II. Niederlassungen der Griechen in der Taurischen Halbinsel.
Was Thukydides als Grundzug des attischen Charakters bezeichnet, Liebe zum Schönen und Sehnsucht nach Neuem und Fernem, das erfüllte seit frühen Zeiten mehr oder weniger die Herzen aller Griechen und erzeugte die Abenteuerlust und den kühnen Unternehmungsgeist, der nach und nach alle Küsten des Mittelmeeres und seiner Nebenmeere mit einem Saume von Niederlassungen besetzte und so griechischer Bildung überall eine Wiege gründete. Ideales und Materielles verband sich in diesem Streben auf wunderbare Weise. Verlangend blickte der Grieche dem goldenen Untergange der Sonne nach, hoffend ihrem Aufgang entgegen; und so dachte er im fernen Westen Inseln der Seligen, im hohen Norden heilige und glückliche Hyperboreer, weit im Osten ein goldenes Aea. Aber er träumte nicht nur davon, sondern das Ruder zur Hand bestieg er das Schiff und bestand kühn alle Gefahren des geliebten Meeres, die ersehnte Ferne zu sehen, Abenteuer zu erleben, reichen Handelsgewinn zu erbeuten.
So waren frühzeitig, wie es scheint, Schiffe der thessalisch äolischen Minyer, die Kampflust und düstre Leidenschaft immer neuen Gefahren entgegentrieb, auch durch den thrakischen Bosporus, jetzt die Meerenge von Konstantinopel, in das Schwarze Meer gelangt. Staunen der Freude und Bewunderung musste die seegewohnten Männer ergreifen, wenn sie aus der engen Straße zuerst die Aussicht auf die unendliche See gewannen, die sie deshalb auch vorzugsweise Meer, Pontos, nannten. Allerdings gesellte diesem Namen bald das Bekanntwerden mit all den Gefahren, die wilde Stürme, klippenreiche Ufer, grausame Küstenbewohner der Fahrt bereiteten, den Zusatz des unwirtlichen, aber die Gefahr reizte, der Gewinn lockte und so rückte die Sage von der Fahrt der Argonauten ihr Ziel, je weiter die Schifffahrt nach den nördlichen und östlichen Gegenden des Schwarzen Meeres vordrang, immer weiter in die Ferne, bis sie in dem südöstlichen Busen des Pontus Kolchis erreichte.1)
Das achte und siebente Jahrhundert vor Christus ist die Zeit, wo jenes Verlangen nach der Ferne griechische Handelsniederlassungen und Städtegründungen in bewundernswerter Menge entstehen ließ. Ohne Zweifel wurden schon im achten Jahrhundert auch im schwarzen Meere einzelne Kolonien gegründet; aber erst von der Mitte des siebenten Jahrhunderts an, der Zeit, in welche ungefähr die Auswanderung der Kimmerier und die Einwanderung der Skythen fällt, entstand jener Gürtel von griechischen Städten, der später die ganze Uferlinie dieses weiten Seegebietes umzieht. Namentlich waren bei dem Aussenden dieser Kolonien das reiche Milet in Ionien, die Mutter von 80 Städten, und das kleine dorische Megara, Korinths später verarmte Nachbarin, tätig.
Zuerst wurde die westliche und südliche Küste besetzt; erst etwa ein Jahrhundert später, gegen die Mitte des sechsten Jahrhunderts, fasste man auch an dem nördlichen Gestade Fuß und gründete die Städte, die uns hier zumeist angehen. Es sind dies: Phanagoria, eine Kolonie von Teos, auf der Halbinsel Taman, die mit der nördlich von ihr gelegenen Halbinsel Fontal die kimmerische Meerenge im Osten begrenzt und mit ihr immer dem Schicksal der Krim unzertrennlich verbunden war. Ferner Pantikapäum und Theodosta, Gründungen von Milet, im Osten der Krim. Sodann Chersonesos Herakles auf dem Steppenplateau, was sich im Südwesten an die Krim anschließt, die Gründung des dorischen Heraklea, einer mächtigen megarischen Niederlassung an der Südküste des Pontus. Endlich Olbia oder Borysthenes an der Mündung des Bug, eine milesische Kolonie.1)
In dieser Zeit wohnten Skythen in den Steppen und in dem ganzen Osten und Norden der Krim, in dem westlichen Gebirge aber bis gegen Theodosia die Taurer. Die Skythen waren Nomaden, die entweder auf ihren Pferden oder in Wagen, welche den Herden folgten, ohne feste Wohnsitze lebten. Während Niebuhr und Boeckh 2) sie für einen mongolischen Stamm, Andere für die Vorfahren der Slawen hielten 3), glaubt man jetzt aus sprachlichen Gründen 4) ihnen medisch-persischen Ursprung zuerkennen und die Ähnlichkeit, die sie in Vielem mit den späteren Mongolen unleugbar zeigen, der Gleichheit der nomadischen Lebensweise zuschreiben zu müssen. Verschiedenen Stammes waren gewiss die von den Griechen mit dem gleichen Namen bezeichneten, aber ausdrücklich unterschiedenen ackerbauenden Skythen, wahrscheinlich der Rest einer früheren Bevölkerung, der sich den Skythen unterwarf und bei seinen für die Sieger nützlichen und einträglichen Sitten und Beschäftigungen belassen wurde. In ihnen hat man nicht ohne Wahrscheinlichkeit einen slawischen Stamm vermutet. 1)
Ohne Zweifel verfuhren die Griechen bei der Anlegung ihrer Pflanzstädte im Gebiet der Barbaren ganz ähnlich, als später nach der Erzählung gleichzeitiger Geschichtsschreiber 2) die Genuesen und Venetianer. Wenn sie einen für ihren Handel günstigen Hafenplatz bemerkt zu haben glaubten, brachten sie den Herren des Bodens reiche Geschenke, unterhandelten mit ihnen und versprachen Tribut und Handelsvorteile; aus den geringen Hütten, die sie zuerst bauten, wurden bald bedeutende Städte, durch starke Mauern geschützt und mit allem Glanze des Reichtums geschmückt. Den Tribut zwar zahlten sie fort, aber gewannen meistens bedeutenden Einfluss bei den Eingebornen und benutzten diesen zu immer größerer Erweiterung ihres Stadtgebietes.
Zwei Umstände sind es, die uns die Möglichkeit so zahlreicher Niederlassungen, wie sie häufig von einer einzigen Stadt ausgingen, erklären. Erstens müssen wir uns denken, dass eine gar nicht sehr große Anzahl von Bürgern zur Gründung auszog, die sich dann durch Wanderlustige anderer Städte vermehrte, in den Niederlassungen selbst aber aus den Eingebornen rekrutierte. Dass aber die griechische Minderzahl nicht in dieser Mehrzahl der Fremden aufging, sondern vielmehr die Barbaren nach und nach in ihr Wesen aufnahm und verschmolz, bewirkten das stolze Selbstgefühl hellenischer Bildung und Abkunft, kraft dessen jeder Grieche als Herrscher unter Barbaren zu wandeln glaubte, und die Erfindsamkeit, mit welcher reiche Phantasie und unglaubliche Willkür in der Geschichte, dem Glauben und der Landschaft der Eingebornen überall Anknüpfungspunkte für die eigene Sage und Geschichte fand. Bald erschienen Einheimisches und Griechisches in so inniger Verbindung, dass selbst die Eingebornen an die längst bestehende Verwandtschaft mit den Gästen glaubten.
Auch im Skythenlande wucherte griechische Mythenbildung und bald legte sich über den unwirtlichen Pontus, der nun seit den griechischen Niederlassungen der gastliche, Pontus Euxinus, geworden war, ein Sagenschleier, der hier griechisches Leben seit uralter Zeit einheimisch erscheinen ließ. Gestatten sie deshalb, dass ich Ihnen als erstes Bild des griechischen Lebens in der Krim diese mythischen Gestaltungen skizziere.
Die Skythenkönige selbst, so erzählten nach Herodot 1) die pontischen Hellenen, stammten von Herakles, dem dorischen Stammesheros. Als er aus Erythea die Rinder des Geryones nach Hellas trieb, kam er in das Skythenland. Sturm und Kälte, eine echte Wiuga der Steppen, überfiel ihn; er zog die Löwenhaut über den Kopf und schlief ein. Als er erwachte, waren die Rosse seines Wagens verschwunden. Indem er sie suchte, kam er in die Hyläa, die damals also bewaldete nördliche Ebene der Krim, und fand in einer Höhle ein wunderbares Wesen, halb Jungfrau, halb Schlange, die Herrin des Landes. Ihre und des Herakles Nachkommen sind die Skythenkönige.
Von der Erfindsamkeit, mit der die Griechen jeden einzelnen Teilnehmer und jedes Ereignis der Argonautensage an der Südküste des Schwarzen Meeres lokalisierten, zu sprechen ist hier nicht an der Zeit, aber auch mit der taurischen Halbinsel, nach welcher, wie es scheint, in einer Version der Sage der ganze Zug gerichtet war, brachte ihn Dionysius von Milet 1), etwa in der Mitte des fünften Jahrhunderts, in Verbindung. Perseus und Aeetes waren Brüder, Aeetes König in Kolchis, Perseus in Taurien. Dieser hatte eine wilde und grausame Tochter, Hekate, die, wenn ihr Wild zur Jagd mangelte, auf Menschen schoss und den grausamen Kultus der Artemis bei den Tauriern gründete. Dann wurde sie mit Aeetes vermählt und gebar ihm Kirke und Medea.
Ferner. Achilleus war vor Troja gefallen. Als seine Leiche den Flammen übergeben werden sollte, entführte sie Thetis und brachte sie nach der glänzenden Leuke, einer kleinen Insel der Donaumündungen gegenüber. Hier, oder auf der schmalen Landzunge, die sich vor der Mündung des Borysthenes in der Nähe von Olbia hinzog und Rennbahn des Achilleus hieß, lebte Achilleus, vermählt mit Medea oder Iphigenia, in ewiger Jugend und Seligkeit. 2) Als Herrscher des Pontos, wurden ihm überall am schwarzen Meere göttliche Ehren zu Teil und noch Arrianus, der ernste General Hadrians, erzählt in dem denkwürdigen Berichte an seinen Gebieter über die Küsten des Schwarzen Meeres weitläufig von dem Kultus und den Wundern des Achilleus auf Leuke. So hatten die Griechen im Pontus lokalisiert, was früher, als dies Meer noch wenig bekannt war, die Mythendichtung nach dieser fernen wunderbaren Nordsee in ähnlichem Sinne verwiesen hatte, in welchem nach anderen Sagen der Göttersohn Achilleus auf den Inseln der Seligen fortlebte.
Auch Jo, die argivische Geliebte des Zeus, war auf ihren Irren nach der kimmerischen Meerenge gekommen, wie sie Prometheus bei Aeschylus 1) anweist:
Und du gelangst hart an dem engen Tor des Sees
Hin zum kimmerischen Isthmos; diesen musst du kühn
Verlassen und durchschwimmen der Mäotis Sund.
Und groß wird bei den Menschen immerdar der Ruhm
Von dieser Fahrt sein, Bosporos wird man den Sund
Nach dir benennen.
Wohl mochte mancher Grieche, der zu Pantikapäum im Schweigen der Nacht die mildleuchtenden Mondesstrahlen ihre schimmernde, gaukelnde Brücke über die leise-bewegte Flut des Bosporos (deutsch: Pfad der Kuh) spannen sah, stillentzückt der Sage von den Wanderungen der gehörnten Mondkuh gedenken, wohl mancher Skythe dem griechischen Freunde für den schönen Mythus danken.
Nur, mit einem Worte erwähn' ich die Sagen von den Amazonen, den schönen ritterlichen Jungfrauen, die hier im Norden des Schwarzen Meeres lebten und in eine Menge der schönsten Heroensagen verknüpft waren, um diese Reihe mythischer Bilder mit der Sage von der taurischen Artemis zu schließen. Die Taurer hatten eine Göttin, der sie die Fremden, welche an ihre Küste verschlagen wurden, opferten: mit einer Keule treffen sie, erzählt Herodot 2), nach vorangegangener Weihe den Kopf des Opfers und töten es; dann stoßen sie den Körper entweder von der Klippe, auf welcher der Tempel steht, in die Tiefe oder bergen ihn in die Erde, den Kopf aber nageln sie an. Nach Euripides 1) wurde der Körper in eine mit Feuer gefüllte Kluft gestürzt, der Kopf am Architrav des Tempels, den die Flut des Meeres bespült, befestigt. Dieser Kultus erhielt sich bis in späte Zeiten, denn noch Ovid, der in Tomi nicht weit von der Südspitze der Krim entfernt war, beschreibt den Tempel in solcher Weise, dass man lebendige Kunde darin erkennen muss. Er lässt einen taurischen Greis erzählen 2):
Heute noch dauert der Tempel gestützt auf gewaltige Säulen
Und auf viermal zehn Stufen gelangt man empor.
Dort, wie die Sage erzählt, war ein Bild, vom Himmel gefallen;
Noch steht, dass du mir glaubst, heute die Basis verwaist.
Und der Altar, der weiß einst war von glänzendem Steine,
Stehet gerötet, vom Blut triefender Opfer gefärbt.
Priesterin ist ein Weib, das nicht kennt bräutliche Fackeln,
Aber die skythischen Fraun beugen sich dienend vor ihr.
Und als Opfer, denn also wollt' es die Satzung der Ahnen,
Tötet der Jungfrau Stahl, wer aus der Fremde sich naht.
Man glaubt geringe Trümmer dieses Tempels auf einer hohen in das Meer ragenden Klippe auf der Südseite der Insel etwas westlich von Balaklawa über dem Kloster des heiligen Georg zu erkennen. 3)
Frühzeitig muss die Kunde von dieser jungfräulichen Göttin der Taurer, der Menschenopfer dargebracht wurden, durch Schiffer, welche sich von jenem furchtbaren Strande gerettet hatten, nach Griechenland gelangt sein. Da nun an vielen Orten des Peloponneses, Attikas und anderer griechischer Landschaften die Mondgöttin Artemis unter dem Namen Stiergöttin, die Stiergebildete, Stiergetragene, ebenfalls an der Meeresküste, ebenfalls mit Menschenopfern geehrt wurde, so glaubte man an die Identität dieser göttlichen Wesen. Aber die Menschenopfer hatten in Griechenland milderer Sitte Platz gemacht und nur in symbolischen Zeremonien erhielt sich noch das Andenken des früheren furchtbaren Gebrauchs. So entstand denn der Mythus, wie ihn schon das Gedicht der Kyprien enthielt, dass Agamemnon die eigene Tochter in Aulis der zürnenden Göttin opfern wollte, diese aber von Mitleid ergriffen Iphigenien zu den Taurern entführte und ihr Unsterblichkeit verlieh. Diese Gestalt der Sage brachten die Bürger von Herakles im Pontus, als sie verbunden mit Deliern auf dem Steppenplateau, welches sich im Südwesten vor die Berge der Krim vorschiebt, in der Nähe des Heiligtums der taurischen Göttin etwa 540 v. Chr. Chersonesos gründeten, mit sich. Denn nach Herodot glaubten die Taurer, dass ihre Göttin Iphigenia, des Agamemnon Tochter, sei. Es war noch die Göttin selbst, nicht die Priesterin derselben. Und wie die Taurer, so errichteten auch die Bewohner von Chersonesos der Jungfrau Tempel; ihre Münzen zeigten sie als Stadtgöttin. Später, vielleicht erst durch die Tragiker, kam die schöne Dichtung von Orestes hinzu, der um Heilung seines Wahnsinns zu finden auf Geheiß Apollons mit seinem Freunde Pylades auszieht, das Bild der Göttin von den Taurern zu holen und nach Attika zu bringen. Dürfen wir aber den Angaben Ovids und Lucians 1) trauen, so gingen auch Orestes und Pylades aus der griechischen
Sage in den Glauben der Skythen über und genossen bei ihnen als Dämonen der Freundschaft göttlicher Ehren. Vielleicht ist der Name, den die Göttin bei den Taurern nach einigen Überlieferungen 1) führte, nur die Übersetzung des Wortes, wenn wir dies von dem keltischen taur, der Berg, ableiten und der Sache nach ganz passend die Taurer als Bergbewohner fassen dürfen.
Die Tempel der Taurer und der Chersonesiten, die Taurer selbst so gut, als Chersonesos sind untergegangen, nur der Name des Vorgebirges Parthenion ist geblieben, aber die Sage von Iphigenia und Orestes hat zwei Jahrtausende überdauert und wird aus Goethes Geist in reinerer Form erstanden unsterblich fortleben, so lange Menschen nach dem Schönen und Hohen streben.
Ich aber führe Sie jetzt aus dem mythischen Leben der Griechen in der Krim mitten in das geschichtliche und zwar zunächst nach Pantikanäum
So waren frühzeitig, wie es scheint, Schiffe der thessalisch äolischen Minyer, die Kampflust und düstre Leidenschaft immer neuen Gefahren entgegentrieb, auch durch den thrakischen Bosporus, jetzt die Meerenge von Konstantinopel, in das Schwarze Meer gelangt. Staunen der Freude und Bewunderung musste die seegewohnten Männer ergreifen, wenn sie aus der engen Straße zuerst die Aussicht auf die unendliche See gewannen, die sie deshalb auch vorzugsweise Meer, Pontos, nannten. Allerdings gesellte diesem Namen bald das Bekanntwerden mit all den Gefahren, die wilde Stürme, klippenreiche Ufer, grausame Küstenbewohner der Fahrt bereiteten, den Zusatz des unwirtlichen, aber die Gefahr reizte, der Gewinn lockte und so rückte die Sage von der Fahrt der Argonauten ihr Ziel, je weiter die Schifffahrt nach den nördlichen und östlichen Gegenden des Schwarzen Meeres vordrang, immer weiter in die Ferne, bis sie in dem südöstlichen Busen des Pontus Kolchis erreichte.1)
Das achte und siebente Jahrhundert vor Christus ist die Zeit, wo jenes Verlangen nach der Ferne griechische Handelsniederlassungen und Städtegründungen in bewundernswerter Menge entstehen ließ. Ohne Zweifel wurden schon im achten Jahrhundert auch im schwarzen Meere einzelne Kolonien gegründet; aber erst von der Mitte des siebenten Jahrhunderts an, der Zeit, in welche ungefähr die Auswanderung der Kimmerier und die Einwanderung der Skythen fällt, entstand jener Gürtel von griechischen Städten, der später die ganze Uferlinie dieses weiten Seegebietes umzieht. Namentlich waren bei dem Aussenden dieser Kolonien das reiche Milet in Ionien, die Mutter von 80 Städten, und das kleine dorische Megara, Korinths später verarmte Nachbarin, tätig.
Zuerst wurde die westliche und südliche Küste besetzt; erst etwa ein Jahrhundert später, gegen die Mitte des sechsten Jahrhunderts, fasste man auch an dem nördlichen Gestade Fuß und gründete die Städte, die uns hier zumeist angehen. Es sind dies: Phanagoria, eine Kolonie von Teos, auf der Halbinsel Taman, die mit der nördlich von ihr gelegenen Halbinsel Fontal die kimmerische Meerenge im Osten begrenzt und mit ihr immer dem Schicksal der Krim unzertrennlich verbunden war. Ferner Pantikapäum und Theodosta, Gründungen von Milet, im Osten der Krim. Sodann Chersonesos Herakles auf dem Steppenplateau, was sich im Südwesten an die Krim anschließt, die Gründung des dorischen Heraklea, einer mächtigen megarischen Niederlassung an der Südküste des Pontus. Endlich Olbia oder Borysthenes an der Mündung des Bug, eine milesische Kolonie.1)
In dieser Zeit wohnten Skythen in den Steppen und in dem ganzen Osten und Norden der Krim, in dem westlichen Gebirge aber bis gegen Theodosia die Taurer. Die Skythen waren Nomaden, die entweder auf ihren Pferden oder in Wagen, welche den Herden folgten, ohne feste Wohnsitze lebten. Während Niebuhr und Boeckh 2) sie für einen mongolischen Stamm, Andere für die Vorfahren der Slawen hielten 3), glaubt man jetzt aus sprachlichen Gründen 4) ihnen medisch-persischen Ursprung zuerkennen und die Ähnlichkeit, die sie in Vielem mit den späteren Mongolen unleugbar zeigen, der Gleichheit der nomadischen Lebensweise zuschreiben zu müssen. Verschiedenen Stammes waren gewiss die von den Griechen mit dem gleichen Namen bezeichneten, aber ausdrücklich unterschiedenen ackerbauenden Skythen, wahrscheinlich der Rest einer früheren Bevölkerung, der sich den Skythen unterwarf und bei seinen für die Sieger nützlichen und einträglichen Sitten und Beschäftigungen belassen wurde. In ihnen hat man nicht ohne Wahrscheinlichkeit einen slawischen Stamm vermutet. 1)
Ohne Zweifel verfuhren die Griechen bei der Anlegung ihrer Pflanzstädte im Gebiet der Barbaren ganz ähnlich, als später nach der Erzählung gleichzeitiger Geschichtsschreiber 2) die Genuesen und Venetianer. Wenn sie einen für ihren Handel günstigen Hafenplatz bemerkt zu haben glaubten, brachten sie den Herren des Bodens reiche Geschenke, unterhandelten mit ihnen und versprachen Tribut und Handelsvorteile; aus den geringen Hütten, die sie zuerst bauten, wurden bald bedeutende Städte, durch starke Mauern geschützt und mit allem Glanze des Reichtums geschmückt. Den Tribut zwar zahlten sie fort, aber gewannen meistens bedeutenden Einfluss bei den Eingebornen und benutzten diesen zu immer größerer Erweiterung ihres Stadtgebietes.
Zwei Umstände sind es, die uns die Möglichkeit so zahlreicher Niederlassungen, wie sie häufig von einer einzigen Stadt ausgingen, erklären. Erstens müssen wir uns denken, dass eine gar nicht sehr große Anzahl von Bürgern zur Gründung auszog, die sich dann durch Wanderlustige anderer Städte vermehrte, in den Niederlassungen selbst aber aus den Eingebornen rekrutierte. Dass aber die griechische Minderzahl nicht in dieser Mehrzahl der Fremden aufging, sondern vielmehr die Barbaren nach und nach in ihr Wesen aufnahm und verschmolz, bewirkten das stolze Selbstgefühl hellenischer Bildung und Abkunft, kraft dessen jeder Grieche als Herrscher unter Barbaren zu wandeln glaubte, und die Erfindsamkeit, mit welcher reiche Phantasie und unglaubliche Willkür in der Geschichte, dem Glauben und der Landschaft der Eingebornen überall Anknüpfungspunkte für die eigene Sage und Geschichte fand. Bald erschienen Einheimisches und Griechisches in so inniger Verbindung, dass selbst die Eingebornen an die längst bestehende Verwandtschaft mit den Gästen glaubten.
Auch im Skythenlande wucherte griechische Mythenbildung und bald legte sich über den unwirtlichen Pontus, der nun seit den griechischen Niederlassungen der gastliche, Pontus Euxinus, geworden war, ein Sagenschleier, der hier griechisches Leben seit uralter Zeit einheimisch erscheinen ließ. Gestatten sie deshalb, dass ich Ihnen als erstes Bild des griechischen Lebens in der Krim diese mythischen Gestaltungen skizziere.
Die Skythenkönige selbst, so erzählten nach Herodot 1) die pontischen Hellenen, stammten von Herakles, dem dorischen Stammesheros. Als er aus Erythea die Rinder des Geryones nach Hellas trieb, kam er in das Skythenland. Sturm und Kälte, eine echte Wiuga der Steppen, überfiel ihn; er zog die Löwenhaut über den Kopf und schlief ein. Als er erwachte, waren die Rosse seines Wagens verschwunden. Indem er sie suchte, kam er in die Hyläa, die damals also bewaldete nördliche Ebene der Krim, und fand in einer Höhle ein wunderbares Wesen, halb Jungfrau, halb Schlange, die Herrin des Landes. Ihre und des Herakles Nachkommen sind die Skythenkönige.
Von der Erfindsamkeit, mit der die Griechen jeden einzelnen Teilnehmer und jedes Ereignis der Argonautensage an der Südküste des Schwarzen Meeres lokalisierten, zu sprechen ist hier nicht an der Zeit, aber auch mit der taurischen Halbinsel, nach welcher, wie es scheint, in einer Version der Sage der ganze Zug gerichtet war, brachte ihn Dionysius von Milet 1), etwa in der Mitte des fünften Jahrhunderts, in Verbindung. Perseus und Aeetes waren Brüder, Aeetes König in Kolchis, Perseus in Taurien. Dieser hatte eine wilde und grausame Tochter, Hekate, die, wenn ihr Wild zur Jagd mangelte, auf Menschen schoss und den grausamen Kultus der Artemis bei den Tauriern gründete. Dann wurde sie mit Aeetes vermählt und gebar ihm Kirke und Medea.
Ferner. Achilleus war vor Troja gefallen. Als seine Leiche den Flammen übergeben werden sollte, entführte sie Thetis und brachte sie nach der glänzenden Leuke, einer kleinen Insel der Donaumündungen gegenüber. Hier, oder auf der schmalen Landzunge, die sich vor der Mündung des Borysthenes in der Nähe von Olbia hinzog und Rennbahn des Achilleus hieß, lebte Achilleus, vermählt mit Medea oder Iphigenia, in ewiger Jugend und Seligkeit. 2) Als Herrscher des Pontos, wurden ihm überall am schwarzen Meere göttliche Ehren zu Teil und noch Arrianus, der ernste General Hadrians, erzählt in dem denkwürdigen Berichte an seinen Gebieter über die Küsten des Schwarzen Meeres weitläufig von dem Kultus und den Wundern des Achilleus auf Leuke. So hatten die Griechen im Pontus lokalisiert, was früher, als dies Meer noch wenig bekannt war, die Mythendichtung nach dieser fernen wunderbaren Nordsee in ähnlichem Sinne verwiesen hatte, in welchem nach anderen Sagen der Göttersohn Achilleus auf den Inseln der Seligen fortlebte.
Auch Jo, die argivische Geliebte des Zeus, war auf ihren Irren nach der kimmerischen Meerenge gekommen, wie sie Prometheus bei Aeschylus 1) anweist:
Und du gelangst hart an dem engen Tor des Sees
Hin zum kimmerischen Isthmos; diesen musst du kühn
Verlassen und durchschwimmen der Mäotis Sund.
Und groß wird bei den Menschen immerdar der Ruhm
Von dieser Fahrt sein, Bosporos wird man den Sund
Nach dir benennen.
Wohl mochte mancher Grieche, der zu Pantikapäum im Schweigen der Nacht die mildleuchtenden Mondesstrahlen ihre schimmernde, gaukelnde Brücke über die leise-bewegte Flut des Bosporos (deutsch: Pfad der Kuh) spannen sah, stillentzückt der Sage von den Wanderungen der gehörnten Mondkuh gedenken, wohl mancher Skythe dem griechischen Freunde für den schönen Mythus danken.
Nur, mit einem Worte erwähn' ich die Sagen von den Amazonen, den schönen ritterlichen Jungfrauen, die hier im Norden des Schwarzen Meeres lebten und in eine Menge der schönsten Heroensagen verknüpft waren, um diese Reihe mythischer Bilder mit der Sage von der taurischen Artemis zu schließen. Die Taurer hatten eine Göttin, der sie die Fremden, welche an ihre Küste verschlagen wurden, opferten: mit einer Keule treffen sie, erzählt Herodot 2), nach vorangegangener Weihe den Kopf des Opfers und töten es; dann stoßen sie den Körper entweder von der Klippe, auf welcher der Tempel steht, in die Tiefe oder bergen ihn in die Erde, den Kopf aber nageln sie an. Nach Euripides 1) wurde der Körper in eine mit Feuer gefüllte Kluft gestürzt, der Kopf am Architrav des Tempels, den die Flut des Meeres bespült, befestigt. Dieser Kultus erhielt sich bis in späte Zeiten, denn noch Ovid, der in Tomi nicht weit von der Südspitze der Krim entfernt war, beschreibt den Tempel in solcher Weise, dass man lebendige Kunde darin erkennen muss. Er lässt einen taurischen Greis erzählen 2):
Heute noch dauert der Tempel gestützt auf gewaltige Säulen
Und auf viermal zehn Stufen gelangt man empor.
Dort, wie die Sage erzählt, war ein Bild, vom Himmel gefallen;
Noch steht, dass du mir glaubst, heute die Basis verwaist.
Und der Altar, der weiß einst war von glänzendem Steine,
Stehet gerötet, vom Blut triefender Opfer gefärbt.
Priesterin ist ein Weib, das nicht kennt bräutliche Fackeln,
Aber die skythischen Fraun beugen sich dienend vor ihr.
Und als Opfer, denn also wollt' es die Satzung der Ahnen,
Tötet der Jungfrau Stahl, wer aus der Fremde sich naht.
Man glaubt geringe Trümmer dieses Tempels auf einer hohen in das Meer ragenden Klippe auf der Südseite der Insel etwas westlich von Balaklawa über dem Kloster des heiligen Georg zu erkennen. 3)
Frühzeitig muss die Kunde von dieser jungfräulichen Göttin der Taurer, der Menschenopfer dargebracht wurden, durch Schiffer, welche sich von jenem furchtbaren Strande gerettet hatten, nach Griechenland gelangt sein. Da nun an vielen Orten des Peloponneses, Attikas und anderer griechischer Landschaften die Mondgöttin Artemis unter dem Namen Stiergöttin, die Stiergebildete, Stiergetragene, ebenfalls an der Meeresküste, ebenfalls mit Menschenopfern geehrt wurde, so glaubte man an die Identität dieser göttlichen Wesen. Aber die Menschenopfer hatten in Griechenland milderer Sitte Platz gemacht und nur in symbolischen Zeremonien erhielt sich noch das Andenken des früheren furchtbaren Gebrauchs. So entstand denn der Mythus, wie ihn schon das Gedicht der Kyprien enthielt, dass Agamemnon die eigene Tochter in Aulis der zürnenden Göttin opfern wollte, diese aber von Mitleid ergriffen Iphigenien zu den Taurern entführte und ihr Unsterblichkeit verlieh. Diese Gestalt der Sage brachten die Bürger von Herakles im Pontus, als sie verbunden mit Deliern auf dem Steppenplateau, welches sich im Südwesten vor die Berge der Krim vorschiebt, in der Nähe des Heiligtums der taurischen Göttin etwa 540 v. Chr. Chersonesos gründeten, mit sich. Denn nach Herodot glaubten die Taurer, dass ihre Göttin Iphigenia, des Agamemnon Tochter, sei. Es war noch die Göttin selbst, nicht die Priesterin derselben. Und wie die Taurer, so errichteten auch die Bewohner von Chersonesos der Jungfrau Tempel; ihre Münzen zeigten sie als Stadtgöttin. Später, vielleicht erst durch die Tragiker, kam die schöne Dichtung von Orestes hinzu, der um Heilung seines Wahnsinns zu finden auf Geheiß Apollons mit seinem Freunde Pylades auszieht, das Bild der Göttin von den Taurern zu holen und nach Attika zu bringen. Dürfen wir aber den Angaben Ovids und Lucians 1) trauen, so gingen auch Orestes und Pylades aus der griechischen
Sage in den Glauben der Skythen über und genossen bei ihnen als Dämonen der Freundschaft göttlicher Ehren. Vielleicht ist der Name, den die Göttin bei den Taurern nach einigen Überlieferungen 1) führte, nur die Übersetzung des Wortes, wenn wir dies von dem keltischen taur, der Berg, ableiten und der Sache nach ganz passend die Taurer als Bergbewohner fassen dürfen.
Die Tempel der Taurer und der Chersonesiten, die Taurer selbst so gut, als Chersonesos sind untergegangen, nur der Name des Vorgebirges Parthenion ist geblieben, aber die Sage von Iphigenia und Orestes hat zwei Jahrtausende überdauert und wird aus Goethes Geist in reinerer Form erstanden unsterblich fortleben, so lange Menschen nach dem Schönen und Hohen streben.
Ich aber führe Sie jetzt aus dem mythischen Leben der Griechen in der Krim mitten in das geschichtliche und zwar zunächst nach Pantikanäum
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim