Die Reaktion. Die Schmalziaden. Veränderte Richtung der preußischen Regierung. Allmähliches Abwenden der öffentlichen Meinung von Preußen. Bayern und Württemberg.

Deutschland befand sich damals in einer außerordentlich merkwürdigen Krisis. Es war einer jener bedeutungsvollen Momente eingetreten, wie sie die deutsche Geschichte schon öfter gesehen, in welchen die vielfach verwickelten, kaum entwirrbaren Verhältnisse unseres Vaterlandes durch eine kühne rasche Tat ihrer Lösung zugeführt werden konnten. Was auf dem Wege friedlicher Unterhandlungen nicht zu erreichen war, dazu schien das Schicksal auf eine andere Weise seine Hand anbieten zu wollen. Und die öffentliche Meinung hätte dazu, wie wir gesehen, ihre vollkommenste Zustimmung gegeben, ja es war ihr geheimster Wunsch gewesen.

Aber es sollte nicht sein. Der Erfüllung dieses Wunsches setzten sich sofort die größten Hindernisse entgegen.


Zuvörderst wäre Österreich auf keinen Fall ruhig dabei geblieben. Und es konnte, wenn es auch allein nicht stark genug gewesen, um dem drohenden Ereignis zu begegnen, gewiss auf die Bundesgenossenschaft Russlands, Englands und Frankreichs rechnen. Sodann hatte es jedenfalls die kleinern deutschen Regierungen, namentlich die süddeutschen, auf seiner Seite, welche natürlich am meisten verloren hätten, indem sie ihre Souveränität eingebüßt. Auch waren diese wirklich in der größten Besorgnis und ließen es an nichts fehlen, um den drohenden Sturm zu beschwören. Am tätigsten war hierbei Bayern. Hier erschien ein großer Teil jener Streitschriften gegen Preußen, welche sich zunächst um die sächsische Angelegenheit drehten, aber von hier aus die ganze Politik jenes Staates anzugreifen sich bemühten. Hier erschien mit dem Anfange des Jahres 18 15 die Zeitschrift Allemannia, von einem Vereine dänischer Staatsmänner und Gelehrten herausgegeben, wie es schien, unter der unmittelbaren Aufsicht und Mitwirkung des Grafen Montgelas, deren Tendenz unverkennbar ist, Preußen herabzuwürdigen und die ganze nationale Richtung, die sich neuerdings an diesen Staat angelehnt, teils als lächerlich, teils als gefährlich hinzustellen. Von Bayern gingen auch jene oben erwähnten „Sächsischen Aktenstücke“ aus, welche mit Ausnahme einiger weniger Dokumente sämtlich untergeschoben sind und offenbar keinen andern Zweck haben, als die übrigen Staaten auf die Gefährlichkeit der preußischen Entwürfe oder zum wenigsten der der deutschen patriotischen Partei aufmerksam zu machen. Man wollte durch die rücksichtslose Enthüllung dessen, was man von der öffentlichen Meinung und dem mit ihr verbündeten Preußen besorgte, letzterem den Weg verrennen und zum voraus sich der Bundesgenossenschaft anderer Mächte versichern. Es ist nicht zu leugnen, dass durch die rastlose Tätigkeit des bayrischen Kabinetts gar Vieles von dem beabsichtigten Resultate erreicht worden sei.

Außerdem aber hatte die nationale Richtung noch mit einem andern, nicht zu verachtenden Gegner zu kämpfen. Dies war die Bureaukratie. Letztere war während der Napoleonischen Zeit in ihr goldenes Zeitalter getreten. Sie hatte eine Macht und einen Einfluss im Staate erlangt, wie sie sich dessen noch niemals zu erfreuen gehabt: sie war der herrschende Stand geworden, und zwar übte sie diese Herrschaft, da von Verfassungen keine Rede war, auf die willkürlichste und despotischste Weise aus. Aber der nationalen Richtung war die Bureaukratie, schon als französische Erfindung, ein Gräuel: sie wünschte im gesammten Vaterlande die Einführung einfacher geordneter Verhältnisse, zufolge welcher der freie Bürger nicht mehr der Willkür des Beamten anheimgegeben sei, sondern auf den Boden des Gesetzes fußen könne. Daher war die Bureaukratie am wenigsten mit der nationalen Richtung einverstanden, von welcher sie das Ende ihrer Herrschaft besorgte, und arbeitete ihr aus allen Kräften entgegen. Dies kann man nicht bloß von den süddeutschen Staaten behaupten, wo allerdings die Napoleonischen Einrichtungen den fruchtbarsten Boden gefunden hatten, sondern auch von den nördlichen, und namentlich auch von Preußen. Auch hier existierte, trotz der liberalen Richtung, welche die Regierung seit dem Jahre 1807 und besonders seit den Freiheitskriegen eingeschlagen, eine bedeutende bureaukratische Partei, welche mit den Grundsätzen der deutschen Patrioten durchaus nicht einverstanden war und am allerwenigsten von einer Repräsentativverfassung etwas wissen wollte. Sie sah jedoch sehr gut ein, dass, wenn die preußische Regierung, wie die öffentliche Meinung es wünschte, sich an die Spitze der nationalen Partei stellen würde, es mit ihrem Einflusse vorbei wäre. Und in diese allgemeine Betrachtung spielten dann auch noch persönliche herein; denn schon lange war gewissen hochgestellten Personen, welche die neuen Ideen repräsentierten, ihre Stellung beneidet worden: so lange sie am Ruder des Staates standen, konnten jene andern nicht vorwärts kommen, ja es war zu vermuten, dass auf die Länge hin das ganze Personal der Regierung mit andern Männern, mit Männern des Fortschritts besetzt werden würde. Es ist daher leicht zu begreifen, dass die preußischen Bureaukraten alle Segel anspannten, um das gefürchtete Übergewicht der nationalen Partei wiederum zu beseitigen.

So standen die Sachen, als im Herbste des Jahres 1815 drei Ereignisse eintraten, welche zugleich Preußen und die nationale Richtung betrafen und die wenigstens in einem innern Zusammenhange miteinander standen. Das erste Ereignis war die Gründung der heiligen Allianz: das zweite waren die erneuten Angriffe der bayrischen Allemannia: das dritte endlich die Denunziation des Tugendbundes oder vielmehr der patriotischen Partei durch den preußischen Bureaukraten Schmalz.

Wir kennen jetzt hinlänglich das Wesen der heiligen Allianz. Wir wissen, dass ihre eigentlichste Tendenz die Aufrechthaltung des Stabilitätsprinzips in Europa gewesen. Ob sogleich bei der Stiftung des Bundes in Paris diese Tendenz allen Teilnehmern rücksichtslos mitgeteilt worden sei, können wir nicht entscheiden: ebenso wenig, ob von Österreich und Russland damals schon dem Könige von Preußen das Versprechen abgenommen worden sei, in der Verfassung seiner Monarchie keine Änderung eintreten lassen zu wollen, wodurch der politischen Freiheit eine Konzession gemacht worden wäre. Aber gewiss ist: die drei Herrscher verbanden sich durch die heilige Allianz enger mit einander, als jemals vorher. Und dass namentlich zwischen dem preußischen und russischen Monarchen ein solch inniges Verhältnis eingegangen worden ist, geht schon daraus hervor, dass noch in demselben Herbste, kaum dass man Paris verlassen, der Kaiser von Russland seinem königlichen Bruder in Berlin einen Besuch abgestattet, wobei die Vermählung des Großfürsten Nicolaus mit einer preußischen Prinzessin beschlossen wurde. Man darf wohl annehmen, dass der Einfluss von Österreich und Russland auf des Königs von Preußen politische Gesinnung kein kleiner gewesen sei, und wenn sie durch die Stiftung der heiligen Allianz nichts anderes bewirkt hätten, so hatten sie doch bereits damals das unzweifelhafte Resultat erreicht, dass der König nichts ohne der beiden Monarchen Zustimmung thun würde.

Indes der König schon mit einer wankend gewordenen Politik und zum wenigsten mit einem gewissen Indifferentismus gegen die nationale Partei in sein Reich zurückkehrte, hatten die Feinde Preußens und der nationalen Richtung ein immer größeres Geschrei über die Gefährlichkeit derselben und über Preußens Entwürfe erhoben, so dass der König nicht umhin konnte, zuletzt selber bange zu werden. Schon im dritten Bande der Alemannia, bei Gelegenheit der Revision der Schriften über die sächsische Angelegenheit, sagten diese Blätter unverhohlen: „Preußen würde es vielleicht kaum gewagt haben, zuerst von Napoleon abzufallen und dann so unverschleiert mit seinen Vergrößerungs- und Zurundungsplanen aufzutreten, hätten nicht vertraute Anhänger in allen Ländern Europas seine Absichten unterstützt, in der Überzeugung, hierdurch das Interesse einer weit verbreiteten geheimen Verbindung, deren tätige Mitglieder sie sind, für den jetzigen Moment am sichersten zu befördern. Diese Verbindung hat durch ihren Einfluss auf die Begebenheiten der letztverflossenen Jahre der europäischen Politik eine ganz andere Richtung gegeben — aber sie hat ihre eigene Geschichte noch nicht vollendet. Die Gefahren, mit welchen sie vorerst alle nicht preußischen Staaten und allmählich die preußischen selbst bedroht, fordern die Aufmerksamkeit aller europäischen Kabinette auf, und werden jenen doppelt begreiflich sein, welche die Mittel kennen, durch die die päpstliche Theokratie einst die Völker beherrschte. So wie diese durch Einen Wink tausend Köpfe und Arme in allen Ländern Europas zu einem einzigen Ziel in Bewegung setzen konnte, so wie sie die Kunst verstand, die Menschen durch gewisse, das Innerste des Gemütes anregende Ideale und Hoffnungen für verborgene Zwecke zu begeistern, ebenso sucht man jetzt, wenn öffentliche Nachrichten und stille Beobachtungen nicht trügen, viele Tausend Köpfe und Arme dem Willen gewisser Obern untertänig zu machen, welche dermal dem preußischen Interesse zugetan sind.“ In einem andern Aufsatze, „Die rüstigen Wächter“ überschrieben,*) wird der nationalen Partei unter der Aegide Preußens unverhohlen das Streben nach einer vollkommenen Revolutionierung Deutschlands vorgeworfen. „Achtet man, heißt es da, auf die revolutionären Umtriebe und Reden in Bänden und Zeitschriften des Nordens, so sollte man meinen, es sei auf nichts weniger, als auf eine deutsche Republik abgesehen. Die Untunlichkeit der Sache bei Seite, erwäge man nur den Umstand, dass jene Treiber und Sprecher den Schutz mächtiger Fürsten genießen, und dass diese Verstand und Macht genug haben, um — wäre an der vorgeblichen deutschen Republik etwas Wahres — es zu erraten und zu hintertreiben. Es können demnach jene revolutionären, absichtlich geduldeten Äußerungen weiter nichts bezwecken wollen, als die deutschen Völker zu einem fieberhaften Ausbruche zu verleiten, der eine militärische Einmengung von Nachbarstaaten herbeizöge und rechtfertigte, und — die deutsche Republik hätte am Ende das Loos der polnischen von 1795! Also, Deutsche! misstrauet diesen Predigern der Freiheit und eines unsichtbaren Reiches, das mit Blut kommen, mit Blut gehen würde!“ Der Verfasser fährt darauf fort: „Doch vielleicht ist die Beschuldigung ungegründet und jene Rüstigen wollen die Einheit der Deutschen auf anderem Wege erhalten? In der Tat, könnte man dem Merkur trauen, so schreien sie nach Kaiser und Reich, wie das Lamm nach der Mutter, und weiter nichts. Aber welches Reich? Das von 1792? Für so beschränkt wollen wir sie nicht ansehen. Nach einem Kaiser mögen sie allerdings verlangen; aber von Österreich haben sie selbst schon gesagt, dass es durch größere südliche Staaten von den kleinen nördlichen zu weit entfernt wäre, um mit Erfolg dort einzuwirken. Also Preußen! Aber wären ihm die Hände gebunden, wie es jene Österreichs waren, so würde ihm die Kaiserwürde eine nutzlose Last werden und seine Finanzen erschöpfen, wie sie die weit blühenderen von Österreich erschöpfte. Es müsste sich also vergrößern: es müsste allmählich ganz Norddeutschland zwischen Elbe, Main und Maas sich einverleiben. Ist das der Plan, der den revolutionären Umtrieben im deutschen Norden, all den wütenden Anfällen auf den deutschen Süden zum Grunde liegt? Man muss es glauben, so lange man uns nicht den wahren sagt usw.“

In einem dritten Aufsatze endlich, im Septemberheft 1815, wird ein ironischer „Unmaßgeblicher Vorschlag eines europäischen Zentral-Kaisertums“ mitgeteilt, welcher ohne weiteres die Ideen jener Adresse der preußischen Armee in den Sächsischen Aktenstücken adoptierte, nur dass sie viel barocker ausgesprochen und ins Lächerliche gezogen sind. „Es kann — so beginnt der Aufsatz — dem Menschenfreunde nicht anders als ein höchst erfreulicher Anblick sein, wenn er gewahr wird, wie mit jedem Tage unser wiedergeborenes frei gewordenes Vaterland sich dem hehren Ziele seiner Wünsche nähert und durch die Bemühungen unserer deutschen Patrioten dem Augenblick entgegensieht, wo seine Kraft, unter Einem Herrn vereinigt, mit Aufhebung aller Nationalunterschiede, jeder auswärtigen Macht mit Stärke und Nachdruck die Stirn bieten wird. Von allen deutschen Staaten ist in dieser Hinsicht die vollkommenste Mitwirkung zu erwarten. Die Untertanen, durch die auflebenden deutschen Volksgesellschaften begeistert und durch die Einrichtung des Landsturms auch noch mit Waffen versehen, erwarten mit Sehnsucht eine baldige Regierungsveränderung, ja die Regenten der bisherigen Staaten selbst scheinen allen Gedanken an ihre längere Fortdauer aufgegeben zu haben und zu ihrer Entthronung willig die Hände zu bieten, indem sie in ihren Staaten den Druck und die ungehinderte Verbreitung der dahin arbeitenden Journale, Broschüren und Zeitungen erlauben.“ Es wird sodann ausgeführt, dass ebenso, wie Deutschland, auch ganz Europa nach Einheit strebe, „Es ist daher nichts so sehr zu wünschen, als dass es einem Manne von dem umfassenden Genie eines Arndt oder Görres belieben möchte, dem großen Gedanken von Deutschheit eine ausgedehnte Allgemeinheit zu geben und solchen zu der Größe und Erhabenheit auszubilden, deren er noch weiter fähig zu sein scheint. Dies möchte um so notwendiger sein, da die Gründe,, welche die Einverleibung der kleinern Staaten in einen größeren anraten, ebenso dringend auffordern, ein europäisches Kaisertum zu errichten und ganz Europa mit allen seinen Reichen der Leitung eines einzigen europäischen Zentralkaisers zu unterwerfen. Die Schwierigkeiten werden um so geringer sein, da man sich durchaus derselben Mittel wie bei Einführung der Deutschheit bedienen und durch Broschüren und Journale, durch europäische Volksgesellschaften und Aufgebote des europäischen Landsturms ganz dasselbe bewirken könnte.“ Am Schlusse wird Preußen die Bürde des Zentralkaisertums zugewiesen. „Kein Staat wäre besser dazu berechtigt, als der preußische, welcher so zu sagen in der Mitte von Europa gelegen ist. Berlin würde auf diese Art die Hauptstadt von Europa und der Sitz des europäischen Kaisertums. Dies wäre auch um so billiger, da man Preußens Anstrengungen und Tapferkeit die bisherigen ungeheueren Fortschritte ganz allein zu verdanken hat.“

Zu diesen Verdächtigungen Preußens und insbesondere der nationalen Partei, wobei die Allemannia treulich von dem österreichischen Beobachter unterstützt wurde, gesellte sich endlich noch eine Anklage aus dem preußischen Staate selbst. Es war dies die berüchtigte Schmalzische Denunziation des Tugendbunds. Der Geheimerat Schmalz, ein eingerosteter Bureaukrat, der sich schon längst über die Fortschritte der nationalen Partei geärgert und mit hohen Staatsbeamten fremder Lander, wie er sich selbst rühmte, in sehr genauen Verbindungen gestanden, griff, ungeschickt genug, eine ihn selbst betreffende Stelle der Venturinischen Chronik vom Jahre 1811, die aber schon längst berichtigt war, auf, um daran seine Bemerkungen über den Tugendbund und überhaupt über geheime politische Vereine zu knüpfen, die er dann als staatsgefährlich förmlich denunzierte. Die Broschüre*) nicht mehr als einen Bogen stark und dabei sehr schlecht und unlogisch geschrieben, enthält, wie ihm auch seine Gegner, namentlich Schleiermacher vorgeworfen, zum größten Teile bloß Notizen über die werte Person des Verfassers: die wenigen Seiten, aufweichen er den eigentlichen Gegenstand bespricht, sind aber so voll von Unwahrheiten und wirklichen Lügen, und so ohne alle Begründung der von ihm aufgestellten Behauptungen, dass jeder Unbefangene von der tiefsten Entrüstung über diese Schrift erfüllt werden mußte. Aber zugleich ist nicht zu verkennen, dass Schmal; ungefähr in demselben Sinne sprach, in welchem die Allemannia. Nachdem er über den frühern Tugendbund, seine durch den König gebotene Auflösung und seine Fortdauer, jetzt nur im Geheimen, gesprochen, lässt er sich auf folgende Weise darüber aus: „Das Dasein aber solcher Verbindungen verbreitet Furcht unter den Bürgern aller deutschen Lande und erfüllt den rechtlichen Bürger der preußischen Staaten mit Unwillen. Von solchen Bünden gehen aus jene pöbelhaften Schmähreden gegen andere Regierungen und jene tollen Deklamationen über Vereinigung des ganzen Deutschlands unter eine Regierung (in einem Repräsentativsystem, wie sie das nennen); eine Vereinigung, welcher von jeher der Geist aller deutschen Völker widerstrebte, für welche aber jetzt die Anhänglichkeit an die besondern Dynastien durch Hohn und Aufwieglung in jeder deutschen Brust niedergedrückt werden soll. Es charakterisiert sie leidenschaftliches Predigen unbedingten Todhasses gegen Frankreich, doch verbunden mit den schmählichsten Beschuldigungen aller deutschen Regierungen (auch der preußischen wird nicht geschont, obwohl, wie sie sagen, sie deren Uniform bedürfen) und dabei im bürgerlichen Leben ein steter Ausdruck herzlichster Verachtung aller, auch der ausgezeichnetesten Staatsmänner oder Gelehrten, welche nicht ihrer Meinung sind. — Mit Vergiftung der heiligsten Sittlichkeit lehren sie, wirkliche besondere Pflichten ruchlos für erträumte allgemeinere und darum angeblich höhere übertreten. Wie vormals die Jakobiner die Menschheit, so spiegeln sie die Deutschheit vor, um uns der Eide vergessen zu machen, wodurch wir jeder seinem Fürsten verwandt sind. Wenn Jahrtausende aus den Deutschen nicht Ein Volk machen konnten, wenn von jeher Sachsen und Reich, Welsen und Weiblinger, Union und Ligue Deutschland zerrissen, so oft solche Art von Einheit zwischen Deutschen versucht wurde: so ist doch Geschichte und Pflicht von ihnen gleich gering geachtet; — ob vielleicht auch ihnen das Gouvernement einer Provinz oder sonst eine Machtstelle zufallen möchte, und vor allen ein reiches Einkommen. — Deutschland wird groß und herrlich aufblühen, wenn die Fürsten es echt deutsch mit dem deutschen Bunde meinen, als mit einer heiligen Eidgenossenschaft, wozu gemeinsames Interesse sie wirklich verbindet. Aber diese Menschen wollen durch Krieg der Deutschen gegen Deutsche Eintracht in Deutschland bringen; durch bittern gegenseitigen Hass Einheit der Regierung gründen; und durch Mord, Plünderung und Notzucht (letztere gar klärlich gepredigt) altdeutsche Redlichkeit und Zucht vermehren.“ Zuletzt bestreitet er der patriotischen Partei ohne weiteres ihr Verdienst, welches sie um den Freiheitskrieg gehabt, und stellt sogar in Abrede, dass überhaupt eine Begeisterung vorhanden gewesen wäre: Alles habe der König gemacht. „Sie sagen nur keck die Unwahrheit, behauptet er, wenn sie rühmen, dass sie die preußische Nation begeistert hätten. Weder von solcher Begeisterung, noch von Begeisterung durch sie war 1813 bei uns eine Spur. Es war vielmehr so: Das Volk empfand tief die Unterdrückung des Vaterlandes. Aber in ruhiger Kraft wartete es auf den Wink des Königs. Als 1812 die Verbindung mit Frankreich geschlossen wurde, welche uns und durch uns ganz Europa rettete: da schrieen und deklamierten diese Leute, drohten und versuchten allerlei. Aber das Volk gehorchte wider seine Neigung den Befehlen, welche der König wider die seinige gab. Im Februar nun und März 1813 war noch kein deklamierendes Blatt erschienen, kein Wort von jenen gesprochen, als der König den Aufruf erließ und auf diesen Aufruf plötzlich die ganze Nation aufstand, wie Ein Mann. Keine Begeisterung, überall ruhiges und desto kräftigeres Pflichtgefühl — Alles eilte zu den Waffen und zu jeder Tätigkeit, wie man aus ganz gewöhnlicher Bürgerpflicht zum Löschen einer Feuersbrunst beim Feuerlärm eilt. — Und nun wollen jene den Ruhm des Volks sich zulügen.“

*) Berichtigung einer Stelle in der Bredow-Venturinischen Chronik für das Jahr 1808. Über politische Vereine und ein Wort über Scharnhorsts und meine Verhältnisse zu ihnen. Vom Geheimenrat Schmalz in Berlin. Berlin 1815.

Nicht leicht hat ein Schriftchen eine größere Aufregung hervorgebracht, als dieses des Geheimrat Schmalz. Man war schon daran gewöhnt, die nationale Richtung verunglimpft zu sehen. Allein bisher war dieses von einer Seite geschehen, welche zuerst angegriffen worden war, von den süddeutschen Bureaukraten. Dass sich diese ihrer Haut wehrten und ihrerseits dann auch zum Angriffe übergingen, war erklärlich. Auch ist nicht zu leugnen: die Angriffe, welche von daher, wie z. B. von der Allemannia, gegen das Deutschtum unternommen wurden, waren gut organisiert, die Aufsatze nicht ohne Geist, die Mängel und Schwächen, wie die Übertreibungen der nationalen Partei nicht ohne Witz hervorgehoben, und dabei war immer das Bestreben sichtbar, wenigstens auf eine Seite hin dem Zeitgeiste Konzessionen zu machen: so wurden das Aristokratenunwesen, die Pfafferei und fast sämtliche Reliquien aus der Feudalzeit von ihnen auf das entschiedenste bekämpft und selbst die Notwendigkeit von der Einführung neuer Verfassungen wurde von ihnen zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt. Aber diese Schrift von Schmalz beschmutzte das eigene Land, war gegen das eigene Interesse von Preußen gerichtet, besudelte die großartige Gesinnung des Volkes, welche den preußischen Thron und Deutschland vom Untergange gerettet — und dies Alles nicht etwa aus Notwehr, wie man dies von den süddeutschen Schriftstellern behaupten kann, sondern aus einer Gesinnung, welcher man gewiss nicht mit Unrecht den Beinamen einer servilen gibt. Denn zuletzt geht doch die ganze Tendenz der Schrift auf nichts anderes hinaus, als den Willen des Königs als das einzige Gesetz hinzustellen und gegen jede Verfassung zu eifern, welche eine Volksfreiheit anerkennt. Die Niederträchtigkeit der Gesinnung in Verbindung mit der unverhohlen dargelegten Absicht, die ganze große Zukunft Preußens und Deutschlands — denn beide dachte man sich damals unzertrennlich — durch diese Angebereien zu zerstören, brachte nun jene ungeheuere Aufregung hervor, von der ich oben gesprochen, und jenen Hass, von dem alle Gutgesinnten gegen den Schreiber des Pamphlets erfüllt waren. Auch wurde sofort zu seiner Widerlegung geschritten. Und man muss sagen: nicht leicht ist ein Schriftsteller für sein Produkt ärger mitgenommen worden, als Schmalz für sein Schriftchen über geheime politische Verbindungen. Mitgenommen? der Ausdruck ist zu gering: nein! er ist auf alle mögliche Arten vom Leben zum Tode gebracht worden: es ist kein guter Fetzen weder von seinem literarischen Produkt, noch von seiner Person übrig geblieben: er wurde zermalmt, zerstampft, zerquetscht von der öffentlichen Meinung, und zwar in der allerkürzesten Zeit: es dauerte keine drei Monate, so hatte diese schon das vollständigste Totengericht über ihn gehalten.

Der Erste, der gegen ihn auftrat, war der Staatsrat Niebuhr: es folgten dann Schleiermacher, Rühs, Kobbe, Förster, Wieland, Krug; die Zeiten, die Nemesis, die deutschen Blätter, der Rheinische Merkur usw. Alle ungefähr in demselben Sinn. Was die eine Rezension vergessen hatte hervorzuheben, holte die andere nach. Indessen handelte es sich nicht bloß um den Geheimenrat Schmalz und seine Schrift, sondern um den Kampf mit der ganzen Partei der Obskuranten. Schmalz stand nicht allein da, sondern hinter ihm das ganze Heer der Bureaukraten, und nicht bloß die preußischen, sondern auch die der andern Länder. Man hatte bald herausgebracht, dass die wenigen lobenden Anzeigen, die von seiner Schrift erschienen, in Berlin selbst, mit seinem Wissen, vielleicht unter seiner Aufsicht fabriziert worden seien: der russische Staatsrat, Herr v. Kotzebue, war einer der Verfasser davon. Dass Schmalz auch mit den Herausgebern der Allemannia in einer Verbindung gestanden, wurde ebenfalls enthüllt;*) auch versäumten diese nicht, sofort sein Lob auszuposaunen. Und wie sehr sein Unterfangen von den süddeutschen Fürsten gebilligt wurde, geht schon aus der einen Tatsache hervor, dass er wegen seiner Schrift vom Könige von Württemberg einen Orden erhielt. Der österreichische Beobachter zögerte auch nicht, die Lanze für Schmalz einzulegen. So, kann man wohl sagen, war bei dem Schmalzischen Streite die ganze antinationale absolutistische bureaukratische Partei beteiligt und sie strengte daher auch alle Kräfte an, um den Sieg davonzutragen. Denn hier mußte es sich nun entscheiden, ob sie von nun an das Übergewicht bekommen sollte oder nicht? Wenn nämlich in Preußen die nationale Richtung siegte, so siegte sie zugleich in ganz Deutschland: dann hatte unser Vaterland eine Zukunft, trotz aller feindseligen Bestrebungen einheimischer und fremder Mächte. Umgekehrt aber, wenn Preußen sich von der nationalen Richtung lossagte und sich entschieden auf die Seite ihrer Feinde stellte, so war auch der letzte Hoffnungsanker für eine großartige Durchführung der herrschenden Ideen wenigstens im Augenblicke gefallen. Dies sah die antinationale Partei recht gut ein: aber es entging ihr auch nicht, dass es nicht leicht sei, die preußische Regierung zu sich herüberzuziehen. Denn eine gesunde Politik konnte Preußen keinen andern Weg vorzeigen, als den es in der letzten Zeit eingeschlagen: Preußen konnte sich nur durch den Geist der Zeit, nur durch das wiedererwachte deutsche Volksgefühl erhalten, wie es demselben auch seine neue Erhebung verdankt hatte; wenn es sich aber fest und innig daran anschloss, behauptete es sich nicht nur in seiner bisherigen Stellung, sondern es konnte eine noch bei weitem bedeutendere erlangen: es konnte und musste auf die Länge die Hegemonie über ganz Deutschland bekommen.

*) Deutsche Blätter. Neue Folge. III. S. 197. fg.

Dieses also entging der antinationalen Partei nicht: aber ebenso wenig war sich die Partei des Fortschritts über die außerordentliche Wichtigkeit des Moments unklar. Sie versäumte daher nicht, die ganze Lage der Dinge darzustellen und von verschiedenen Seiten die Notwendigkeit zu beleuchten, dass man mit dem Geiste der Zeit vorwärts schreiten müsse: die Reaktionspartei meine es nicht ehrlich, sondern schlecht mit den Regierungen. Beispielsweise teilen wir einen Aufsatz aus Ludens Nemesis mit, in welchem die verschiedenen Momente, welche damals von der öffentlichen Meinung in Betracht gezogen wurden, so ziemlich beisammen stehen. Am Schlusse einer größeren Abhandlung über die Schmalzische Angelegenheit sagt der Verfasser Folgendes:*) „Wenn ich nun die Veranlassung zu diesem Aufsatze und den Inhalt desselben noch einmal überdenke, so drängt sich mir eine große Menge Betrachtungen auf, von denen ich aber nur drei mitteilen will. Erstens. Aus dem Mitgeteilten wird man zur Überzeugung gebracht, dass Schmalz nicht allein gestanden habe, oder, wie er sich ausdrückt, als Einzelner, Das wenigstens leidet gar keinen Zweifel, dass er im Sinn einer bestimmten Partei im Preußischen, in Berlin, gehandelt habe; ja die Meinung, die von mehren verständigen Männern bestimmt gegen mich geäußert worden ist, dass der Herr Geheimrat wohl gar entweder als Mitglied einer geheimen Gesellschaft, die aus dieser Partei hervorgegangen ist, oder wenigstens als Werkzeug derselben geschrieben haben möge, ist nicht unwahrscheinlich. Was diese dabei eigentlich will, kann nicht schwer sein anzugeben. Die Gegner suchen, nach den Angaben des Herrn Schmalz, 1) Hass gegen die Franzosen zu erregen: doch wol in keiner andern Absicht, als um Deutschland vor einer neuen Unterjochung zu bewahren. Sie suchen 2) ganz Deutschland zu vereinigen: doch auch wohl in keiner andern Absicht, als um alle Deutsche desto gewisser gegen alle Fremde zu sichern. Sie suchen 3) den deutschen Staaten „Konstitutionen“ zu verschaffen, „welche die Gewalt der Fürsten vernichten sollen“; aber doch wohl nur die Alleingewalt, oder die Willkür. Sie suchen 4) sich in die öffentlichen Ämter zu bringen: und das ist doch Keinem zu verdenken, der sich dazu berufen fühlt. Dass die Schmalzische Partei oder die geheime Verbindung, für welche Herr Geheimrat Schmalz schreibt, eine Unterjochung Deutschlands wollen konnte, ist aus keinem Grunde zu glauben. Ein solcher Wahnsinn ist keiner Partei zuzuschreiben. Also werden es wohl nur die Konstitutionen und die Ämter sein, welche sie nicht will, und den Gegnern nicht einräumen mag. Nun ist ihr aber ebenso wenig als den Gegnern zu verdenken, nach den Ämtern zu streben, die sie verwalten zu können glauben. Mithin sind es eigentlich nur die Konstitutionen, die sie fürchten, d. h. solche feste Einrichtungen in den bürgerlichen Verhältnissen, dass allgemeine Freiheit gesichert und der Tugend und dem Verdienst die Stelle zu erreichen möglich werde, die ihnen gebührt. In Preußen zeigt sich also der Anfang desselben Kampfs, der Frankreich zerrüttet und Spanien mit Gräueln und Abscheulichkeiten erfüllt. Freunde der Freiheit und des Rechts, des Lichts und der Ehre des Vaterlandes und des allgemeinen Glückes stehen gegenüber den Freunden des Despotismus und der Privilegien, der Finsternis und der Auszeichnungen, des Kastenwesens und der Knechtschaft. Wie in Frankreich die weißen Jakobiner gegen die Konstitutionellen, wie in Spanien die Pfaffen, die Jesuiten und Höflinge gegen die Liberalen stehen, so hat sich die Partei, für welche Herr Geheimrat Schmalz hervortritt, gegen Alle gestellt, welche die Erfolge unserer Anstrengungen sichern wollen. Die Liberales in Spanien haben Ferdinand VII. wieder auf seinen Thron gesetzt; die Pfaffen und Jesuiten gestehen ihnen kein Verdienst zu. Die Konstitutionellen in Frankreich können allein den König halten: die reinen Royalisten behandeln sie wie eine elende Klike. Nach den weißen Jakobinern in Preußen haben ihre Gegner auch für das Vaterland nichts getan, gleich als ob die Welt die Erinnerung verloren hätte und die Jahre 1806 und 1813 nicht vergleichen könnte. Und dass sie, diese weißen Jakobiner in Preußen, auch wohl mit denselben Waffen kämpfen könnten, mit welchen in Frankreich und Spanien gegen die Konstitutionellen und Liberalen gefochten wird, das beweiset der Jenaische Rezensent. In Frankreich fordern die Emigranten — „dass Köpfe fliegen sollen“; in Spanien schmachten 50.000 Liberales im Gefängnisse. Der Jenaische Rezensent (Herr von K.) dringt auf „ernsthafte Maßregeln“ und auf „exemplarische Bestrafung.“ Um indes auf gleiche Weise wirken zu können, wie die Verbrüderten in Frankreich und Spanien, müsste der König gewonnen werden, wie Ferdinand VII., wie Ludwig XVIII. Aber der König ist so hochgesinnt, so edel, so einsichtsvoll! Er begreift die Bestrebungen der Zeit und erkennt, was geschehen muss. Also warf man ihm bei seiner Zurückkunft aus der Hauptstadt des Feindes den Schmalzischen Anklagebrief entgegen, empfing ihn mit Feuergeschrei und hielt ihm den württembergischen Orden vor, damit er erschrecken sollte vor den Absichten gewisser Männer, deren Ideen leicht die seinigen sein mochten. Der Streit, den Herr Geheimrat Schmalz nicht erregt, sondern öffentlich gemacht hat, ist sonach nur ein Teil des großen und allgemeinen Kampfs dieser Zeit. In diesem Kampfe kommt es auf die Frage an, ob die alte versklavte Zeit zurückgebracht und festgehalten, oder ob ein neues Leben in Freiheit und Recht, in Ehre und Glück möglich gemacht werden soll. Wohin alle aufgeklärten Geister, wohin alle edeln Gemüter sich zu stellen haben, das kann so wenig zweifelhaft sein, als wohin sich der Sieg neigen wird. Dieser kann schwanken, aber der rote Adler auf der Brust des Herrn Geheimenrat Schmalz soll Keinem beweisen, dass er in Preußen schon entschieden sei. Zweitens. Vor dem Jahre I806 — dieses darf wohl gesagt werden, weil es Tatsache ist — war Preußen fast in ganz Deutschland verhasst: es hatte sich abgeschlossen, hatte die Brüder verlassen, hatte nur sich gewollt, und nicht immer mit Verstand. Wäre das Unglück von 1806 allein auf Preußen gefallen — gewiss, viele Deutsche hätten sich gefreut über Preußens Demütigung. Aber die folgende allgemeine Not näherte die Gemüter einander mehr und mehr; und das große Jahr 1813, in welchem die Preußen sich auf die herrlichste Weise erhoben, die außerordentlichsten Opfer nicht scheuten und Taten vollbrachten, welche die Bewunderung aller Zeit erregen werden, söhnte alle guten Menschen mit Preußen aus, ja es wandte alle edeln Seelen den Preußen zu. Man hoffte mit Zuversicht, wie Preußen im Felde vorausgegangen war, so werde es auch durch seine Stellung gegen das gesamte deutsche Vaterland und in Gesetzgebung und Verwaltung für das gesamte deutsche Vaterland Muster sein; und diese Hoffnung bereitete eine Herrschaft Preußens in Deutschland vor, die mächtiger und dauernder werden zu können schien, als diejenige sein kann, die sich durch Steuererhebungen und Konstriptionszwang kund tut. Auf diese Verhältnisse aber hat die Schrift des Herrn Geheimrat höchst unglückselig gewirkt. Viele wenden sich schon kalt hinweg, auch die Billigsten schütteln den Kopf. Es ist möglich, dass diese unselige Schrift mit ihren Folgen Preußen mehr im übrigen Deutschland schaden wird, als durch alle glorreichen Schlachten gewonnen war. Denn gegen Misshandlungen erhebt sich auch eine knechtische Seele; große kriegerische Taten haben auch rohe Völker vollbracht; überhaupt hat derjenige die Herzen der Menschen nicht, der ihre Bewunderung erregt, sondern nur derjenige, der ihre Achtung erzwingt; und ein Staat ist noch nicht achtbar, wenn sich viele Menschen, die zu ihm gehören, durch große Tugenden auszeichnen. Drittens. Wir Deutsche pflegen es zu lieben, uns unserer Aufklärung zu rühmen. Dabei pflegen wir Pressefreiheit zu fordern, meinend, wir seien derselben so würdig, als irgend ein anderes Volk. Preußen will in der Aufklärung nicht zurückstehen: Viele haben es vorauf gestellt. Wie müssen wir nun den Engländern erscheinen mit unserer Aufgeklärtheit und mit unserm Streben nach Pressefreiheit, wenn in Preußen ein Rechtsgelehrter, ein Geheimerrat, ein Ritters zweier Orden auf solche Weise auftritt. Wahrlich, wir sollten in uns gehen und sorgen, dass wir nicht mit solcher Schmach vor den Ausländern erschienen. Im Übrigen pflegt man bekanntlich eine gewisse Art von Politik, obwohl mit Unrecht, Machiavellismus zu nennen; wäre es nicht billig und verdient, wir nennten künftig alle politische Verketzerungssucht, alle politische Verfinsterungslust, alle politische Klatscherei und Anklägerei — Schmalzianismus?“

Auf ähnliche Weise sprachen sich über diese Verhältnisse alle Blätter und Schriften aus, welche dem Fortschritte und der nationalen Richtung huldigten. In der Tat: die Presse versäumte keinen einzigen Punkt ins gehörige Licht zu setzen, der bei dieser Frage von irgend einer Erheblichkeit gewesen wäre. Man konnte nicht oft genug darauf zurückkommen, dass Preußen nur durch den Geist der Zeit, wie durch die Befolgung einer großartigen nationalen Politik sich wieder zu der Höhe habe heraufarbeiten können, auf der es gegenwärtig stehe, und dass es, sowie es dieselbe verlasse, sofort auch seine großartige und ehrenwerte Stellung aufgeben müsse. Nicht oft genug konnte man predigen, dass diejenigen, welche jetzt das Geschrei gegen das Deutschtum erhoben, die größten Feinde Preußens seien und wahrscheinlich im Solde fremder Mächte, die es auf Preußens Verrinnerung abgesehen: nicht oft genug konnte man darlegen, dass Preußen durch Unterstützung der nationalen freisinnigen Richtung die erste Rolle nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa spielen, dass es dadurch eine der ersten Blätter in der Geschichte einnehmen würde, während, wenn es den Verketzerungen und Einflüsterungen der Bureaukraten und Absolutisten folge, es sich zu dem fünften Wagen am Rade der europäischen Politik herabwürdige. Alles dies wurde gesagt, wiederholt gesagt in allen Formen, fein und energisch. Aber das Resultat war das entgegengesetzte, als man hoffte. Der König gab den Denunziationen nach, belohnte den Geheimenrat Schmalz mit dem roten Adlerorden, gab am Anfange des Jahrs 1816 jene bekannte Kabinettsorder, wodurch er den ganzen Streit über den Tugendbund niederschlug, zugleich aber die frühere Verordnung wieder ins Gedächtnis rief, wonach alle politischen Gesellschaften, also auch der Tugendbund, verboten seien, und verbot sodann die Fortsetzung des Rheinischen Merkurs, jenes Blattes, welches die nationale freisinnige Richtung am entschiedensten repräsentiert hatte und als eines der ersten Organe der öffentlichen Meinung auch am meisten gelesen worden war. Bald darauf hörte man von der Pensionierung, dem Rücktritt, dem Urlaub oder der Versetzung bedeutender Männer im preußischen Staate, welche zur nationalen Partei gehörten, wie Niebuhrs, Gruners, Steins, Blüchers, Gneisenaus, Jorrs u. s. w. Die Reaktion machte sich allenthalben bemerkbar, namentlich auch in der Presse. Die Zensur wurde immer schärfer gehandhabt: kein freisinniger Aufsatz vermochte diese zu passieren; die Berliner Zeitungen sanken daher bald zu jener Öde und Leerheit herunter, wegen deren sie von nun an eine traurige Berühmtheit erlangt und welche einem angeblichen Engländer in der Nemesis zu folgenden Herzensergießungen veranlagte: „Die preußischen Zeitungen weiß ich nicht zu bezeichnen. Es sind miserable Papiere. Das Beste in ihnen sind die Anzeigen von den Fremden, die angekommen oder abgegangen sind; dann die Mitteilungen unter dem Strich, von Erfindungen — etwa zur Reinigung und Beleuchtung der Straßen — von Feuersbrünsten und Schiffbrüchen; endlich die Bekanntmachungen der Speisewirte, Sattler und Silberarbeiter. Ich begreife nicht, warum diese Papiere nicht lediglich auf solche Anzeigen, Mitteilungen und Ankündigungen beschränkt werden.“ Und wie in der Presse, so in der Gesellschaft: die Bureaukratie, welche in den Zeiten kriegerischer Aufregung etwas in den Hintergrund hatte treten müssen, gewann jetzt wieder die frühere Bedeutung. Das frische regsame Leben, das zur Zeit der Freiheitskriege sich allenthalben gezeigt, wurde jetzt von den Polizeimeistern wieder in die enge Stubenluft zurückgewiesen, und bald sah man von der reichen Saat wahrhaften Volkslebens, großartiger Begeisterung und kühner Vaterlandsliebe, welche in den Jahren 1813 —14 ausgesät worden war, kaum mehr ein einzelnes Hälmchen übrig.

Es trat dann bald ein, was von der Presse prophezeit worden war. Die öffentliche Meinung bewies sich bei diesen Rückschritten Preußens anfangs ungläubig, weil ihr das Beginnen der Regierung gar zu absonderlich vorkam, als dass es mit dem gesunden Menschenverstande einigermaßen in Übereinstimmung hätte gebracht werden können, dann, als man gar nicht mehr zweifeln konnte, trat Kühle und Indifferentismus ein, und endlich machte sich wieder der entschiedene Hass gegen Preußen geltend, der bis zum Jahre 1806 in Deutschland geherrscht hatte. Dies war wenigstens die allgemeine Stimme. Einzelne Wohlmeinende gaben freilich immer noch nicht die Hoffnung auf, dass die Regierung zu dem einzig wahren Wege zurückgeführt werden könnte, und beurteilten sie daher schonender, gleichsam um sie aufzumuntern zu weitem Schritten. Dies waren aber nur vereinzelte Stimmen: ebenso wie auch hie und da noch Aufforderungen an Österreich erschollen, sich an die Spitze der deutschen Angelegenheiten im Sinne des Fortschritts zu stellen. Die öffentliche Meinung aber war sich bereits darüber klar, dass von den zwei großen Mächten nichts mehr zu hoffen sei. Und es ist begreiflich, dass in demselben Maße, in welchem früher die Hoffnung zu ihnen unbegrenzt war, nun auch der Hass sich bewähren würde. Und hier mußte wieder Preußen am meisten leiden. Da dieser Staat zu den größten Hoffnungen berechtigt und mit denselben auch am längsten hingehalten hatte, so musste die endlich doch offenbar gewordene Täuschung gerade die größte Erbitterung erzeugen. In der Tat: es war das größte Meisterstück, welches die Feinde Preußens geliefert, den König zu bewegen, die antinationale reaktionäre Richtung einzuschlagen. Denn mit einem Schlage bewirkten sie zwei große Resultate: erstens raubten sie dem Staate die einzige Bedingung seiner Vergrößerung, zweitens warfen sie ihn auf einmal wieder so tief herunter von seiner Höhe, dass er aufhörte gefährlich, ja sogar selbständig zu sein.

Auch suchten Preußens Feinde im Augenblicke von seiner falschen Politik Nutzen zu ziehen. Nachdem diese Macht bestimmt worden war, sich gegen den Geist der Zeit feindselig zu bezeigen, was die Opposition desselben gegen es zur Folge haben musste, so bestrebten sich wenigstens diejenigen unter Preußens Feinden, welche einsahen, dass sie ohne irgend eine moralische Macht nichts auszurichten vermöchten, sogleich diese von Preußen zurückgesetzte öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen. Es ist in der Tat höchst merkwürdig, zu sehen, wie von dem Augenblicke an, als die preußische Regierung entschieden die reaktionäre Richtung einschlug, die Allemannia auf einmal ihren Ton ändert und augenscheinlich darnach strebt, sich mit der nationalen Partei, die sie bisher auf alle Weise bekämpfte und verdächtigte, jetzt in gutes Vernehmen zu setzen. Noch am Schlusse des fünften Bandes wird sogar Schmalz in einigen Beziehungen angegriffen und namentlich sein Hass gegen freie Verfassungen getadelt. Im Anfange des sechsten, in einem Aufsatze, der zur Verteidigung und Abwehr der Allemannia bestimmt ist, wird mit großer Ruhe diese Aufgabe gelöst, und denselben Männern und Richtungen, gegen die man sich verteidigt, die Hand zur Versöhnung geboten. Görres, gegen welchen die Allemannia ehedem am heftigsten losgezogen, hat jetzt auf einmal unvergängliche Verdienste als Gelehrter. Denn eben damals, unmittelbar nachdem die preußische Regierung das Verbot des Rheinischen Merkurs erlassen, erhielt er vom Grafen Montgelas einen Ruf nach Bayern mit einer sehr bedeutenden Besoldung, um dort ein neues Blatt herauszugeben, dem man die Zensurfreiheit sicherte, Görres war freilich damals edelmütig genug, den Ruf nicht anzunehmen, weil er erst seinen Streit mit der preußischen Regierung ausfechten wollte. Ja, die Allemannia bringt jetzt neben den sehr freisinnigen Andeutungen über künftige Verfassungen, auf welche wir später zurückkommen werden, sogar die Idee der deutschen Einheit, welche ehedem auf das heftigste von ihr bekämpft worden war, und steht nicht an, die Ansicht auszusprechen, dass, so wie Spanien, Frankreich und England aus einer Menge verschiedener Völkerstämme und kleiner Fürstentümer zu großen Reichseinheiten emporgewachsen wären, diese Erscheinung sich auch in Deutschland wiederholen müsste. „Diese Einheit, fügt sie hinzu, steht auch als allgemeiner Wunsch und allgemeines Bedürfnis aller deutschen Völker vor uns, und kann daher mit ebenso großer moralischer als geschichtlicher Wahrscheinlichkeit als die weitere Folge des letzten großen Zeitresultates angesehen werden.“

Freilich, wenn wir näher hinzutreten, so finden wir, dass bei dieser deutschen Einheit, welche die Alemannia will, doch vorzugsweise wieder Bayern begünstigt wird, oder vielmehr: Bayern soll nach ihr den Mittelpunkt der deutschen Einheit bilden. Man darf nur den Aufsatz: „Über Völkerbestimmung,“ aus welchem wir die oben angeführte Äußerung genommen haben, weiter verfolgen, so tritt dieses Resultat unzweifelhaft hervor. Der Verfasser fährt nämlich auf folgende Weise fort. Über die Art und Weise, wie die deutsche Einheit zu bewirken sei, habe freilich die gegenwärtige Zeit verschiedene Ansichten gehabt und nicht immer die rechten. Offenbar aber gebe es nur zwei Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Entweder müßten die Deutschen sämtlich von dem Beherrscher eines fremden Volkes unterjocht werden, oder die übrigen Stammverwandten müßten sich mit einem rein deutschen Volke vereinigen. Welcher Weg der bessere, ehrenvollere, vernünftigere und natürliche sei, unterliege keinem Zweifel: es sei der zweite. Nun aber frage es sich, was die Bedingungen seien, die ein Volk besitzen müsse, um verwandte Stammgenossen mit sich zu vereinigen? Sie seien zweierlei Art: physische und moralische. Zu den physischen Bedingungen gehöre: l) dass das Volk, welches stammverwandte Völker mit sich zu vereinigen bestimmt ist, beiläufig in der Mitte derselben gelegen sein müsse; 2) es müsse geographisch kulminieren, o. h. auf der Höhe der Staaten liegen, deren Vereinigungspunkt es werden soll; es müsse sich gegen die Nachbarstaaten hin abdachen; die Flüsse müssten von da an in andere Staaten hinaus, nicht aber zu ihm hereinströmen; 3) das Volk müsse ein ackerbauendes und Viehzucht treibendes sein und an Erzeugnissen beider Art Überfluss besitzen; 4) es müsse ferner schon eine gewisse Stärke und Unabhängigkeit erlangt, es müsse schon andere Stämme in sich aufgenommen haben, und diese müssen sich bei ihm wohl befinden; 5) es dürfe nie von einer fremden Dynastie, nie von einer ausländischen Verwaltung beherrscht worden sein, es müsse so zu sagen seine politische Jungfrauschaft bewahrt haben; 6) das vereinigende Volk müsse eine Vorzeit haben, eine Geschichte: Souverainetät und Volksselbständigkeit müssen seiner Erinnerung als Vermächtnisse seiner Ahnherren vorschweben; es müsse gewissermaßen einen historischen Adel haben. Und nun betrachte man die verschiedenen deutschen Völker und sehe, ob sich alle diese Bedingungen bei irgend einem so entschieden beisammen fänden, als bei Bayern! Der Verfasser nennt zwar diesen Staat nicht, aber er deutet ihn genugsam an. Was dann die zweite Art der Bedingungen, nämlich die moralischen betrifft, so rechnet diese der Verfasser gewissermaßen nur der Zukunft zu: oder vielmehr die Ansichten, die er hierbei entwickelt, sind, so zu sagen, als das Programm des bestimmten deutschen Volkes zu betrachten, welchem das Glück zu Teil werden würde, ganz Deutschland zu vereinigen. Es ist nicht zu verkennen: der Verfasser stellt hier die freisinnigsten Grundsätze auf, von denen die Regierung geleitet sein müsse: nur freilich kann man nicht behaupten, dass das bairische Gouvernement dieselben in der Tat bisher ausgeübt habe. Doch suchen die Herausgeber der Allemannia auf jede Weise die bayrische Regierung, ihr zeitgemäßes System, ihre wahrhafte Liberalität herauszuheben und der preußischen entgegenzusetzen, von welcher nicht undeutlich gesagt wird, dass sie alles Mögliche versprochen, aber nichts gehalten, während Bayern zwar keinen so großen Lärmen von seinen Verbesserungen gemacht, aber desto mehr reelle Wohltaten seinen Völkern erzeigt habe.

Man sieht aus Allem, dass die bairische Regierung — denn die Allemannia ist als ihr Organ zu betrachten — welche damals noch von dem Grafen Montgelas geleitet wurde, vielleicht dem schlauesten deutschen Staatsmanne der damaligen Zeit, recht gut die Macht der öffentlichen Meinung zu würdigen gewusst habe. Zur Zeit der Freiheitskriege und unmittelbar nachher konnte sie es nicht verhindern, dass sich dieselbe mit aller Kraft gegen sie wendete, weil die bairische Regierung bekanntermaßen das Napoleonische System am meisten begünstigt und unterstützt hatte. Damals galt es nur, diese Angriffe abzuwehren, welche die Selbständigkeit des Staats sogar zu bedrohen schienen, und nebenbei derjenigen Macht zu schaden, welche auf Kosten aller andern von der öffentlichen Meinung begünstigt und hervorgehoben wurde, nämlich der preußischen Monarchie. Nachdem es aber gelungen war, die preußische Regierung in das reaktionäre System hineinzutreiben und dadurch ihr den kräftigsten und mächtigsten Bundesgenossen, die öffentliche Meinung, abwendig zu machen, so versuchte Bayern sich an die Stelle zu setzen, welche Preußen zugedacht war. Und man muss gestehen, es wurde Alles sehr klug eingeleitet, keine Erfahrung außer Acht gelassen, welche man eben zu machen Gelegenheit gehabt: recht im Gegensätze zu Preußen und Österreich, welche sich mehr und mehr in Rückschritten gefielen, wurden jetzt in Bayern die freisinnigsten Ansichten ausgesprochen: die Allemnnia brachte selber einen Verfassungsentwurf, der wirklich fast Alles enthielt, was man nur verlangen konnte, und den man gewissermaßen als den der künftigen bayrischen Constitution ansehen durfte: Repräsentativverfassung, Initiation der Stände bei der Gesetzgebung, Unabhängigkeit des Richterstandes, Öffentlichkeit und Mündlichkeil der Gerechtigkeitspflege, unbedingte Pressefreiheit, überhaupt Vorherrschen des demokratischen Elements, das waren ungefähr die Hauptelemente, aus denen er bestand.

Aber die öffentliche Meinung hatte sich über die bayrische Regierung schon ein zu festes Urtheil gebildet, als dass dieses in kurzem eine Veränderung hätte erleiden können: man war zu gewohnt, fast in Allem, was von der Regierung ausging, Lug und Trug zu sehen, als dass man die Ausführung der heiligsten Idee ihren Händen hätte anvertrauen mögen. Ich finde darum nicht, dass die eben angedeuteten Versuche der bayrischen Regierung in den Organen der öffentlichen Meinung eine merkliche Veränderung hervorgebracht hätten. Überdies wurde Montgelas bereits am Anfange des Jahres 1817 nicht ohne Mitwirkung des Wiener Kabinetts von seinem Posten entfernt, und mit ihm der einzige Mann, welcher zur Durchführung eines größeren Planes fähig gewesen wäre.

Es ist aber wirklich charakteristisch für die damalige Zeit, dass ein ähnlicher Gedanke, wie wir eben von Bayern erwähnt, auch dem württembergischen Hofe nicht fremd war. Wenigstens geht dieses aus dem berühmten Briefe des Freiherrn von Wangenheim hervor, den derselbe bei Veranlassung der Schmalzischen Schrift an den König von Württemberg geschrieben und der bald darauf veröffentlicht wurde.*) Nachdem der Herr von Wangenheim sich über die einzig wahre Richtung, welche die Regierungen gegenwärtig einschlagen dürften, des Weiteren ausgelassen, findet er, dass doch den Forderungen der Staatsweisheit die Wirklichkeit nicht entspreche, indem die meisten Regierungen auf die Bedürfnisse der Zeit und des Volkes nicht eingingen: dieses müsse auf die Länge hin Unruhen erzeugen, ja es sei sogar zu besorgen, dass die Flamme des Aufruhrs bald in allen deutschen Landen um sich greifen werde. „Ich schaudere bei diesem Gedanken, fährt der Verfasser fort, wenn ich mir die Armut und Roheit des deutschen Pöbels, die gegenwärtige Stimmung der deutschen Heerhaufen nur einigermaßen lebhaft vorstelle. Wäre freilich in solchem unseligen Augenblicke irgendwo ein Staat, der durch eine musterhafte Verfassung die öffentliche Meinung gewonnen hätte, dann wäre in Deutschland ein Umschwung der Dinge möglich, wie ihn die kühnste Phantasie kaum bilden könnte.“ Und zu einer solchen Verfassung habe der König bereits den Grund gelegt — was eigentlich nichts anderes sagen wollte, als dass er von nun an Alles thun müsse, was die öffentliche Meinung verlange, wenn er den kühnen Plan, welchen Wangenheim angedeutet, zur Ausführung bringen wollte. Hiermit in Verbindung steht denn, dass auch von der württembergischen Regierung der Deutschtümler Görres bald nach dem Verbote des Rheinischen Merkurs einen Ruf nach Stuttgart erhielt, um dort an der Spitze einer neu zu errichtenden Anstalt zu stehen, welchen derselbe freilich ebenfalls ablehnte.

Doch wurden schon Bayerns Bestrebungen in dem angedeuteten Sinne mit Gleichgültigkeit von der öffentlichen Meinung aufgenommen, so war dieses noch viel mehr mit Württemberg der Fall, dessen König erst neuerdings durch den Kampf mit seinen Ständen, auf welchen wir später noch zurückkommen werden, fast Alles gegen sich aufgebracht hatte, was dem Fortschritte und der politischen Freiheit huldigte. Auch wäre jeder derartige Versuch Württembergs von Bayern ebenso eifersüchtig bewacht worden, als die Tendenzen der preußischen Patrioten, wie denn gleich Wangenheims Brief von der Allemannia einer sehr scharfen Kritik unterworfen wurde, namentlich hinsichtlich der Stellen, die sich auf das damalige bairische Ministerium bezogen. Es ist gar nicht zu verkennen: nachdem einmal die zwei großen Staaten, nachdem insbesondere auch Preußen sich von der nationalen Richtung losgesagt, so gab die öffentliche Meinung die Hoffnung auf, dass die Idee der deutschen Einheit für den Augenblick mit Erfolg realisiert werden könnte. Sie wusste sehr gut, dass dergleichen nur durch die Unterstützung einer imposanten militärischen Macht zu erreichen sei, und dass jeder Versuch, der nicht von einer der großen Mächte ausginge, mehr oder minder in das Reich der Unmöglichkeiten gehöre. Die außerordentliche Begeisterung, die Hoffnungsmutigkeit, das fast unerschütterliche Vertrauen auf eine große deutsche Zukunft, wie dieses Alles die Zeiten der Freiheitskriege gesehen, machte daher allmählich dem Gefühle bitterer Enttäuschung, der Hoffnungslosigkeit und unverhohlenem Unmute Platz, die nun die öffentliche Meinung charakterisierten. Die nächste Folge davon war, dass jetzt ein Gewühl individueller Bestrebungen und Tendenzen zum Vorschein kam, welche Alles in die größte Verwirrung zu setzen schienen. Wäre die Idee der Einheit realisiert worden, so hätten vor diesem großen Gedanken gar manche egoistische selbstsüchtige Intentionen verschwinden müssen: die Fragen der Zeit hätten bei weitem leichter eine Lösung gefunden, weil für den kleinen Vorteil, den die Einzelnen geopfert, ein außerordentlicher gewonnen worden wäre, der alles Andere aufwog und der Allen zugute kam. Nachdem aber das Allgemeine aufgegeben worden und die Hoffnung verschwunden war, das vorderhand Verlorene auf irgend eine Weise wiederzugewinnen, machten sich natürlich alle Einzelnbestrebungen wieder hervor und suchten bei dem allgemeinen Bruche so viel für sich selber zu erhaschen, als tunlich war. Der allgemeine Kampf ging also jetzt erst recht an; aber er entbehrte, wie sich nicht anders erwarten ließ, jener Großartigkeit und Bedeutsamkeit, welche die Gesamtentwicklung des deutschen Vaterlandes dargeboten hätte; er ging nicht selten ins Einzelne und Kleinliche: Kabale und Intrige machten sich geltend und die Zustände wurden durch die Masse von Rücksichten, welche durch die Zersplitterung des Vaterlandes entstehen mußten, nicht minder chaotisch, wie in frühern Zeiten. Indessen geht dessen ungeachtet ein Grundzug durch alle Bestrebungen der damaligen Zeit hindurch: die Liebe zur Freiheit, zur politischen wie zur religiösen, und das Bedürfnis von Institutionen, welche beide sicher stellten. In diesem Streben bewährte sich denn jetzt vorzugsweise der öffentliche Geist der Deutschen und diesem müssen wir daher jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden.