Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld, den Weg, den er hereingekommen war. ...

Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld, den Weg, den er hereingekommen war. Die Bauern, die hier auf den Aeckern an der Straße arbeiteten, sagten: „Nun, wie geht’s, Herr Lehrer? schon eingewöhnt?“ Der Lehrer gab kurze, aber freundliche Antworten; diese Zuthulichkeit kam ihm fremd vor und beleidigte ihn fast. Er wußte nicht, daß die Leute ein Anrecht zu derselben zu haben glaubten, weil sie ihn zuerst gesehen hatten, zuerst von ihm begrüßt worden waren.

Nach langem Umherschweifen in den Feldern fand er „im Grunde“ einen einsam stehenden Holzbirnenbaum von schönem Schlage. Er umwandelte ihn von allen Seiten, bis er den rechten Punkt gefunden hatte. Nun setzte er sich auf einen breiten Markstein und zeichnete.


Viele Bauern kamen neugierig herbei und schauten zu. Schnell verbreitete sich von Mund zu Mund das Gerücht: der neue Lehrer schreibt die Bäum’ ab.

Der Lehrer zeichnete noch den Hügel gegenüber mit dem Haselbusch und der Brombeerhecke, die sich über einen Felsen wand, auch das Feldhäuschen, in dem man das Feldgeschirr aufbewahrt oder bei Unwetter Schutz sucht; zuletzt zeichnete er einen Bauern mit Pferd und Pflug als Staffage.

Es neigte sich gegen Abend. Mit beruhigter Seele kehrte der Lehrer heimwärts. Unterwegs schlossen sich ihm mehrere Bauern an; ohne viel Umstände zu machen, hielten sie gleichen Schritt mit ihm und hatten gar viel zu fragen. So unbequem dies dem Fremdling war, so ließ er sich’s doch gefallen. Sehr ungeschickt aber war es, daß er auf die Frage: „Nicht wahr, es ist eine schöne Gegend hier herum?“ die Antwort gab: „So so, es geht an.“ Er dachte, daß sich hier nicht viel Malerisches zu finden scheine und konnte das doch nicht sagen. Da ihm die Plumpheit der Kirchturmspitze aufgefallen war, fragte er: „Wer hat die Kirche gebaut?“

Die Leute sahen ihn mit großen Augen an, sie konnten sich gar nicht denken, daß es einmal anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben haben könne, da die Kirche noch nicht da war.

Zu Hause harrte der Lehrer auf den Buchmaier, der ihn seiner Erwartung nach abholen würde. Es dämmerte, auf der Straße regte sich lebendiges Treiben; nur der Lehrer saß still am offenen Fenster. Er gedachte jetzt lebhafter als je, wie notwendig ihm eine Lebensgefährtin sei, die ihn verstünde, damit er nicht mehr „unter Larven die einzig fühlende Brust“ sei.

Es war Freitag Abend; die jungen jüdischen Burschen zogen nach ihrer Gewohnheit singend durch das Dorf. Einst war eine Stimme darunter, die jetzt nicht mehr so hell klingt. Man sang mehr Lieder aus den Büchern. Als man an der Wohnung des Lehrers vorüber kam, wurde eben das schöne Lied begonnen:

Herz, mein Herz, warum so traurig?
Und was soll das Ach und Weh?
‘s ist ja so schön in fremden Landen!
Herz, mein Herz, was fehlt dir denn?

Nach und nach verklang das Lied nach dem obern Dorfe zu. Der Lehrer fühlte sich in tiefster Seele bewegt. Er griff nach seiner Geige und spielte den Sehnsuchtswalzer; das waren im Dorfe nie gehörte Klänge. Bald vernahm er, daß sich viele Menschen vor dem Hause gesammelt hatten; sich selbst und die andern zur Lust aufrufend, spielte er dann noch einen neuen muntern Walzer. Jauchzen und Lachen auf der Straße lohnte ihm.

Endlich ward es dem Lehrer doch zu lange, er verließ das Haus und fragte den ihm begegnenden Matthes nach dem Buchmaier.

„Kommet mit,“ sagte Matthes, „im Adler ist er und am Freitag Abend besonders gern.“

Der Lehrer fand es zwar nicht recht, daß der Schultheiß so bei den andern im Wirtshaus saß, er ging indes doch mit.

Im Adler traf er große Gesellschaft und eifriges Gespräch. Die Juden, die großenteils die ganze Woche nicht zu Hause sind, saßen hier unter ihren christlichen Mitbürgern und tranken; nur mit dem einzigen Unterschiede, daß sie, weil Sabbat war, nicht dabei rauchten.

Eine Weile herrschte Stille, als der Lehrer in die Stube trat; aber bald nach dem Willkomm, und nachdem der Buchmaier neben sich Platz gemacht, fuhr dieser fort:

„Wie gesagt, der Thiers hat mit einem fetten Stück Deutschland Frankreich schmälzen wollen; pros’t Alter, dir hat man die Supp’ versalzen, du wirst nimmer so schleckig sein. Was meinet Ihr, Herr Lehrer?“

„Sie haben ganz recht, nur sollten wir auch das Elsaß wieder haben.“

„Ja, mornemorgen (Morgenfrüh, morn heißt immer so viel als am andern Tag), aber die Elsässer wollen nicht. Wie ich das letzte Mal in Straßburg gewesen bin, hab’ ich mich in die Seel’ ‘nein geschämt, wie sie mich gefoppt haben, ob wir nicht wieder bald falsch Geld haben, das kein’ Heimat hat? Ein rechtschaffener Mann hat mir gesagt: die Beamten von drüben, die wären lieber deutsch, bei uns sind sie am besten bezahlt, sind versorgt auf Kinder und Kindeskinder, und haben Ruh’, aber drüben ist das anders; die Beamten machen das nicht aus. Und wenn’s deutsch würd’, wer sollt’s kriegen? Ein Sohn von dem falschen Sechser? Es ist, glaub’ ich, noch einer da? Oder ein verlegtes hannoverisch Zehnguldenstück? Man thät’s aber nicht einem geben, man thät’s verschnipfeln; sie haben ja den Ueberrhein in drei Teil verschnitzelt, damit man’s auch recht weiß, daß er deutsch ist.“

Der Lehrer saß in stummem Erstaunen nach dieser Rede des Buchmaier; da begann ein starker, wohlbeleibter Mann, dessen städtische Kleidung und eigentümliche Redeweise den Juden nicht verkennen ließ:

„Ja, und die vielen Juden im Elsaß ließen sich eher massakrieren, ehe sie deutsch werden thäten; drüben sind sie vollkommen gleich mit den christlichen Bürgern; wir, wir bezahlen alle Steuern gleich, werden Soldaten wie die Christen und haben doch nur die halben Rechte.“

„Hast recht, Mendle, kriegst aber nicht recht,“ erwiderte der Buchmaier.

Eine Pause entstand, nach welcher der Buchmaier wiederum begann:

„Herr Lehrer, was haltet Ihr von den Tierquälervereinen? Kann man mir befehlen, wie ich mit meinem Eigentume umzugehen hab’? Darf man mich dafür strafen?“

Der Lehrer sah hierin wiederum nichts als die Roheit dieser Menschen; mit großem Eifer verteidigte er daher die Polizeimaßregeln wegen Mißhandlung der Tiere; der Buchmaier aber entgegnete:

„In der Stadt, da kann’s meinetwegen nötig sein, daß man die Leut’ ermahnt, das Vieh zu schonen, aber strafen kann man’s nicht. So ein Kutscher oder Kutschersknecht, oder so ein Livreebeamter, ich will sagen Livreebedienter, der hat kein’ rechte Lieb’ zum Vieh, es ist oft gar nicht einmal sein eigen, und davon, daß er’s aufgezogen hat, ist gar nicht zu reden. Bei uns aber, ich hab’ schon gesehen, daß die Leut’ mehr heulen, wenn ihnen ein Rind draufgeht, als wenn ihnen ein Kind stirbt.“

„Die Herren sollten zuerst die Bauern besser behandeln,“ sagte Matthes. „Der alt’ Amtmann, der hat seinem Hund die besten Wörtle geben und die Bauern nur so angeschnauzt; sie sollten zuerst einen Verein stiften, daß keiner mehr Er zu einem Bauern sagt.“

„Ja,“ sagte der Buchmaier, „die Hauptsach’ ist, die Amtleut’ wollen jetzt gern auch über das Vieh regieren. Ihr werdet sehen, wenn’s so fort geht, wird man über zehn Jahr einem befehlen, was er auf seinem Acker säen darf und wann er ihn brachlegen muß; man kann ja auch seine Aecker quälen und kann ihnen zuviel zumuten.“

„Wenn die Menschen nicht so vernünftig sind,“ sagte der Lehrer, „das gehörige Maß in allen Dingen zu halten, so ist der Staat verpflichtet, das Gute durch Strafen einzuführen.“

„Nein und neunundneunzigmal nein!“ rief der Buchmaier, hielt aber plötzlich inne; sei es, daß er seiner Heftigkeit den Zügel halten wollte, oder daß er in der That nichts vorzubringen wußte. Er trank in langsamen Zügen, währenddessen ein Mann mit gerollten, weißen und schwarzen Haaren, so was man Kümmel und Salz nennt, auf hochdeutsch sagte:

„Man kann die Menschen dafür strafen, wenn sie schlecht handeln, aber man kann sie nicht zwingen, gut zu sein; eine durchs Gesetz erzwungene Güte ist auch keine Güte mehr.“

„Hat recht,“ sagte der Buchmaier auf die Rede des Mannes, dessen Rede trotz des Hochdeutschen in dem singenden Tone des jüdischen Dialekts gesprochen war. Der Lehrer aber ging nicht darauf ein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er, wie die gelehrten Herren pflegen, auf die Gegenrede eines Juden that, als ob sie nicht vorgebracht worden wäre; vielmehr betrachtete er nur den Buchmaier als seinen Gegner, er fragte diesen:

„Glauben Sie, daß der Staat ein Recht hat, die Leute durch Strafen zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken?“

„Freilich, freilich.“

„Ja warum denn?“

„Weil das in der Ordnung ist.“

„Ja, man hat doch aber kein Recht, die Leute zu zwingen, daß sie gut seien.“

„Man kann’s aber strafen, wenn sie schlecht sind, und wer sein Kind nicht in die Schul’ schickt, der handelt schlecht. Ist’s nicht so?“ schloß der Buchmaier zu dem gewendet, der vorhin das Wort für ihn ergriffen hatte.

„Gewiß,“ erwiderte dieser. „Der Staat ist der Vormund derer, die nicht selber für sich sorgen und sich nicht wehren können. Wie er die Pflicht hat, sich um ein Kind anzunehmen, wenn ihm die Eltern sterben und so durch den Tod nicht mehr für dasselbe sorgen können, so muß er auch solche, die durch Dummheit oder Schlechtigkeit ihre Kinder vernachlässigen, durch Strafen zu ihrer Pflicht zwingen.“

„Hat recht, hat rechtschaffen recht,“ sagte der Buchmaier triumphierend.

Ohne sich an den, wie ihm schien, unberufenen Redner zu wenden, doch auch ohne ihn zu vermeiden, sagte der Lehrer:

„Wenn der Staat der Vormund der Unmündigen ist, derer, die sich nicht selber helfen und wehren können, so hat er auch die Herrschaft über das Vieh, das in gleichem Falle ist wie die Kinder.“

„Aepfelstiel und Birenschnitz, wie kommen die Rüben in den Sack? Das ist gar kein Vergleich,“ sagte der Buchmaier lachend. „Herr Lehrer, nichts für ungut, aber da habt Ihr Euch vergaloppiert. Ich hab’ zu Haus ein Waisenrind, das arme Tierle hat kein’ Vater und kein’ Mutter mehr, ich muß bigott morgen den Gemeinderat zusammenkommen lassen, man soll ihm einen Vormund setzen.“

Ein schallendes Gelächter erdröhnte in der ganzen Stube. Der Lehrer gab sich alle Mühe, seine Ansicht näher zu begründen, aber er konnte nicht mehr zu einer ordentlichen Auseinandersetzung kommen. Die ganze Versammlung war seelenfroh, daß das zu ernste Gespräch endlich eine lustige Wendung genommen hatte. Nur so viel vermochte er darzulegen, daß er weit entfernt sei, die Kinder und das Vieh in eine Reihe zu stellen.

„Davon ist keine Red’,“ sagte der Buchmaier, „Ihr habt ja des Matthesen Hannesle einen Kuß geben, das thut man keinem Vieh. Aber jetzt ist mir’s, wie wenn ich eine dreifache Versicherung hätt’, daß das mit den Tierquälervereinen nichts ist, als den Hühnern die Schwänz’ ‘naufbinden, sie tragen’s schon allein oben.“

Die Heiterkeit steigerte sich nun immer mehr, überall öffneten sich die Schleusen eines nicht immer sehr wählerischen Witzes. Der Lehrer war nicht dazu aufgelegt, sich davon fortreißen zu lassen, vielmehr ward er im Tiefinnersten verstimmt.

Mit jenem quälenden Gefühle, vor mehreren seine Ansicht ausgesprochen zu haben, ohne sie ganz dargelegt zu haben und ohne ganz gehört worden zu sein, verließ der Lehrer nun bald das Wirtshaus. Er sah es wohl ein, wie schwer es ist, eine Versammlung von Erwachsenen in der gründlichen Erforschung eines Gedankens zu leiten und ihn durchzukatechisieren; bald aber verließ er diese Betrachtung wieder und ward überzeugt, daß er hier die Roheit: getroffen, die nicht in der eckigen und derben Natürlichkeit, sondern in der selbstgefälligen Mißachtung der Bildung und der verfeinerten Ansichten besteht. Er war sehr betrübt. Der Vorsatz: sich nur der bildsamen Kindheit und der reinen Natur hinzugeben, befestigte sich stets mehr in ihm.

Andern Tages, es war Samstag, machte der Lehrer die Besuche bei den Gemeinderäten, er traf aber keinen zu Hause. Er ging nun zuletzt zu dem alten Schullehrer, man wies ihn nach einem Garten am Wege. Hier waren die Beete nach der Schnur schon geordnet und mit Bux eingefaßt; der üppige Buchenzaun, der das Ganze einhegte, war schön geschoren, und nach genau abgemessenen Zwischenräumen erhob ein Stämmchen nach dem andern seine gerundeten Zweige über den Hag. In der Mitte war ein Rondell, um welches ein mehrere Schuh hoher Bux einen natürlichen Kübel bildete, Blumen aller Art knospeten und blühten. Man vernahm hinten am Garten, in der Nähe der Laube, ein Gespräch. Der Lehrer trat auf die beiden Männer zu, und seinen Hut abziehend sagte er:

„Kann ich den Herrn Schullehrer sprechen?“

„Wir sind zwei für einen, he, he,“ sagte der alte Mann, der hemdärmelig die Hacke in der Hand hielt.

„Ich meine den alten Herrn Lehrer.“

„Das bin ich, und das ist der Judenlehrer, he, he,“ erwiderte der Mann mit der Hacke, auf seinen sabbatlich geputzten Nebenmann deutend.

„Das ist mir lieb, daß ich Sie auch hier treffe. Haben wir uns nicht gestern gesprochen?“

„Als Sie mit dem Schultheißen sprachen.“

Der alte Mann warf die Hacke weg, that die Pfeife aus dem Munde, griff schnell nach seinem Rocke und wollte ihn anziehen; unser Freund aber verhinderte dies.

„Wir brauchen voreinander keine Umstände zu machen,“ sagte er, „wir sind ja Kollegen, ich bin der neue Lehrer. Gehört der Garten Ihnen eigen?“

„He, he, wem denn? Ja,“ erwiderte der Alte; alle seine Reden waren mit einem aus tiefer Brust geholten Lachen begleitet. „Grüß Gott in Nordstetten,“ setzte er hinzu und reichte dem Angekommenen die Hand; diesem war es, als ob er die eiserne Hand Berlichingens fasse, so hart war sie anzufühlen.

Der jüdische Lehrer stand in Verlegenheit da, seine gefalteten Hände aufeinander reibend. Er wußte nicht, sollte er dem Angekommenen die Hand reichen oder nicht. Er fürchtete, zudringlich zu erscheinen, da man ihn nicht aufgesucht hatte; sodann fühlte er sich auch durch diese Nichtbeachtung beleidigt, er glaubte sich durch Zuvorkommenheit etwas zu vergeben.

Diese beiden Gefühle – Furcht vor Zudringlichkeit und Mißachtung auf der einen, und vor zu weit getriebener Empfindlichkeit auf der andern Seite – das sind die beiden Schächer, zwischen denen der Jude im gesellschaftlichen Leben gekreuzigt ist, sie bleiben es so lange, als seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft keine gesicherte und vor Mißdeutungen geschützte ist.

Wie alle gebildeten Juden aus der älteren Generation hatte der jüdische Lehrer die Sätze der Schrift genau inne, er gedachte der Bibelstelle: „Liebet den Fremden, denn ihr waret selbst Fremde im Lande Aegypten,“ und „Betrübe den Fremden nicht, denn du weißt, wie es ihm zu Mute ist.“ Er gedachte der Freude, die ihm vor Jahren ein freundliches Entgegenkommen bereitet hatte. So stand er nun da, seine Lippen bewegten sich still, alle seine Gesichtsmuskeln zuckten. Er trat endlich auf den Angekommenen zu, reichte ihm die Hand und hieß ihn mit besonderer Herzlichkeit willkommen. Der Fremde sagte:

„Sie können mir gewiß viel Anleitung gehen, meine Herren, über mein Verhalten dahier; ich bin hier so ganz fremd.“

„Ich kann mir das noch recht gut denken,“ nahm der jüdische Lehrer das Wort, „ich war auch bloß auf Verfügung des Konsistoriums hierher gekommen und kannte keinen Menschen. Ich wünschte mir oft, ich hätte eine Zeitlang inkognito dableiben können, um die Charaktere der Eltern genau zu beobachten, und ohne die Eltern, wissen Sie wohl, ist auch bei den Kindern nichts auszuführen. Bei mir war noch der besondere Umstand, daß ich vor fünfundzwanzig Jahren zum erstenmal eine geordnete Schule einzurichten hatte, was die Juden damals noch gar nicht kannten. Ich kam mir in der ersten Zeit vor, als wär’ ich in eine fremde Welt verzaubert.“

„Nun, du hast dich bald verzaubern lassen und hast das schönst’ Mädle aus dem Ort geheiratet, he, he, und das war auch recht,“ erwiderte der alte Mann. Zu unserm Freunde gewendet fuhr er fort: „Ihr müsset halt auch ein Mädle aus dem Ort heiraten.“

Unser Freund fuhr so bestürzt zurück, daß er in ein wohlgeglättetes Beet trat; es war ihm, als hätte sich alles gegen ihn verschworen, um ihn zu verkuppeln. Nachdem er sich über die angerichtete Zerstörung entschuldigt, sagte er:

„Ich meine nur über mein Verhältnis zu den Eltern und den Kindern.“

„Nur recht streng,“ sagte der Alte, die zertretene Stelle wieder aufhäckelnd. „Von dem neuen Schulwesen versteh’ ich nichts, da fragt man die Kinder: wer hat den Stuhl gemacht? als wenn man das nicht schon von selber wüßt’; da lautieren sie b. k. l. m. wie die Stummen, es gibt gar kein ABC mehr.“

„Sie meinen also recht streng?“ erwiderte ablenkend unser Freund.

„Ja. Wie die Mannen im Dorf ‘rumlaufen, ist keiner da, der es nicht aus dem Salz von mir kriegt hat, und sag du, ob sie nicht noch heutigestags allen Respekt vor mir haben?“

„Ganz gewiß,“ sagte der jüdische Lehrer lächelnd. Der Alte fuhr fort:

„Und wenn eine Lustbarkeit im Dorf ist, da darf man nicht den vornehmen Herrn spielen, der sich’s eine Weile so anguckt, wie das dumme Volk auch lustig sein kann; nein, da muß man auch mitthun. Kreuz Himmel! Ich hab’ die tollsten Streich mitgemacht, den Balbiererstanz, den haben sie von mir gelernt, und den Siebensprung, den hab ich mit meiner Gret immer vorgetanzt; es juckt mich noch in den Beinen, wenn ich daran denk’.“

„Sie waren aus der Gegend, Sie konnten schon eher so etwas mitmachen.“

„Ich bin nicht aus der Gegend. Anno fünf ist hier erst württembergisch geworden, damals war alles vorderösterreichisch. Ich bin bei Freiburg daheim.“

„Sie haben wohl viel erlebt?“

„Das will ich meinen. Die Leut’, die jetzt dreißig Jahr’ alt sind, die wissen gar nichts von der Welt, da geht alles glattweg, wie auf der Kegelbahn. So ein Lehrer, ich mein’ Euch nicht mit, aber was weiß denn jetzt so einer? Wo ist er in der Welt gewesen? In den Büchern ist er gesteckt. Da geht alles jetzt seinen geweis’ten Weg, eins, zwei, drei, Schüler, Seminarist, Lehrer. Ich war Soldat, ich war Musikant, ich war Schreiber auf dem Amt in vielerlei Herren Ländern. Ich hab’ Russen und Franzosen und Sachsen und alles Teufelszeug mit durchgemacht. Ich hab’ hier im Ort ein Buch angefangen gehabt und mit der schönsten Fraktur, und denket nur einmal, grad wie ich beim F bin, kommen die Teufelsfranzosen; da war’s aus, die haben Fraktur mit einem gesprochen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 2