Die Odrysen, ursprünglich am Hämus an den Quellen des Hebros (Mariza) wohnend

Die Odrysen, ursprünglich am Hämus an den Quellen des Hebros (Mariza) wohnend, breiteten sich allmählich dem Laufe des Hebros folgend über die thrakische Ebene aus und bildeten um die Mitte des fünften Jahrhunderts vor Chr. unter Sitalkes ein bedeutendes Reich, welches vom ägäischen bis zum schwarzen Meere sich ausdehnte und in Bündnis und Handel mit Athen stand. Durch den König von Makedonien Philipp wurden die Odrysen jedoch bis zu den Quellen des Hebros zurückgedrängt und unter Philipps Sohne Alexander dem Großen zur Heeresfolge genötigt. Odrysische Reiter kämpften gegen die Perser unter Agathon Tyrimmas Sohn in der Schlacht bei Arbela (Arrian 3, 12). Ist dies vielleicht die urkundliche Nachricht, auf welche Nicolaus Marschalk (Westphalen monumenta inedita II 1508) und Chemnitz (ebd. in der Genealogie S. 1617) die Einwanderung der Obodriten in Mecklenburg unter Anthyrius nach dem Tode Alexanders stützte. Auffallend bleibt es, dass der Name An-thyrius mit dem obenangeführten Tyrimmas*) zu harmonieren scheint und dass sich in der Nähe des odrysischen Landes, im Lande der Päonier, ein Ort Deberon (Doberan) Thucydides 2, 98 findet. Die Odrysen, welche von Philipp und Alexander in die Gebirge zurückgedrängt waren, mit Ausnahme derer, welche den Fahnen der Makedonier folgten, kehrten jedoch noch einmal wieder in die thrakische Ebene zurück, bis sie durch die Römer wiederum in die Gebirge zurückgedrängt wurden. Von der Zeit an verschwinden die Odrysen und traten wahrscheinlich im Marcomannenkriege in den Bund der Jazygen, welche für die Czechen (Böhmen) zu halten sind. Mit den Czechen haben nun die Odrysen sich weiter nördlich verbreitet, bis sie um 800 n. C. wieder mit dem Namen der Obodriten im heutigen Mecklenburg hervortreten, wohin sie wohl nicht vor dem siebten Jahrhundert eingewandert sind. Ein Teil der Odrysen oder Obodriten blieb aber im Süden, und wird in der Emmeraner Völkertafel osterabtrezi genannt. So gab es Obodriten am adriatischen und baltischen Meer, Serben an der Donau und Sorben an der Elbe, welche sich in der Sprache wenig unterschieden. Merkwürdig ist, dass die Sprache der Slawen im Thale Resia (Dobrowsky Slawin S. 118.) vielfach mit der Sprache unserer Obodriten stimmt, wie weiter unten gezeigt werden wird. **) Die Obodriten trugen aber in ihre neuen Wohnsitze den alten Sinn der Vereinzelung und haben fortdauernd für die Bewahrung ihrer Selbständigkeit gekämpft. Daher ist denn das Urteil des neuesten Geschichtsschreibers über Pommern (Barthold, Geschichte von Pommern S. 209 und 211 ***), welcher das Bündnis der Obodriten mit den Franken als Verrat an der ganzen slawischen Nation brandmarkt, gewiss etwas zu hart, da anderswo die zwingende Staatsgewalt der lechischen Stammesverwandten gegen die freien Slawenstämme besonders hervorgehoben wird (ebd. S. 251). Die Obodriten gehörten aber nicht dem lechischen, sondern dem czechischen Stamme an, wie die Sprache beweiset. Die Obodriten, von Lutizern, Dänen und Sachsen mit dem Verluste ihrer Selbständigkeit bedroht, konnten keine andere Hilfe als bei den Franken finden und ein Geschichtsforscher, welcher die tiefer liegenden Ursachen der Begebenheiten zu erforschen hat, wird es verzeihlich finden, da Völkerbündnisse, wenn auch oft für das eine oder andre teilnehmende Volk verderblich, an sich nie verwerflich sind.

*) Tyrimmas hängt wohl mit Torik einem alten Kriegsgott der südlichen Slawen zusammen. Tor heißt auch der Auerochse. War der Stierkopf vielleicht ein Stammzeichen?
**) Der Name Rereger von der Stadt Reric (Rerik) Adam. Brem. 2,10 Barthold Geschichte von Pommern S. 211 Not. ist wohl Dänischen Ursprungs. Es gibt einen König Rerek von Seeland. Ob der Name als Ortsname in dem Tempelhofe Rorek in Vorpommern erhalten ist, bleibt dahin gestellt. Ein Dorf Rorich bei Wismar gibt es nicht.
***) „Würdiger als der verräterischen Obodriten ist ihre Ankündigung in der Geschichte.“