Erste Fortsetzung

Jede durchgreifende Veränderung, welche fortschreitende Kultur mit der Erdoberfläche vornimmt, wird auch von Veränderungen in der Luft und mittelst dieser auf den menschlichen Organismus begleitet. Schon die Vegetation ist von wichtigem Einflüsse auf die Atmosphäre. Absorptionen und Exhalationen gehen hier vor sich, deren Wichtigkeit wir zwar nicht chemisch darstellen, aber doch ahnen können. Dass die Erdrinde einen großen Einfluss auf die chemischen Verhältnisse der Atmosphäre ausübt, ist schon längst dargetan. Sowohl die Dammerde, als alle Mineralien und deshalb auch ganze Straten der Erdrinde absorbieren Sauerstoff. Ebenso ermittelt ist es, dass die ganze Erdoberfläche fortwährend irrespirable Gasarten exhaliert, wie denn z. B. alle Quellwasser Kohlensäure enthalten. Dagegen wirkt der Kalkboden entschieden den fauligen Ausdünstungen entgegen, die fieberhafte und ansteckende Krankheiten veranlassen. Mitchill (Medical Repository Vol. 2. New York 1798) beweist, dass in England, wo der Erdboden kalkartig ist, sich auch die Luft am Gesündesten zeige. Ist hingegen der Boden sandig, tonig, feucht, so äußert auch die Luft einen ungesunden Einfluss. Schon Linne hielt die Tonerde für eine der hauptsächlichen Ursachen von Wechselfiebern, da sie durch Essen und Trinken in den Körper gelangt. Auch in Amerika beobachtete man schon lange den heilsamen Einfluss des Kalkbodens, der sowohl die nitrösen Bestandteile der Luft, die ansteckende Krankheiten erzeugen, als ihre Feuchtigkeit überhaupt absorbiert. Die Kultur des Bodens ist daher ein Hauptmittel die Gesundheit einer Gegend zu befördern.

Und zwar ist ihr Einfluss ein direkter und indirekter. Im erstem Falle wirkt die Kultur günstig durch Aushauen von Wäldern, Austrocknen von Sümpfen, Entfernung schädlicher Mineralien, Auftragung besserer Erdarten. Im zweiten durch den Ackerbau, der einesteils durch Übung der Körperkräfte in freier Luft, andernteils durch Gewinnung gesünderer Nahrungsmittel vorteilhaft auf den Körper wirkt. Mit Lichtung der Urwälder Amerikas bestrich auch die Luft mit größerer Leichtigkeit den an Pflanzenüberresten so reichen Boden und änderte allmählich dessen ursprüngliche Beschaffenheit. Nach einer gewissen Reihe von Jahren findet sich keine Spur dieser vegetativen Überreste mehr. Doch darf man nicht glauben, das Aushauen der Wälder sei immer und in allen Fällen von heilsamen Folgen begleitet. Der uralte Glaube, der die Waldungen den Göttern geweiht, und sie durch Jahrhunderte verschonte, hat eben etwas Wahres, tief in der Natur Begründetes. Durch Schattenkühle, Verdunstung und Kälte erregende Ausstrahlung wirken die Waldungen auf dreifache Weise wohltätig. Philadelphia verdankt sein ungesundes Klima dem Mangel an Bäumen. Moräste sind so lange unschädlich, als sie mit Bäumen und Gesträuchen dicht umwachsen bleiben, welche die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf dieselben hemmen. Port-Royal in Luisiana ward ein höchst ungesunder Aufenthalt, als man die Bäume weggehauen hatte, die einen benachbarten Sumpf beschatteten. Oft erhalten auch durch das Aushauen der Wälder die Winde freieren Durchzug und bringen Miasmen in das Innere eines Landes, die man dort früher nicht kannte. So sah Rush (Medical Inquiries and Observations. Vol. 2) durch das Lichten der Wälder Wechselfieber durch die Miasmen der Moräste in das Innere von Pennsylvanien dringen, das sonst von dieser Krankheit verschont war. — Von der Pest, die 1679 bis 1681 in Deutschland wütete, blieben die Bewohner des Thüringer Waldes befreit. Die Dürre und Unfruchtbarkeit des Bodens auf der Insel Cypern schreibt Sonnini vorzüglich dem Niederhauen der Wälder zu. Überall wo die Wälder ausgerottet werden, leidet auch der Graswuchs, weil der Luft die Feuchtigkeit entzogen und den Winden der feinste Durchzug gestattet wird.


Voltaire in seinen Questions sur l’Encyclopédie, Article Climat behauptet, dem Kaiser Julian habe besonders der Ernst in dem Charakter der damaligen Pariser gefallen und fügt hinzu, der Charakter der jetzigen sei bekanntlich nichts weniger als ernsthaft, obgleich das Klima sich nicht geändert habe. Gleich paradox ist seine Behauptung, die jetzige Luft Englands sei ebenso neblig als zu Ciceros Zeiten. Das Klima, unter welchem Voltaire freilich nur die Atmosphäre zu verstehen scheint, hat sich allerdings geändert. Wie viele Waldungen mögen ausgehauen, wie viel ödes Land urbar gemacht, wie viele Moräste ausgetrocknet worden sein, bevor Frankreich und England sich ihrer heutigen günstigen Sonne erfreuen konnten. Nicht zu gedenken der Staatsverfassungen und Gesetze, der Sitten und Gebräuche, der politischen Veränderungen und Revolutionen — die ich alle unter dem Namen moralisches Klima begreife — und welche auf den Charakter ganzer Völker von jeher den entschiedensten Einfluss äußerten. Wer wird unter Tacitus' bekannter Beschreibung — Quis Germaniam peteret, informem terris, asperam coelo, tristem cultu aspectuque etc. — unser heutiges Vaterland wieder erkennen? — Zu der Römer Zeiten war die Oberfläche Germaniens mit einem undurchdringlichen Walde bedeckt. Das Renntier, dem schon das Klima von Stockholm und Petersburg nicht zusagt, soll noch um Christi Geburt im Schwarzwalde gefunden worden sein. Der Boden muss damals dieselbe Beschaffenheit gehabt haben, wie die Dammerde in den Urwäldern Amerikas. Aber alle diese Produkte einer einstigen, so üppigen Pflanzenwelt sind für unsere heutige Wahrnehmung völlig verschwunden.