neapel gehört hätte. „Das ist wahr,“ bekannte er, „aber die Hauptstadt der Päderastie ist jetzt nicht mehr Neapel, sondern Leipzig.“ – Itzt entgeistert saß ich da. „Lipsia?“ flüsterte ich, von Erstaunen übermannt. „Lipsia!“ bekräftigte er mit festester Betonung. Da konnte ich nun nichts weiter denken, als: Ei Herrjeeses!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Von Fiesole nach Pasing