Sechstes Capitel. - Die Läden. - Sich in dieser Riesenstadt hervorzutun, sich in diesem Ozean als einzelne Welle bemerklich zu machen, erfordert große Übung, die aber keinem Eingebornen mangelt. ...

VI. Die Läden

Alexander der Große gab sich viele Mühe, die Welt zu erobern, nur damit die Athenienser von ihm sprächen. Das wäre eine ganze Welt zu viel, um die Pariser einen Tag, um sie ein Jahr lang von sich reden zu machen, eine Welt zu wenig. Es dahin zu bringen, müßte man die eroberte Welt auch wieder verlieren. Sich in dieser Riesenstadt hervorzutun, sich in diesem Ozean als einzelne Welle bemerklich zu machen, erfordert große Übung, die aber keinem Eingebornen mangelt. In Deutschland ist Scharlatanerie die Krücke eines lahmen Verdienstes; hier ist sie die notwendige Einfassung, von der entblößt auch der echteste Diamant keine Blicke anzieht. Man muß es den Parisern zum Lobe nachsagen: sie wissen jede schöne Gabe zu würdigen, die Tugend sogar, nur muß sie lärmen; selbst Bescheidenheit findet ihren Beifall, wenn sie zu reden versteht, ohne die Lippen zu bewegen. Das Verdienst, das hier zugrunde geht, an dem geht nichts zugrunde. Von allen den Kunstgriffen, die von jedem in seinem Kreise angewendet werden, seine Person und seinen Besitz auf das vorteilhafteste geltend zu machen, könnte man ein großes Buch anfüllen. Ich will dieses Mal nur einige der sinnlichen Mittel erwähnen, welche die Warenhändler gebrauchen, die Kauflust zu erwecken und die Kauflustigen anzuziehen. In denjenigen Teilen der Stadt, wo die Theater, die öffentlichen Spaziergänge, die andern Sehenswürdigkeiten liegen, wo daher die meisten Fremden wohnen und sich umhertreiben, gibt es fast kein Haus ohne Laden. Es kommt auf eine Minute, auf einen Schritt an, die Anziehungskräfte spielen zu lassen; denn eine Minute später, einen Schritt weiter steht der Vorübergehende vor einem andern Laden, worin er auch die Ware findet, die er suchte. Die Augen werden einem wie gewaltsam entführt, man muß hinaufsehen und stehen bleiben, bis der Blick zurückkehrt. Der Name des Kaufmanns und seiner Ware steht zehnmal neben, untereinander auf den Türen, über den Fenstern auf Schildern geschrieben, die Außenseite des Gewölbes sieht aus wie das Schreibbuch eines Schulknäbchens, das die wenigen Worte der Vorschrift immerfort wiederholt. Die Zeuge werden nicht in Mustern, sondern in ganzen aufgerollten Stücken vor Türe und Fenster gehängt. Manchmal sind sie hoch am dritten Stocke befestigt und reichen nach allerlei Verschlingungen bis zum Pflaster herab. Der Schuhmacher hat die Außenseite seines ganzen Hauses mit Schuhen aller Farben bemalt, welche bataillonsweise zusammenstehen. Das Zeichen der Schlosser ist ein sechs Fuß hoher vergoldeter Schlüssel; die Riesenpforten des Himmels brauchten keinen größern. An den Läden der Strumpfhändler sind vier Ellen hohe, weiße Strümpfe gemalt, vor welchen man sich im Dunkeln entsetzt, man glaubt, weiße Gespenster strichen vorüber. So hat hier jeder auch für die kleinsten Fische, die er fangen will, einen großen Haken. Auf eine edlere und anmutigere Weise wird aber Fuß und Auge durch die Gemälde gefesselt, welche vor vielen Kaufläden ausgehängt sind und gewöhnlich die Art des Verkehrs sinnbildlich ausdrücken. Diese Gemälde sind nicht selten wahre Kunstwerke, und wenn sie in der Galerie des Louvres hingen, würden Kenner wenn auch nicht mit Bewunderung, doch mit Vergnügen vor ihnen stehen bleiben. Sie sind zugleich treffende Sittenbilder aus dem Pariser Leben, und es ist darum so lehrreich als unterhaltend, sich mit ihnen zu beschäftigen. Ich will einige, die mir aufgefallen sind, beschreiben. Den Laden eines Shawls-Händlers ziert ein Bild mit sieben lebensgroßen Figuren; es führt die Überschrift: au serment. Drei Männer überreichen dreien Frauen mehrere Shawls und machen dabei mit den Händen feierlich beteuernde Bewegungen. Sie schwören, daß dieses echte französische Shawls wären, und mögen wohl hinzusetzen, daß brave Franzosen englische Waren verabscheuten, denn ein im Hintergrunde stehender Engländer wirft erboste Blicke auf das mer kantilisch-patriotische Triumvirat herüber. Das ist die offene Bedeutung des Bildes; es hatte aber früher noch eine versteckte. Bis vor zwei Jahren nämlich waren die dargebotenen Shawls von weißer, roter und blauer Farbe, und die Kaufherren schwuren, daß dieses die echten, jedem Franzosen teuern Farben wären; aber auf Gebot der hypochondrischen Polizei, die jedes Lüftchen fürchtet, mußte eine der Farben ausgelöscht werden ... Unweit dem vorigen hängt am Hause eines Perückenmachers ein Bild, das zwar schlecht gemalt ist, aber eine drollige Vorstellung enthält. Der Kronprinz Absalon hängt mit den Haaren am Baume und wird von einer feindlichen Lanze durchbohrt. Darunter die Verse:


Contemplez d'Absalon le déplorable sort,
S'il eût porté perruque, il évitait la mort.

Ein anderes sehr gut gemaltes Bild, ein Rosenmädchen vorstellend, das knieend aus den Händen eines Ritters den Kranz empfängt, schmückt die Ladentüre einer Putzmacherin. Das Mädchen sieht so fromm und unschuldig aus, daß junge Leute ohne Erfahrung, deren es aber in Paris keine gibt, daran irre würden und vorübergingen, ihre Handschuhe in einem anderen Laden zu kaufen ... Ein Vögelhändler zieht die Aufmerksamkeit durch ein Gemälde an, welches die Arche Noah vorstellt. Der ganze Prolog der Sündflut ist darauf gemalt. Die Arche liegt ganz gemächlich im Trocknen und wartet, bis die Flut komme, sie flott zu machen. Vater Noah spielt mit einem Affen und macht ein diplomatisches Gesicht: er allein weiß, was vorgeht. In einer unabsehbaren Reihe kommen die vierfüßigen Tiere herbeigelaufen, sich in die Arche zu retten. Sie gehen je zwei und zwei, aber ohne allen Geburtsrang, wie es in der Not gewöhnlich ist; der Löwe folgt dem Pferde, der Fuchs geht dem Esel voraus, der Hase läuft dem Hunde nach. Es ist ein herrliches Bild! Am anziehendsten wird aber jeder, gleich mir, das Gemälde finden, das ein Professor der deutschen Sprache und der seinem Namen nach ein geborener Deutscher ist, vor seiner Wohnung im Palais Royal hängen hat. Ein Mann in den besten Jahren und ohne Zweifel der Professor selbst, sitzt mit einem Buche in der Hand in einem Lehnsessel, beschäftigt, einem vor ihm stehenden Knaben seine Lektion abzuhören. Etwas weiter zurück sitzt ein wunderschönes, junges Mädchen, und hinter ihm, über dem Stuhle gelehnt, steht ein roter Husarenoffizier, der nach aller mimischen Wahrscheinlichkeit eine Liebeserklärung vorbringt. Das Mädchen zeigt mit dem Finger auf eine Stelle des Buches, und der französische Husar, die Hand auf das Herz gelegt, scheint ihr nachzusprechen: ick lie-be. Ich habe aus diesem Bilde mit großem Vergnügen ersehen, daß deutsche Professoren in Paris Welt bekommen. In unserm Vaterlande wäre ein Sprachlehrer zu schüchtern, durch ein Aushängeschild bekannt zu machen, daß er Schule für den wechselseitigen Unterricht zwischen jungen Mädchen und roten Husarenoffizieren halte.

Ich darf den neuen Bijouterieladen des Herrn Franchet in der Straße Vivienne nicht vergessen. Sechs Monate wurde an diesem Laden gearbeitet, und die Glücklichen, welchen es gelang, einen Blick hinter die vorgehängten Tücher zu werfen, konnten nicht Wunder genug erzählen. Endlich vor drei Wochen, am Geburtstage des Herzogs von Bordeaux, wurde die Bude geöffnet; Herr Franchet ist nämlich der Juwelier der Herzogin von Berry: Diese Bude, ein kleines Zimmer von höchstens zwanzig Fuß Länge, hat vierzigtausend Franken gekostet, so prachtvoll ist alles eingerichtet. Über dem Eingange nach der Straße zu sind in zwei goldnen Kreisen zwei sorgfältig gemalte Wappen angebracht. Der eine Kreis umfaßt vereinigt das Wappen des französischen und neapolitanischen Hauses; der andere enthält ein etwas mystisches Wappen. Es sind erst die Krystallisationspunkte zu zukünftigen Herrlichkeiten, Embryonen von Königreichen, Kronen in der Eierschale – kurz, es steckt etwas dahinter und mag sich alles auf den Herzog von Bordeaux beziehen. Hiesige bevollmächtigte Gesandten, die ihr Geschäft verstehen, werden gewiß nicht versäumt haben, ihre Späher hinzuschicken, um zu untersuchen, ob nichts Erkleckliches herauszuziffern sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.