Schwierigkeiten bei der Wahl und Anwendung der Mittel unserer Bildung. 04 und 05

04.

Auf die gleichen Schwierigkeiten treffen wir bei der Wahl und Anwendung der Mittel unserer Bildung. Die Wahl der Mittel zu einem bestimmten Zweck kann immer nur in so fern eine entsprechende sein, als wir diesen selbst richtig erkannt haben. Es ist also klar, dass wir die Mittel unsrer Bildung erst dann mit Sicherheit wählen können, wenn unsere Erkenntnis; der allgemeinen, wie der besonderen Zwecke derselben, vollkommen in uns gereift ist: während diese Wahl, bei den letzteren wenigstens, doch schon getroffen werden muss, und die Mittel uns zur Hand liegen sollen, wenn wir unserm Ziele die ersten Schritte entgegen tun. Die Kenntnis der Mittel selbst reift ebenfalls wieder nur langsam, durch Erfahrung, durch vielfache Übung, und durch — Missgriffe. Dabei sind wir in der Wahl, wie in der Anwendung der Mittel unserer Bildung, vielfach von der Einsicht und dem guten Willen derjenigen, an deren Belehrung wir gewiesen sind, oder bei denen wir eine solche suchen; und nur allzu oft von der Laune des Glückes und des Zufalls abhängig, der jetzt die Mittel zu unserer Bildung mit verschwenderischer, nicht selten verwirrender Freigebigkeit uns zuwirft: jetzt mit eigensinniger Härte die unentbehrlichsten uns verweigert; jetzt unvermutet nach allen Seiten hin neue Wege vor uns auftut: und jetzt die einzige Bahn uns verschließt, die uns offen stand, oder uns an ihren Ausgangspunkt zurückschleudert, wenn wir den beschwerlichsten Teil derselben mit bedeutendem Verlust an Zeit und Kraft bereits durchmessen haben.



                                05.

Fasst man nun die Schranken und Schwierigkeiten, gegen welche jedes Streben nach Bildung anzukämpfen hat, in einen Überblick zusammen — das späte Reifen einer Erkenntnis, die wir schon bei den ersten Anfangen unsers Bildens bedürften; die vielen Missgriffe und die unvermeidlichen Irrtümer, welchen wir dadurch ausgesetzt sind; die Unzulänglichkeit und den oft entschieden nachtheiligen Einfluss fremder Belehrung; vor Allem aber die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und von den Launen des Glückes und des Zufalls: so stellen sich zunächst zwei Fehler heraus, welche wir bei jenem Streben zu meiden haben; einmal: eine allzugroße Zuversicht, das Ziel desselben zu erreichen, und eine bis zum Eigensinn getriebene Entschiedenheit in dem Streben nach einer bestimmten Form von Bildung; dann: wie ein Übermaß solcher Zuversicht, so ein Zurückbleiben unter dem rechten Maß in der einen wie in der anderen Beziehung. Denn, wenn ein Übermaß von Zuversicht, das Ziel unsers Strebens zu erreichen, dem letzteren überall nachtheilig wird, weil es uns leicht verleitet, die Schwierigkeiten desselben entweder ganz zu übersehen, oder sie geringer anzuschlagen, als sie es wirklich sind: so wirkt dieser Nachteil bei dem Streben nach Bildung doch in einem besonderen Grade, und auf eine eigentümliche Weise. Weil uns nämlich hier die Zwecke und die Mittel im Allgemeinen bekannt, und wir darüber mit uns einig sind: so wenden wir meistens wenig Mühe daran, sie ganz und nach ihrem eigentümlichsten Wesen kennen zu lernen; und weil wir sicher sind, oder es mindestens sein zu dürfen glauben, hier immer doch etwas zu erreichen: so überreden wir uns leichter, als bei äußeren Zwecken, wo wir den materiellen Gewinn bestimmter berechnen können, dass auch schon das Wenige viel sei. Daher meistens schon auf den ersten Stadien der Bahn, die durchlaufen werden soll, Lässigkeit, statt des rüstigen Fortschreitens; ein nebelhaftes Wollen und Behagen, statt des frischen Mutes, und des nie ruhenden Stachels, rastlos dem letzten Ziele zuzustreben. Am nachtheiligsten aber wirkt diese Zuversicht dadurch, dass sie uns hindert, Gehalt und eigentümliche Beschaffenheit unserer Anlagen zu einer bestimmten Form von Bildung einer hinreichend strengen Prüfung zu unterwerfen: da Eitelkeit und Anmaßung uns diese ohnedies leicht bedeutender und entschiedener erscheinen lassen, als sie es in der Tat sind.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Über Bildung und Selbstbildung.