Über Bildung und Selbstbildung.

Autor: Michael Leopold Enk von der Burg (Michael Enk) (1788-1843) österreichischer Benediktinermönch, Schriftsteller und Literaturtheoretiker, Erscheinungsjahr: 1842

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Bildung, Selbstbildung, Zweck, Stoff, Mittel, Berater, Lehrer, Irrtum, Täuschung,
      Was mir gebricht an Gold und reichen Schätzen,
      Muss mein Gemüt und dessen heitre Ruh
      Durch freies Tun und Fröhlichkeit ersetzen;
      Das schließt vor mir das Haus der Sorgen zu.

                        Simon Dach.
Einleitung.

                              01.

Bilden heißt im Allgemeinen irgend einem Stoff eine bestimmte Gestalt geben. In Beziehung auf den geistigen Menschen bezeichnet der Ausdruck: Bildung, bald das Bestreben, bald das Ergebnis des Bestrebens, unsere eigenen, oder Anderer intellektuelle und sittliche Anlagen zu entwickeln.

Alles Bilden setzt einen bestimmten Zweck, einen bestimmten Stoff und bestimmte Mittel voraus. Insofern wir nun den Zweck der Entwicklung unserer intellektuellen und sittlichen Anlagen mit freier Selbstbestimmung feststellen, und eben so die Mittel dazu wählen, mag unser Streben, oder das Ergebnis desselben, mit Recht Selbstbildung genannt werden.


                              02.

Bevor aber von einer gründlichen Untersuchung über das Streben, uns selbst oder Andere zu bilden, hier die Rede sein kann, ist es nötig zunächst die Schranken eines solchen Bestrebens im Allgemeinen ins Auge zu fassen: weil jede Unklarheit darüber für das Gelingen desselben nur höchst nachteilig sein kann.

Auch die Schranken aller Bildung können am besten aus dem dreifachen Gesichtspunkte des Zweckes, des Stoffes und der Mittel betrachtet werden.

Was zuerst die Zwecke betrifft, welche wir bei unserer eigenen, oder Anderer Bildung, uns vorsetzen: so sieht jeder leicht ein, wie wichtig es sei, dass wir uns derselben auf das Bestimmteste bewusst geworden. Denn im entgegengesetzten Falle glichen wir vollkommen einem Bildhauer, der da anfinge, einen Marmorblock zu behauen, ohne vorher mit sich selbst einig geworden zu sein, ob er einen Heros oder einen Waldgott daraus gestalten, und wie der eine oder der andere eigentlich aussehen solle. Bei dieser Forderung aber treffen wir sogleich auf Schranken und Schwierigkeiten. Denn was die allgemeinen Zwecke der Bildung betrifft, so werden wir allerdings schon in der ersten Jugend durch Lehre und Beispiel zur Erkenntnis derselben angeleitet: allein diese Erkenntnis kann erst dann recht fruchtbar für unser Streben werden; ja es wird uns erst dann mit diesem Streben selbst rechter Ernst sein, wenn sie in uns bereits zur Reife gediehen ist. Reifen aber kann sie, auch bei den glücklichsten Anlagen und unter den günstigsten äußeren Bedingungen, nur durch die Erfahrung und die erstarkte Kraft des Nachdenkens; ein Zeitpunkt, der bei den meisten Menschen erst dann eintritt, wenn sie in dem Bestreben sich selbst, oder Andere, zu bilden, schon die entschiedensten, und vielleicht die nachteiligsten Missgriffe gemacht haben.

Noch weit schlimmer aber sind wir mit den besonderen Zwecken unserer Bildung daran. Um sie wirklich zu erreichen, sollen wir auch diese nach ihrer eigentümlichsten Beschaffenheit erkannt haben. Allein auch diese Erkenntnis kann nur durch die Erfahrung gereift werden; und mehr noch ist dieses bei ihnen, als bei den allgemeinen Zwecken der Bildung der Fall: weil sie von äußeren Einflüssen abhängiger, und darum veränderlicher sind. Überdies werden wir nicht immer durch Unbeständigkeit, sondern oft genug durch den gebieterischen Drang der Umstände veranlasst, den einen Zweck mit einem andern zu vertauschen; und wenn wir auf dem einen Wege lange mit Mühe und Anstrengung dem Ziele entgegenschritten, mit Verlust an Zeit und Kraft einen anderen einzuschlagen.

                              03.

Eben so vielfältig sehen wir uns hinsichtlich des Stoffes unserer Bildung, das heißt hinsichtlich der intellektuellen und sittlichen Anlagen beworren, welche wir an uns selbst, oder an Anderen, ausbilden wollen. Wie können wir nämlich Zwecke für unser Bilden feststellen, ohne die Anlagen, welche ausgebildet werden sollen, ihrer ganzen Eigentümlichkeit, wie ihrem Maße nach, bereits richtig erkannt zu haben? Woran aber sollen wir andererseits diese selbst wieder messen, als an einer gereiften Erkenntnis unserer Zwecke. Wenn zwei Forderungen sich gegenseitig als gleichzeitige bedingen: so heben sie einander auf; oder sie beschränken sich in demselben Maße, in welchem sie nur unvollständig erfüllt werden. Für jeden Fall reift die genügende Kenntnis unserer Anlagen zu spät, um nach ihr mit hinreichender Entschiedenheit die besonderen Zwecke unserer Bildung festzustellen; und die Erkenntnis dieser Zwecke zu spät, um uns zu einem sicheren Maßstab für unsere Anlagen zu dienen. Dazu die Täuschungen der Selbstliebe und der Eitelkeit; oder jenes Irrtums, der die Lust zu einer bestimmten Tätigkeit für entschiedenen Beruf hält. Wollen wir aber der Einsicht Anderer vertrauen — wie selten wird uns nicht das Glück, den zuverlässigen Berater zu finden; wie schwer wird es nicht oft, seine Teilnahme zu gewinnen! Und dann — kann nicht auch der schärfste und sicherste Blick bei uns irren, und der erfahrenste Führer uns einer falschen Bahn zu lenken?

Chamisso, Adalbert von (1781-1838) Naturforscher und Dichter französischer Herkunft

Chamisso, Adalbert von (1781-1838) Naturforscher und Dichter französischer Herkunft

Bugenhagen, Johannes Dr. (1485-1558) Dr. Pomeranus gen. Reformator, Wegefährte Luthers

Bugenhagen, Johannes Dr. (1485-1558) Dr. Pomeranus gen. Reformator, Wegefährte Luthers

Burchardt, Hermann (1857-1909) deutscher Forschungsreisender jüdischer Abstammung

Burchardt, Hermann (1857-1909) deutscher Forschungsreisender jüdischer Abstammung

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Chrysander, Friedrich Dr. (1826-1901) deutscher Musikwissenschaftler und Herausgeber der Werke Georg Friedrich Händels. Studierte und promovierte an der Universität Rostock.

Descartes, René (1596-1650) französischer Philosoph, Mathematiker, Naturwissenschaftler

Descartes, René (1596-1650) französischer Philosoph, Mathematiker, Naturwissenschaftler

Dionysius

Dionysius

Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph

Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph

Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher

Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher