Samstag den 11. bis Mittwoch den 15.

Samstag, 11. Hatte verschiedenes vor, beschloß aber zu Figdor zu gehen, um das Nähere wegen der Partie nach Windsor zu erfahren. Fand ihn dort mit ein paar preußischen Windbeuteln, die ihn um Geld prellen wollten, die er aber herzhaft ablaufen ließ. Endlich kam auch Götvös, ein armer Teufel von Ungar, der nach Nordamerika auswandern will. Gingen endlich zu unserm dritten Reisegefährten, der aber drohenden Wetters halber nicht mit wollte. Uns fing auch an die Lust zu vergehen, da der Himmel jeden Augenblick Regen drohte und ein kalter Westwind jede Annehmlichkeit hinwegnahm. Ich wäre gern in die Gerichtshöfe gegangen, der Sprache wegen; wollte aber Figdor nicht beleidigen, der sich meinetwegen von allen Geschäften freigemacht hatte, und so gingen wir in der Stadt herum, besahen eine Society of arts, in dem schlechte Maschinenmodelle standen und nicht viel bessere Bilder hingen. Hunger-ford-Market, einiges Beiläufige. Gingen ins Hôtel de la Sablonière essen. Abends nach Haymarket ins Theater, wo man School for Scandal gab. Das Spiel teilweise sehr gut. Miß Tree als Lady Teazle ausgezeichnet. Miß E. Philipps fiel mir wegen ihres echt englischen Wesens in Sprache und Benehmen nicht unangenehm auf. Vandehoff als Joseph Surface gut, manchmal etwas gesucht. Gut Vining als Charles, nur gibt er die Weigerung, des Onkels Bild zu verkaufen, gleich von vornherein zu ernsthaft. Mrs. Glover als Klatscherin sehr brav. Mr. Webster, Sir Peter Teazle, hat die üble Gewohnheit, aus Streben nach Mimik fortwährend die häßlichsten Gesichter zu schneiden, was einen unerträglichen Eindruck macht und die Mimik doch nicht ersetzt. Sonst viel Gutes. Im ganzen war die Darstellung doch nicht à la hauteur des Stückes. Man merkte das Theater vom zweiten Rang.

In Verys Kaffeehaus, Regent's-street, noch ein Glas Eis genommen und die Abendzeitungen gelesen. Große Aufregung unter den Leuten. Man glaubt, es müsse zu einem Bruche mit dem Oberhause kommen. Die Tories sind vorige Nacht in einer Minorität von 86 geblieben, und doch scheint nicht, daß sie nachgeben wollen. Schein trügt oft.


Sonntag, den 12. Fuhr mit Figdor um zehn Uhr nach Windsor. War, des Sonntags wegen, nicht im stande, eine Tasse Thee in London zu bekommen, und mußte daher nüchtern die 27 englischen Meilen machen. Die Gegend dahin weniger schön, als nach der übertriebenen Beschreibung eins glauben sollte. Wir saßen outside, und es fing an zu regnen, hörte aber zum Glück bald auf. Doch schien der Tag gefährlich bleiben zu wollen. Windsor-Castle macht bei Vormittagbeleuchtung keinen besonderen Eindruck. Die gotische Bauart, verbunden mit dem abgeputzten, neuen Ansehen, hat etwas Disharmonierendes, Spielwerkartiges. Auch da die Gegend ohne Berge, ja (den Hügel, auf dem das Schloß liegt, abgerechnet), selbst ohne Anhöhen ist, macht die gerade Beleuchtung von oben einen kahlen Eindruck. Nahmen in der Eile ein unentbehrliches Frühstück und gingen in den Park, nachdem wir für sechs Uhr Platz zur Rückkehr bestellt hatten und das Schloß, als den nächsten Gegenstand, für die letzte Stunde vor der Abfahrt aufsparten. Der Park ist schön, doch wüßte ich nicht, worin das Besondere läge, vornehmlich für einen, der aus Oestreichs schönen Gegenden kömmt und nicht aus dem Berliner Tiergarten. Die kolossale Statue Georgs des Dritten. Hatten so viel von den Virginia Waters reden gehört, daß wir sehr lüstern nach ihnen waren. Der Park war ganz menschenleer. Gingen kreuz und quer durch zwei Stunden, bis wir endlich das Wunderwerk erreichten, das so unbedeutend ist, als etwas in der Welt. Ein artiges Stück Wasser, leidlich von Baumgruppen umgeben. Ein paar Segelschiffe darauf. Soll ein chinesischer Tempel da sein, in den man aber nicht hinein darf, wenigstens nicht am bigotten Sonntage. Hatten uns in unserer (nicht meiner) Hartnäckigkeit so übergangen, daß wir erst gegen halb sechs Uhr nach Windsor zurückkamen. Wollten das Schloß nachholen. Der eingeschlagene Weg ward uns, als nur für die königliche Familie bestimmt, verwehrt. Mußten einen andern einschlagen, verloren den letzten Rest der Zeit und konnten, da ohnedies das Innere des Schlosses am Sonntag nicht zu sehen war, kaum einen schnellen Ueberblick des Gebäudes und der Aussicht von der Terrasse gewinnen. Letzterer ist bei Abendbeleuchtung wirklich bezaubernd. Die längeren Schatten geben Mannigfaltigkeit, das rote Licht mischt den schönen Rasen mit Gold. Ohnehin ist die Umsicht weit, durch nichts als die natürliche Entfernung beschränkt. Die Massen des Schlosses lösen sich voneinander ab. Es verliert das Kartenhausmäßige und zeigt sich schön. Die Terrasse selbst wunderhübsch mit Blumen und Statuen. Heute war Musik da, viel Spaziergänger. Die Luft so weich, rein und angenehm, als irgendwo in der Welt. Ein bezaubernder Ort.

Mußten einsitzen und zur Stadt zurück, da nach sechs Uhr keine stage-coach mehr fährt. Im Wagen zwei Wiener. Schnelle Bekanntschaft. Aßen mit ihnen um zehn Uhr nachts zu Mittag im Hôtel de la Sablonière, wo sie wohnen. Figdor macht sich unliebenswürdig. Die Fremden gefallen ihm nicht, und er weder ihnen noch mir. Der Verlust eines Schnupftuches ihn ärgerlicher gemacht, als billig. Vor elf Uhr trennen wir uns. Der Spaß hat einen Sovereign gekostet, was er wahrlich nicht wert ist.

Montag, 13. Juni. Ging zu Figdor, der in seiner Gutmütigkeit sich für verpflichtet hält, mir die letzten Tage meines hiesigen Aufenthaltes noch die Honneurs der Stadt zu machen. Und ich gehe fleißig zu ihm, obschon mir's wahrhaftig lieber wäre, meine Zeit allein zu benützen. Geradeso war's in Paris mit Brant.

Nu also, heute war mein Paß bei der östreichischen Gesandtschaft zu visieren. Wir gingen zusammen hin. An der Krontaverne, im Strand, drängten sich die Leute. Unten im Eingange lag eine Petition zur Unterschrift, oben war ein Meeting. Wir gingen hinauf. Im Saale, von Menschen umringt, waren Hustings, auf denen ein ziemlich übel aussehender Mann schwadronierte. Der Anteil der Zuhörer schien nicht sehr groß, als auf einmal Lärm entsteht. Zudrängen, Geheul, Schreien: throw him out! throw her out! Ich glaubte, ein Taschendieb sei ertappt worden. Es war aber Mistreß Courtenay mit ihrem dreizehn- oder vierzehnjährigen Burschen, den sie für O'Connells Sohn ausgibt. Sie hatte diese Gelegenheit benützen wollen, um ihre Ansprüche geltend zu machen, hatte sprechen wollen und wurde eben jetzt im strengsten Wortverstande hinausgeworfen. Anfangs that sie etwas weinerlich, auf der Straße aber gesellte sie sich ziemlich ruhig zu einigen, die sie da erwarteten, und ging mit ihnen fort, als ob nichts geschehen wäre. Sie und der Bube sehen ziemlich ärmlich aus, letzterer hat rotes Haar, was der gerühmten Ähnlichkeit mit dem schwarzhaarigen O'Connell nicht sehr entspricht.

Darauf besahen wir die Kensington Gardens mit dem Palast der Prinzessin Viktoria. Die Gärten wunderschön, eine schöne Natur mit sorgfältig versteckter Kunst. Der Palast ein wunderliches Gemäuer, ziegelrot, im Geschmack des St. James-Palace. Der freie, grüne, von Baumgruppen begrenzte Platz vor dem Schlosse das reizendst Großartige, was man irgend sehen kann. Es war nahe an sieben Uhr, daher zu spät, zum Essen nach Hause zu gehn. Fuhren im Omnibus. Eine ordentlich aussehende Dame, die behauptet, ihren Geldbeutel verloren zu haben, und der ich daher einen Schilling borge, den Wagen bezahlen zu können. In Coventgarden gespeist, in einem vortrefflichen, aber unsinnig teuern Hotel. Roastbeef, von einer Zartheit wie Lammsfleisch, Moselwein, recht gut, aber für eine halbe Million. Abends ins Coventgardentheater. Eine neue Oper oder, wie es heißt: Operatic romance, The sexton of Cologne. Die Sänger nicht übel, die Musik leidlich, Dekorationen verschwenderisch. Darauf The hunchback, in dem der Verfasser Sheridan Knowles selbst spielte. Er nahm die Rolle lustiger, als bei uns geschieht und überhaupt, wie es scheint, geschehen sollte. Miß Faucits eine vortreffliche Schauspielerin. Manchmal mit etwas Uebertreibung. Aber was für natürliche Vollkommenheit! Ich weiß nichts so Imposantes in Deutschland. Das ist der Ausdruck. Imposant sind die hiesigen besseren Schauspieler. Ich weiß außer der Schröder keinen imposanten Schauspieler in Deutschland. Schöne Figur, schönes Haar, prächtiges Auge, herrliches Organ. Nichts hingeworfen, vernachlässigt, alles gehalten. Die Deutschen streben bis zur Unbedeutenheit, natürlich zu sein; hier wissen sie wenigstens, daß sie eine Kunst ausüben.

Frechheit der Weiber in den Korridors. Uebrigens alle hübsch und prächtig gekleidet. Gegen Mitternacht nach Hause. Dienstag

14. Juni. Ging mit Figdor, einen Platz im Dampfboot zu nehmen, das übermorgen nach Antwerpen abgeht. Nur noch die letzte Kajüte erhalten. Pässe besorgt. Den Entlaßschein in Alien-office. Darauf ins warme Schwimmbad. Recht hübsch, aber halb unreinlich, halb unanständig. Man muß nackt ins Wasser gehn, das, wie natürlich, nicht ohne Spuren der Badenden ist. Darauf nach dem Strand zu Tisch.

Abends in die italienische Oper. Othello. Die Grisi vortrefflich, ihre beste Rolle. Rubini den Othello, lächerlich! Er läßt eben alles fallen, was den Charakter zum Charakter macht. Tamburini, Jago. Winter, Rodrigo. Chöre und Orchester besser als gewöhnlich.

Vormittags sah ich im Vorübergehen bei einem Wirtsgarten zwei Boxer. Es war von vornherein nicht im Ernst gemeint, und doch gaben sie sich Schläge auf Kopf und Brust, daß es weithin tönte. Scheußlich, ich mußte gehen.

Mittwoch, den 15. Ging noch einiges besorgen, dann eingepackt, eingepackt, eingepackt. Der Tag heiß, wie im August, der Schweiß lief mir stromweise vom Leibe. Um sechs Uhr holte mich Figdor ins Hôtel de la Sablonière ab, um mit vier Landsleuten zu speisen. Herr Miesbach, sein Neffe und zwei Ungarn. Artige Leute. Miesbach traktiert mit Champagner.

Nach Tisch ins Strandtheater, das ich noch nicht gesehn. Sehr klein, aber artig. Sehr gute Schauspielerin, deren Namen ich vergessen. Früh mit Figdor nach Hause. Vorher aber noch jeder bei Very drei Gläser Eis gegessen, so unerträglich heiß war es.