Gebet für die Verstorbenen

Indes kommt der Augenblick, wo unsere sterbliche Hülle der Erde wieder gegeben wird, und der Geist, der sich von ihr trennet, vor dem ewigen Weltenrichter erscheint. Wer möchte sich wohl beigehen lassen, dass er die göttliche Gerechtigkeit besänftiget habe? Welcher Mensch möchte sich wohl im Augenblick der Trennung rein genug wähnen, um sogleich der Anschauung des Heiligen der Heiligen genießen zu dürfen?

Die katholische Religion, so heilig als ihr Stifter, erkennt also einen Reinigungsort, wo die Seele, wie das Gold im Feuerofen, geläutert wird, und sich würdig macht, vor dem Angesicht ihres Schöpfers zu erscheinen. Als Religion des erbarmenden Gottes umfängt sie den Menschen, im Augenblick seiner Geburt, in ihre Arme; sie begleitet ihn durch alle Umstände dieses Lebens, um alle seine Handlungen zu heiligen und zu weihen; sollte sie ihn nun verlassen, wenn alles hienieden von ihm weicht? Nein, die Kette ihrer Wohltaten erstreckt sich über das Grab hinüber; diese Religion knüpfet die Bande des Blutes und der Freundschaft; und unsere Gebete, unsere Wünsche, unsere wohltätigen Handlungen, sind eben so viele Lösegelder, die wir für unsere Verwandten und Freunde erlegen.


Welche zärtlichen Gefühle geleiten in den Tempel jenen Katholiken, welcher vor dem Eintritt in denselben im Gottesacker auf der Asche eines Vaters, einer Mutter, eines Bruders, einer Gattin, eines Freundes gewandelt! Welche sanften Regungen beseelen seinen Eifer und sein Vertrauen! Warum sollte man denn nicht jene Religion der Toten preisen, welche *), indem sie mit unsrer Frömmigkeit und unseren guten Werken die Linderung der Peinen, die Befreiung der uns Teuren verknüpfet, die zärtlichsten Gefühle weckt, und alle Menschen zu einem Brudervolk gestaltet? **)
Wie doch Alles in der römisch-katholischen Kirche wechselseitig in einander greift und zur Wohlfahrt der Gesellschaft hinwirket!

*) Die Alten sahen die Opfer als nützlich an, nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten; sie brachten sie zur Ruhe der Seelen dar: und „diese Opfer“, sagt Plato, „sind von wirksamem Nutzen, wie da bezeugen ganze Städte und die Poeten, jene Göttersöhne, und die göttererleuchteten Seher.“
Ohne hier zu dem geheiligten Ursprung dieser Lehre bei den alten Völkern hinaufzusteigen, bemerken wir bloß, dass die Parsis, welche heutiges Tages noch die Religion des Zoroaster befolgen, glauben, dass der Geist, nachdem er sich vom Leibe getrennt hat, drei Tage lang umherirre, und von dem bösen Feinde verfolgt und gequält werde, bis er zu einem heiligen Feuer gelanget. Während dieser drei Tage beten sie über die Seele des Verstorbenen und beschwören Gott, ihm die Sünden zu verzeihen.
**) Dies war ohne Zweifel die Meinung der Schweden, bei denen Gustav Wasa mit so großer Mühe den Gebrauch, für die Verstorbenen zu beten, abstellte.