Ueber die öffentliche Meinung in Deutschland von den Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader

Zweite Abteilung: Die Jahre 1815 bis 1819.
Autor: Hagen, Carl Heinrich Wilhelm (1810-1868) Historiker, Politiker und Publizist, Erscheinungsjahr: 1847
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Befreiungskriege, Deutsche Geschichte, Freiheitskriege, öffentliche Meinung, Pressefreiheit
I. Hoffnungen auf Preußen.

Wir haben im ersten Abschnitte die allgemeine Stimmung des deutschen Volkes zur Zeit der Freiheitskriege zu schildern gesucht: wir sind eingegangen in die allgemeinen Wünsche und Erwartungen, welche man von einer schönern Zukunft gehegt, und haben dann noch kurz die Entrüstung geschildert, welche entweder die gänzlich getäuschten oder doch lange hinausgeschobenen Hoffnungen in der Nation hervorgebracht. Am schmerzlichsten wurde die öffentliche Meinung von zwei Punkten berührt, weil an diesen wenigstens für einige Zeit nichts mehr geändert werden zu können schien: dies war der zweite Pariser Friede und der Deutsche Bund. Jener vereitelte die zuversichtliche Hoffnung der Nation von der Wiedererwerbung ihrer frühern Provinzen und der Wiedereinnahme einer imposanten politischen Stellung unter den Völkern Europas: dieser zernichtete die Idee der Freiheit der deutschen Nation, die man sich bereits mit so schönen Farben ausgemalt und beinahe als unzweifelhaft angenommen hatte. Aber eben weil man sich so lebhaft mit allen diesen Ideen beschäftigte, so wollte man dem Gedanken von der Unmöglichkeit ihrer Ausführung nicht so leicht Raum geben: das einmal aufgeregte Nationalgefühl, das in alle Klassen der Gesellschaft, in alle Stufen der Bildung eingedrungen war und durch die neuen Siege seine Bedeutsamkeit erst recht kennen gelernt hatte, wollte nicht so leichten Kaufes alle seine Errungenschaften wieder hingeben: man wollte, was die Kraft der Nation erkämpft, nicht wieder verloren gehen sehen durch die Unterhandlungen der Diplomaten, an deren Redlichkeit und Geschick man in neuen und neuesten Zeiten doch billige Zweifel hegen zu müssen glaubte. Man gab darum die Hoffnung noch nicht auf, dass sich die allgemeinen Ideen der Zeit doch noch realisieren ließen.
Zwar was den Pariser Frieden betrifft, so war daran wohl nichts mehr zu ändern, indem derselbe zugleich ein europäischer Friede war, und jeder Versuch von Seite Deutschlands, eine Modifikation zu seinen Gunsten zu bewirken, jetzt einen allgemeinen Krieg zur Folge gehabt hätte. Aber destomehr schienen die innern Verhältnisse Deutschlands die Möglichkeit einer Veränderung im Sinne der öffentlichen Meinung zulassen zu können. Man gab trotz der auf dem Wiener Kongresse erfolgten Erledigung der deutschen Frage, die, wie wir dargetan, im Widerspruche mit der öffentlichen Meinung war, immer noch nicht die Hoffnung auf, dass sie auf eine neue, der allgemeinen Stimmung mehr zusagende Weise entschieden werden könne.

Schon im ersten Abschnitte haben wir gezeigt, wie die Nation in der Frage über die deutsche Einheit sich vorzugsweise den zwei großen Staaten Österreich und Preußen zugewendet, von deren patriotischen Gesinnungen sie eine glückliche und erfreuliche Lösung der Frage erwartete. Nun hatte freilich Österreich bald genug gezeigt, dass ihm die allgemeinen deutschen Zustände und namentlich eine Entwickelung derselben im Sinne der öffentlichen Meinung weniger am Herzen lag, als die Konsolidierung des eignen Staats; schon auf dem Wiener Kongresse betrug es sich der allgemeinen Stimme gegenüber mehr passiv, als tätig eingreifend; bei dem zweiten Kriege Napoleons, namentlich bei den Friedensunterhandlungen in Paris, war seine Haltung vorzugsweise mit daran Schuld, dass der Friede so wenig ehrenvoll für die deutsche Nation ausgefallen; endlich bewies seine Tätigkeit in Bezug auf die innere Staatsverwaltung zur Genüge, dass es den freien politischen Ideen der Zeit keineswegs Raum zu geben beabsichtige: lauter Dinge, welche in kurzem die eben erst so laut ausgesprochene Begeisterung für Österreich bedeutend abzukühlen vermochten und es auch taten. Preußen dagegen stand zu der öffentlichen Meinung in einem ganz andern Verhältnisse. War es ja, wie genugsam bekannt, der erste deutsche Staat gewesen, der sich gegen die Unterdrückung Napoleons und für die deutsche Freiheit erhoben: in seinem Schoße wurde die nationale Richtung am meisten gepflegt, und nicht bloß von dem Volke, wie anderwärts, sondern auch von der Regierung: die einflussreichsten Staatsmänner bekannten sich offen zu derselben und suchten für sie zu wirken. Preußen hatte auf dem Wiener Kongresse offenbar die freisinnigsten Vorschläge gemacht, namentlich was eine dauerhafte Begründung und Pflegung des neuerwachten Volksgefühles betrifft: es hatte mit am entschiedensten auf eine größere Einheit in dem neu zu errichtenden Deutschen Bunde gedrungen, freilich ohne Erfolg; es hatte ferner die freisinnigsten Vorschläge zur Festsetzung der allgemeinen Verhältnisse der deutschen Untertanen gemacht; von ihm endlich wurde der Vorschlag zur Errichtung landständischer Verfassungen in den einzelnen Bundesstaaten auf das Energischeste unterstützt. Preußen war dann allen andern mit einem rühmlichen Beispiele in diesem Punkte vorangegangen: schon im Mai 1815 erfolgte jene berühmte Kabinettsordre, welche dem preußischen Volke eine Nationalrepräsentation versprach, und zwar in kürzester Frist. Preußen schien aber auch in jedem Betrachte dazu berufen zu sein. Denn bereits seit der Ministerverwaltung des Freiherrn von Stein waren eine Menge Vorarbeiten dazu gemacht, mehre höchst wichtige Institutionen, wie die Städteordnung, die Ablösung der Feudallasten u. s. w. ins Leben getreten, kürzlich durch die Errichtung der Landwehr ein neuer Grund zu dem Selbstgefühle der Bürger gelegt. Sodann hatte es in dem zweiten Freiheitskriege wiederum das Beste getan: seine Truppen in Verein mit den englischen beendeten ganz allein den Kampf; ja, man kann wohl sagen, dass die Entscheidung der berühmten Schlacht von Waterloo, welche dieses Resultat hervorgebracht, lediglich durch die Preußen bewirkt worden sei, indem die englische Armee, wie Wellington selbst versichert, ohne Blüchers rechtzeitiges Eintreffen verloren gewesen wäre. Bei den Pariser Friedensunterhandlungen endlich war Preußen offenbar diejenige Macht, welche die Ehre und die Sicherheit der deutschen Nation am meisten im Auge gehabt, nicht unbeachtet ließ, was die öffentliche Meinung verlangte, und fast Alles tat, was nur irgend getan werden konnte. Wenigstens war es nicht Preußens Schuld, dass die Unterhandlungen keinen bessern Ausgang nahmen.

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.