II. Entstehung des englischen Adels.

Die Elemente des englischen Adels 7) wurden im Jahre 1066 aus Frankreich zu Schiffe importiert.

Um diese Zeit saßen die Enkel wilder teutonischer Seeräuber in der Normandie, welche sie den Königen von Frankreich abgetrotzt hatten.


Die besondere Bildsamkeit dieses Stammes hatte die romanische Sprache, die Gewandtheit der Rede, die Leichtigkeit der Bewegung und die besondere Liebe zum Besitz auf französischem Boden schnell sich angeeignet.

Die Normannen bildeten hier eine Art von Militär-Kolonie, welche durch ein neugestaltetes Soldsystem in der Weise eines stehenden Heeres zusammengehalten wurde.

Das System eines Heeres, dessen Sold in Ländereien besteht, so weit diese den Charakter eines Soldes zulassen, ist das Lehnswesen.

Die fahrenden Krieger saßen also jetzt auf verliehenen Bauerhöfen und übten fleißig den Waffendienst; ihre Häuptlinge hatten größere Herrschaften erhalten, in denen sie sich befestigten, so gut es die Zeit verstand.

Da berief Wilhelm der Bastard, ihr oberster Häuptling, jetzt Herzog genannt, seine Mannen zu einer Versammlung, mit dem Vorschlag, nach England hinüberzuziehen und das Land zu erobern.

Sie entgegneten: sie seien arm, und durch viele frühere Hilfen und Steuern gedrückt; König Harold dagegen besitze große Schätze, mit denen er Freunde, Anführer und Könige in seinen Sold nehmen könne u. s. w.

Mit Mühe gelang es, sie zu dem Zuge zu bewegen, zu welchem massenweise auch fremde Abenteurer aus Frankreich und Flamland beutelustig herbeiströmten.

Ein Menschenalter später finden wir diese „armen“ Leute wieder als Kern einer stolzen Ritterschaft, ihre Führer als die Grafen und Barone von England.

Woher diese Umwandlung?

Der Besitz hat hier, wie immer, neue Stände gebildet.

Nach der Eroberung hatte Wilhelm schrittweise die angelsächsischen Herren ihres Besitzes entsetzt und diesen an die Führer des Normannenheeres verliehen 8). Die Verleihungen waren großenteils nur bedingt in der Weise eines Soldes geschehen, und gegen Ende seiner Regierung führte Wilhelm den Plan durch, die Landesbewaffnung und den Grundbesitz nach diesem System umzugestalten. Die noch vorhandenen Freieigentümer mussten sich denselben Formen unterwerfen, als ob ihnen das Land soldweise geliehen wäre.

So zerfiel jetzt ganz England in 60,215 Ritterlehne, verteilt zwischen den König, seine Mannen und die Kirche.

Die Gesamtzahl dieser sogenannten Kronvasallen betrug jetzt gegen 1400. Die große Mehrzahl derselben hatte nur einzelne Höfe erhalten; die Anführer dagegen größere Besitzungen (Herrschaften). Die Besitzungen Einiger umfassten mehrere hundert Ritterlehne, welche sie größtenteils soldweise weiter verliehen an einzelne Krieger, die nun ein Gefolge unter ihren Befehlen bildeten.

So besteht das Lehnsheer aus etwa 1400 Kronvasallen und 7871 Untervasallen, darunter viele Sachsen, die ihre Höfe in dieser Weise erhalten hatten; den Best bilden abhängige Leute, die wieder unter Jenen dienen. Die kleineren Kronvasallen stehen unter Führern, die der König ernennt; die großen Herrn mit ihren Untervasallen bilden eigene Abteilungen in dem Lehnsheere.

Diese Gliederung des Heeres ist zugleich Gliederung des Grundbesitzes im Lande. Wie im Heere der Mann dem Mann, so ist hier der Grundbesitz dem Grundbesitz untergeordnet. Jede Scholle Landes wird von einem Oberen besessen; das Obereigentum des Ganzen läuft in der Person des Königs zusammen.

Es war damit eine Einheit des Systems erreicht, welche ihres Gleichen in Europa nicht hatte.

Jede Gliederung der Art ist indessen nur eine Theorie, deren weitere Schicksale durch die Entwickelung der Besitzverhältnisse bedingt sind.

Die Klippe für alle Lehnsverfassungen war nun aber das Übergewicht der großen Vasallen. 9)

Besitz, Kriegsführung und geselliges Leben machten das Band, welches den Vasallen mit seinen Untervasallen und Hintersassen vereinte, bald enger und fester, wie das gemeinsame Band, welches sie dem König unterwarf. Die großen Vasallen wurden dadurch zu Grundherrn, dann zu Landesherrn, und sind heute in Deutschland souveräne Fürsten.

Dieselbe Tendenz hat das Lehnswesen in England; nur die Kraft des Königtums vermochte ihm eine andere Richtung zu geben und das Land vor der Zersplitterung des Feudalwesens zu bewahren.

In dieser Richtung finden wir das englische Königtum Jahrhunderte lang systematisch tätig und die wesentlichen Punkte dabei sind folgende drei:

Der erste Punkt ist die Gerichtsgewalt. 10)

Der Rechtsschutz für Person und Eigenthum ist in der Tat das Höchste und Heiligste, was eine geordnete Staatsgewalt ihren Unterthanen zu erteilen hat. Die stärkeren Klassen indessen, nicht zufrieden mit der Herrschaft über die wirtschaftliche Existenz ihrer Untergebenen, streben danach, auch die Erteilung des Rechts von der Gunst des Herrn abhängig zu machen.

In dem Lehnsstaat selbst lagen die Grundlagen dazu. Als Kriegsführer üben die großen Vasallen eine militärische Strafgewalt, als Grundherrn eine häusliche Gewalt über ihre Knechte, d. h. über Alle, welche auf geliehenem Gute sitzen. Unter einer schwachen Staatsgewalt erwuchs daraus leicht eine umfassende Lehns- und Patrimonialgerichtsbarkeit.

Anders in England.

Von Anfang an blieben die Lehnsgerichte beschränkt auf das verliehene Eigenthum, auf Prozesse bis zu 40 Sh., und auf Schlägereien und Verwundungen, so weit dies zur Militärdisziplin nötig.

Sie werden sodann schrittweise den ordentlichen Grafschaftsgerichten untergeordnet.

Ein ausdrückliches Gesetz untersagt den oberen Lehnsherrn, Appellationen von den unteren Lehnshöfen anzunehmen und zerreißt damit den Zusammenhang der Lehnsgerichte unter sich.

Endlich ist alle Privatgerichtsbarkeit unterdrückt auf dem wahrhaft königlichen Wege einer zeitgemäßen Reform, neben welcher die alten Lehnsgerichte von selbst absterben.

Durch eine lange Reihe von Gesetzen greift; das Königtum mächtig in jene Zustände ein, in welchen Fehde und Zweikampf nur noch dem Starken und Waffengeübten Recht und Genugtuung verschaffen; das Königtum gewährt den gleichen Rechtsschutz allen Klassen, indem es Anklage, Urteilsfindung und Beweis dem königlichen Beamtentum unterwirft, den Zweikampf verdrängt, und damit die alte Gemeindeverfassung zu den Schwurgerichten umbildet.

Vollendet sind diese Reformen im Jahre 1388.

Der zweite Schritt zu demselben Ziele ist die Umgestaltung der Heeresverfassung 11).

Das Lehnswesen war nur eine Übergangsstufe, um aus der Rohheit des früheren Mittelalters zu den Anfängen einer bürgerlichen Ordnung zu kommen.

Schon unter den ersten Plantagenets beginnt das Königtum dem Lehnsheere ein Gegengewicht entgegenzusetzen durch die Wiederbelebung der altgermanischen Landwehrverfassung in reformierter Gestalt. Die aus den Freisassen der Grafschaft bestehende Miliz wird neu organisiert mit gewählten Führern (Constabularii) unter Oberleitung des Sheriff. Sie besteht von nun an als die bewaffnete Macht für den inneren Landesdienst.

Schon Heinrich II. gestattet ferner den Vasallen, die Lehnskriegsdienste mit Geld abzulösen. Das alte Lehnswesen verwandelt sich damit schnell in ein großes System von Geldabgaben, welche die,,ordentliche Revenue“ des Königs bilden: es ist die Grundsteuer des späteren Mittelalters.

Das Königtum erhielt dadurch freie Hand, dem Kontinent auch in der Heeresverfassung voranzueilen. Die auswärtigen Kriege wurden jetzt mit geworbenen Truppen geführt. Ihre überlegene Taktik überwältigte leicht die ritterlichen Armeen Frankreichs, welchen es nicht an Muth, sondern, wie allen Lehnsheeren, nur an Taktik und Strategie fehlte. Die Schlachten von Cressy und Azincourt wurden durch die Aufstellung der Bogenschützen entschieden; die letztere war bereits entschieden, ehe die Ritter ins Treffen kamen.

So war die Lehnsarmee für Angriffs- und Verteidigungskriege überflüssig geworden, der Einfluss der Großen als Heerführer gebrochen, und der Kontinent später genötigt, das verbesserte Heersystem ebenfalls anzunehmen.

Der dritte entscheidende Punkt ist das Steuerrecht. 12)

Der Grundherr kann von Hintersassen, die auf geliehenem Gute sitzen, verschiedenartige Abgaben erheben.

Auf dem Kontinent vervielfältigten sich diese ohne Widerstand. Da hier die alte Landwehrverfassung zerstört, die Masse des Landvolks unbewaffnet, die Grundherren bewaffnet, und der Staat zu schwach war, sich der ländlichen schutzlosen Klassen anzunehmen: so wuchs auf dem Kontinent ein endloses System von bäuerlichen Lasten, Abgaben, Zinsen, Zehnten und Frohnden hervor; in Frankreich wurde ein ganzer Dictionnaire nöthig, um auch nur die Namen derselben zu erschöpfen.

Anders in England.

Hier sind schon die Normannenkönige stark genug, den Grundherren die Auflegung neuer Abgaben zu verbieten, ohne Genehmigung des königlichen Schatzamtes.

Jenes furchtbare System der ländlichen Abgaben und Frohnden, um dessen willen die französische Revolution ausbrach, und dessen Beseitigung auch uns schmerzhafte Operationen kostete, ist hier also schon im Keime erstickt; die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse Englands sind schon seit dem zwölften Jahrhundert durch das Königtum reguliert.

So ist denn der Keim der Landeshoheit, die Gerichts-, die Militär- und die Besteuerungsgewalt der Grundherren, die Verbindung dieser Hoheitsrechte mit dem Grundbesitz, also das eigentliche Feudalwesen, schon in den ersten Jahrhunderten nach der Eroberung gebrochen.

Und von nun an schreitet das Königtum unaufhaltsam auf der Bahn seiner Macht fort.

Bis dahin war das englische Königtum ein Gemisch von Erb- und Wahlkönigtum 13) gewesen, d. h. abhängig von der Wahl der Großen.

Unter den Plantagenets wird das Eigentum der Königswürde in der Familie des Landesherrn so weit durchgesetzt, dass die Wahl des Königs auch als Form wegbleibt. Das „legitime“ Königtum wird dadurch in seiner Einsetzung unabhängig von der Macht der Großen.

Jetzt handelte es sich weiter darum, das Königtum auch in seiner Ausübung von den Grundherren unabhängig zu machen; und dieser weitere Fortschritt erfolgte durch die Beseitigung des Widerstandsrechts. 14)

Die normannischen Großen, die Enkel von Seeräubern und Freibeutern, waren in England Emporkömmlinge, ein massenhafter neuer Adel, also, wie alles plötzlich groß Gewordene, übermütig und brutal. Sie konnten nicht vergessen, dass ihr Titel auf die Herrschaft derselbe sei, wie der des Königs, nämlich das Schwert.

Das Lehnrecht verpflichtete sie zwar zur Treue, d. h. zum militärischen Gehorsam. Allein das Mittelalter sah diese Verpflichtungen als gegenseitige an. Glaubte daher der Vasall sich von seinem Lehnsherrn beleidigt, glaubte er, dass ihm Protektion und Recht versagt sei; so kündigte er den Gehorsam, schickte seinem ehemaligen Kampf- und Zeltgenossen einen Absagebrief und schlug sich kameradschaftlich mit dem König herum. Im schlimmsten Fall entschied ein Gericht von Genossen, ob die Aufkündigung des Gehorsams mit Recht geschehen.

Nur die eiserne Strenge Wilhelms vermochte diesen Geist im Zaume zu halten: unter Stephan brach der zügellose Übermut auf allen Seiten hervor, und verwandelte auf neunzehn Jahre England in eine Mördergrube, ähnlich wie Deutschland zur Zeit des Faustrechts.

Die starke Regierung Heinrichs II. machte diesem Zustand ein Ende durch massenhafte Schleifung der Burgen des Adels.

Freilich führte die schlechte Regierung Johanns noch einmal zu einem Aufstand, welcher dem König die Magna Charta 15) abnötigte. Unverkennbar haben indessen jetzt sechs Menschenalter den Charakter der normannischen Großen geändert, und aus Emporkömmlingen einen wirklichen Adel geschaffen, der einen neuen Geist der Mäßigung dokumentiert.

Allerdings ist wie in allen Lehnsverfassungen das Widerstandsrecht noch beibehalten. In dem äußersten Fall der Verletzung der vereinbarten Verfassung, heißt es im Art. 61. der Magna Charta:

„mögen diese Barone mit allen Gemeinen des Landes Uns befehden und auspfänden mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln, das ist durch Wegnahme Unserer Burgen, Ländereien und Besitzungen, und in jeder andern Weise, bis das Unrecht zu ihrer Zufriedenheit hergestellt ist; vorbehaltlich Unserer Person, Unserer Königin und Kinder.“

Der Fortschritt darin aber ist, dass nicht mehr die einzelnen Barone den Gehorsam kündigen sollen, sondern nur ein Ausschuss aus der Gesamtheit.

Allein auch dabei konnte es nicht bleiben.

Man sah endlich ein, dass es nicht länger statthaft sei, die Auflehnung gegen den König gleichzustellen jeder andern Aufkündigung der Treue gegen den Privatherrn.

Man fing daher an zu unterscheiden: und so entstand der Begriff des Hochverrats 16) gegen den König, im Gegensatz der übrigen Fälle, die nun den kleinen Verrat (petty treason) bilden; und man begann 1283 zum ersten Male die rebellischen Herren zu hängen, zu vierteilen und ihre Güter zu konfiszieren.

Das gesegnete Parlament unter Eduard II. bestätigte durch das Hochverratsgesetz diesen verstärkten Rechtsschutz des Königtums, und in dem später ausbrechenden Kampf der beiden Rosen ward daraus eine furchtbare Waffe.

Unter Eduard IV. fiel die Hälfte des Adels in Acht, und mehr als ein Fünftel des englischen Bodens kam durch Konfiskation in die Hände des Königs.

Mit Warwick, dem Königsmacher, „dem Letzten der Barone“, endete jenes Geschlecht von Grundherren, welche noch die Lust in sich fühlten, souveräne Landesherren zu werden.



Durch diese Stellung des englischen Königtums im Mittelalter war nun zugleich entschieden die Stellung des Adels als Stand.

In den germanischen Verfassungen bilden die freien Grundeigentümer beschließende Versammlungen. Diese Freieigentümer in England sind jetzt die 1400 Thronvasallen, in deren Gütern die Aftervasallen und Hintersassen einbegriffen sind.

Die militärische Unterordnung unter das Königtum, (aus der das königliche Veto entstand), hat diesen Rechten keinen Eintrag getan: die Mannen bilden daher, wie in der angelsächsischen Zeit, eine Landesversammlung um den König, die jetzt normannisch „Parliamentum“ heißt.

Dem ursprünglichen Systeme nach war jeder Thronvasall dazu berufen; von Anfang an erschienen jedoch in der Regel nur die größeren Herren, die mit einem glänzenden Gefolge auftreten und den Aufwand der großen Hoffeste bestreiten konnten.

Mit Rücksicht hierauf bildete sich frühzeitig die Sitte, die großen Herren durch besondere Ladungsschreiben, Writ, zu berufen; während die kleineren in einem Gesamtschreiben an den Sheriff in Bausch und Bogen eingeladen wurden.

Jene nannte man jetzt große Barone, diese die kleinen Barone. 17)

Die Grenze zwischen beiden machte sich durch Herkommen. Der König konnte dabei nicht willkürlich verfahren: er hatte es mit Grundherren zu thun, die stets geneigt waren, mit bewaffneter Hand sich Genugtuung für eine Zurücksetzung zu holen. Wollte der König überhaupt ein williges Ohr für seine Vorschläge finden, so musste er die herrschende Ansicht der Mannenversammlung berücksichtigen. Tatsächlich entschied also die Standesmeinung darüber, wen die großen Herren als ihres Gleichen (Pair) ansahen, wer also ein besonderes Berufungsschreiben erhielt.

Diese Barone fingen nunmehr an, ihre besondere Berufung zum Parlament als ihr Recht anzusehen, und die Magna Charta erkannte das längst herkömmlich Gewordene als Recht an.

Einmal anerkannt, war das Recht erblich, wie das verliehene Lehn; und es ist damit eine erbliche Reichsstandschaft, ein Geburtsadel, entstanden.

Die Grundlagen eines Adels, erbliche Herrschaften, waren von je her in England vorhanden; erst durch die Anerkennung des Staats aber ist im Laufe des 12. Jahrhunderts ein Geburtsadel entstanden, dessen Wesen eben in einem besondern erblichen Recht zur Teilnahme an der Staatsgewalt besteht.

Jeder Geburtsadel hat die Tendenz, das so errungene Recht zu einem ausschließlichen zu machen und die aufstrebenden neuen Elemente davon auszuschließen. So geschah es namentlich in Deutschland.

In England ist indessen das Königtum stark genug, niemals ein ausschließliches Recht auf die Reichsstandschaft entstehen zu lassen. Es war und blieb alte Reichssatzung, dass von Rechts wegen jeder Thronvasall durch ein besonderes Ladungsschreiben (Writ) zum Parlament berufen werden könne 18).

Der König konnte daher, nach wie vor, jeden freien Mann zum Thronvasallen machen, und jeden Thronvasallen zur Reichsstandschaft berufen. So erhob Richard II. den Sohn eines Kaufmanns von London, Michael de la Pole, zum Pair und Grafen von Suffolk; fast aus jeder Regierung sind Beispiele der Art bekannt; seit Richard II. beginnen auch Adelsernennungen durch einfaches Patent.

Wir finden natürlich auch in England ein lebhaftes Widerstreben dagegen, und im Zusammenhang damit steht der immer wiederholte Kampf der Großen gegen einzelne neu erhobene Pairs, die sogenannten Günstlinge. Als in dem Jahrhundert der französischen Kriege die Könige verdiente Kriegsobersten (Bannerets) in das Parlament beriefen, machte man noch einen Unterschied. Sie heißen in den Parlamentsurkunden Monsieurs, während nur die erblichen Lords Sires heißen.

Mit der Schwäche des Königtums in dem Kampf der beiden Rosen werden die persönlichen Berufungen überhaupt seltener. Da der alte Bestand des Parlaments einmal Besitzer erblicher Herrschaften umfasste, so musste sich das Königtum allmälig bequemen, die Neuernannten ebenfalls erblich zu berufen, wenn sie den Alten gleichgehalten werden sollten.

So geschah es von nun an gewöhnlich. Man behandelte den Neuernannten (um ihn gleichzustellen) so, als ob er eine erbliche Baronie besäße. Juristisch ausgedrückt: der Pair wird fingiert als Besitzer einer Baronie.

Unerschütterlich fest aber hielt das Königtum an seinem unumschränkten und ausschließlichen Berufungsrecht. Die Zeit, in welcher die großen Grundherren dem Königtum gefährlich werden konnten, war jetzt vorüber. Nach dem Kriege der beiden Rosen waren nur noch 29 alte Grundherrn übrig, zum Teil noch geächtet, geschwächt, verarmt. Heinrich VIII. stattete sie mit fürstlicher Freigibigkeit neu aus durch secularisirte Klostergüter, brachte sie damit zu gänzlicher Unterwürfigkeit, und ergänzte ihre Reihen durch zahlreiche neue Ernennungen.

Seit dieser Zeit datiert eine neue Entwickelungsperiode des Adels; 19) denn von nun an behandelt das Königtum, — auf dem Höhepunkt seiner Macht, — grundsätzlich die Adelswürde als Anerkennung des Verdienstes, und stellt den Neuernannten ohne Rücksicht auf die Art seines Besitzes dem alten Grundadel gleich.

So brachte Heinrich VIII. die Zahl der Pairs auf 51, Jacob I. auf 96, Carl I. auf 119, Carl II. auf 139, und so wachsend bis 377, welche in diesem Augenblick als englische Pairs im Oberhause sitzen.

Von diesem heutigen Bestand der Pairs 20) datieren 170 den Titel, vermöge dessen sie im Hause sitzen, erst aus dem 19. Jahrhundert, 124 aus dem 18. Jahrhundert, 54 aus der Periode der Stuarts, 14 aus der Periode der Tudors; nur 14 aus dem ganzen Bestande sind direkte Abkömmlinge mittelalterlicher Pairs.

Der älteste dieser fürstlichen Pairs ist der Herzog von Norfolk von 1139; der jüngste ist der Graf Derby von 1485; — seitdem sind in England 1194 Pairs -Ernennungen und Erhöhungen vorgekommen, darunter 254 allein unter Georg III.

Jene 14 mittelalterlichen Lords sind eine Zierde des Parlaments; sie haben das Prinzip der Erblichkeit, den Hermelin und die fürstlichen Erinnerungen aus dem Mittelalter in die Gegenwart übertragen: sie geben der heutigen Pairie aber nicht ihren Charakter.

Es ist unrecht, die englische Pairie als ein feudales Institut 21) anzusehen Die größere Hälfte dieser Pairs hat ihren heutigen Adelstitel erst aus den letzten zwei Menschenaltern, 6/7 der Pairs erst nach der Zeit, in welcher unter Carl II. die Lehnsverhältnisse zur Krone aufgehoben wurden. Kein einziger Pair besitzt jetzt mehr eine Baronie; es gibt überhaupt in England keine wirkliche Baronie mehr. Die Ernennung zum Pair setzt weder eine bestimmte Art, noch ein bestimmtes Maß des Besitzes voraus, noch erteilt sie irgend welche gutsherrliche Rechte, noch einen privilegierten Besitz, noch bildet sie einen privilegierten Stand.

Das Königtum wollte nicht, dass um der Verdienste einzelner Ahnen willen eine Klasse von vielen tausend privilegierten Familien entstände, die mit ungleichem Recht dem neuen Verdienst und dem neuen Besitz entgegenträte. Nur die Häupter, als Repräsentanten berühmter Familien, sind daher zum Oberhaus berufen, während die ganze Familie sich durch kein Vorrecht von den übrigen Klassen scheidet. Hochherzig ging das Königtum selbst in diesem Prinzip voran; schon der Sohn eines königlichen Cousins ist nach gemeinem Recht kein Prinz mehr, auch kein Lord, sondern ein einfacher Gentleman. Erst ein Gesetz unter Königin Anna machte eine Ausnahme für die Descendenten der Kurfürstin Sophie von Hannover.



So blieb dieser Adel der stetige Vermittler zwischen dem alten Besitz und seinem Recht und dem neuen Verdienst und seinem Recht. Seit vielen Menschenaltern ist ein Adelspatent eine Auszeichnung für hervorragende Staatsmänner des Unterhauses, Generale, Gouverneure, angesehene Juristen u. s. w.: an jeden Pair knüpft sich ein Stück englischer Geschichte; — aber nicht bloß alte Geschichte, sondern auch neue Geschichte. Dieser Adel schmiegt sich eben dadurch an die bestehenden Besitzverhältnisse an, bleibt untrennbar verbünden mit der herrschenden Klasse der Gentry, aus der er stetig hervorgeht, in die er stetig zurücktritt; — er ist selbst nur eine potenziirte Gentry; — darin liegt das Geheimnis seiner Macht

Dieser Charakter des Adels führt mich nunmehr weiter zur Gestaltung der englischen Ritterschaft.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.