Vorrede.

Der Pommerschen Chronik des Thomas Kantzow hat es seit ihrem Erscheinen (1816) an günstigen Lesern nicht gemangelt. Man fühlte sich angezogen durch den Reichthum, die Neuheit und Gediegenheit der Sachen, durch die wackere Persönlichkeit des lebhaften und kräftigen, des klugen, besonnenen und bescheidenen Verfassers, durch die Einfalt, Anschaulichkeit und geistweckende Munterkeit des Vortrages, durch die fließende Leichtigkeit der alterthümlichen Sprache. Welch ein Abstand zwischen diesem Lustfelde und dem ermüdenden Dickicht des Mikräl, in welches nothgedrungen bis dahin die Wißbegierigen sich zu vertiefen pflegten. Es konnte nicht fehlen, daß Kantzow bald ein Ehrenplatz in der Deutschen Literatur zu Theil wurde, als einem der besten Chronikanten des sechszehnten Jahrhunderts*). Anfangs wurden die Mängel und Schwächen des Werkes, wie billig, übersehen. Dem Genusse folgte allmählig die Kritik; die sich indessen darauf beschränkte, die historische Glaubwürdigkeit des Verfassers hie und da anzutasten, und bei Einigen vielleicht das Urtheil zu befestigen, als seien die Pommerschen Chroniken überhaupt als Quelle der Geschichte nicht von sonderlichem Belange, und Urkunden allein des Fleißes und der Ausgabe würdig. Eine Ansicht, die vollkommen richtig und löblich von der Einen Seite, doch unzureichend ist im Ganzen. Denn was z. B. zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts unsere Landschaft gewesen, wie sie sich selbst und ihre Mit- und Vorwelt angesehen und gefühlt, das wird aus keiner Urkundenreihe auf die Weise und in der Fülle zu entnehmen seyn, wie aus der Chronik Kantzow’s, die eben dadurch selbst zur unersetzlichen Urkunde wird; zu geschweigen, daß dieselbe als gründliche historische Arbeit, als reiche Sprachquelle insbesondere für die Zeiten und Gegenden, in denen Hoch- und Niederdeutsch zu verschmelzen anfingen, als eigenthümliches Geisteswerk und in anderen Hinsichten mehr ihren dauernden Werth behält.

Wie es mir mit dieser Chronik ergangen, muß ich berichten. Vor Jahren las ich dieselbe um des vaterländischen Inhaltes willen, fühlte durch ihre Vorzüge mich gefesselt, las sie theilweise wieder und wieder, und legte sie, das Genossene in dankbarem Gedächtniß behaltend, auf lange bei Seite. Einige Beschäftigung mit älteren Deutschen Dichtern, deren seit Jahrzehnden geöffnete Quellen noch immer unglaublich sparsam in die breiteren Auen der Lesewelt ausfließen, führte mich im Frühjahr 1832 wieder zu Kantzow. Es reizte mich diesmal, denselben im Vorbeigehen als eine Urkunde der Sprache des sechszehnten Jahrhunderts zu durchlaufen. Allein unerwartet wurde ich von meinem Wege weit abgezogen. Die Vorrede des Herausgebers stürzte mich in kritische Zweifel, der Text selbst verwickelte mich noch tiefer in dieselben; ich suchte, um ins Klare zu kommen, nach alten, insbesondere handschriftlichen Hülfsmitteln, und war so glücklich, deren sehr brauchbare, wichtige und unbekannte zu finden. Nachdenken und Lesen wechselsweise führte mich zu kritischen Fragen von allgemeinerem Interesse, dann zu überraschenden Lösungen derselben; so daß, was bei den ersten Schritten als Uebung des Scharfsinns mich angezogen hatte, zuletzt in seinen Ergebnissen, auch Andern nützlich und mittheilungswerth schien. Denn ich war hier, ohne es zu ahnen, auf einen mehrfach ergiebigen Boden gerathen.


So verschmerzte ich gern das anfängliche Umherirren in Zwielicht und Dunkel, das neckende Fliehen des ächten Kantzowschen Bildes, welches, endlich erhascht, sich in verschiedenartige Gestalten auflöste; dazu viel Tauschendes und Mühseliges dieser Arbeit mehr. Am meisten Reiz aber hatte für mich die Form der Untersuchung selbst, in so fern es hier galt, auf philologischem Wege historische Wahrheiten zu ermitteln, und die Hülfsmittel zu einem kritischen Verfahren mit seltener Vollständigkeit zu Gebote standen, als: Urschriften und deren Quellen, Abschriften, Überarbeitungen, Auszüge, Uebersetzungen u. s. w., wobei glücklicherweise eine wichtige Urschrift**) fehlte, und zu Nachdenken und Vermuthungen Raum genug ließ.

Was ich nun wirklich ermittelt über einheimische Vorkantzowische Schriften, über Kantzow’s und Klemphens Leben, über die Reihenfolge und Aechtheit der Kantzowischen Chroniken, über die sogenannte Klemptzensche Chronik, über die Aechtheit der Kosegartenschen Pomerania, endlich über die Pommerschen Chroniken überhaupt; das habe ich in der zunächst folgenden Abhandlung zusammengestellt, und derselben, wie die Natur der Sache es forderte, eine vorzugsweise kritische Richtung gegeben. Die dort behandelten Fragen sind zum Theil schon von Anderen angeregt, und einige derselben als schwierig hin und wieder besprochen worden. Alles zu völligem Abschlüsse gebracht zu haben, kann ich mich nicht rühmen. Längere Muße und neuer Zufluß von Mitteln wäre dazu erforderlich gewesen. Genügen sollte es mir, wenn Kundige urtheilten, daß ich zu der immer noch unvollendeten Kette eine Reihe tüchtiger und haltbarer Glieder geliefert hätte.

Ueber die Einrichtung dieser Ausgabe habe ich Folgendes zu bemerken. Ich ging damit um, eine Abhandlung über Kantzow auszuarbeiten, als plötzlich die lange vermißten Kantzowischen Fragmente***) in der von Löperschen Bibliothek zu Stramehl bei Labes sich wiederfanden, und durch die Güte der Herren von Löper zur beliebigen Benutzung für den Druck auf geraume Zeit mir überlassen wurden. Dies entschied über die Form meiner schon entworfenen Arbeit. Nach genommener Rücksprache mit kundigen Freunden beschloß ich, aus jenen Fragmenten zunächst und hauptsächlich den Ersten Theil, d. i, die Niederdeutsche Chronik****), abdrucken zu lassen. Ganz und unverstümmelt dieselbe mitzutheilen, obwohl sie an Inhalt mit den Hochdeutschen Chroniken desselben Verfassers (Fragm. 3. und. Cod. Schwarz) großentheils übereinkömmt, veranlaßte mich die Erwägung: daß, wie ich zu zeigen hoffe, bis jetzt überhaupt noch kein reiner Kantzow gedruckt ist; daß diese Niederdeutsche Chronik in sprachlicher Hinsicht sowohl, als durch die naive Darstellung ihren selbstständigen Werth hat; daß das geschichtlich Neue, welches sie liefert (S. 162—230), ohne den Anfang der Chronik zu geben, für die muthmaßlichen Leser nicht räthlich schien; daß endlich durch diese älteste der Deutschen Chroniken Pommerns ein Hauptglied in der bisher verworrenen Reihe theils der Kantzowischen, theils der Pommerschen Chroniken überhaupt ächt und klar hingestellt wird. Aus den einzelnen Aufsätzen, welche den Zweiten Theil der Kantzowischen Fragmente füllen, wählte ich zur Mittheilung das Erste Buch der Hochdeutschen Chronik in seiner letzten Ueberarbeitung, und den Schluß des fünften, wie die beiden ersten Nummern des Anhanges zeigen. Die mehrfache Wichtigkeit jener Aufsätze wird bei Sachkennern diese Wahl rechtfertigen.

Den Dritten Theil der Fragmente, d.i. Kantzow’s ungedruckte Hochdeutsche Chronik Erster Hand, welche als ergiebige Sprachquelle Aufmerksamkeit verdient, aus dem sicher lesbaren Autographon ganz herauszugeben, bleibt vielleicht einer späteren Zeit vorbehalten. Proben derselben und der bisher gleichfalls unbekannten Niederdeutschen Pomerania oder der sogenannten Klemptzenschen Chronik legen wir im dritten Abschnitte des Anhanges vor. Der vierte Abschnitt soll hauptsächlich ein Beitrag seyn zur Sachkritik des Kantzow.

Die Kantzowischen Urschriften sind im Ganzen nicht schwierig, und bei angewandter Mühe mit wenigen Ausnahmen überall sicher zu lesen. Daß der hier gelieferte Abdruck in sprachlicher Hinsicht die Handschriften auf das genaueste wiedergebe, ist als eine Hauptsache mit möglichster Sorgfalt beachtet worden, insbesondere auch um des Vergleiches willen mit Kosegartens Pomerania. Anstatt der Interpunction der Urschrift ist die heutige gewählt worden, welches auch eine Veränderung der großen und kleinen Anfangsbuchstaben nach sich gezogen hat. Alle große Anfangsbuchstaben im Texte, die an Conjunctionen und anderweitig dem Leser auffallen mochten, sind aus der Urschrift beibehalten. Wenn deren nicht noch mehr vorkommen, so liegt dies an einem anfänglichen Schwanken des Herausgebers. Doch ist genug hierin geschehen, um Kundigen den Zustand der Orthographie anzudeuten. Wer mehr zu wissen wünscht, wird die Einsicht der Handschriften bei der Gesellschaft für Pommersche Geschichte zu Stettin leicht erlangen. Da Kantzow’s eigene Handschriften o und ö, u und ü meistentheils nicht unterscheiden, und es sehr schwierig sein möchte, bei jedem einzelnen Worte die gebührende Aussprache mit Sicherheit zu bestimmen, wenn man nicht etwa heutiges Nieder- oder Hochdeutsch willkührlich zur Richtschnur nehmen wollte; so habe ich vorgezogen, wie der Verfasser selbst gewöhnlich thut, nur o und u zu schreiben, und die Aussprache des ö und ü dem kundigen Leser zu überlassen. Dies gilt für die Niederdeutsche Chronik und die drei ersten Anhänge. In Betreff der Niederdeutschen Schriftsprache und ihrer Verschiedenheit von den noch lebenden Niederdeutschen Wundarten bezieht sich der Herausgeber auf einen von ihm gelieferten Aussatz in den Baltischen Studien Jahrg. 2, 139 ff.

Das Glossar wünschte ich allerdings genügender haben ausarbeiten zu können. Wo man aber alle Hülfsmittel mühsam, allmählig und bis zum letzten Augenblicke erst zusammenbringen muß, wo in öffentlichen Bibliotheken der Sprachzweig des Germanischen erst seit kurzem anfängt ein wenig beachtet zu werden, wo eine Sammlung für das Niederdeutsche erst seit Jahr und Tag im Entstehen ist; da kann freilich eine solche Arbeit nicht so gedeihen, wie an Orten, wo vollkommenere Sammlungen und der Rath geübter Kenner es möglich machen, auch auf unbetretenerem Pfade sich wie im Fluge zurecht zu finden.

Besonderen Dank endlich bin ich den Männern schuldig, welche bereitwillig meine Arbeit unterstützt haben durch Anleihe wichtiger Werke oder durch Beförderung der angestellten Nachforschungen; als vor Allen den Herren von Löper auf Stramehl, Wedderwill, Stölitz u. s. w., den bisherigen Besitzern der Kantzowischen Fragmente, und großmüthigen Schenkern ihrer ganzen Pommerschen Bibliothek an die Gesellschaft für Pommersche Geschichte zu Stettin; ferner dem Herrn Dr. Gustav Kombst, früher zu Stettin, dem Herrn Baron von Medem, Archivar des Provinzial-Archives zu Stettin, und andern Männern, deren Gefälligkeit zu erwähnen ich weiterhin ungesucht Anlaß finden werde.
Stettin, den 12. Mai 1834. W. B.




*) S. Pischon, Koberstein u, A., Franz Hörn’s Gesch. d. d, Poesie u. Ber. 3, 30: „Sollten etwa einige Leser mit solchen Chroniken noch nicht vertraut seyn, so darf ich sie fürs erste nur auf den trefflichen Pommer Kantzow verweisen, dessen Pomerania, von Kosegarten 1816 herausgegeben, fast Alles leistet, was man von einer guten Chronik erwarten darf. Auch der Styl ist lebhaft und behaglich, wovon sich jeder leicht überzeugen kann, selbst wenn er nur die Geschichte des Herzogs Bogislav X. gelesen. Wie deutlich tritt die unglückliche Jugend des Fürsten hervor, wie wohl gezeichnet in rüstiger und ruhiger Einfalt der rettende Bauer, wie farbig des Herzogs Kampf mit den Türken u. s. w.“

**) Der Cod. Mild.

***) Koseg. Pom, I, 10.

****) Vergl. was in dem Zweiten Abschn. der Einl. über dieselbe gesagt wird.