Die mittelalterliche Reform des Gerichtswesens.

Die Lehnsgerichte blieben in England von Anfang an auf einen engen Kreis beschränkt, welcher größtenteils als Erbstück aus den Zeiten des Verfalls der angelsächsischen Monarchie übernommen war. Die Bildung unfreier Gemeinden um einen Herrenhof, Manor, war schon in der angelsächsischen Zeit vor sich gegangen. Das Königtum hat sie nicht aufgehoben, sie bestehen sogar dem Namen nach noch fort; verhindert aber wird ihre Ausdehnung; die neue Entstehung von Manors durch gesetzliche Requisite unmöglich gemacht; den schon vorhandenen werden schrittweise die obrigkeitlichen Rechte entzogen. Überall, wo die Grenzen der Lehnsgerichtsbarkeit mit der ordentlichen Grafschaftsgerichtsbarkeit zusammenstoßen, sehen wir grundsätzlich die letztere begünstigt. Sobald der Grundherr die Hilfe des Königs beansprucht, zur Eintreibung schuldiger Dienste und Abgaben, ergeht ein Writ an den Sheriff, und die Sache kommt an das Grafschaftsgericht. Beschwerden gegen die Lehnsgerichte, wichtige Streitigkeiten über Grundbesitz, auch die kleinen Strafsachen, wie überhaupt jede Sache auf Grund eines königlichen Writ, können an die Grafschaftsgerichte verwiesen werden. Das Statut Mariebridge 52 Henry III. c. 19. untersagt den oberen Lehnsherren Appellationen anzunehmen, beschränkt also schon im 18. Jahrhundert die Patrimonialgerichte auf die unterste Instanz.

Bei weitem wichtiger, als diese bloßen Beschränkungen, sind nun aber die positiven Reformen der alten Grafschaftsgerichte. Die alten Funktionen der germanischen Gemeindegerichte bei Anklage, Beweis und Urteil wurden durch Ausschüsse geübt. Sich selbst überlassen, folgten diese dem sozialen Gesetz, d. h. der Übermacht des großen Besitzes.


Die Thane der angelsächsischen Zeit üben daher die Gerichtsgewalt und besetzen alle sonstigen Ämter. In Wechselwirkung damit steht ein ungleiches Klassenrecht, nach welchem Leben und Gesundheit und der Eid eines Mannes nur gewogen wurde nach der Zahl der Hufen, die er besaß. Noch drückender erschien diese Übermacht, seitdem der größere Besitzer allein der vollbewaffnete und kampfgeübte geworden war; der ganze Prozess löste sich zuletzt in Zweikampf auf. Dazu kam der Nationalhass zwischen Angelsachsen und Normannen, der die Handhabung unparteiischer Justiz unmöglich machte.

Der Entwickelungsgang der neuen Gerichte läuft hier in einen Brennpunkt zusammen: das Königtum ernennt durch seine Beamten die Ausschüsse, welche bisher nur durch die Größe des Besitzes bestimmt wurden; durch dies veränderte Wahlprinzip sind die alten Gemeindegerichte übergegangen in die Jury. — Man hatte ferner allmälig eingesehen, dass die Aufrechterhaltung des Friedens nicht mehr bloß Sache des Einzelnen, des Geschlechts, der Ortsgemeinde, sondern in weiteren Kreisen Sache der Hundertschaft, Grafschaft, und zuletzt des Staats sei (Königsfriede). Durch die Erhebung der Anklage im Namen des Königs wird dann allmälig die Rechtsgleichheit der Klassen durchgeführt. Es hat aber viele Jahrhunderte gedauert, bevor man zu der Einsicht kam, dass ein Menschenleben dem andern gleich, und Rechtsschutz, Beweis und Strafe nicht mehr nach der Schwere des Besitzes abgewogen werden dürften. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer immer weiteren Ausdehnung des Beamtentums bei Beweis und Urteil in Zivil- wie in Strafsachen, und eine immer wachsende Zentralisation der Gerichte, bis jenes Gleichgewicht erreicht war. Es liegen aber viele Jahrhunderte zwischen der altgermanischen Rohheit, welche die Rechtsfälligkeit nur auf den Grundbesitz basierte, bis zu diesem Zeitpunkt, wo zum ersten Male in der germanischen Geschichte das Königtum den ungleichen Klassen gleichen Rechtsschutz verschafft. Es bedurfte dazu einer Auflösung auch der alten Grafschaftsgerichte durch königliche Kommissarien (Friedensrichter), die durch mehrere Gesetze Eduards III. gestaltet, unter Richard II. 1388 collegialisch geordnet und mit den Gemeindeausschüssen (Anklage- und Urteils-Jury) in Verbindung gesetzt werden. Mit dieser letzten Maßregel ist der äußere Organismus der englischen Gerichtsverfassung vollendet, welcher neuerdings in mehreren deutschen Schriften behandelt ist, z. B. Biener, das englische Geschwornengericht. Leipzig 1852. 2 Bde. Köstlin, der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens. Tübingen 1849. Gneist, die Bildung der Geschwornengerichte. Berlin 1849.

Jene Reformen haben die eigentliche Grundlage der freien Entwickelung Englands gelegt. In englischer Weise bleiben daneben die alten Gemeinde- und Lehnsgerichte, County Court, Hundred Court, Court Baron, Court Leet, dem Namen nach bestehen; sie verlieren aber die gerichtlichen Geschäfte. Das altgermanische Gericht dient nämlich zugleich zur Vornahme von Auflassungen und anderen Rechtsgeschäften; — eine Funktion, die zum Teil noch fortdauert, und das Missverständnis veranlasst, als ob es in England noch Patrimonialgerichte (Court Baron, Court Leet) gäbe.

Die Anfange einer Gutspolizei wurden schon im ersten Keime erstickt Als im Jahre 1237 auf dem Parlament zu Merton die Lords um die Erlaubnis baten, besondere Gefängnisse zu halten für die Übertreter in ihren Parks und Fischteichen: so wurde dies Gesuch abgeschlagen und nicht erneut.

Durch diese rastlose Tätigkeit des Königtums gelang es auch, den Amtscharakter der Personen zu wahren, welche an der Spitze der Gerichte stehen, und die Bildung von Erbämtern zu verhindern. Die Pfalzgrafschaften machen davon eine verhältnismäßig unbedeutende Ausnahme, aus zufälligen Lokalverhältnissen hervorgegangen, eigentlich nur dem Namen nach bestehend, und schrittweise beseitigt.

Nach vielen Jahrhunderten der Verwirrung und der Gewalt wurde so endlich der große Organismus der Gerichtsverfassung durchgeführt, den die Rechtswissenschaft in dem Satz, dass alle Justiz vom König ausgeht, zusammenfasst.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.