V. Die Masse des sogenannten Moränenmaterials.

1. Beim sogenannten Moränenmaterial kommt nicht bloß die Beschaffenheit, sondern auch die Masse in Betracht, da diese als erstaunlich groß bezeichnet wird. Ich gebe hier Dr. Penck das Wort, welcher sich über die Mächtigkeit der glacialen Ablagerungen in Süddeutschland (S. 327) folgendermaßen hören lässt: „Die schwäbisch-bayerische Hochebene hat zweifellos eine Erhöhung ihres Niveaus erfahren. Die Anschwemmungen der ersten Vergletscherung, die diluviale Nagelfluh, bedecken sie in großer Mächtigkeit; nicht minder beträchtlich sind die Werke der letzten beiden Vereisungen, Moränen und Schotter, aus dem nordalpinen Vorlande entfaltet. Auf eine Breite von im Mittel mehr als 6o km ist dasselbe mit Glazialgebilden aller Art überdeckt, zwischen Iller und Lech und längs seiner Hauptströme ziehen sich enorme Massen alpinen Gerölls bis zur Donau, ganz zu schweigen von den unermesslichen Quantitäten seines Schlammes, welcher bei der Bewegung der Gerölle entstehen musste. Einstweilen mögen Schätzungen hierüber genügen, bei welchen wir vorziehen werden, mit Minimalzahlen zu rechnen. Am Nordfuße der Alpen, zwischen Iller und Inn, also auf einer Strecke von 150 km, dehnt sich ein 50 km breiter Saum von Glacialbildungen aus. Derselbe bedeckt also ein Areal von 9000 qkm. Ich bleibe sicher hinter der Wirklichkeit zurück, wenn ich die mittlere Mächtigkeit der Glacialablagerungen auf diesem Gebiete zu 60 m veranschlage, besitzt doch die Decke der diluvialen Nagelfluh allein schon die mittlere Mächtigkeit von über 30 m, welche sie an vielen Stellen noch überschreitet, und wo sie fehlt, sind die jüngeren Glazialschichten großartig entwickelt, es sei hier nur an die über 70 m hohen Steilufer des Inn bei Wasserburg und Gars erinnert. Die Gesamtmasse der Glacialgebilde aus jenem Gebiete berechnet sich hiernach zu 540 cbkm und in dieser enormen Summe sind die ausgedehnten Geröllterrassen längs der Flussläufe bis abwärts nach Passau, sind die kolossalen Schlammmassen, welche bei der Geröllbildung entstanden, sind endlich die während der beiden Interglacialzeiten erodierten Materialien nicht inbegriffen. Alles dies entzieht sich aller Berechnung. Es sollen uns hier nur die 540 cbkm beschäftigen, d. h. 540 Milliarden cbm, welche eine Last von ungefähr 1080 Millionen kg ausmachen.“

„Dieses Material besteht fast ausschließlich aus alpinen Gesteinen. Jene Masse von 540 cbkm stammt aus den Nordalpen. Nun beträgt deren breite 100 km, das Erosionsgebiet möge dieselbe Ausdehnung von 150 km haben, wie das Ablagerungsgebiet, also ergibt sich eine Abtragung des Gebietes von 36 m.“


Soweit Dr. Penck bezüglich der Alpen. Hören wir Dr. Neumayr über die Glacialgebilde anderer Gegenden, vorzüglich jener Nordeuropas: „Die Mächtigkeit der glacialen Ablagerungen ist eine sehr wechselnde; es gibt Gegenden, in denen sie nur 40 m beträgt, aber in der Regel ist sie größer, sie beträgt 100 – 200 m, und einzelne Bohrungen haben noch größere Zahlen nachgewiesen; wohl das Maximum, das bisher bekannt geworden ist, zeigte ein Bohrloch, das auf Seeland in der Nähe von Kopenhagen niedergestoßen wurde und mehr als 400 m Diluvialgebilde ergab. Rechnet man mit Helland die Mächtigkeit im Mittel zu 100 m, so erhält man immerhin 700,000 cbkm Schuttes.“

2. Diese erstaunlich große Masse soll nun von Gletschern soweit transportiert worden sein! Das ist unglaublich und rein unmöglich. Dass Wasserfluten mächtige Ablagerungen von Sand, Schutt, Gerölle u. s. w. veranlassen, ist durch zahllose Beispiele der älteren und neueren Zeit erwiesen. Denn das Wasser hat nach Neumayr eine Fortbewegungsgeschwindigkeit, welche jene des Gletschers zehnmillionenmal übertrifft. Mit dieser Geschwindigkeit stehen auch die Wirkungen der Wasserfluten in Proportion. Bei einer Neigung des Flussbettes von 30´ nimmt das Wasser Gerölle bis zur Kopfgröße mit, bei einem Neigungswinkel von 1½ ° wälzt es metergroße Blöcke weite Strecken abwärts, während es weichen Untergrund in kürzester Zeit tief aufpflügt und zu beiden Seiten durch Abschwemmung oder Unterwaschung seine Ufer erweitert. Dies gilt von jedem mäßigen Gebirgsbache zur Zeit einer Überschwemmung. Zieht man also den Wasserschwall der Sündflut in Betracht, der mit hundertmal größerer Wucht von den Berghöhen herab durch die Täler braust, die Thäler vom Ackerland tief entblößt, Hügel und Berge von losem, weichem Materiale zertrümmert und nach Art der Murbrüche mit sich fortreißt, um diese Massen besonders in der Ebene abzulagern, dann wird man die Mächtigkeit obiger Ablagerungen recht wohl erklärlich finden. Ich brauche nur auf die riesigen Muren hinzudeuten, welche nach einigen Regentagen oder nach einem lokalen Wolkenbruche entstehen, ferner auf den Bergsturz von Elm (Kanton Glarus) 1881, der 10 Millionen cbm Gestein ins Tal warf, oder auf den Mississippi, der jährlich 28 Millionen cbm feste Teile ins Meer führt, wobei ich betone, dass ich nach Umständen außer der Sündflut noch andere Überschwemmungen vor und nach derselben Anteil an der Bildung dieser Ablagerungen nehmen lasse.

3. Aber als Wirkung von Gletschern bleiben diese Massen unerklärlich. Das Eis kann allerdings Gesteine und Schutt auf dem Rücken und an den Rändern tragen (Oberflächen-, Mittel- und Seitenmoränen) oder am Grunde seines Bettes dünne Lagen mit sich fortschieben (Grundmoräne), wie dies an gegenwärtigen Gletschern beobachtet wird. Aber in der sogenannten Eiszeit waren Oberflächen- und Mittelmoränen ganz und gar unmöglich. Denn da nicht bloß einzelne Berghöhen, sondern die ganze Gegend vergletschert war und die Mächtigkeit des Eises auf 1000 und 2000 m stieg (Neumayr II. 559,594), so waren sicher alle Berggipfel vom Eise bedeckt, und nirgends ragten mehr Felsstücke hervor, so dass nirgends Steine oder Schuttmassen auf den Gletscher herabstürzen und eine Oberflächenmoräne bilden konnten. Ein Analogon haben wir am jetzigen vereisten Grönland. „Das Landeis in Grönland steigt allmählich von den Rändern nach dem Innern an; etwa 10 Meilen vom Saume entfernt, hat es 1300 m Höhe über dem Meere und einzelne Berge, wie Nunutaker, ragen noch unbeeist aus der Fläche hervor; weiter landeinwärts aber hebt es sich zu mehr als 1650 m Höhe und keine Felshöhe dringt mehr aus demselben hervor“ (Neumayr II. 693).

Es kann also von Oberflächen-, Mittel- und Seitenmoränen in jener Eiszeit keine Rede sein, höchstens von Grundmoränen. In der Tat nimmt Dr. Neumayr fast nur auf die Grundmoräne Rücksicht, indem er sich also äußert: „Die Grundmoränen spielen in der diluvialen Zeit eine viel größere Rolle als die Oberflächenmoränen, wie das bei der geringen Menge schneefreier Partien im Hochgebirge, die Material zu Seiten- und Mittelmoränen bilden könnten, ganz natürlich ist“ (II.564). Im Widerspruch hiermit hat Neumayr an einer anderen Stelle (I. 521) seine Ansicht dahin ausgesprochen, dass, möge auch die Schnee- nnd Firndecke im Hochgebirge eine sehr bedeutende gewesen sein, doch nicht alle Steilwände verdeckt gewesen seien, und diese hätten Blöcke und Schutt auf die Oberfläche der Gletscher geliefert. Allein diese Ansicht ist offenbar falsch. Denn nachdem diese Blöcke und Geschiebe gegenwärtig 150, ja 2100 km von ihren Stammorten entfernt liegen und der Gletscher diese Strecke nur mit beständigem Gefälle zurücklegen konnte, hätte das Eis, wie im Kapitel 3 nachgewiesen ist und selbst von Dr. Penck notgedrungen zugegeben werden musste, im Innern der Gebirge, von welchen die Geschiebe stammen, eine solche Höhe haben müssen, dass alle Berge tief unter ihm lagen. Es konnte daher nirgends auch nur ein Stein auf den Gletscher fallen. Das ist eine Wahrheit, die selbst die eifrigsten Gletschertheorie-Anhänger, wie Penck, Böhm u. s. w. soweit zugeben, als man dies bei ihrer Voreingenommenheit für Gletscher für möglich halten kann. Penck sagt nämlich (334): ?Wir erkannten, dass der Hauptgesteinstransport nicht auf dem Rücken der Gletscher, sondern auf deren Boden geschah.“ Und wiederum noch deutlicher (S. 52): „Alle Findlinge stammen aus Grundmoränen und nicht aus Oberflächenmoränen, deren Reste mangeln.“ Auch Dr. August Böhm (die alten Gletscher der Enns und Steyr, Jahrh. der k. k. geolog. Reichsanstalt 1885, Seite 559 ff.) gesteht fast das Gleiche zu. Über diese Schwierigkeit kommen die Geologen auch nicht mit der Annahme eines Maximums und Minimums der Vergletscherung hinweg, wie dies einem meiner Gegner beliebte. Denn sank beim Minimum der Gletscher so tief, dass Steine ans ihn herabfallen konnten, dann war es ihm wegen Mangel an hinreichendem Gefälle nicht mehr möglich, diese Last noch so weit zu schleppen, wo sie jetzt gefunden wird. Er hätte sie bereits früher abladen müssen.

4. Aber gesetzt den Fall, es hätte wirklich Oberflächenmoränen in der Eiszeit gegeben, so sind sie doch nicht imstande, auch nur den zehnten Teil der in den Ebenen abgelagerten Stein- und Schuttmasse zu erklären. Denn auch bei den heutigen Gletschern spielen die Oberflächenmoränen keine große Rolle (Neumayr, Aargletscher; Heim, S. 357). Wenn darum das sogenannte Moränenmaterial von Gletschern herrühren soll, dann kann es nur aus der Grundmoräne stammen. Es müssten also die Gletscher den Untergrund in erstaunlicher Weise ausgeschürft und das dadurch gewonnene Material unter sich fortgeschleppt haben. Für beides aber fehlt jeder annehmbare Beweis, ja beides erscheint also eine reine Unmöglichkeit. Es fällt mir natürlich nicht ein, in longum et latum die Frage über die Gletschererosion, resp. die Stärke derselben zu besprechen; denn dies ist bereits von Anderen, z. B. von Penck, Böhm, Heim mehr als zur Genüge geschehen, ohne dass eine Einigung erzielt worden wäre. Ich will nur kurz den gegenwärtigen Stand dieser Frage präzisieren und die Gründe für und gegen in Kürze berühren.

Dass das Eis an sich nicht den Untergrund erodiert oder aufschürft, wird allgemein zugegeben (Penck, 380). Es ist ihm dies nur möglich mit Hilfe von Steinen, die sich unter ihm oder in ihm eingebacken befinden. Auch das wird von Niemand bestritten. Die Frage dreht sich nur darum, ob auf diese Weise der Untergrund viel oder wenig angegriffen wird. Die einen Geologen, wie Penck, Böhm, Ramsay, Tyndall u. s. w. lassen die Gletscher gewaltig erodieren, während die anderen, z. B. Heim, Credner, Agassiz, Lyell u. s. w. (siehe Heim, S. 382) dies bestreiten. Hiebei sprechen die Geologen nicht bloß von Erosion in Bezug auf Seenbildung, sondern auch, wie man sich bei Penck (S.388 ff.) und Böhm (S.549 ff.) überzeugen kann, von Erosion im allgemeinem. Selbst Böhm, der Verfechter einer starken Erosion, sieht sich zum Geständnisse genötigt, dass diese Frage gegenwärtig noch eine offene Frage sei (S. 603). Ist also, wie Böhm damit zugibt, der Nachweis, dass die Gletscher stark erodieren, bis jetzt noch nicht erbracht, wie können dann die Geologen die erstaunliche Masse des sogenannten Moränenmaterials den Wirkungen der Gletscher zuschreiben?

5. All die Geologen, welche für eine bedenkende Erosion durch die Gletscher eintreten, stützen sich wie Böhm erwähnt, hauptsächlich auf die sogenannten eiszeitlichen starken Moränen. Denn Böhm schreibt (S. 601 u. 604): „Wir erkannten manche Umstände, welche einzig und allein unter der Annahme einer glacialen Erosion erklärlich werden, z. B. die große Mächtigkeit der Grundmoränen eiszeitlicher Gletscher . . . Alle diejenigen, welche sich mit glacial-geologischen Forschungen in den Nordalpen befasst haben, sahen sich zu der Annahme einer glacialen Erosion veranlasst. Penck eröffnete den Reigen mit seinem vielgenannten Werke über die Vergletscherung der deutschen Alpen, ihm folgte Blaas, desgleichen wurden von Brückner im Gebiete des alten Salzachgletschers Werke der Glacialerosion erkannt und auch die vor-liegenden Untersuchungen in den Tälern der Enns und Steyr haben einen ähnlichen Befund ergeben. Eingehende Forschungen in den Karpaten und den Mittelgebirgen Deutschlands haben auch Partsch zu der Erkenntnis von Gebilden der Glacialerosion geleitet.“ All diese Forscher haben also die angeblichen Überreste der alten, sogenannten eiszeitlichen Gletscher zum Gegenstand dieser Untersuchungen gemacht und aus Grund der eiszeitlichen Moränen und erratischen Geschiebe u. s. w. sich für starke Erosion ausgesprochen. Auch Neumayr schlug diesen Weg ein, wie wir aus folgender Bemerkung ersehen: „Ein Blick aus die Moränenlandschaft zeigt, dass ungeheure Massen von Material von jenen Gletschern fortbewegt wurden“ (I.520).

6. Hier haben wir nun die Geologen auf einem netten circulus vitiosus ertappt. Sie hätten gegenüber den Gegnern der Gletschertheorie den Nachweis liefern sollen, dass jene mächtigen Ablagerungen wirklich nur den Gletschern ihren Ursprung verdanken können, allein, was sie hätten beweisen sollen, das führen sie als Beweisgrund an, das setzen sie als bewiesen voraus. Sie beweisen also in einem Zuge die Existenz der Gletscher durch das Moränenmaterial und das Moränenmaterial durch die unzweifelhaft bewiesenen Gletscher! Einer meiner bisherigen Gegner bestreitet meine Behauptung, dass sich die Beweisführung der Geologen in einem falschen Zirkel bewege nnd meint, das Moränenmaterial brauche man nicht aus der Existenz der Gletscher zu beweisen; das Material könne man ja mit Augen sehen, und dass es Moränenmaterial sei, könne man aus seiner Beschaffenheit und Lagerung erkennen. Wenn letzteres richtig wäre, dann hätte mein Gegner allerdings gewonnen. Ich glaube aber im vorhergehenden Kapitel zur Genüge nachgewiesen zu haben, dass die Beschaffenheit und Lagerung des sogenannten Moränenmaterials nicht ausschließlich auf Gletscherwirkung hinweist, sondern auch und mit mehr Recht auf eine bedeutende Flut. Es bleibt also der falsche Zirkel bestehen und die Geologen haben die angeblich bedeutende Glacialerosion durch nichts bewiesen.

7. Ja, die Beobachtungen an den heutigen Gletschern zeigen klar, dass eine so bedeutende Aufpflügung des Untergrundes, wie sie den eiszeitlichen Gletschern zugeschrieben wird, rein unmöglich ist. Die heutigen Gletscher muss man in ihren Wirkungen beobachten und aus diesen jetzt gemachten Beobachtungen auf die Wirkungen ehemaliger Gletscher den Schluss ziehen. Das allein ist der richtige Weg, der zu einem zuverlässigen Resultate führt, da die Geologie eine Erfahrungswissenschaft ist. Und was lehrt das Studium der heutigen Gletscher? Zwei Geologen, welche die heutigen Gletscher eingehend untersucht haben, nämlich Dr. Heim und Dr. Neumayr mögen uns die Antwort geben. Ersterer schreibt:

a) Eine Menge von Tatsachen zeigt, dass die vorrückenden Gletscher selbst lockeren Geschiebegrund oft ganz unverändert lassen, z. B. 1815 – 1817 stieg der Suldnergletscher über einen ebenen, aus lockeren Kiesmassen gebildeten Wiesengrund. Der Boden blieb intakt und nach dem Rückzug war derselbe wie vorher. Der Glacier du Tour rückte 1818 über bewachsenen Weidegeschiebegrund vor. Er ließ den Weideboden unzerstört. Als er sich 1822 wieder zurückzog, trieben die Wurzelstöcke von trifolium alpinum wieder Blätter und Blüten; sie waren unzerstört lebensfähig geblieben. Eine sehr große Anzahl gewaltiger Gletscher stehen mit ihrem Ende, das in den letzten Jahrzehnten oft über 500 m weit zurück-gegangen war, aus unverletztem alten Geschiebegrund. Bei seinem Vorrücken gegen das Jahr 1850 hat der Obersulzbachgletscher auf lockere Schuttkegel gestoßen, die für ihn als Hindernis im Wege standen; allein den Schuttkegel vermochte der Gletscher kaum merklich anzugreifen, geschweige denn zu beseitigen.

b) Unter anderen Verhältnissen schürst ein vorrückender Gletscher seinen Untergrund auf. Im engeren Tale wälzt der vorrückende Gletscher manchmal seine ganze Endmoräne vor sich hin, im weiteren Tal stößt er nur den oberen Teil auseinander, ebnet sie einigermaßen aus und schreitet dann über die etwas abgeglichene Moräne hinweg.1818 rollte der Schwarzberggletscher einen Serpentinblock von circa 8000 cbm vor sich her quer über das Haupttal. Charpentier sah im gleichen Jahre, wie der Trientgletscher einen Wald angriff und sich zwischen den Waldgrund und Felsboden einkeilte, ersteren mit den Bäumen vor sich herwälzend. Gegenwärtig wälzt der Glacier de Zigiorenove eine ältere Moräne vor sich her. Aus den unter a) und b) mitgeteilten Beobachtungen folgt, dass die Gletscher sich verschieden verhalten können, je nach lokalen Umständen. Ganz direkte Beweise dafür, dass an vielen Stellen Gletscher den älteren Schutt an ihrem Untergrund aufarbeiten und der Grundmoräne einverleiben, sind meines Wissens von den aktuellen Gletschern noch nicht erbracht.

c) Unzweideutige tatsächliche Beobachtungen darüber, dass der Gletscher aktiv seine anstehende Unterlage in irgend welchem nennenswerten Maße ausreiße und von derselben Stücke und Blöcke, nicht nur seinen Schlamm und Sand, abtrenne, suche ich in der Literatur vergeblich. Der Beweis für eine wesentliche Bildung der Grundmoräne durch Ausarbeiten der anstehenden Unterlage ist zwar in Worten behauptet, aber bisher noch niemals durch Tatsachen gegeben worden. Etwas Schlamm und Sand ist meist der einzige Betrag, den der anstehende Felsgrund der Grundmoräne liefert. Allmähliches Ausfegen einer Schuttmasse aus einem Tal durch Gletscher halte ich nicht für unmöglich, obschon dieser Vorgang nicht tatsächlich erwiesen ist“ (Heim, S. 374 ff.).

Wie Dr. Heim berichtet auch Dr. Neumayr: „Die Menge des seinen Zerreibfels, welches die Grundmoräne liefert, ist bei allen Gletschern der Alpen eine sehr geringe, die Lage zarten Schlammes auf dem Gletscherboden eine sehr dünne; dass anstehendes Gestein förmlich ausgebrochen wird, ist wohl noch in keinem Falle sicher bewiesen; die ganz vereinzelten Angaben dieser Art bedürfen noch der Betätigung. Keinesfalls kann die erodierende Wirkung der jetzigen Gletscher der Alpen als eine sehr bedeutende bezeichnet werden. Ich war sehr erstaunt über die verhältnismäßig geringfügigen Wirkungen, welche man an den durch den Rückzug in den letzten Decennien entblößten Strecken in unseren Alpen wahrnimmt“
(I. 512)

8. ziehen wir nun aus diesen an heutigen Gletschern gemachten Beobachtungen unsere Schlüsse auf die Wirkungen der angeblichen eiszeitlichen Gletscher. Dass die eiszeitlichen ganze Gesteinslagen aufbrachen, die anstehende Unterlage ausarbeiteten, ist gänzlich abgeschlossen, da man an den heutigen Gletschern eine diesbezügliche bedeutendere Wirkung nicht nachweisen kann. Ebenso ist die Möglichkeit dafür ausgeschlossen, dass alter bereits vor der Vergletscherung angefallener Schutt unter den Gletschern, d. h. als Grundmoräne in bedeutender Menge transportiert wurde, denn die Grundmoräne der heutigen Gletscher - als eine sehr geringe - spricht dagegen. Sehr bedeutend, ja erstaunlich groß sind aber die diluvialen Ablagerungen, welche daher nicht als Grundmoräne bewegt worden sein können. Es bliebe somit nur ein Transport vor dem Gletscher, d. h. als Endmoräne übrig; solch ein Transport in etwas bedeutenderem Maßstabe ist allein an heutigen Gletschern nachweisbar. Aber diesem Transport widerspricht (abgesehen von Lagerungsverhältnissen) die ungehende Menge des abgelagerten Materials, wie es von Dr. Penck und Neumayr berechnet wurde. Solch eine ungeheure Masse, welche in Bayern allein ein Gebirge von 1000 m Höhe, 100,000 m in Länge und 5000 m Breite repräsentiert (540 cbkm), und für Norddeutschland noch größere Dimensionen annimmt, konnte von Gletschern nie und nimmer, auch nicht succesive geschoben werden, zumal, wenn man jene geringe Neigung, jenes geringe Gefälle berücksichtigt, welches die Geologen annehmen müssen, falls ihre Gletscher nicht 50,000 und 100,000 m Höhe besitzen sollen. Die Gletscher konnten diese Masse nicht schieben, es wäre ihnen vor denselben Halt geboten worden.

9. Dafür, dass die eiszeitlichen Gletscher den Untergrund bedeutend auspflügten und mächtige Grundmoränen besaßen, beruft man sich von Seiten mancher Geologen gern auf die Mächtigkeit der damaligen Gletscher. Allein Dr. Heim widerlegt diese Einwendung kurz mit folgender Äußerung (S. 385): „Der Druck des Gletschers auf die einzelnen Trümmer seiner Unterlage wächst nicht proportional der Dicke des Gletschers, sondern er nähert sich einem gewissen Maximum, über welches hinaus vermehrter Druck vorwiegend in rascher plastischer Umformung des Eises ausgezehrt wird, welche so wenig auf die Steine der Grundmoräne an den Grund drückend wirkt, als tieferes Wasser das Gerölle an den Boden stärker anpresst. Schon aus diesem Grunde darf man den Gletschern der Eiszeit nicht allzu großartige Wirkungen zuschreiben, von denen man an Gletschern der Jetztzeit nichts beobachtet, bloß wegen ihrer größeren Dicke. Die Wirkung größerer Dicke auf den Untergrund hat ihre Grenze, über welche hinaus sie sich vorwiegend in rascherer Bewegung der oberen Teile des Eisstromes äußert.“

Wenn die Sache der Gletschergeologen nicht wirklich schlimm bestellt wäre, hätte Dr. Neumayr sich nicht zu folgendem Geständnisse herbeigelassen (I. 523): „Wir haben mit der Tatsache zu rechnen, dass in einzelnen näher untersuchten Fällen das Moränenmaterial aus den Gebirgsteil, aus dem es stammt, zurückgebracht, diesen um mehr als 100 m erhöhen würde, dass also die Abtragung während der Eiszeit diesen kolossalen Betrag erreichte und davon ein Anteil auch direkter Gletscherwirkung zukommen muss. Wir stehen also bei Betrachtung der Glacialerosion in den Alpen und speziell bei der Frage der Seenbildung vor einem vollständigen Rätsel und können nur mit voller Bestimmtheit sagen, dass alle versuchten Lösungen ungenügend sind, denselben Schwierigkeiten begegnen wir bei der Betrachtung anderer vergletscherter Regionen.“ Ist das nicht ein vernichtendes Urteil? Und wie suchte einer meiner bisherigen Gegner diesem Urteile die Spitze abzubrechen? Er wollte dasselbe nur in Bezug auf Seenbildung gelten lassen, da auch nach seiner Ansicht eine Entstehung der Seen durch Gletscher undenkbar sei. Daraus erwidere ich, dass dies vernichtende Urteil sich nicht bloß aus Seenbildung durch Erosion der Gletscher, sondern auch aus Erosion der Gletscher überhaupt beziehe. Neumayr sagt nämlich, dass Moränenmaterial transportiert worden sei, dass es massenhaft bezeichnet werden müsse, aber ein Rätsel sei, weil die heutigen Gletscher nicht viel erodieren. Wenn nun das massenhafte Moränenmaterial der erodierenden und Seen bildenden Gletscher ein Rätsel ist, dann gilt das nämliche aus dein gleichen Grunde (d. h. weil die heutigen Gletscher erfahrungsgemäß nicht viel erodieren) auch für die Gletscher überhaupt; aus dem gleichen Grunde bleibt auch das massenhafte Material der Gletscher überhaupt ein Rätsel.

10. Aber dagegen protestiert Boetzkes (a. a. O.). Er meint: „Gerade die große Masse des Moränenmaterials spricht für eine lang andauernde Gletschertätigkeit und gegen eine zehn- bis elfmonatliche Überflutung. Wenn der Verfasser sagt, die heutigen Gletscher erodieren wenig, also auch die früheren, so macht er einen Fehlschluss. Denn ganz anders sind die Wirkungen der Gletscher aus einem Terrain, wo sie zum ersten Male ansetzen, als auf Talsohlen, die sie seit Jahrtausenden schon bearbeiten.“ Wir sehen also, Boetzkes betrachtet die Sündflut als ein ganz gewöhnliches vierzigtägiges Regenwetter. Wie kann das aber überhaupt eine Überflutung der „höchsten Berge“ zustande bringen? Zwischen Überflutung und Überflutung besteht ein Unterschied. Wenn infolge eines Erdbebens der Boden des Bodensees sich plötzlich heben und die ganze Wassermasse sich mit einem Male in der Richtung nach Schaffhausen ergießen würde, so müsste bei dieser kurzen Überflutung von einigen Stunden oder Tagen mehr Geröll und Sand u. s. w. angehäuft werden, als durch oftmalige langdauernde Überschwemmungen von Seiten des Rheines. Also nicht die Zeitdauer einer Überflutung, sondern vor allem die Art und Weise, die Stärke und Gewalt derselben entscheidet. Als 1889 bei Johnstown in Amerika die großen hochgelegenen Wasserreservoirs barsten, da war in einigen Stunden eine Masse Material fortgeschwemmt, dass es Staunen erregte. Die Sündflut, als das größte bisherige Strafgericht Gottes über die Welt, hatte gewiss noch weit größere Wasserkatastrophen, besonders in Verbindung mit Erdbeben, zur Folge. Wenn das Wasser z. B. zwanzig Tage lang in Strömen vom Himmel sich ergoss nnd Skandinavien, Finnland nnd Estland unter vielen Verwüstungen bereits 1000 m tief unter Wasser stand, und wenn nun diese drei Länder plötzlich (Niveauschwankungen nach Boetzkes!) um 2000 m sich erhoben (Erdbeben), und die gesamte 1000 m hohe Wassermasse mit einem Male nach Süden schoss, dann wird sie wohl imstande gewesen sein, die norddeutsche Ebene mit jener Masse von Material zu überschwemmen, wie man sie jetzt beobachtet. Und dazu brauchte es nicht einmal „zehn oder elf Monate“, hierzu genügte ein viel kürzerer Zeitraum.

Aus einem Terrain, wo Gletscher zum ersten Male ansetzen, sind die Wirkungen nach Boetzkes anders als aus Talsohlen, welche sie schon seit Jahrtausenden bearbeiten. Nun, wie wirken die Gletscher auf neuem Terrain? Höchstens so, wie gegenwärtig auf lockerem Grunde, denn günstiger kann für Gletscher das neue Terrain auch nicht sein, als altes lockeres. Nun schürfen die heutigen Gletscher nicht einmal lockeren Untergrund bedeutend auf, wie oben bewiesen wurde, also kann auch für die eiszeitlichen Gletscher kein anderer Maßstab zur Anwendung kommen. Mit einem Worte: Die große Masse des Moränenmaterials kann durch Gletscher nicht erklärt werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sündflut oder Gletscher?