Land und Leute

Abgesehen von der Grenze gegen Norwegen und von den Strömen, die uns vom russischen Reich trennen, ist Schweden rings vom Meere umflutet. Sowohl unsre Kriegs- als unsere Handelsflotte ist mit Leuten von höchster Beschaffenheit bemannt, Männern, die man nicht ohne Grund in den Flotten fremder Länder ihrer Entschlossenheit und ihres Mutes wegen schätzt und sucht. Die „Seewölfe“, der Schrecken der Küstenbewohner Frankreichs und Englands im 9. Jahrhundert, sind heute in gutmütige „Seebären“ verwandelt. In ihrem Äußeren sind sie den Wikingern recht ähnlich, wenn man von einer kleinen Anschwellung der Unterlippe absieht, die vom Kauen des Schnupftabaks herrührt. (S. 12.)

Diese Typen haben vor allem Carl Wilhelmson und Albert Engström geschildert, wie sie mit einem scherzhaften Blitzen der Augen und sicheren Schrittes an Bord einherwanken. Diese beiden Künstler geben die schwedischen Schären und deren Bevölkerung wieder. Beinahe die ganze schwedische Küste mit Ausnahme von Skane und Hailand ist von einem Ring von Schären geschützt, von jenen Inseln, Klippen und Riffen, die im Frieden für unsre eignen Schiffe gefährlich, im Kriege hoffentlich noch gefährlicher für eine feindliche Flotte sind. Unser Küstenvolk bewegt sich sicher zwischen Brandung und Untiefen, in Bohuslän auf den Koster-Booten, die so breit und felsenfest gebaut sind wie die Schiffer, die sie steuern, in Blekinge auf Blekingsekor (Blekinger Nachen), in Norrland auf sog. Sköt-Booten. In der Umgegend von Stockholm betreiben die „Rospiggar“, die Bevölkerung der nördlich von Stockholm gelegenen, zu Uppland gehörigen Schären (Roslagen), auf ihren hübschen Segelkuttern Frachtschifffahrt und befördern Holz und Sand auf den vielen schmalen Meerarmen mit der gleichen Kühnheit und Geschicklichkeit wie die Sportsleute, welche in ihren eleganten weißen oder mahagonibraunen Lustjachten zwischen den Felseninseln an den vielen Hunderten von Landungsbrücken und Badehütten vorbeikreuzen. Zur Sommerzeit sind die Landungsstege voll von hellgekleideten Mädchen, kecke Knaben klettern auf den Geländern herum und warten auf den Dampfer, der in seinem schmucken weißen Anstrich, erstaunlich geschickt manövriert, an einer Landungsstelle nach der anderen anlegt und am Abend über die dunklen Wasser hingleitet, selbst eine kleine, sich dahinbewegende Welt, die im Herbst von eignem Licht erstrahlt und mit ihren Scheinwerfern die Landungsplätze und die engen Passagen zwischen den Inseln erhellt. (S. 11) Im Winter erhöhen die abgesperrten Landhäuser, die ans Land heraufgezogenen jetzt teilweise eingeschneiten Senkbecken der Badehäuser das Gefühl der Verlassenheit und verleihen der Landschaft eine herbe Melancholie, welche vielleicht gerade dann ihren eignen Reiz für die Schlittschuh- und Skiläufer (S. 22) hat, die über das Eis hineilen. Mancher durchlebt hier noch mal im Geiste die Begebenheiten des Sommers, wie man laut kreischende Mädchen am Badestrand überraschte, ein geliebtes Wesen auf der Veranda Fröding oder Karlfeldt lesen hörte, oder, wenn man etwas älter geworden war, sich über die lärmenden Kinder freute, die von Hecken und Stachelbeersträuchern zerkratzt, die Mäulchen blau von den Heidelbeeren und benommen von der Freiheit der Sommerferien, bitten, hinaus zum Rudern zu dürfen.


Unter den Malern haben Axel Sjöberg und Richard Lindström die Schären im Winter am vorzüglichsten dargestellt. In Schweden, wo der Winter so lang ist, will man sich im Sommer dafür schadlos halten. Man hat instinktmäßig eingesehen, wie wichtig, besonders für die Kinder, es ist, sich im grünen Gras zu tummeln, herumklettern und schwimmen zu dürfen und eine gehörige Zeit lang sich von Kälte und Schulzwang völlig frei zu fühlen. Die langen schwedischen Sommerferien sind ein Nationalgut, das man freilich jetzt zu beeinträchtigen sucht, das aber zum Glück seine eifrigen Verteidiger hat. Kein Schwede hat wie Carl Larsson im Bild gezeigt, wie herrlich die Kinder es auf dem Lande haben „im Sommer, dem schönen, da die Erde sich freut“, wie es im Liede heißt. Auf die Frage: „Was ist das Schönste auf der Welt“ hat jemand die Antwort gegeben: „Eine blumige Wiese“ — und von diesem Schönen hat Schweden einen großen Reichtum. Wie Liljefors’ „Familie Reineke“, die jungen Füchse, die sich unter den hohen weißen Doldenblütlern und gelben Butterblumen herumbalgen, so freuen sich die Kinder im lichten Junigrün Himmelsschlüssel zu pflücken und im Hochsommer nach Erdbeerstellen zu suchen, und sie jubeln laut, wenn sie im Ackerrain die tiefroten Beeren entdecken, in denen sich der Duft des ganzen Sommers und seine Süßigkeit aufgespeichert zu haben scheint. Schweden hat neben anderen guten Dingen den großen Vorzug, dass wir uns rühren können, dass nicht alles eingezäunt ist; man kann sich ins Gras setzen und wird nicht fortgejagt, man kann am Strand baden ohne Strafe zahlen zu müssen und das gehört zum Schönsten für die Kinder, übrigens auch für die Erwachsenen. Zum bloßen Vergnügen darf man beinahe überall fischen, es gibt immer noch genug Fische trotzdem. Carl Larsson hat sowohl das Fischen bei Regenwetter gemalt „wenn sie gut anbeißen“, als die Art Fischerei, an welcher die Kinder das größte Vergnügen haben, das Krebsfangen, das große Ereignis des Hochsommers, wenn man barfuß mit den kleinen Keschern herumsteigt und die schwarzgrünen, krabbelnden Krebse unter lautem Freudengeschrei aufliest (S. 19.) Für die Älteren ist der Höhepunkt der Krebsfischerei der Augenblick, wo die Krebse in dem lebendigen Hochrot ihres lit de parade auf einer Riesenschüssel mitten auf dem Tische aufgetürmt liegen und man ihren Leichenschmaus mit einem Glase alten schwedischen Branntwein einweiht.

Ein gesünderes Nass, das uns im Sommer viel Genuss bereitet, ist das Wasser, und wahrlich gibt es wenig Länder, wo im offenen Meer soviel gebadet wird wie in Schweden. Die Weltverlassenheit der Landschaft gestattet oft eine Unabhängigkeit von allem Badeanzug, die für den Künstler großen Reiz hat. Zwei prächtige Bilder im Museum zu Göteborg, das eine von Acke, welches ein paar nackte männliche Körper darstellt, die sich gegen das frische, tiefblaue Meer abheben, und das in Schweden hoch geschätzte Bild von Zorn „Draußen“ (S. 20), sind wohl die vorzüglichsten Proben auf diesem Gebiete. Auf dem letzteren Gemälde, einem der allerbesten des Künstlers, erblickt man ein echt schwedisches Bild, das allgemeinverständlich sein dürfte: auf einem grauen, vom Wasser abgeschliffenen Granitfelsen steigen ein paar blonde Mädchen vorsichtig herab zu dem lauen, schimmernden Wasser. Die weichen Leiber gegen den harten Felsen, das Ruderboot, das Gefühl der Freiheit und Frische draußen in der unberührten Natur, dies alles hat der Künstler auf eine Weise wiedergegeben, die uns Schweden herzlich zufrieden damit macht, dass wir es so schön haben.

Die Schären, angefangen von der äußersten Region an der offenen See, wo Axel Sjöbergs Schnabelmöwen unterm Sternenhimmel träumen und wo Liljefors’ Eidergänse im Lichte der Morgensonne auf der äußersten Schäre ins Wasser herabwatscheln (S. 13), wo an den halbverfallenen Landungsstegen die Heringsnetze der Fischer zum Trocknen und Ausbessern aufgehängt sind, dies alles hat Strindberg in seinen „Leuten auf Hemsö“ und Albert Engström in seinen Zeichnungen meisterlich geschildert. Andere Künstler haben die laubwaldbewachsenen Buchten weiter innen gegen Stockholm zu gemalt. Ungewöhnlich stark tritt das Gefühl des Sommers in Richard Berghs großen Gemälde „Sommerabend“ im Museum von Göteborg hervor (S. 15). Wir befinden uns auf Lidingö an Kyrkviken (der Kirchenbucht) auf einer oberen Veranda. Ein junges Paar blickt hinaus über das üppige Grün. Drunten am Land des Wassers ist der Landungsplatz zu sehen. Es ist ein Augenblick des Glückes. Man glaubt die Bienen in der Wärme summen zu hören. Der eintönige Gesang der Biene lässt uns die Fülle des Augenblicks womöglich noch stärker empfinden.

Der Stockholmer sieht auf seine Schären mit den Augen der Liebe. Es wird ihm schwer, sich vorzustellen, wie die Schären auf den Fremden wirken, der von Osten her sich der Hauptstadt nähert und von einem großen Dampfschiff auf die vielen kleinen Inseln überschaut, auf denen die Seehunde kriechen, wenn er an den langen, schmalen Inseln vorübergleitet, auf denen vom Sturm verkrüppelte martallar (Latschen) um das Leben ringen, hin über weite, bald tiefblaue, bald blaugraue Meerarme, durch enge Sunde hindurch, an schattigen Ufern vorbei, die nicht selten von architektonisch zweifelhaften oder richtiger zweifellos hässlichen Landhäusern verunziert sind, um schließlich Stockholm zu erreichen. Ob wohl ein Fremder, der alles dieses zum erstenmal von seinem hohen Dampferdeck aus sieht, etwas erfassen kann von all dem Heiteren, Schönen, Rührenden und Großartigen, was wir darin sehen, die an, auf, in diesem Wasser gelebt haben, wir, denen Sehlstedts Lieder und Carl Larssons Zeichnungen dazu, Strindbergs Erzählungen und Romane, ein Liljefors, ein Axel Sjöberg, ein Richard Lindström die Augen geöffnet haben?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden im Auge des Künstlers
08 Sonnenaufgang an der Ostküste von Schweden. Gemälde von Bruno Liljefors.

08 Sonnenaufgang an der Ostküste von Schweden. Gemälde von Bruno Liljefors.

04 Nordischer Sommerabend. Motiv von Lidingö. Von Richard Bergh

04 Nordischer Sommerabend. Motiv von Lidingö. Von Richard Bergh

05 Die Meinigen. Frau Karin Larsson mit ihren Kindern Suzanna, Lisbeth, Ulf und Pontus, auf Sundborn. Von Carl Larsson

05 Die Meinigen. Frau Karin Larsson mit ihren Kindern Suzanna, Lisbeth, Ulf und Pontus, auf Sundborn. Von Carl Larsson

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