Deutsche Renaissance in ihrer Stellung zur allgemeinen Lage der Renaissancekunst und Kultur

Kunstgeschichte ist immer ein gut Teil Kulturgeschichte. Es gehen den kunstgeschichtlichen Neuerscheinungen der Renaissance kulturelle Umwälzungen und Neubildungen voraus, deren Bedeutung der ganzen damaligen Kulturwelt in ihren Grundbedingungen allgemein ist; erst die hieraus folgenden Erscheinungsformen, durch nationale Eigenart und Volkscharakter bedingt, erhaltendifferenzierten Ausdruck.

Was Burckhardt sagt1) die italienische Renaissance und das Mittelalter gegenüberstellend, gilt daher in seinem Gedankengang auch allgemein: „Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewusstseins — nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst — wie unter einem gemeinsamen Schleier, träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kindesbefangenheit und Wahn; durch ihn hindurchgesehen erschienen Welt und Geschichte wundersam gefärbt; der Mensch aber erkannte sich nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgendeiner Form des Allgemeinen.“ Dies das Mittelalter; jetzt das Neue: „Es erwacht eine objektive Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämtlichen Dinge der Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive, der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches.“


Im germanischen Mittelalter war der Traum nach der römischen Kaiserkrone der alles umfassende Wahn, der die Staufer nach Süden zog, von ihrem Land und Volke weg zu dem Glanz und Ruhm nie wirklicher Herrlichkeit, war es die Vorstellung einheitlicher, hierarchischer Gewalt der Kirche, der die Macht gegeben, auf Erden und im Himmel zu binden und zu lösen. Kaiser und Papst, die beiden Höhen des Mittelalters, beide im Verfolg ihrer Ziele bald im Kampf miteinander, bringen sich gegenseitig zu Fall und lösen den Bann ihrer Zeit.

Auch in Ritter und Adel lebt diese romantische Weihe der führenden Ideen. Das Höfische, die Minne hat ihn so sehr in den Bann ihrer Empfindung schlagen können, dass der Ritter voll Wunsch, Sehnsucht und Klage heimatliches Haus und Hof, die Wirklichkeit verlässt und in nutzlosen Abenteuern die Gunst sucht einer entfernten, erhabenen Herrin.

Seitdem die Staufer gefallen, die Kreuzzüge den Völkern die Welt gezeigt, Seefahrten und Entdeckungen Berichte von Wundern der Welt gebracht, weitet sich der Blick und die Bedingungen des Lebens werden neu.

Gedankliches Vertiefen, phantastisches Sichhineinversenken in Ideen und Vorstellungen, sie in Einzelheiten zergliedern und belebend, war immer ein Hang germanischen Wesens. Es ist selbstverständlich, dass in der nun gewonnenen individuellen Freiheit sich der deutsche Geist das Gebiet seines Schaffens sucht in der Behandlung und Erklärung dieses neuen Weltbildes nach seinen Einzelerscheinungen hin, dass er an der Hand dieser ungezählten neuen Erscheinungen in seelischem Drängen nach Verinnerlichung die Existenz jedes Einzelwesens als individuelles Leben betrachtet und so ein Bild des We1tganzen in individueller Vielheit entstehen lässt.

Geistige Werte sind der Beitrag deutscher Kultur zur Renaissance; Mystikund Reformation waren die Erfolge dieser Gedankenarbeit.

Der Erscheinungswelt der Kunst war der Zwang dieser germanischen Art in ihrer formalen Ausbildung nicht günstig. Dem Deutschen dient alles Gegenständliche zum Ausdruck des Seelischen, und in seiner Überfülle der Gefühle, alles erzählen zu wollen in der verherrlichenden Wiedergabe des Naturganzen, kommt das stilistisch kunstbildende Maß zu kurz.

Dies als Folge des germanischen Wesens tritt in aller seiner Kunst hervor, einherrschender Gegensatz zu jedem Empfinden und Schaffen der Romanen. ,,Die italienische Kunst“ — sagt Lamprecht 2) — ,,hatte die Selbstherrlichkeit der Formgepredigt; wie das Individuum, so hatte sie gleichsam die Schönheit an sich der bisherigen Fesseln entledigt und die Herrschaft des schönen Scheins hergestellt,“ und weiter ,,war das ein Zug der Entwicklung, der der deutschen Kunst entgegenkam, die stets mehr dem Charakteristischen als dem sinnlich Schönen zugestrebt hat; es erhob sich hier eine kaum zu überbrückende Kluft. Niemals hat der Deutsche die Renaissanceformen mit der Klarheit des Italieners gesehen, niemals sie so rein und gesetzmäßig angewandt . . .“

Aber man betrachte die Werke deutscher Renaissance in ihrer hohen Vollendung unter Dürer, die Darstellung des der ganzen Natur übertragenen menschlichen Fühlens und Leidens in oft höchst erregtem Ausdruck des Innenlebens, zudem in philosophischem Empfinden jede Erscheinung der Umgebungswelt emporgehoben ist. Jedenfalls wird man von dem tiefen Gehalt einer solchen Kunstergriffen sein; wenn sie auch oft das Auge nicht durch Schönheit blendet, ihre Seelenkraft und Größe auch im kleinsten wird uns immer erfreuen.

Kommt dann später der Verfall und verliert sich dieser innere Wert, der den Zusammenhang gegeben, dann folgt allerdings schnell der gegensätzliche Tiefstand, der in der Vielheit der Erscheinungen nur Befriedigung findet am Sammeln von Seltsamem und Kuriosem.

Zweck dieser Studien ist es, zu entwickeln, wie im Garten diese Renaissancekunst deutscher Individualistik ihre Form bildet, welche Werte sie dank ihrer Eigenart schafft, und wie solche dem Ausland gegenüber bestehen.

Zuerst muss zur Einführung, kurz zurückgreifend, vorbereitend für die Zeit der Renaissance hervorgehoben werden, mit welchen Empfindungen das germanische Volk seit den Zeiten des Mittelalters dem Garten gegenüber steht, wie es das Leben im Garten mit seinem eigenen Leben verquickt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studien über Renaissance-Gärten in Oberdeutschland