Etwas Näheres über die Sage von der weißen Frau

Nach Joh. Jac. Rhode, Lazius, Waldenfels, Stilling und andern Chroniken- Schreibern.

Otto, Graf zu Orlamünde, starb 1340 (nach andern 1275, 1280, 1293) mit Hinterlassung einer jungen Witwe, Agnes, einer gebornen Herzogin von Meran; mit welcher er zwei Kinder, ein Söhnlein von dreien, und ein Töchterlein von zweien Jahren erzeugt hatte. Die Witwe saß auf der Plaffenburg und dachte daran, sich wieder zu vermahlen. Einstens wurde ihr die Rede Albrechts des Schönen, Burggräfin zu Nürnberg, hinterbracht, der gesagt hatte: „gern wollt ich dem schönen Weib meinen Leib zuwenden, wo nicht vier Augen wären?“ Die Gräfin glaubte, er meinte damit ihre zwei Kinder, sie standen der neuen Ehe im Weg; da trug sie, blind von ihrer Leidenschaft, einem Dienstmanne, Hayder oder Hager genannt, auf, und gewann ihn mit reichen Gaben, dass er die beiden Kindlein umbringen möchte. Der Volkssage nach, sollen nun die Kinder diesem Meuchelmörder geschmeichelt und ihn ängstlich gebeten haben:


„Lieber Hayder, lass mich leben! ich will dir Orlamünden geben, auch Plaffenburg des neuen, es soll dich nicht gereuen“

sprach das Knäblein; das Töchterlein aber:

„lieber Hayder, lass mich leben, ich will dir alle meine Docken geben.“

Der Mörder wurde hierdurch nicht gerührt, und vollbrachte die Untat. Als er später noch andere Bubenstücke ausgerichtet hatte, und gefangen auf der Folter lag, bekannte er, „so sehr ihn der Mord des jungen Herrn reue, der in seinem Anbieten doch schon gewusst habe, dass er Herrschaften auszuteilen gehabt: so gereue ihn noch hundert Mal mehr, wenn er der unschuldigen Kinderworte des Mägdleins gedenke.“ Die Leichname der beiden Kinder wurden im Kloster Himmelskron beigesetzt, und werden zum ewigen Andenken der Begebenheit als ein Heiligtum den Pilgrimmen gewiesen.

Nach einer andern Sage soll die Gräfin die Kinder selbst getötet, und zwar Nadeln in ihre zarte Hirnschalen gesteckt haben. Der Burggraf hatte aber unter den vier Augen die seiner beiden Eltern gemeint, und heiratete hernach die Gräfin dennoch nicht. Einigen zufolge, ging sie, von ihrem Gewissen gepeinigt, barfuß nach Rom, und starb auf der Stelle, so bald sie heimkehrte, vor der Himmelskroner Kirchtüre. Noch gewöhnlicher aber wird erzählt: dass sie in Schuhen, inwendig mit Nadeln und Nägeln besetzt, anderthalb Meilen von Plaffenburg nach Himmelskron ging, und gleich beim Eintritt in die Kirche tot niederfiel. Ihr Geist soll in dem Schloss umgehen, auch erscheinen in den Schlössern mehrerer fürstlichen Häuser, deren Geschlechter nach und nach durch Verheiratung mit dem ihren verwandt geworden sind. Namentlich zu Neuhaus in Böhmen, zu Berlin, Baireuth, Darmstadt, Carlsruhe, Cleve und Stuttgart. Sie tut niemanden zu Leide, neigt ihr Haupt vor wem sie begegnet, spricht nichts, und ihr Besuch bedeutet einen nahen Todesfall, manchmal auch was Fröhliches, wenn sie nämlich keine schwarze Handschuh an hat. Ihre Tracht ist ein Sterbekleid und eine weiße Schleierhaube; an der Seite trägt sie ein Schlüsselbund. Zuweilen soll sie in fürstliche Kinderstuben Nachts, wenn die Ammen Schlaf befällt, kommen, die Kinder wiegen und vertraulich umtragen. Einmal als eine unwissende Kinderfrau erschrocken fragte: „was hast du mit dem Kinde zu schaffen?“ und sie mit Worten schalt, soll sie doch gesagt haben: „ich bin keine Fremde in diesem Haus wie du, sondern gehöre ihm zu; dieses Kind stammt von meinen Kindeskindern. Weil ihr mir aber keine Ehre erwiesen habt, will ich nicht mehr hier einkehren.
Th.