Das Übergewicht des großen Besitzes.

Die großen Kronvasallen hatten in ihren Herrschaften eine ähnliche Stellung, wie der König im Reich. Auch sie hatten ihre Kriegsmannschaften um sich, Untervasallen, Hintersassen, bewaffnete Dienerschaft, Söldner; auch sie hatten ihren Hofstaat, ihren Marschall, Kämmerer, Kanzler, Justitiarius; in ihren Herrschaften kamen auch kleine Städte vor, in denen sie Taxen erhoben, ebenso wie der König, der die wichtigeren Städte und die Häfen seinem Domainengebiete einverleibt hatte. Das Königtum erschien von diesem Standpunkte aus wie eine große Baronie, die Baronie wie ein kleines Königtum. Es sind darin bereits die Elemente des Kleinstaats: Regnum quod ex comitatibus et baroniis dicitur esse constitutum, sagt Bracton II. cap. 34.

Wie das Lehnssystem in seiner ersten Anlage eine Verstärkung der Königsgewalt herbeiführte, so wurde es in seiner Fortbildung auch in England gerade dem Königtum gefährlich. Die Rechte, welche die altgermanische Verfassung an das allodiale Eigentum knüpft, sind hier beschränkt auf die Thronvasallen. Die Verfassung beschränkt sich daher auf einen kleinen Kreis freier Grundherren, welche dann auch auf dem Kontinent eine Pairie oder Reichsstandschaft unter sich bilden, mit dem Königtum in einem bloßen Vertragsverhältnis stehen, und die übrigen Klassen immer mehr zu ihren Untertanen herabsetzen.


An der Schwelle dieser Entwickelung stand jetzt England. Wäre sie nicht unterbrochen, so würde vielleicht auch England heute in ein Kleinstaatentum aufgelöst, das Oberhaus ein Bund souverainer Fürsten sein.

Dass das normannische Königtum von Anfang an mit Bewusstsein gegen diese Entwickelung kämpfte, zeigt sich in folgenden drei Maßregeln:

1) darin, dass den Führern des erobernden Heeres nicht geschlossene Grafschaften, sondern nur verhältnismäßig kleinere Besitzungen verliehen wurden;

2) darin, dass die verliehenen Güter in verschiedenen Grafschaften liegen, wie die des Grafen Moreton in zwanzig Grafschaften, des Grafen Boger in dreizehn, des Grafen Hugo in ein und zwanzig, des Bischofs von Bajeux in siebenzehn u. s. w.; während der König sich Besitzungen in allen Grafschaften vorbehielt, außer Shropshire.

3) darin, dass die angelsächsische Gemeindeverfassung beibehalten wurd. Dies ist der Sinn der immer wiederholten Zusicherung und Beseitigung der Gesetze Eduard des Bekenners. Ein Gesetz Heinrichs I. erklärt auch die großen Thronvasallen und Prälaten ausdrücklich für verpflichtet, den regelmäßigen Grafschaftsversammlungen beizuwohnen. Auf diesem Gebiet fanden also auch die Herren noch ihres Gleichen und mussten jeden freien Eigentümer hier als ihren Rechtsgenossen anerkennen; während in der reinen Lehnsverfassung der Untervasall und Hintersasse in dem Gut des Thronvasallen einbegriffen, also im Parlament nur durch diesen vertreten ist.

Innerhalb des Lehnsstaats lebt also ein zweiter Organismus fort, der getragen durch den sächsischen Nationalgeist, weiter entwickelt durch das Königtum, sich später in dem Unterhans zentralisiert und das Lehnswesen allmälig zersetzt. In dieser Richtung gehen nun die Reformen im Gerichts-, Militär- und Steuersystem vor sich.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ueber Adel und Ritterschaft in England.