Ueber Thomas Kantzow’s Chronik von Pommern. Einleitende Abhandlung des Herausgebers.

Um die geschichtliche Wahrheit unter den Menschen ist es ein seltsam mißliches Ding. Kaum ist die That vollendet und verrauscht, so stirbt das hinfällige Geschlecht, das sie erlebt und als Geschichte eine kurze Zeit lang in seinem Geiste bewahrt hat, ihr nach. Bleibt nun schriftliche Überlieferung zurück, von hellsehenden Meistern verfaßt, von folgenden Geschlechtern erhalten und genützt; so steht es gut um das Andenken der Vorzeit. Ist aber diese schriftliche Kunde, wie häufig, von Anfang an ungenügend, oder wird sie nicht beachtet, oder geht gänzlich unter: so werden Sage, Schein und Trug mächtig gegen die Wahrheit, und es umhüllen wohl Schatten der tiefsten Vergessenheit binnen kurzem die vergangenen Zeiten. Wie ein Garten liegen diese da, den bei versäumter Pflege Kraut und Unkraut schleunig überwuchern; wie ein Boden, ehemals von einer Schaar erfreulicher Bauten überdeckt, deren Stätte nachmals nur noch ein paar Berge von Schutt bezeichnen. Und geschieht nicht auf diese Weise Unglaubliches? Hatten nicht, um an Eines nur zu erinnern, Franzosen sowohl als Deutsche neuerlich ihre reiche mittelalterliche Poesie fast ganz vergessen und verleugnet?

Nur in einem fortwährenden Kampfe wird die geschichtliche Wahrheit emporgehalten. Sie ist der tückische Stein des Sisyphus, den die inwohnende dämonische Kraft zur Qual seines Wächters immer abwärts zieht, sie eine versinkende Eurydice, deren letzter Abschiedslaut aus der Tiefe oft kaum noch hörbar wird, und die wieder ans Licht zu führen nur die Zauberkraft der Forschung und der Kritik vermögend ist. Wie aber in allen Zeiten durch Einzelne, so weht bisweilen durch ganze Zeitalter ein frischerer Hauch der Forschung, der die Nebel aufräumt und lichte und leibhafte Wahrheit von neuem blicken läßt. In solchen Zeiten leben wir heute. Wie mancher Augiasstall ist seit Jahrzehnden ausgespült worden, und in wie manche Räume noch muß die wohlthätige Kraft des reinigenden Wassers dringen, dessen Leitung nicht immer herkulischer Hände bedarf. So ungefähr erscheint uns das Verhältniß der Geschichte und der Kritik, und in diesem Sinne haben wir versucht, den Wust, der sich in dem Ablauf einiger Jahrhunderte in dem Felde heimathlicher Geschichtsschreibung aufgehäuft hat, beseitigen und in das dichtere Dunkel, das naturgemäß allmählig sich gebildet, den belebenden Strahlen der Kritik den Eingang bereiten zu helfen.