Donnerstag, 16, Juni. Tag der Abreise.

Donnerstag, 16, Juni. Tag der Abreise. Wieder gepackt, die Rechnung bezahlt, die die gute Frau Williams doch höher angesetzt, als anfangs ausgemacht war. Uebrigens doch billig. Frühstück. Ein junger Deutscher, der im Hause wohnt, Schultze aus Mecklenburg, will die Reise bis Mainz mitmachen. Ist ein artiger Mensch. Figdor kommt. Ein Wagen wird geholt. Abschied. Mistreß Williams hat Thränen in den Augen. Auch die kleine Bella scheint betrübt. Händedruck, Good by! und in den Wagen. Das Custom-house ist erreicht, die Effekten in ein Boot gebracht, wir rudern zum Dampfschiffe. Figdor begleitet uns an Bord. Das Schiff ist keins der hübschesten, auch keins der schnellsten, wie man sagt. Erst vor 14 Tagen mußte es drei Tage bei Vließingen liegen bleiben, weil die Maschine brach. Es heißt »Der Tourist«. Besehe mir die Kajüte, ein Hundestall, obgleich innen von Mahagoni und Bronze. Das Verdeck voll Reisender, fast ausschließlich Engländer.

Ich fürchtete ein wenig das Meer, denn ich war schon beim Einsteigen ins Schiff so gut als seekrank, wahrscheinlich vom gestrigen Champagner. Ich wußte mir in der Eile nicht besser zu helfen, als ein großes Glas Grog zu trinken, was wirklich half.


Um halb eilf Uhr fahren wir ab, bei regnichtem, aber windstillem Wetter. Machen noch einmal, zum letztenmal, die Wasserstraße von London durch. Schon sind die ostindischen Docks erreicht. Die Häuser werden spärlicher, verlieren sich. Die Themse schwillt zum See an, die Ufer weichen immer weiter zurück, werden unscheinbarer; verschwinden. Wir sind in offener See. Man deckt zum Mittagmahle auf dem Verdeck, in den Kajüten. Ich nehme teil und trinke zur Magenstärkung eine Pint Sherry. Der Tag haspelt sich ab. Kurze Konversationen. Ein artiger Schwede, der deutsch spricht. Ein andrer, nur des Französischen mächtig. Eine englische Familie, die mir wohlgefällt. Der Vater ein Lebemann, zwei erwachsene Sohne wie junge Jagdhunde, und die Mutter noch jetzt schön. Ein paar andere nicht üble Frauenzimmer; Abendthee. Es hat geregnet und wird nun immer kälter und kälter. Ich nehme meinen Mantel, und da außer Regen und Kälte auch schon die Nacht anfängt, die Gegenstände unkenntlich zu machen, gehe in die Kajüte, die mit Matratzen und Schläfern besät ist. Krieche in mein Loch. Fange zwei- bis dreimal an, einzuschlafen, werde aber immer wieder durch Lärm aufgeweckt. Wache zum letztenmal auf und kann nun nicht mehr einschlafen. Die Ausdünstung so vieler Schlafenden war unerträglich. Endlich werden die Kajütenfenster licht. Ich gehe aufs Verdeck, es ist halb vier Uhr, Schultze ist schon da. Die hübschesten Weiber und Mädchen liegen in Betten und Mäntel eingehüllt, kreuz und quer auf dem Deck. Die Zimperlichsten lümmeln herum, wie die Lastträger. Die Temperatur erträglich. Feiner Regen rieselt noch immer. Bald zeigt sich rechts ein Streifen Land. Es ist die belgische Küste, links Walcheren, wir laufen in die Schelde ein. Unzahl von Seehunden, die auf einer Sandbank spielen und sich ins Meer stürzen. Vließingen. Holländische Fregatte. Ein neuer Lotse an Bord gebracht, Frühstück, Erwartung. Endlich ein senkrechter Nebelstreif, der Turm der Kathedrale von Antwerpen. Die Schelde verengt sich zum Fluß. Wir sind in der Stadt. Artiges Benehmen der Zollbeamten. Keine Frage nach einem Passe. Wir beschließen, samt den beiden Schweden, ins Gasthaus St. Antoine zu gehen, von welchem aus ein Aufwärter zum Menschenfang aufs Schiff gesendet worden ist. Wandelte durch die altertümliche Stadt. Nur halb altdeutsch, halb vielleicht spanisch. Gute Zimmer im Gasthof. Sogleich in den Dom. Wunderschön. Der Turm scheint aus der Ferne größer, ist aber von herrlicher Arbeit. Das Aeußere schwunghafter als Notre Dame, das Innere mit fünf fast gleichbreiten Schiffen (und darin Notre Dame nachstehend, wo das Hauptschiff breiter ist), durch Anweißen verdorben. Sonst herrlich. Und was für Gemälde: Rubens' Kreuzabnahme, gewiß das edelste Bild dieses Malers, an die besten Italiener erinnernd. Die Himmelfahrt Mariä, an der die Jungfrau selbst der schwächste Teil. Noch mehrere gute, ja vortreffliche Sachen. Die Kirche selbst durch eine Kuppel merkwürdig, was sonst bei altdeutschen Kirchen nicht der Fall ist. Nach Tisch ins Museum. Ein vortrefflicher Quentin Metsys. Mehrere vortreffliche Sachen. Der bekannte Christus, auf Marias Schoße liegend, von Van Dyk. Ausgezeichnetes von de Voß. Die einbrechende Dunkelheit verbot längere Besichtigung. Ein wenig durch die Stadt. Das schöne Rathaus, durch Abbildungen bekannt. Die Stadt scheint sehr herabgekommen, oder ist es der Abstich von dem lauten, riesenhaften London, was diesen Eindruck macht? In drei Stunden nicht eine Kutsche gesehen. Nach Hause. Thee getrunken, um zehn Uhr zu Bette.