III. Entstehung der englischen Ritterschaft.

Auch die englische Ritterschaft 22) bildet einen Adel im weiteren Sinne des Worts.

Jeder Adel entsteht durch den Besitz; jeder Besitz bildet einen Adel durch Anerkennung der Staatsgewalt.


Jeder Besitz ist ursprünglich ein erworbener; die erwerbende Arbeit des Mittelalters ist aber vor Allem das Kriegshandwerk. Dadurch hat die englische Ritterschaft sich ihre Stellung allmälig erworben, eben so, und mit demselben Recht, wie Königtum und Adel, — durch das Schwert.

Nach der Eroberung Englands forderten auch die kleineren Mannen ihre Belohnung. Wie den Offizieren des Lehnsheeres größere Herrschaften, so wurden ihnen einzelne Höfe zu Teil, kleiner, als unsere Rittergüter, doch groß genug, um den Hausstand eines gerüsteten Kriegers zu erhalten.

Die neuere Art der Kriegsführung, auf schwere Rüstung und Waffen berechnet, erforderte fortdauernde Übung und Gewöhnung. Die Waffenarbeit ward damit zum Lebensberuf, in welchem die Formen und Stufen der mittelalterlichen Arbeit sich geltend machen.

Die Meisterwürde im Kriegshandwerk ist die Ritterwürde. Sie gibt dem, der sie erworben, einen anerkannten Dienstrang mit dem Ehrentitel „Herr, Sir, Dominus,“ in den romanischen Sprachen „Don“.

Wie nun aber die geistige Arbeit der Kirche in ihren höchsten Stufen die Gleichstellung mit dem Adel errungen hat, so in den mittleren Stufen die mit der Ritterschaft. Auch die Graduierten der Wissenschaft an den Universitäten, erhielten daher das Prädikat „Sir“ gleich den Rittern.

Die Entstehung der Ritterwürde ist ein großer gesellschaftlicher Fortschritt des Mittelalters. Sie ward von nun an zu einem ehrenvollen Bande, welches den Adel mit den Mittelständen vereinte. In jenen rohen Zeiten, in welchen der Übermut des großen Besitzes drückender auf den schwächeren Klassen lastete, wie in den späteren Perioden der Zivilisation, erhielt die Ritterwürde einen gewissen Geist der Gleichheit und der gemeinsamen Ehre unter dem großen und dem kleinen Vasallen; während die Kirche durch ihre Weihe die ursprüngliche Rohheit zu mildern suchte. Auch die großen Herren mussten jetzt sich erst die Spornen verdienen, ehe sie den Befehl über Ritter führen durften; die Ritterwürde wird daher das Symbol der Vereinigung des großen mit dem kleineren Besitz, des Führers mit dem Krieger, des Normannen mit dem Angelsachsen.

Freilich dauert noch fort eine Plumpheit in den Formen, welche die Ritterschaft des Mittelalters weit hinter dem chevaleresquen Geschlecht unserer Romane zurücklässt.

Die feinere adlige Sitte datiert in Frankreich erst aus dem 17. Jahrhundert, in England noch später.

Wie alle Berufszweige des Mittelalters, so hat nun auch die Ritterschaft das natürliche Bestreben, sich als Stand abzuschließen: die mittleren Stände folgen darin den höheren, die Ritterschaft dem Adel.

Der Weg dazu war folgender. Die Ritterwürde setzt einen selbstständigen Besitz voraus; denn nur ein solcher gewährt die Mittel zu einer schweren Bewaffnung und die Muße zu einem dauernden Lebensberuf. Schon dadurch entstand ein Zusammenhang zwischen der Ritterwürde und dem Besitz eines selbstständigen Guts, einem Ritterlehn. Zwar konnte jeder freie Mann den Ritterschlag erhalten: doch als vorzugsweise berufen sahen sich bald die Besitzer von Ritterlehnen an; und andrerseits waren sie durch den Besitz des Lehns selbst verpflichtet, sich dem Lehnsherrn als vollkommen ausgebildete Kriegsmänner durch den Ritterschlag auszuweisen.

Wollte sich nun die Ritterschaft als Geburtsstand abschließen, so bedurfte es dazu vor Allem der Unveräußerlichkeit der Ritterlehne. 23)

Auf dem Kontinent wurde dieselbe in der Regel durchgesetzt. Da nämlich der Lehnsherr in eine Veräußerung des Lehns konsentieren musste, so benutzte die Ritterschaft ihren Einfluss dahin, dass der Konsens nur zur Veräußerung an Standesgenossen gegeben wurde; allmälig wurde dies dann zum Gesetz erhoben. Daran schlossen sich ferner Majorate und Fideikommisse, um das Gut auch in der Familie unveräußerlich zu machen.

Diese künstlichen Schutzinstitute waren zwar in dem deutschen Recht nicht vorhanden, und widersprachen dem später aufgenommenen römischen Recht. Die Landesherren waren indessen gezwungen, Konzessionen zu machen an die stärkste Classe, die sich nur unter solchen Bedingungen dem neu entstehenden Beamtenstaat unterwarf.

Anders in England.

Das starke Königtum des Mittelalters war hier nicht in der Lage, Konzessionen zu machen. Als Schutzherr aller Interessen hielt es vielmehr die Veräußerlichkeit und Teilbarkeit des Grundbesitzes fest; und in der Magna Charta ist die Veräußerlichkeit der Ritterlehne auch reichsgesetzlich ausgesprochen. Nur für die Veräußerung der unmittelbaren Thronlehne wird der königliche Konsens vorbehalten, dessen Umgehung jedoch nur mit einer Geldbuße belegt ist, die zur bloßen Formalität wird.

Ebenso wurde die Fähigkeit durch Testament zu verfügen allmälig durch die Gesetzgebung erweitert.

Der Erwerb von Rittergütern stand damit zu allen Zeiten allen Klassen offen.

Ein Hauptgrund ferner, welcher auf dem Kontinent die Unteilbarkeit der Rittergüter herbeiführte, nämlich die Verbindung mit den gutsherrlichen Rechten, fiel in England weg.

Die Ritterschaft folgt auch hier den Rechtsverhältnissen des Adels. Das Recht der Besteuerung, Gerichtsbarkeit und Gutspolizei hatte das Königtum dem Adel teils abgenommen, teils nie entstehen lassen. Noch viel weniger konnte die Ritterschaft daran denken; es ist nicht einmal ein Versuch dazu gemacht. Die Ritterschaft selbst fühlte, dass solche Staatshoheitsrechte auf einem einzelnen Gute geübt, für einen Herrn zu wenig, für einen Untertan zu viel sind.



Die Rittergüter unterscheiden sich von anderem Freibesitz überhaupt nicht durch erhöhte Rechte, sondern nur durch doppelte Steuern. Von dem ersten Tage der Berufung des Unterhauses bis heute hat die Ritterschaft willig ihren Anteil an den vom Parlament bewilligten Steuern getragen; und außerdem trug sie die schweren Lehnslasten, welche ja noch immer die „ordentliche Revenue“ des Königs bildeten.

Erst durch die Aufhebung der Lehnslasten unter Carl II. also durch die Aufhebung der doppelten Besteuerung, wurden die Rittergüter dem übrigen Freibesitz gleichgestellt, mit welchem sie seitdem unerkennbar verschmolzen sind.



Durch diesen Gang der Gesetzgebung gelang es in England denn auch, die ursprüngliche Bedeutung der Ritterwürde festzuhalten.

Auf dem Kontinent folgte die Ritterwürde dem Schicksal der Rittergüter: sie wurde ausschließliches Recht einer Classe, und erblich wie der Besitz.

In ähnlicher Weise fingen die Familien der Ritterschaft in England an, sich anzusehen als ritterbürtig, „zu Helm und Schild geboren“, Scutarii, Ecuyers, Esquires.

Allein das Königtum erkannte einen Anspruch der Art niemals an: die Ritterwürde blieb vielmehr, was sie gewesen, eine Würde des Verdienstes.

Und als nun unter den Plantagenets die Lehnsverfassung zerfiel, die Miliz für den Landesdienst und die Soldheere für auswärtige Kriege an ihre Stelle traten, verlor sich auch der Zusammenhang zwischen der Ritterwürde und dem Rittergut.

Für den schlichten Sinn des Engländers hatte die Erlangung eines inhaltlosen Titels keinen Reiz; und wir finden von nun an das wunderbare Verhältnis, dass die Könige unter Androhung von Geldbußen die Besitzer von Ritterlehnen vorladen, um den Ritterschlag zu empfangen; dass man lieber die Bußen bezahlt und sich für die Versäumung abfindet, und dass endlich nach vielfachen Landesbeschwerden Carl I. die Verpflichtung Ritter zu werden aufhebt.

Die Erteilung der Ritterwürde 24), — ursprünglich ein genossenschaftliches Recht eines jeden Ritters, — war inzwischen zum ausschließlichen Recht des Königs geworden, und begriff als Würde des persönlichen Verdienstes zwei Abstufungen: einfache Ritter, (Knights Bachelors) und Offiziere, Bannerherrn (Bannerets).

Beide Stufen wurden jedoch seltener, seit mit den französischen Kriegen die Veranlassung dazu aufhörte.

Um dieselbe Zeit hatten die Könige die neuen Stiftungen des Hosenband- und Bath-Ordens gemacht, mit welchen die Ritterwürde denn allmählig in das neuere System der Verdienstorden überging.

Wie sparsam auch diese in England verteilt werden, zeigt der Stand der Armeeliste. Unter 264 Admiralen Englands finde ich 29 Lords und Honourables, 51 Sirs, 184 untitulierte Admirale; unter der Generalität 49 Lords und Honourables, 97 Sirs und 189 untitulierte Generale.

Erst ein Stuart, Jacob I., wich von der alten Maxime Englands ab, indem er zu dem festen Preise von 1095 £ erbliche Ritterwürden, (mit Vorrang vor anderen) verkaufte. So entstanden die Baronets, — eine Anomalie im Systeme, — übrigens ein Titel ohne Rechte.

Die englische Gesetzgebung, indem sie die ursprüngliche Bedeutung der Ritterwürde erhielt, hat damit die Erinnerung an eine ehrenvolle Familienabstammung weder aufheben können noch wollen.

Diese Erinnerungen erhalten sich symbolisch durch die Familienwappen, die in England sorgfältiger gepflegt als auf dem Kontinent, mit einem starken Maß von Familienstolz in Verbindung stehen.

Allein, was die Gesetzgebung verhindern wollte und verhindert hat, war die Entstehung eines besondern, bevorzugten Standes, der sich durch Namen und Vorrechte von den besitzenden Klassen ausscheidet.

Während die Ritterschaft des Kontinents anfing, sich von ihren Gütern zu nennen, und später auch allmälig die Titel des Adels, Freiherrn-, Grafen-, zuweilen selbst Fürstentitel führte, behielt sie in England ihre einfachen Familiennamen. In England fuhren 35,000 Personen Familienwappen, — großenteils altritterliche Geschlechter, welche auf dem Kontinent sich schwerlich mit ihrem einfachen alten Namen begnügen würden.

Aus diesem Verhältnis der Ritterschaft ergab sich dann weiter ihre Stellung zu den Städten, 25)

Auf dem Kontinent hatten die Landesherren den Bürgerschaften der Städte eben so große Konzessionen machen müssen, wie der Ritterschaft. Innungen, Zünfte, Monopole, Zwangs- und Bannrechte schlössen die Städte scharf von dem Lande ab, und richteten eine Schutzwehr auf, welche die Privilegierten nicht minder begünstigte, wie Majorate und Grundherrlichkeit den privilegierten ländlichen Besitz.

In England war das Königtum stark genug, ein solches System nie entstehen zu lassen. Handel und Gewerbe waren und blieben im Innern des Landes frei, und verteilten sich zwischen Stadt und Land je nach dem Bedürfnis. Die Reichsgesetzgebung für Handel und Gewerbe, wie für den Grundbesitz, war und blieb eine gemeinsame für Stadt und Land; nur in wenigen Städten wurden geschlossene Innungen geduldet.

Da hiernach ein Grund zur Trennung wegfiel, so blieben auch Stadt- und Landgemeinden in gleichförmiger Grafschafts- und Kreisverfassung vereint. Abgesehen von einer kleinen Zahl von Cities und Ortschaften mit eigenen Magistraten existirt nicht einmal ein Name zur Unterscheidung von Stadt- und Landgemeinden.

Die Frage nach einer Trennung oder Vereinigung entstand nun aber hauptsächlich, als im Jahre 1265 zum ersten Male Abgeordnete der Ritterschaft und der Städte zum Parlament berufen wurden.

Die Stellung der Neuberufenen war Anfangs sehr bescheiden: sie sollten Rath und Geld geben. Eben deshalb blieb ihnen auch überlassen, ihr Verhältnis unter sich selbst zu bestimmen.

Wir finden in der Tat, dass Anfangs die Ritterschaft sich von den Städten absondert und mit dem Adel zusammenhält, mit welchem sie die Lehnslasten gemeinschaftlich hat.

Dann folgt ein merkwürdiger Moment in der englischen Geschichte.

Schon nach zwei Menschenaltern ist es der Ritterschaft klar geworden, dass ihre überwiegenden Interessen gemeinsame mit den Städten seien.

Der Ritterschaft war jetzt die Wahl gestellt, welche heute vor uns liegt, eine ständische Absonderung beizubehalten: sie hat darauf freiwillig verzichtet und zwar scheinbar unter den ungünstigsten Umständen.

Eduard I. hatte zu seinem Unterhaus berufen 74 Ritter aus 37 Grafschaften, und dagegen 200 Abgeordnete der Städte, die vom König als Grund- oder Schutzherrn wesentlich abhängig waren. Aus diesem naheliegenden Interesse hat das Königtum die Zahl der städtischen Abgeordneten fortwährend vermehrt: zuletzt erscheinen 405 städtische gegen 92 ritterschaftliche. Während in Deutschland jedes Rittergut in der ständischen Vertretung so viel beanspruchte, wie eine ganze Stadt, so stand jetzt in England einer kleinen Stadt eben so viel Stimmrecht zu wie einer ganzen Grafschaft.

Man wird von jedem Standpunkt aus die echt englische Mäßigung bewundern müssen, mit welcher der stolze Ritter des Mittelalters, einst der Standesgenosse des Lords, hier neben dem verachteten Krämer und Handwerker seinen Platz nimmt, und nach Köpfen abstimmt mit einer drei-, später vierfach überlegenen Zahl, — und das zu einer Zeit, wo der ländliche Besitz ungefähr 6/7 des Nationalvermögens ausmachte.

Und diese in der Geschichte einzige Mäßigung hat nur die Folge gehabt, dass gerade dadurch die englische Ritterschaft zu einer in Europa unerhörten Macht und Bedeutung gelangt ist. Von jenem Augenblick an bis heute, ein halbes Jahrtausend hindurch, ist die Landgentry das eigentlich herrschende Element in dem Unterhaus gewesen. Durch keine Rechtsschranke getrennt von den übrigen besitzenden Klassen, war sie durch Besitz, Intelligenz und althergebrachtes Ansehen die geborene Vertreterin der damaligen Mittelklassen. Ihre Wurzeln in der Volksvertretung wurden immer tiefer; und gerade die kleineren Städte wurden die Hauptpunkte für den unmittelbaren Einfluss des Adels und der Landgentry, — ein Einfluss, so übermächtig, dass die Reformbill erst ihn einigermaßen beschränkt hat.

Eben so innig vereint blieb die Ritterschaft mit dem Bauerstand 26).

Die Gesetze Heinrichs VI. hatten einen Census eingeführt, nach welchem Freigutsbesitzer von 40 Shilling Grundrente bei den Wahlen der Grafschaftsritter stimmberechtigt sein sollten. Die Ritterschaft in England hat indes niemals Anstand genommen, mit Bauern und Kossäthen nach Köpfen abzustimmen; und obgleich nach späteren Verhältnissen ein Grundbesitz von 13 1/2 Thlr, Rente doch ein sehr kleiner war, finden wir dennoch keinen Versuch, diesen Census zu ändern. Man machte die Erfahrung, dass gerade je kleiner der Census, desto größer der Einfluss des großen Besitzes wird.

In der Tat ruht dieser gesicherte Einfluss der Ritterschaft auf dem Lande in dem Wesen des ländlichen Besitzes selbst. Der große Grundbesitzer steht in Haus und Hof einer zahlreichen Dienerschaft gegenüber; als Arbeitsgeber einer großen Zahl von Familien, deren Existenz mit Frau und Kind von ihm abhängig ist; als Grundherr seinen Pächtern. Dem kleineren Besitzer steht er als Schutzherr gegenüber durch Unterstützung, durch Belehrung, durch Hilfeleistungen, die so oft der kleinere bei dem großem Nachbar suchen muss. Während in den Gebieten der städtischen und der geistigen Arbeit großer und kleiner Besitz in stetiger Konkurrenz und Reibung sich gegenüberstehen, so ist diese in dem ländlichen Besitz fast gar nicht vorhanden. Der Bauer hat seinen Markt in der nächsten Kreisstadt so gut wie der Gutsherr, und bekümmert sich kaum um dessen unmittelbare Konkurrenz und entferntere Spekulationen. Der kleinere Nachbar hat hier also von dem größeren nur Wohltaten zu erfahren, nicht aber Schmälerungen seines Gewinnes und seiner Existenz, wie in der Stadt.

In keinem Zweige des Besitzes ist daher die Abhängigkeit des Kleineren fester und sicherer wie hier, wo sich die Autorität und das Übergewicht des Großen schon dem sinnlichen Auge vergegenwärtigt.

Aus diesem Grunde galt von je her die Landgentry als die geborene Vertreterin des Bauerstandes. Die Bauern wählten stets ohne Widerstreben Ritter; in den Flecken aber, wo man sie nicht zu wählen brauchte, wählte man sie freiwillig.

So hatte die englische Ritterschaft das Geheimnis gefunden, durch welches sie ihre Macht und ihren Einfluss ein halbes Jahrtausend bis heute bewahrt hat.

Es bestand darin, dass sie, wo es eine Interessenvertretung galt, sich dem Wahlrecht aller Klassen unterwarf, die eigene Interessen zu vertreten haben; dass sie andrerseits, wo es die Ausübung obrigkeitlicher Befugnisse galt, sich dem Ernennungsrecht der Krone unterwarf.

Durch diese Mäßigung nach oben und nach unten erhielt sie das sogenannte Gleichgewicht der Gewalten im Staat, ihren Einfluss und die Freiheit Englands.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.