Die Grenzen des alten Obodritenlandes

Um nun nach dieser Abschweifung zu unsern Obodriten zurückzukehren, gehen wir von dem unsicheren Boden der Vermutungen auf das sichere Feld der Geschichte über. Gewiss ist es, dass die Obodriten, mögen sie nun im siebten Jahrhundert oder schon früher eingewandert sein, sich seit dem neunten Jahrhunderte im Bunde mit den fränkischen Königen befinden. Dadurch entspannen sich die verzweifelten Kämpfe mit den Sachsen, welchen sie zuletzt unterlagen.

Die Grenzen des alten Obodritenlandes glaube ich teilweise in dem Sprengel des Bistums Schwerin wiederzufinden. Im Westen ging jedoch das Land der Ododriten weiter als der Sprengel des Schweriner Bistums, vielleicht bis an die Trave. Das Schweriner Bistum erstreckte sich dafür aber auch im Osten weiter. Es ist gewiss, dass die kirchlichen Grenzen sich so viel wie möglich an die politischen anschlössen. Es war gewiss eine kluge Maßregel des Erzbischofs Adelbert von Hamburg, dass er die durch den Fürst Gottschalk vereinten Lande der Obodriten, Wagrier und Polaben kirchlich wieder in die alten Grenzen sonderte. In späterer Zeit sind die Bistümer Schwerin, Lübeck und Ratzeburg, in Qbodritien, Wagrien und Polabien wirklich errichtet und haben bis auf die Reformation fortgedauert.


Es wundert uns nun nicht, dass die Grenzen des Schweriner Bistums uns gerade dort über die Elbe führen, wo noch vor zwei Jahrhunderten wendisch redende Bewohner lebten. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass Lugovve in der Bestätigungsurkunde des Bistums Schwerin (Schröder wismarsche Erstlinge S. 86) für Lüchow zu nehmen ist. Lüchow ist gerade der Ort, um welchen herum wir die Wenden noch in neuerer Zeit eigentümlich in Sprache und Sitten finden. Richtig hat schon Lisch Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Altertumskunde I, S. 1 Not. II S. 177 bemerkt, dass diese Lüneburger Wenden, wie sie jetzt genannt werden, durch die Jabelheide mit den Mecklenburger Wenden in Verbindung standen. Wie es möglich war, dass diese Wenden, rings von Deutschen umgeben, sich erhalten konnten, bleibt merkwürdig, wenn nicht die Unzugänglichkeit der dortigen Sümpfe, Moore und Wälder einerseits und ihre friedliche Abgeschlossenheit uns die Erklärung an die Hand gibt.*) Die Sprache der Lüneburger Wenden ist es besonders, welche unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, da sie von der der Mecklenburger Wenden wenig verschieden war, wie die Übereinstimmung der Ortsnamen beweist. Hatten wir von den Mecklenburger Wenden einen größeren Sprachvorrat überliefert, so würde es sich noch deutlicher dartun.

Von der Kultur und den jetzigen Einwohnern des Lüneburger Wendlandes hat der Prediger Gravenhorst in Wustrow in dem Hannov. Magazin Stck. 78 S. 1233 f. eine reizende Schilderung gegeben. Ihre Dörfer sind in der Regel in Kreisform angelegt, während die deutschen oder sächsischen Dörfer sich in die Länge erstrecken. Ersteres ist auch der Fall mit den alten slawisch benannten Dörfern im östlichen Mecklenburg im Gegensatz gegen die deutsch benannten Dörfer im westlichen Mecklenburg. Der fröhliche Sinn der Wenden offenbarte sich noch im vorigen Jahrhunderte in der Feier vieler Festtage. Fast jedes Dorf hat seine eignen Apostel und Heiligen (Hannoversches Magazin 1817 S. 1062), denen zu Ehren Gelage angestellt wurden, ganz ähnlich, wie wir es bei den Serbiern noch heute finden (Possart das Fürstentum Serbien S. 152 ff.) Wie sich oft in der Sprache viele Jahrhunderte hindurch Ähnlichkeiten in stammverwandten Völkern erhalten, zeigt das Wort pageleitze, welches bei den Wenden Kuchen aus dem feinsten Weizenmehl in Form eines Hufeisens (Hannoversches Magazin 1817 S. 1272, bei den Montenegrinern am adriatischen Meere (Montenegro und die Montenegriner Stuttgart 1837 S. 83 pogacsa das verzierte Hochzeitsbrot bedeutet. Eine auffallende Ähnlichkeit in Sitten ja sogar in der Kleidung bemerkt man zwischen den Bauern im östlichen Mecklenburg, im Lüneburger Wendlande, im Herzogtum Sachsen-Altenburg und in der Lausitz (vgl. Mussäus, über die Niedern Stande auf dem flachen Lande in Mecklenburg-Schwerin Jahrbücher des Vereins II S. 107 ff. Hannoversches Magazin a. a. O. Hempel, Sitten der Altenburgischen Bauern. Altbg. 1839 und Dobrowsky, Slovanka I S. 98.)

*) Dass die Wenden erst in späterer Zeit als friedliche Kolonisten sich hier angesiedelt haben, wie Mendelssohn (das germanische Europa, Berlin 1836 S. 278) annimmt, entbehrt aller Wahrscheinlichkeit, da die schon im Jahre 955 vorkommenden flanschen Ortsnamen (Jahrbücher des deutschen Reichs 1 Bd. 3. Abtlg. Berlin 1839 S. 44, Suithleiscranne und Kokarescem) dagegen streiten.