Hoffnungen auf Preußen

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Alle diese Dinge mussten nun Preußen in der öffentlichen Meinung außerordentlich heben. Es erschien als derjenige Staat, welcher den Geist der Zeit und die Wünsche der deutschen Nation am besten repräsentierte. Dazu kam noch ein sehr gewichtiger Umstand, dass Preußen nächst Österreich der mächtigste deutsche Staat und insbesondere von einer hohen kriegerischen Bedeutung war. Man wird es daher sehr begreiflich finden, wie sich die nationale Partei, nachdem Österreich mehr und mehr eine isolierte, den deutschen Bestrebungen allmählich sich entfremdende Stellung eingenommen, sich entschieden an Preußen angeschlossen und von diesem die Erfüllung ihrer Hoffnungen erwartet habe. Man wollte die Rolle, welche früher Österreich und Preußen zusammen zugedacht war, jetzt wo möglich Preußen allein überlassen: dieser Staat sollte an der Spitze der deutschen Angelegenheiten stehen, sei es in der Form einer Hegemonie, oder so, dass sein Monarch wirklich das Oberhaupt von Deutschland würde.

Ganz offen ist diese Ansicht in einem Aufsatze: „Über die Täuschungen und über das Wesentliche bei dem Deutschen Bunde“ ausgesprochen.*) Der Verfasser stellt hier dar, dass die deutsche Bundeshandlung fast zu nichts von alle dem geführt hat, was der Deutsche davon erwartete. Er sieht die Hauptursache darin, dass die deutschen Länder nicht eine Schutzmacht erhalten hätten, sondern zwei, was anstatt zur Einheit, gerade zum Gegenteil führen müsste. Offenbar aber gebühre Preußen die Stellung als Oberhaupt der deutschen Nation, während Österreich auf Italien angewiesen sei. „Preußen muss, sagt der Verfasser, an die Stelle des Beschützers des Rheinbunds treten, Österreich an die Stelle des Königs von Italien. Möchte doch dies Verhältnis klar und rein aufgefasst und festgehalten worden sein! Vieles deutsche Gold und Blut wäre seitdem schon gespart worden und würde noch gespart werden! Wie wesentlich gewinnt bei dieser Abtretung jeder Teil, wie wesentlich Deutschland, Italien und ganz Europa. Wenn Österreich eine deutsche Macht ist, so ist es doch, bei der geringen Anzahl seiner deutschen Bewohner, eine römisch-deutsche Macht, d. h. das Volkstum, auf welches es sich stützen muss — und diese Stütze gebrach ihm bisher so sehr — ist das Italienische. Mit Italien war Noricum, Vindelicien und Pannonien in alten und mittleren Zeiten schon näher vereinigt: und dieses zusammen bildet ein Isterreich, dem der Ister seinen Weg aus Deutschland zeigt. Preußen dagegen ist an den Rhein hingewiesen und muss der Richtung dieses Stromes folgen und dessen Gebiete beschützen. Die innern und äußern Verhältnisse des ehemaligen Rheinbundes geben also im Wesentlichen die Art des deutschen Bundes an die Hand, der unter Preußens Schutz und allein unter dem Schutze dieser Macht stehen muss. Dies ist unzweifelhaft. Denn Preußen lässt sich doch unmöglich von dem deutschen Bunde ausschließen, da alle seine Einwohner Deutsche sind. Preußen, als eine der europäischen Hauptmächte, wird doch gewiss in Beziehung auf den deutschen Bund sich keiner andern unterordnen. Der Bund aber kann nur eine Schutzmacht haben, durch welche er zur Bundesmacht werde. Preußen wird und kann doch unmöglich zugeben, dass in dem Lande, welches seine Festungen beherrschen, eine andere Macht in die innern Verhältnisse anmaßlich eingreife. Ob dies eine angeblich deutsche Macht sei oder nicht, ist einerlei. So lange die deutsche Schutzmacht nicht rein geschieden ist, wird auch der durchaus nicht zu duldende Einfluss auswärtiger Mächte nicht zu vermeiden sein. — Möchten doch diese Worte etwas beitragen, dass die Deutschgesinnten mit sich einig würden und zu der Erkenntnis kämen, dass Preußen und Preußen allein, ohne Einmischung einer andern Macht, notwendig die Schutzmacht der ehemals zum Rheinbund gehörigen Länder sein müsse. — Die einzelnen Teile des Bundes aber würden auf diese Weise auch ihren besondern Vorteil am sichersten finden. Preußen wird die nothwendige Freiheit der Glieder gestatten müssen. Die größeren Staaten des Bundes werden so unabhängig sein können, als es nur möglich und nach dem gegenseitigen Verhältnisse wünschenswert, auch im Rheinbunde schon der Fall gewesen ist. Die kleinern aber werden nur so eine Sicherheit finden; denn wenn dieser Bund nicht geschlossen wird, so müssen sie, und wohl selbst auch die größeren, nach und nach von den zusammenstoßenden Mächten verschlungen werden. Die Bedingungen und Gesetze, unter welchen die einzelnen Glieder in den Bund treten, machen dann eben die Bundesverfassung aus. Durch diese erhält dann auch jeder einzelne Deutsche ein Vaterland, wonach die Edleren sich so schmerzlich sehnen. Möge man also aufhören, zu rufen: „Warum wählt ihr keinen Kaiser?“ — Aber auch die Schutzesmacht hat ihrerseits manches zu tun. Drei inhaltschwere Wünsche hegt der Vaterlandslandsfreund in diesem Bezuge. Erstlich muss die deutsche Schutzmacht, als solche, den deutschen Namen führen und ehren. Sie muss gegen die Bundesglieder sogleich das Verhältnis des Rechtes eintreten lassen, es mit Gewissenhaftigkeit bewahren und sich selbst nur als das Haupt des Leibes ansehen. Der Name Preußen, von so vielem Glanze umstrahlt, ist doch nicht deutsch, und ward oft von Deutschen feindlich genannt; auch ist Preußen kein deutsches Bundesland. Der Name werde von der Sache genommen. Die Benennung: Schutzkönig oder Bundeskönig der Deutschen würde vielleicht am annehmlichsten sein. Zweitens tut eine Bundeshauptstadt Not, mit den höhern Anstalten aller Art, die dem Bunde gemein sind. Drittens muss der deutsche Schutz- oder Bundeskönig seinem eigenen Volke eine deutsche Verfassung wiedergeben, deren Wesen in einer ständischen, das Volk wahrhaft darstellenden Einrichtung liegt. Überhaupt dürfte Preußen nie vergessen, dass es eine geistige, ich möchte sagen, genialische Macht ist und also Männer dieser Art gewinnen und an sich ziehen muss. Andere Mächte können ungestrafter dem Schlendrian sich überlassen. Preußen darf darin ihr Bundesgenosse nicht sein. In beständiger Spannung und Regsamkeit muss es sich schon seiner Lage wegen erhalten.“


*) Voß Zeiten, Band 46, Aprilheft 1816

Man darf die hier ausgesprochenen Ansichten so ziemlich als die allgemeinen ansehen, wiewohl in den übrigen deutschen Bundesstaaten die Presse sich weniger darüber aussprechen durfte. Wahrlich! es gab keinen Zeitpunkt, welcher für die Realisierung der Idee der deutschen Einheit unter dem Schutze Preußens passender gewesen wäre, als der damalige. Denn diejenigen Staaten, welche schon wegen ihres Umfangs bedenklicher gewesen wären und die zugleich am eifersüchtigsten auf ihre kürzlich erworbene Souveränität waren, von denen man also am ersten so energischen Widerstand zu besorgen gehabt hätte, wie die süddeutschen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, hatten so sehr die Stimme der eignen Völker gegen sich, dass sie auf ihre Unterstützung im Falle eines Kampfes gegen Preußen wohl nicht rechnen durften. Vorerst waren fast alle diese Staaten in den Napoleonischen Kriegen um das Doppelte vergrößert worden; aber die neu hinzugekommenen Landesteile, welche durch den Wechsel der Herrschaft in der Regel ihre Privilegien und Freiheiten verloren hatten, waren durchaus nicht mit den neuen Verhältnissen zufrieden, und der Unmut über so manche Ungerechtigkeit machte sich laut genug in den damaligen Blättern kund. Dazu kam, dass gerade diese Staaten es waren, welche sich den Wünschen der öffentlichen Meinung hinsichtlich der Einheit Deutschlands am entschiedensten widersetzt hatten: wenigstens war Bayern und Württemberg offenbar daran Schuld, dass in dem deutschen Bund das Prinzip der Einheit und der innern Kraft nicht energischer hatte durchschlagen können. Überhaupt bewiesen sich diese Staaten, wie wir im ersten Abschnitte bereits dargetan, auch nach dem Freiheitskriege immer noch als undeutsch, konnten das Napoleonische System, das Polizeiregiment und die Willkürlichkeit noch nicht recht vergessen, und befriedigten also auch in diesem Punkte die öffentliche Meinung nicht. In Württemberg befand sich der König bereits in dem heftigsten Kampfe mit seinem Volke wegen der aufgehobenen Verfassung: in Baden hatte eine ähnliche Erscheinung ebenfalls schon begonnen: ebenso in den beiden Hessen. In Bayern wurden zwar Ausbrüche des Unmuts von der strengen Polizei noch zurückgehalten: aber nichtsdestoweniger war die Gährung allgemein, wenigstens in den fränkischen Provinzen. Hatten doch die zwei Fürstentümer Ansbach und Bayreuth schon zur Zeit des Wiener Kongresses eine Adresse an denselben eingegeben, in welcher sie Trennung von Bayern und Wiedervereinigung mit Preußen verlangten.*) Und diese günstige Stimmung für Preußen verlor sich nicht, auch als der Kongress auf diesen Wunsch nicht eingegangen war. Überhaupt wurde in ganz Süddeutschland eine günstige Stimmung für Preußen durch die deutschen Gesellschaften unterhalten, die zur Zeit der Freiheitskriege sich gebildet hatten und ihre Wirksamkeit jetzt erst recht zu entfalten begannen. In diesen Gesellschaften war der Gedanke einer Oberherrschaft Preußens über Deutschland nicht fremd, und man glaubte diesen um so eher zur Ausführung bringen zu dürfen, als man von der undeutschen Gesinnung der südlichen Regierungen hinlängliche Beweise in Händen zu haben glaubte. Auch bot der zweite Krieg gegen Napoleon, wie es schien, die beste Gelegenheit dar, um jenen Entwurf zur Ausführung zu bringen. Man wartete nur darauf, dass das siegreiche preußische Heer auf seiner Rückkehr etwas Entscheidendes vorbereite, und Alles hätte sich einem solchen Beginnen angeschlossen.**)

*) Voß, Zeiten

**) Mündliche Mitteilungen von mehren Männern, welche damals teils Mitglieder der deutschen Gesellschaften gewesen, teils überhaupt die öffentliche Meinung in Süddeutschland zu beobachten Gelegenheit gehabt haben.


Dass dieses die Stimmung der öffentlichen Meinung war, geht unter anderem auch aus einigen Briefen der sogenannten „Sächsischen Aktenstücke“ hervor, auf welche wir später noch einmal zurückkommen werden. Diese Aktenstücke sind meistens verfälscht und gerade auch die zwei Briefe, welche ich anführen werde. Nichtsdestoweniger beweisen sie doch auf das klarste, wessen sich die übrigen deutschen Staaten von Preußen oder vielmehr von der öffentlichen Meinung — denn ohne sie konnte Preußen nichts ausrichten — versahen. Der erste dieser Briefe ist eine angebliche Adresse mehrer preußischer Armeecorps an den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg und lautet folgendermaßen:*) „Es ist jetzt das Zeitalter der Adressen; Ew. Exc. müssen sich daher nicht wundern, dass auch die Armee welche macht. Diese aber wird kurz sein, wie es sich für Militärpersonen schickt. Der Ruf hat sich bei uns verbreitet, dass unser Monarch auf den Rat Ew. Exc. von dem gefassten Entschlusse, ganz Sachsen mit Preußen zu vereinigen, abgegangen sei. Wir wollen in die politischen Beweggründe nicht eingehen, welche E. E. in Ihrem weisheitsvollen Alter bestimmt haben können, unserm König einen so klugen Rat zu erteilen. Aber aus militärischen Motiven müssen wir behaupten, dass der Besitz von Sachsen für Preußen ganz unumgänglich notwendig ist. Preußen muss die Elbe mit allen ihren festen Plätzen haben. Unsere Hauptfestung Magdeburg ist nicht sicher, so lange nicht Torgau, Wittenberg und Dresden in unsern Händen sind; kurz, so lange wir nicht beide Elbufer haben, und zwar so weit aufwärts, als es uns nur immer möglich sein wird, unsere Grenzen vorzupoussieren. Da nur Militärs von Profession dieses klar einsehen können, so enthalten wir uns alles nähern Beweises und erklären zum voraus jeden für einen Ignoranten in der Politik und in der Kriegskunst, dem es einfallen würde, uns hierin widersprechen zu wollen. Unsere unermesslichen Anstrengungen, unsere Opfer, unsere Siege geben uns ein Recht, ein entscheidendes Wort mitzusprechen, da, wo von solchen militärischen Interessen die Rede ist. Ein Kabinett, das nie Pulver gerochen hat, kann im vollen Genusse der Sicherheit den feinsten Plan erdenken; aber was dazu gehört, dem Staate militärische Grenzen zu geben, das können nur wir beurteilen. Was man von kluger Mäßigung, von moralischen Rücksichten in der Politik spricht, ist ebenso chimärisch, als das alte Märchen vom blinden Gehorsam der Soldaten. Wo wäre jetzt die preußische Monarchie, wenn wir dem behutsamen Kabinette blind gehorcht hätten? wenn wir nicht bedacht gewesen wären, durch eine selbstgegründete Institution zu ersetzen, was uns die veralteten Institutionen der Regierung nicht mehr gewähren konnten. Wir wollen jetzt die Früchte unserer Anstrengungen genießen. Preußen muss in kurzer Zeit ganz Deutschland und halb Europa umfassen. Keine kleinliche Politik wird unsern König zurückhalten. Die preußische Armee und die deutschen Philadelphen werden den längst gefassten Plan zur Ausführung bringen. Wir ersuchen E. E. unserm Könige den einstimmigen Wunsch der Armee vorzutragen, dass er sich durch nichts bewegen lassen soll, von dem Besitze von ganz Sachsen abzustehen. Auf uns kann er sich verlassen; wir weichen in keinem Falle einen Fingerbreit aus Sachsen rückwärts. Wohl aber werden wir es verstehen, unsere Fahnen auch über die Grenzen Norddeutschlands siegreich vorwärts zu tragen.“ Unterschriften: York, Bülow, Kleist, Gneisenau, Massenbach. In einem andern Briefe, den angeblich der Minister Wilhelm von Humboldt an den Staatsrat Niebuhr geschrieben,**), kommt folgende Stelle vor: „Sorgen Sie nicht, bald werden Sie eine neue Probe erhalten von unserer Art und Kunst. Alles ist im besten Gange; wir setzen uns in Deutschland fest; Österreich täuschen wir mit Italien; von Russland und England werden wir uns bald loszumachen wissen, und dann ist das Reich unser.“

*) Abgedruckt in Voß Zeiten. Bd. 43. S. 410 fg. Septemberheft 1815.

**) Abgedruckt in Voß Zeiten. Septemberheft 1815. S. 416


Wie gesagt: diese Briefe sind unecht und noch dazu von einer Preußen feindlich gesinnten Hand geschrieben. Aber sie enthüllen — nicht etwa die Ansicht des preußischen Kabinetts oder seiner ersten Staatsmänner — sondern die innersten Wünsche und Hoffnungen der öffentlichen Meinung, welche freilich dem Schreiber der Aktenstücke als Befürchtungen erscheinen mussten, und sind insofern immerhin als wichtige historische Dokumente zu betrachten.
Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Friedrich Wilhelm III. König von Preußen (1770-1840)

Blücher, Gemälde von Gebauer (Hohenzollernmuseum)

Blücher, Gemälde von Gebauer (Hohenzollernmuseum)

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