Das Mittelalter und seine Gartenkunst

Eindrücke der Alltäglichkeit geben durch das Gleichmaß ihrer Einförmigkeit wenig Erinnerung an Einzelheiten wieder. Wenn die Zeit so weit zurückliegt und das Leben der Menschen im Mittelalter in so engem Zusammenhang mit der freien Natur in täglicher Arbeit verbunden war, ist es schwer, tatsächliche Momente festzulegen, in denen der Mensch der Natur persönlich sie umschaffend gegenübertrat. Es verwischt sich vielmehr alles zu einem gleichförmigen Kulturbild, in dem, eben wegen dieser alltäglichen Selbstverständlichkeit, die Einzeleindrücke der Natur dem Menschen nicht bewusst werden. Aber doch greift überall das Volksleben auf die Natur zurück; es ist nur ein kurzes Erwähnen, ein schneller Hinweis auf Tatsachen und Erscheinungen in ihrem Leben, aber sie genügen und sind im stande, eine reiche Reihe von Empfindungen zu wecken, die bei jedem Menschen sich löst, auch bei diesen nur angedeuteten Vorstellungen.

Zu vielseitiger Symbolik haben sich diese Ausdrücke erweitert. Gerade in den germanischen Völkern ist das Leben mit der Natur so sehr zum Eigentum aller geworden, dass jeder Kreis von tieferer Empfindung seinen Ausdruck sich aus dem Leben der Natur sucht, daß Menschen und Natur ihre Gefühle wechselseitig sich übertragen, dass der Germane, persönlich ihr gegenüberstehend, ihr Leben wie dass eine mit individuellem Fühlen belegt.


In Sage und Volkslied ist solches immer lebendig und der eigentliche Hauptstoff gewesen: Dornbusch und Rebe auf Tristans und Isoldens Grab wachsen zusammen und verschlingen sich in Wurzel und Geäst. All das Streiten von Sommer- und W inter, von Sonne und Sturm erlebt das Volk mit und verbindet mit dem Sieg des einen auch seine Fest 3). Der Lebensdrang der Natur ist auch sein eigener, sein Erwachen erweckt auch den des Menschen, unter ihren Blüten will auch er Erfüllung seiner Wünsche und seines Sehnens nach Liebe. Wie reich sind hier die Formen der Symbolik, die das Volk zum Ausdruck seiner Liebe genommen, die Blumen, ihre Form, ihre Farbe und ihr Duft, der Kranz aus Rosen, das Singender Vögel; Menschen und Natur sind sich hier eins.

1.

Junkfrewlein, soll ich mit euch gan
in ewern rosengarten?
und da die roten röslein stan,
die feinen und die zarten.
und auch ein baum der blüet,
von esten ist er weit,
und auch ein küler brunne,
der auch darunder leit.

2.

In meinen garten kumstu nit
zu disem morgen frü,
den gartenschlüßel finstu nit,
er ist verborgen hie,
er leit so wo verschloßen,
er leit in guter hut,
der knab darf weiser lere
der mir den garten auf tut 4).

Wie hier im Volk in frischer Kraft des Ausdrucks und Erlebens, so gibt die Natur auch ihre Formen zum höfischen, schwärmerischen Spiel des Ritters um die Gunst seiner Herrin, zu romantischer Symbolik seiner Sehnsucht und Klage nach Minne: Im Rosengarten zu Worms, wo goldene Vögel künstlich singen, kämpfen die Helden auf Leben und Tod um den Kranz aus den Händen der Jungfrau; der Ritter und seine Dame in der Rosenlaube oder im kleinen Garten auf der Rasenbank bei minniglichem Spiel ist ein häufiges Bild.

Aus diesem großen Kreis der Darstellungen aus dem Gefühlsleben, lebendig in der Vorstellung dieser Zeit, aus der Innigkeit all dieses Lebens mit der Natur müssen wir nun zurückschließend hervorheben, daß der tatsächliche Garten und seine Begriffe und das Leben in ihm der Möglichkeit dieses symbolischen Ausdrucks zugrunde liegen muss; wie das Leben im Garten zum Bild werden konnte, so muss uns umgekehrt dieses Bild wieder auf den Garten zurückkommen lassen.

Das germanische Volk, seinem Wesen nach mit der Natur so eng verwandt, hat vieles von seinem Leben im Garten erlebt; hier war ihm die Möglichkeit geworden, von seiner Seite aus der Natur gegenüber zu treten, sie nach seinem Willen zu gestalten und sich nach seiner Neigung mit ihren Einzelwesen persönlich zu beschäftigen. So war der Garten, im Gegensatz zu der freien Natur, ein kleiner Raum geworden, den einzelne Blumen, Hecken und Lauben in zierlicher, strenger Form erfüllen; aber es ist dem Germanen möglich, bei ihnen einen Wiederklang seines Fühlens zu finden, sein Empfinden ihnen zu übertragen und sie wieder zum Ausdruck seines Wesens zu machen.

Dies ist das Stärkste, was der mittelalterliche Garten sich erworben, dass er als ein aus der Natur hervorgehobenes konzentriertes Abbild des menschlichen Empfindens zum Mittel und Ausdruck dieses Lebens geworden, und da seine Formen die Sprache der Liebe zum Symbol genommen, ist das Blühen der Gartenkultur sicher; denn für die gesamte Geselligkeit des menschlichen Umgangs wird sie der Träger werden; nach dieser Seite hin hat ihn die kommende Zeit benützt und ausgebaut.

Es gibt auch Berichte, die das Bestehen des Gartens im alltäglichen Leben uns schildern 5): Die Beschreibung eines Burggartens, wie er umschlossen von einem festen Hag, Blumen und Gras und schattige, fruchtbare Bäume enthält, wie der Ritter des Sommers in der Laube lebt, wie er die Mahlzeiten dort hält und Feste feiert. Manches Turnier und Reiterspiel wird im Grasgarten unterhalb der Burg in weitem Gelände gehalten, und manch kühler Platz ist dort auf dem Rasen unter den Bäumen oder beim Brunnen in ummauertem Bezirk.

Es sind auch Abbildungen erhalten solcher Gärten und ihres Lebens auf Miniaturen, frühen Gemälden und Stichen. In zusammenfassenden Werken über Gartenkunst ist vieles abgebildet, und muss hierauf verwiesen werden 6): Der hortus conclusus des Breviarium Grimani, der Roman der Rose, Bilder aus dem Marienleben, die Madonna im Rosenhag, die Liebesgärten u. a. m.

Aber auch bei ihnen ist wie in der Überlieferung; aus der Literatur die Formund das Leben nur angedeutet und symbolisch ; es wird erst lebendig wenn in dem Eingehen auf die Sprache ihrer Einzelheiten das Empfinden der Zeit aus ihnen spricht; dann aber drücken auch sie aus Liebe und Innigkeit zu den Erscheinungen der Natur, zeigen das Leben im Garten.

Abb. 0. Nach Seb. Münsters Kosmographie, 1550,


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Studien über Renaissance-Gärten in Oberdeutschland