Zwanzigstes Capitel. - Die Vendômesäule. - Man muß sehr lachen, wenn man der drolligen Verlegenheit einiger französischen Schriftsteller begegnet, welche Beschreibungen von Paris zum Gebrauche der Fremden verfaßt haben. ...

XX. Die Vendômesäule

Man muß sehr lachen, wenn man der drolligen Verlegenheit einiger französischen Schriftsteller begegnet, welche Beschreibungen von Paris zum Gebrauche der Fremden verfaßt haben. Viele Bauwerke, in neuerer Zeit entstanden, erregen und verdienen die Bewunderung aller; aber wie davon sprechen? Napoleon hat sie geschaffen. Um dieser stechenden Wahrheit auszuweichen, sieht man jene armen Herren sich wie Raupen krümmen. Sie reden in mancherlei Windungen und stellen für schreibende Höflinge die schönsten Stilmuster auf. Sie sagen: alle Bauwerke der kaiserlichen Regierung wären schon unter Ludwig XIV. beschlossen worden, Ludwig XV. habe wohl daran gedacht, die Entwürfe seines Vorgängers auszuführen, habe aber, um das dazu nötige Geld zu holen, die benachbarten Staaten nicht erobern wollen; Ludwig XVI. sei auf gleiches bedacht gewesen, habe es aber unterlassen, um seine Untertanen nicht mit Abgaben zu beschweren. Dann sagen sie: Napoleon habe nur aus Eitelkeit viel bauen lassen. Dann, um die Schnelle, mit welcher unter ihm so viele und große Werke entstanden, der Bewunderung zu entziehen, sagen sie: Bonaparte habe zu Pferde der Unsterblichkeit zueilen wollen. Ferner: er habe wohl begriffen, daß ihm jene Kunstwerke größern Nachruhm bringen würden als seine verheerenden Schlachten. Ferner: es habe ihm geahnet, daß es mit seiner Herrlichkeit nicht lange dauern würde, und darum habe er sich beeilt, ein gefälliges Andenken zurückzulassen. Endlich, weil sie fürchten, noch nicht genug geschmeichelt, Napoleon noch nicht genug gelästert zu haben, sagen sie: Er habe die Baukunst nicht geschätzt, die Baukünstlern nicht aufgemuntert, nicht belohnt, sie vielmehr gehaßt, weil ihn, da er noch Lieutenant gewesen, ein Architekt wegen einer Schuld bei dem Friedensrichter verklagt hatte. Wenn dieses wahr ist, muß man sich wundern, daß Napoleon nicht auch die Ammen und Kindermädchen verfolgt, weil ihm, als er noch Kind war, höchst wahrscheinlich eine dieser Personen irgend ein Pätschchen gegeben. Bei Gelegenheit der Vendômesäule sagen jene immergrünen Schmeichler: Napoleon hat die Säule jener des Trajan zu Rom sklavisch nachbilden lassen, weil er den Künstlern nicht vergönnen mochte, eigenem Schöpfungsgeiste zu folgen. Daß er ein Taugenichts war, wissen wir auswendig genug, aber mit der Vendômesäule hat er recht gehabt. Die Künstler unserer Tage haben nur gelernt, den Reichen und Mächtigen zu gefallen. Ein Bildchen, zwischen hölzernen Stäben eingesperrt, in der warmen Stube aufgehängt, von Gardinen gegen die Sonne, von Schloß und Riegel gegen freie Untersuchung geschützt – das ist ihr höchstes Tun. Aber ein Bauwerk unter freiem Himmel, auf den Markt des freien Urteils hinzustellen, allen verständlich, allen gefällig, und das groß in die großen Augen des Volks einzieht – das vermögen sie nicht. Aber die alten Römer vermochten es, und darum war es wohlgetan, eines ihrer Werke nachzuahmen. Die Vendômesäule ist das schönste unter allen Bauwerken Napoleons; unter solchen nämlich, die eine sittliche Vorstellung ausdrücken. Denn was die Gebäude betrifft, die dem Vorteile des tierischen Menschen gewidmet sind: Märkte, Wein-, Getreidehallen, Schlachthäuser, die der französische Kaiser aufführen ließ, so muß man gestehen, daß die alte Welt nichts Ähnliches vorzuzeigen hatte.


Die Säule auf dem Platze Vendôme soll, wie bekannt, die Siege der Franzosen im Jahre 1805 verherrlichen. Sie ist rundum bis zu ihrer Spitze mit Bildwerken halb erhabener Arbeiten bedeckt, wozu zwölfhundert eroberte Kanonen das Metall gegeben. Ein schönerer Baustoff, als den der türkische Kaiser zu verwenden gedenkt, welcher wie eine deutsche Zeitung schmunzelnd erzählt hat, bei seinem Barte geschworen, in Griechenland eine Moschee von Christenschädeln aufrichten zu lassen! Die Spitze der Säule krönt eine Kuppel, auf welcher bis zur Rückkehr der Bourbonen die Statue Napoleons stand. Sie war, wie ihr Urbild, so fest auf den Beinen, daß man sie absägen mußte. Aus dem Leibe des Helden wurde später das Pferd gegossen, worauf Heinrich IV. auf dem Pont-Neuf sitzt. Eine finstere Treppe führt zur Galerie, welche die Kuppel der Säule umgibt. Mit einer Laterne in der Hand steigt man den ängstlichen Weg hinauf, der so eng ist, daß man dem Herabkommenden zurufen muß, oben zu warten, denn zwei sich Begegnende könnten sich nicht ausweichen. So sind die Wege des Ruhmes! Von der Höhe der Säule hat ein Held der alten Garde sich vor einigen Jahren herabgestürzt. Beargwohnt von der Schwäche, geneckt, verfolgt, ward ihm das Leben zur Last. In fünfzig Schlachten war er den Lanzen und Schwertern des Feindes kühn entgegengetreten – vor den Nadelstichen der Polizei nahm er feig die Flucht. Von dieser Säule des Ruhms schaut man auf das heutige Paris hinab – ein Anblick, der einem Deutschen wohltun würde, wenn es die Binse größer und stärker machte, daß der Sturm die Eiche niederwarf. Auch haben sie, um der Weltgeschichte Höflichkeit zu lehren, die Inschrift vertilgt, die am Fuße der Säule deren Bestimmung ausdrückte. Die Inschrift war in lateinischer Sprache, und die Wenigsten hatten sie verstanden: die leere Tafel kann jetzt jeder dumme Bauer lesen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.