I. Die Kimmerier

Die ältesten Bewohner der Halbinsel, von denen uns griechische Quellen eine halbverklungene Sage überliefert haben, obwohl gewiss nicht die frühesten, waren die Kimmerier. In mehreren Städten Phrygiens und Lydiens hatte sich die Sage erhalten, dass Kimmerier und die mit ihnen verwandten Trerer von dort her häufige Einfälle gemacht hatten. 1) Namentlich lebte die Erinnerung eines Raubzuges fort, auf dem Lygdamis in der Mitte des 7. Jahrh. v. Chr. mit seinen Kimmerierscharen bis nach Kilikien gedrungen und dort umgekommen war. Im Hymnus auf Artemis sagt Kallimachus, dass die Wagen der rossemelkenden Kimmerier im Felde des Kaystros rasteten und Lygdamis in wahnwitzigem Frevel den Tempel der Göttin in Ephesus zu zerstören drohte. Er legte denselben in Asche, aber ihn traf Artemis Rache. Auf demselben Zuge hatten sie Sinope an der Südküste des Schwarzen Meeres, wo sich damals schon eine milesische Kolonie befand 2), erobert und besetzt, in Lydien Sardes und Magnesia zerstört, kurz, wie es scheint, fast ganz Kleinasien überzogen und verwüstet. Erst nach einer Reihe von Jahren gelang es dem König Alyattes von Lydien sie zu besiegen und zu verjagen.

So sind diese Kimmerierzüge das erste Beispiel des Verlangens, welchen später Goten und Tataren wiederholt von der Krim aus in die gesegneten Fluren Kleinasiens trieb. Lygdamis Zug aber war der letzte nach Asien, den die Kimmerier unternahmen. Denn das Einrücken zahlloser Skythenschwärme aus dem Innern Asiens in die bisherigen Sitze der Kimmerier am schwarzen Meere veranlasste denselben, oder erfolgte kurz nach ihm.


Als die Skythen gegen Kimmerien, so erzählt Herodot 1), heranzogen, berieten sich die Kimmerier, was gegen die gewaltigen Scharen zu tun sei, und ihre Meinungen waren geteilt. Die Fürsten wollten für die bisherige Heimat kämpfen, das Volk aber fortziehen ohne Kampf. Fest waren die Meinungen Beider und keine Seite wollte nachgeben: die Fürsten bedachten, wie viel Gutes ihnen hier geworden und welches Ungemach sie in der Ferne zu erdulden haben würden, sie wollten in der Heimat begraben sein. So kam es zum Kampfe zwischen beiden an Zahl gleichen Parteien und das Volk, welches siegte, begrub die Gefallenen am Tyres, wo man noch ihren Grabhügel sieht; dann zog es fort und die Skythen besetzten das verlassene Land. Noch aber gibt es in Skythien kimmerische Mauern, einen kimmerischen Hafenplatz, einen Ort Kimmerie, und der Bosporos heißt nach ihnen der kimmerische. Also Herodot. Man erkennt den Ton der Sage, aber die Tatsache ist sicher, dass die Kimmerier, nach denen die Griechen bis in die spätesten Zeiten die Straße von Kertsch nannten, aus den Gegenden zu beiden Seiten des Azoffschen Meeres und den nördlichen Uferländern des Schwarzen Meeres vor den Skythen wichen, welche wir hier in geschichtlicher Zeit finden.

Wenn Herodot erzählt, dass die Kimmerier nach Asien entflohen, so war das entweder nur ein Teil, der auf dem asiatischen Ufer des Bosporus wohnte, oder der Geschichtsschreiber kombinierte die Erzählung von den früheren Raubzügen willkürlich mit der Flucht vor den Skythen. Die Hauptmasse schlug gewiss dieselbe Richtung ein, welcher so viele Völker nach ihnen folgten, wenn sie diese Gegenden verließen, nach Westen. Vieles spricht dafür, dass Strabon, Plutarch und andere Schriftsteller des Altertums kein müßiges Spiel trieben, wenn sie die Kimbern mit den Kimmeriern in Verbindung brachten.1) Wir hätten dann in dem einen keltischen Hauptstamm, den Kymren, deren Reste noch jetzt die Bretagne und Wales bewohnen, die letzten Nachkommen jener alten Kimmerier zu suchen.

Aber nicht alle wanderten damals aus der Krim aus, sondern die Taurer, jener wilde Volksstamm, der später die südlichen Berge der Halbinsel, von Balaklawa bis Theodosta, besetzt hielt, war höchst wahrscheinlich ein Zweig der Kimmerier, der in seinen Bergen zurückblieb und sich tapfer der andringenden Skythen erwehrte. Sie leben von Beute und Krieg, sagt Herodot 2); den gefallenen Feinden schneiden sie die Köpfe ab und befestigen dieselben auf hohen Stangen über ihren Wohnungen, meistens über dem Rauchfang, indem sie glauben, dass ihre Wohnungen so am besten geschützt seien. Von dem Hafen des heutigen Balaklawa 3) aus trieben sie Seeräuberei und galten überhaupt den Griechen, die nach ihnen die ganze Halbinsel die taurische Chersonesos nannten, bis in späte Zeiten 4) als raue und grausame Barbaren. Wie ganz anders freilich klingt uns Deutschen, klingt hier in Weimar ihr Name, seit Goethe durch die Weihe seiner Poesie Iphigenien und Thoas, den Taurerkönig, in mildem Lichte verklärt hat.

Den Taurern schreibt Dubois in seinem trefflichen Reisewerk mit großer Wahrscheinlichkeit alle die Trümmer gewaltiger, kyklopischem Mauerwerk ähnlicher Steinbauten zu, die sich an verschiedenen Punkten des Gebirges finden 1), namentlich auch die Reste von ungeheuren Mauern, durch welche sie die Eingänge in das Gebirge befestigt hatten und die jetzt von den Tataren Demirkapu, Eisentore genannt werden. 2) Ihnen gehörten wahrscheinlich auch die in die Felsen gehöhlten Wohnungen, die sich häufig, z. B. in Inkerman, Mangup, Tepekerman 3), in großer Anzahl beisammen finden, wenigstens der ersten Anlage nach.
Doch wir kommen
II. zu den Niederlassungen der Griechen in der Taurischen Halbinsel.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim