004. Irmin und Irmina.

Eine Stunde von Eisfeld nach dem Walde zu liegt das Dorf Crock; dicht über ihm erhebt sich wie ein steiler Kegel der Berg, welcher des Ortes Kirche trägt. Diese Kirche hieß vor Zeiten die Irmenkirche, der Berg der Irmelsberg, auch Hainberg. (Hain deutet zumeist auch auf Übung frühen Götterkultes, ist etwas ganz anderes als Wald, Forst oder Gehölz, und lautet in alter Sprache Hag, Hagen, bei welchem Worte man, ohne Wortklauber zu sein, an das griechische Wort für heilig, wohl denken darf). Wenn nun eine altgermanische Gottheit oder Halbgottheit des Namens Irmin in Deutschland verehrt wurde, wie die Nachrichten über die Irminsul, Irmensäule, unzweifelhaft lassen, und der auch Hermen genannt wurde, einerlei ob manche frühere Gelehrte ihm den griechischen Hermes (Merkur) oder den römischen Mars verglichen, warum sollte nicht auch auf diesem frühen mythischen Boden des alten Asci - Feld ein Hall der Erinnerung an ihn sesshaft geblieben sein? Weithin beherrscht die Spitze des Irminberges die Aussicht nach den zahlreichen Kegelgipfeln dieser Gegend, auf die Besten und Burgen Coburg, Calenberg, Heldburg, Straufhain, und die sogenannten Römhilder Gleichberge, wie tief hinein in fränkische Gelände. Gern bemächtigte sich später die christliche Kultur solcher Stätten, die schon der heidnischen Bevölkerung hehr und heilig waren, und so erhob sich wohl in ziemlicher Zeitenfrühe auf dem Irminberge ein Christenkirchlein, das lange Zeit hindurch weit berühmter Wallfahrtort wurde, und erst spät, im Jahre 1489 wurde die jetzige Crocker Kirche auf die Stätte der alten gebaut und in die Ehre des Märtyrers St. Veit geweiht. In jener frühen Zeit schon verjüngte sich die Irminsage, spiegelte aber noch in ihrer Verjüngung den Kampf des Heidentums gegen das eindringende Christentum ab. Der Frankenkönig Dagobert habe eine Tochter gehabt, Irmina geheißen, diese sei aus des Vaters Hanse entflohen um einer unglücklichen Liebe Willen, und habe sich in diese Berge und Waldeinsamkeiten auf die Grenze zwischen Franken und dem Thüringer Wald geflüchtet, wo sie an einem Brunnen unweit der Kirche gewohnt, der nach ihr noch heute der Irmelsbrunnen heißt, und den sie, in ihm badend, bis heute trübt. Einige sagen nun, die heidnische Königstochter Irmina habe, dem Christentum, das den Sonntag heilig und arbeitsfrei zu halten gebietet, zum Trotz an einem Sonntage Erbsen gesät, aber der Fluch des Himmels habe alsbald diese Erbsensaat in Steine verwandelt. Andere erzählten, Irmina habe ihr ganzes Besitztum aufgezehrt, und zuletzt nichts mehr gehabt, als ein Gemäß Erbsen, mit diesem sei sie kummervoll vom Irmelsborne geschieden und nach Eisfeld zu gewandert. Das Säckchen aber, oder die Schürze, darin Irmina die Erbsen trug, hatte ein Loch, und die Erbsen fielen, ohne dass die Trägerin es merkte, nach und nach hindurch, wurden zu Stein, und man findet deren noch immer auf und am Wege von Crock nach Eisfeld. Es sind kleine runde Kiesel, erbsenfarben, und zum Teil von Erbsengröße. So zeichnete die Königstochter Irmina einen weißen Irmin-Weg von Steinen, der wieder nach dem Irmin- oder Iring-Weg am Himmel von Sternen (die Milchstraße), dessen alte Sagen gedenken, deutet. Das Wasser des Irmelsbrunnens galt später für wundertätig, und die Wallfahrer, die des Weges über den Wald und über Crock nach Vierzehnheiligen zogen, haben oft und gern davon getrunken. Manche Forscher haben sich bemüht, den Ortsnamen Crock von dem noch ganz unerwiesenen Harz-Gotte Crodo abzuleiten, was man wohl auf sich beruhen lassen kann.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Thüringer Sagenbuch