Dritte Fortsetzung

Im Gouvernement Voroniz errechnet die Volkszählung fast eine Million Ukrainer, (36,2%). Eine Linie, welche Staryj Oskol mit Novochopersk verbindet, teilt das Gouvernement in zwei ungefähr gleiche Hälften: eine nördliche, wo es fast gar keine Ukrainer gibt, und eine südliche, wo sie in kompakten Massen wohnen oder wenigstens beträchtliche; Minderheiten bilden. Die vier südlichen Bezirke weisen eine ukrainische Mehrheit auf, welche im Bezirke Ostrohozsk bis zu 90,3%, im Bezirke Bohucar bis zu 81,8% geht, wes halb diese zwei Bezirke zu den reinsten ukrainischen Siedlungsgebieten gehören. Im Bezirke Birjuc haben wir 70,2%, in Valujki 51,6% Ukrainer. Zu dem letzteren müssen wir bemerken, dass die hier durch die Volkszählung ausgewiesene geringe Überzahl des ukrainischen Elementes verdächtig erscheint, da der Bezirk Valujki den ans Charkivsche angrenzenden südwestlichen Teil des Gouvernements einnimmt und von allen Seiten von Bezirken mit 70 — 90% Ukrainern umgeben ist. Ferner haben wir im Gouvernement Voroniz einen Bezirk mit einer bedeutenden ukrainischen Minderheit, und zwar den Bezirk Pavlivsk (42% Ukrainer gegen 57,9% Großrussen); dessen südlichen Teil, der keilförmig, zwischen zwei rein ukrainische Bezirke, Ostrohozsk und Bohucar, hineinragt, schlagen wir zum geschlossenen ukrainischen Territorium. Die etnographische Grenze geht von der Grenze des Gouvernements Kursk nach Osten mit der Wasserscheide der Flüsschen Potudana und Sasna, sich immer mehr dem letzteren nähernd, erreicht bei Korotojak den Don, läuft donabwärts bis Pavlovsk, dann wendet sie sich nach Osten und Kordosten und erreicht, längs der Wasserscheide zwischen der Osereda und der Pidhirna, linken Nebenflüssen des Don, verlaufend, die Grenzen des Donschen Gebietes.*)

*) Wir müssen bemerken, dass auf der Karte von Rittick-Petermann und auf der ukrainischen Karte von Velycko die ethnographische ukrainische Grenze im Kurskschen, Voronizschen und weiter südöstlich meist ungenau gezogen ist.


Nun gehen wir zur Betrachtung der östlichen Grenze des geschlossenen ukrainischen Territoriums über. Über die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung des Gebietes des Donschen Kosakenheeres begegnen wir in der Literatur sehr verschiedenen Ansichten. Gewöhnlich überwiegt die Meinung, dass die Ukrainer hier die Mehrheit haben. Eine solche Ansicht hat auch der Verfasser des Aufsatzes „Donska oblastj“ im großrussischen enzyklopädischen Lexikon von Brockhaus und Efron ausgesprochen. Die Volkszählung von 1897 hingegen weist hier 66,8% Großrussen und nur 28,1% Ukrainer aus. Ja noch mehr. Nach ebenderselben amtlichen Volkszählung hat von allen Bezirken des Donschen Gebietes nur einer, Tahanroh, eine ukrainische Mehrheit (61,7%). Außerdem finden wir noch in zwei Bezirken bedeutendere ukrainische Minderheiten: im Bezirke Donec 38,9% und im Bezirke Bostov 33,6%. Dieser letztere Bezirk hat eine sehr geringe großrussische Mehrheit (53,7%), die er nur den Städten Bostov und Nachicevan verdankt, welche zusammen fast die Hälfte der Bevölkerung des ganzen Bezirkes haben. In den Dörfern des Bezirkes Bostov bilden die Ukrainer 52% der Bevölkerung, also die absolute Mehrheit. Bekanntlich hat für den nationalen Charakter eines gegebenen Gebietes eine entscheidende Bedeutung die Bevölkerung des ganzen Gebietes und nicht die Bevölkerung der Hauptstadt, da die Stadt sich auf die Dauer dem Einfluss der Umgebung nicht entziehen kann und mit einer Änderung des politischen Systems auch plötzlich ihr nationales Aussehen verändert, sich der Umgebung anpasst. Es genügt da, auf Prag hinzuweisen, das in verhältnismäßig kurzer Zeit aus einer überwiegend deutschen eine rein tschechische Stadt geworden ist. Das berechtigt uns auch, den Bezirk Bostov zum geschlossenen ukrainischen Gebiet zu rechnen. Was den Bezirk Donec betrifft, so müssen wir ihn vorläufig ausschalten, solange wir keine sachlichen Angaben besitzen, welche die offizielle Statistik umstoßen oder wenigstens genau angeben würden, in welchen Teilen des Bezirkes die Ukrainer in kompakten Massen wohnen. Verschiedene Vermutungen, die von verschiedenen Autoren darüber ausgesprochen worden sind, bleiben vorläufig bloße Vermutungen. Von diesem Standpunkte aus ziehen wir die östliche Grenze des ukrainischen ethnographischen Gebietes folgendermaßen: vom Quellgebiet des Flüsschens Pidhirna, eines linken Nebenflusses des Don, in südwestlicher und südlicher Richtung längs der östlichen Grenzen der Gouvernements Voroniz und Charkiv, dann längs des Donec bis zur Einmündung der Bila, eines rechten Nebenflusses des Donec bilaufwärts bis zu ihren Quellen, von hier gerade aus nach Süden zu den Quellen des Flüsschens Ivripka und parallel dazu bis zum Tuslov, einem rechten Nebenfluss des unteren Don, schließlich den Don zwischen Nachicevan und Aksaisk übersetzend in südöstlicher Richtung zum Fluss Kugu-Jeja, oberhalb des Ortes Zubov an der Grenze des Kuban-Gebietes.

Diese östliche Grenze des geschlossenen ukrainischen Territoriums ist durchaus nicht gleichbedeutend mit der Grenze der Verbreitung des ukrainischen Elementes. Die ukrainische Kolonisation geht noch heute in unaufhaltsamem, mächtigem Strome immer weiter nach Osten und erfasst immer neue Gebiete. Wir haben früher erwähnt, dass der ans Charkivsche grenzende Bezirk Donec des Donschen Gebietes bei der Volkszählung von 1897 38,9% Ukrainer aufwies. Auf ihrem altgewohnten Wege das schon früher durch groß russische Kolonisation besiedelte mittlere Dongebiet treffend, durchdringen die Ukrainer dieses Gebiet; ein Teil der Ansiedler lässt sich auf dem Gebiete der Donschen Kosaken nieder, unaufhörlich die ukrainische Beimischung unter ihnen vermehrend, die Hauptmasse geht weiter. Von hier an teilt sich der Weg der östlichen ukrainischen Kolonisation. Der eine geht in südöstlicher Bichtung über die Bezirke Novochopersk (6,8) Ukrainer und Ust-Medvedeck (10,6%) des Dongebietes an die Wolga, in die Gouvernements Saratov und Samara. Die vier südlichen Bezirke des Gouvernements Saratov wiesen im Jahre 1897 bereits einen ansehnlichen Prozentsatz ukrainischer Bevölkerung auf: Kainysin 15,1% (Großrussen 44,4%), Atkarsk 13,4%, Balasovsk 13,2%, Caricin 8%. Im Bezirke Novouzensk, der den südlichen Teil des Gouvernements Samara einnimmt, gab es 17% Ukrainer gegen 39,9% Großrussen. Weiter reicht die ukrainische Kolonisation über die Gouvernements Orenburg (Bezirk Orenburg 5,4%, Bezirk Orsk 4,3% Ukrainer) und Tomsk (5,2%, in manchen Bezirken bis zu 8% Ukrainer) bis zu den Gestaden des Stillen Ozeans, wo die sibirische Ukraine im Entstehen begriffen ist. Im Bezirke Amur des Amurlandes verzeichnet die Volkszählung 17,5% und im Süd-Ussurilande 25 ,2% Ukrainer (gegen 33,8% Großrussen). Die zweite ukrainische Kolonisationsstraße geht in südöstlicher Richtung über die Bezirke Cerkask (18,9% Ukrainer) und Salsk (29,3% Ukrainer, 32,6% Großrussen) des Dongebietes einerseits ins Ziskaukasische, andererseits über das untere Wolgaland nach Mittelasien. Drei Bezirke des Gouvernements Astrachan weisen einen beträchtlichen Prozentsatz Ukrainer auf: Cornojarsk 40,8%, Carev 38,2%, Jenotajivsk 18%. Im Gebiete von Akmolinsk und Semirecensk kommt der Prozentsatz der ukrainischen Kolonisation fast dem der großrussischen gleich, im Bezirke Cimkent und Avlistensk des Sir Darjalandes übertrifft er denselben sogar. In allen diesen Gebieten (mit Ausnahme von Ziskaukasien) wohnten im Jahre 1897 jenseits der ethnographischen Grenzen der eigentlichen Ukraine etwa 1.100.000 Ukrainer.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Territorium und Bevölkerung der Ukraine