Unser Weihnachtsbaum.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 7. 1921
Autor: Leykauf, Karl, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Weihnachten, Tannembaum, Christkind, Nikolaus, Familie, Kinder, Pyramide, Weihnachtsmarkt, Bescherung, Weihnachtsmann, Glück, Geschenke, Gaben, Rute, Fest
Im zehnten Kapitel seines „Ekkehard“ schildert Viktor von Scheffel, wie Frau Hadwig auf dem Hohentwiel Ekkehard und Praxedis wie ihrem Gesinde unter einem äpfelgeschmückten Lichterbaume zu Weihnachten bescheren lässt. Liest man diese Schilderung, so glaubt man, dass diese Art, das weihnachtliche Fest zu begehen, der Wahrheit entspricht, ja man hält es für gewiss, dass der grüne, geschmückte Lichterbaum noch älter sei. So selbstverständlich erscheint uns der mit den frühesten, glücklichsten Kindheitserinnerungen verknüpfte Brauch des im überhellen Glanze der Kerzen strahlenden Baumes, ohne den uns Weihnachten nicht denkbar ist, dass wir am hohen Alter dieses festlichen Symbols nicht zweifeln. Und doch hat Scheffel mit dem Rechte des Dichters eine Szene erfunden, die in jener Zeit nicht möglich war. Vergebens sucht man im Bereiche des ganzen Mittelalters nach dem Weihnachtsbaum in irgendeiner Form. Ja, nicht einmal die Bescherung fiel anfänglich auf unseren heutigen Heiligen Abend, denn das wirtschaftlich bedingte Jahresschlussfest unserer Altvorderen fiel einst in den November. In Deutschland galt da und dort der Martinstag, der auf den elften November fällt, als die Zeit des Winteranfangs, und man feierte das große Schlachtfest zu Ehren Martins. Dabei spielte zwar ein Segenszweig eine bedeutsame Rolle, aber unserem Bäumchen sah er nicht ähnlich, und auch seine symbolische Bedeutung war eine andere.

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Inhaltsverzeichnis


Geschenke sind am Martinstage wohl gegeben worden, aber noch nicht im Sinne unserer Bescherung. In unserer Weihnachtszeit erscheint der „Pelzmantel“ oder das „Märtesmännchen“, wie Sankt Martin am Niederrhein genannt wird, mit Äpfeln, Nüssen, süßen Gaben und der — Rute. Märtel und Knecht Ruprecht sind nur verschiedene Namen für dieselbe Gestalt. Ein gleichfalls früherer Festtag war der auf den sechsten Dezember fallende Tag des heiligen Nikolaus; der Tag dieses Heiligen war ursprünglich das eigentliche Kinder- und Freudenfest, und in manchen Gegenden ersehnen die Kinder heute noch den Nikolausabend mehr als Weihnachten. Nicht überall erscheint Nikolaus selber. Auf Tellern oder in Körbchen, welche die Kinder erwartungsvoll hingestellt hatten, finden sie seine heimlich abgelegten Gaben. Meist bringt auch er eine Rute mit, den ursprünglichen Segenszweig. Im sechzehnten Jahrhundert treten Martin, Ruprecht oder Nikolaus als Begleiter des Christkindes in Umzügen auf. Fast immer trägt das Christkind eine Klingel, ein Körbchen mit Früchten und Gebäck in der einen Hand, in der andern einen Zweig oder eine — Birkenrute. Als dann im gleichen Jahrhundert die umziehenden Gestalten örtlich immer mehr verschwanden, gab man in den Städten den Kindern die Geschenke in einem Bündel, der „Christbürde“, zusammengepackt. So entstand allmählich die eigentliche Weihnachtsbescherung im Hause, in der Familie. In den Christbürden war stets eine „Christrute“, ein Zweig, eingebunden, die man als Mahnung zum Artigsein auffasste. Wie Alexander Tille sagt, ging nicht im ganzen deutschen Sprachgebiet diese erzieherisch gemeinte Umwandlung des alten Martins- und Nikolausbäumchens vor sich; in Ober- und Mitteldeutschland erhielt es sich als Bäumchen. Als das Weihnachtsfest am 25. Dezember gefeiert wurde und weder Martin noch Nikolaus das Bäumchen brachten, stellte man es dennoch für die Kinder weiter auf. Statt des schwer zu beschaffenden Wacholderbusches von ehedem nahm man Tannenbäumchen, die nach und nach größer wurden. Bald bekamen alle Kinder eines Hauses eins zusammen, bald jedes ein eigenes Bäumchen. So entstand die häusliche Christnachtbescherung in unserem Sinn; die vermummten gabenbringenden Gestalten traten immer mehr zurück, und die Art des Beschenkens erhielt eine neue Form. Bis zum sechzehnten Jahrhundert gab es noch keine Weihnachtsbescherung. Aus dem Jahre 1605 stammt die älteste Nachricht vom Weihnachtsbaum. Er war mit „Rosen“ aus vielfarbigem Papier, mit Äpfeln, Oblaten, Zischgold — Rauschgold und Zuckerwaren geschmückt. Das Elsaß ist wohl die Urheimat unseres deutschen Weihnachtsbaumes. Die Zweitälteste Nachricht stammt gleichfalls aus Straßburg; sie ist in einem 1642 bis 1646 geschriebenen Werk des Münsterpredigers Dannhauer enthalten, der dieser häuslichen Weihnachtsfeier nicht besonders gewogen war und nicht anzugeben weiß, wo diese „Gewohnheit“ herkam. Lichter sind auf diesen Bäumen aber noch nicht zu finden; der uns so unentbehrlich scheinende Glanz brennender Kerzen wird erst 1737 erwähnt. So sind es also noch kaum zwei Jahrhunderte her, dass sich in fröhlichen, glücklichen Kinderaugen das Licht der Christbaumkerzen spiegelt. Und es währte da und dort noch lange, bis das Anbringen von Lichtern allgemein wurde. Der Weihnachtsbaum, wie wir ihn heute kennen, fand seine Verbreitung in unserem Vaterlande erst seit den Jahren der schweren Bedrückung, die dem Zusammenbruch von 1806 gefolgt sind.

Vorher stellte man nach altem Brauch, der auch heute noch nicht ganz verschwunden ist, Zweige verschiedener Laubbäume, die am vierten Dezember, dem Tage der heiligen Barbara abgeschnitten wurden, in einen Topf mit Wasser in die Nähe des Ofens. Dann brachen nur Weihnachten Blätter und Blüten auf. Wiederholt ist das Abschneiden von „Barbarazweigen“ verboten worden. So 1755 in Salzburg und 1768 und 1805 in Nürnberg. Unter das Verbot fielen außer jungen Waldbäumen, Zweigen von Linden-, Kastanien-, Pappel-, Vogelbeer- und verschiedenen Obstbäumen meist Kirschen- und Weichseln. Auf der ältesten Darstellung einer Weihnachtsbescherung aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts finden sich geschmückte Zweige in der Zimmerecke. Hier brennen zwei Lichter in den Händen des Engels und drei auf dem Rahmen.

Weihnachten, Kindlesmarkt im alten Nürnberg

Weihnachten, Kindlesmarkt im alten Nürnberg

Weihnachten, Auf dem Weihnachtsmarkt

Weihnachten, Auf dem Weihnachtsmarkt

Weihnachten, Die älteste Darstellung des Christbescherens

Weihnachten, Die älteste Darstellung des Christbescherens

Weihnachten, Die Mutter am Christabend. Nach einem Stich aus dem Jahre 1820

Weihnachten, Die Mutter am Christabend. Nach einem Stich aus dem Jahre 1820

Weihnachten, Die Pyramide auf dem Weihnachtstisch. Nach einem Stich von Daniel Chodowiecki 1799

Weihnachten, Die Pyramide auf dem Weihnachtstisch. Nach einem Stich von Daniel Chodowiecki 1799

Weihnachten, Eine Weihnachtspyramide aus der Zeit um 1820

Weihnachten, Eine Weihnachtspyramide aus der Zeit um 1820

Weihnachten, Nikolaus und das Christkindel

Weihnachten, Nikolaus und das Christkindel

Weihnachten, Tölzer Paradies mit dem Nikolaus

Weihnachten, Tölzer Paradies mit dem Nikolaus

Weihnachten, Verkaufstisch mit süßen Zwetschgenmännern auf dem Weihnachtsmarkt

Weihnachten, Verkaufstisch mit süßen Zwetschgenmännern auf dem Weihnachtsmarkt