Dreiundzwanzigstes Kapitel. - Die Septennalité. - Zum Glücke schlug die Pendüle Mitternacht, und ich hatte zwölf Sekunden Zeit, mich auf eine Lüge zu besinnen. ...

XXIII. Die Septennalité

„Sie stirbt daran ... Vielleicht besser so, daß ihre Leiden enden ... Wir brauchten eine von Erz ... Ihr werdet sehen, es ist ihr Salto mortale ... Er liebt die Wüsten, wo man horcht der Stimme der Natur ... der Silberstimme der Natur ... die Schande? Eine Flasche Jordanwasser wäscht alle Flecken rein.“ – Die Reden wurden immer saurer, Adelens Blicke auf Alphons immer süßer. Die Gute hatte auch ihrem armen Vaterlande ein stilles Kämmerchen in ihrem Herzen eingeräumt, und sie klopfte manchmal an, zu hören, wie es ihm ging. Auch jetzt horchte sie und fragte ihre Mutter: Mama, was ist denn die Septennalité? Doch Frau von Beauvais hätte zwanzig Zungen haben können, und sie hätte Adelen nicht geantwortet. Sie für sich allein glich an Emsigkeit einem Ameisenhaufen. Zucker, Salz, Essig, spanischen Pfeffer und andere Mundgewürze, die ihr bald dieser, bald jener reichte, mischte sie zusammen, eine schmackhafte Unterhaltung zu bereiten, damit es morgen heiße: der Abend gestern war köstlich! – „Mama!“ – Frau von Beauvais begnügte sich, ihre linke Hand auszustrecken, doch ohne dieser nachzusehen, und sprach: laß dir das von dem Herrn erklären, Adele. – Welchen Herrn hatte sie gemeint? Der funkelnde Diamant am ausgestreckten Zeigefinger warf zwei Strahlen, einen auf mich, einen auf Alphons; doch Alphons war jung und geliebt, und da faßte Adele mich bei der Hand, zog mich in ein himmelblaues Stübchen, das, von einer Milchlampe erhellt, wie im Mondlichte schwamm, und legte die Türe bei, damit das Waffengetöse der streitenden Zungen uns nicht störe. – Ach, die häßliche Zeit, wo schöne Kinder uns ohne Zittern die Hände drücken und ohne Furcht mit uns allein sind im himmelblauen Stübchen! „Nun, mein Herr, was ist die Septennalité?“ – Zum Glücke schlug die Pendüle Mitternacht, und ich hatte zwölf Sekunden Zeit, mich auf eine Lüge zu besinnen. Der letzte Schlag war schon fünf Minuten ausgeklungen, und ich sah immer noch auf die Uhr; denn die Uhr stand vor dem Spiegel, und vor dem Spiegel saß auch Adele in einer Bergère. Wer dieses Mädchen einmal sah, wünschte sie immer zu sehen oder sie nie gesehen zu haben. Maler würden ihre Pinsel und ihre Palette wegwerfen und Raphael einen Stümper schelten. Dichter wendeten den neun Bettlerinnen verächtlich den Rücken zu, und ein Kriminalrichter jammerte wohl über die Qual, auf dem Rade ihres großen Auges geflochten zu sein! – „Nun, mein Herr? ... Sie seufzen? ... Sie sind nicht wohl?“ Nein, Adele, es war die letzte Saite meines Herzens, die gesprungen. –


Es war einmal ein König, der hatte einen bösen Traum .... „Glauben Sie an Träume, mein Herr?“ – Werde ich dürfen, Adele? – „Was träumte der böse König?“ – Sie müssen mich besser hören, Adele; ich sprach von keinem bösen König, ich sprach von des Königs bösem Traum ... Er träumte, er stünde am Ufer eines großen Stromes, und aus dem Flusse stiegen sieben Kühe; die waren fett. Dann kamen sieben andere Kühe, die waren mager ... „Das waren vierzehn Kühe; ach, mein Herr, wie wäre ich da fortgelaufen?“ – Sie dürfen mir nicht in die Rede fallen, Adele. Sie bringen mich ganz in Verwirrung. Was habe ich sagen wollen? Nein, das war es ja gar nicht!

Vor viertausend Jahren lebte ein Jüngling, der Jakob hieß. Zu diesem sprach eines Tages sein alter Vater: – Hast du nie geliebt? ... „Nie, mein Herr ... Nie, mein Vater,“ erwiderte Jakob. – Adele war purpurrot. Beneidenswerter Alphons, es war die Morgenröte deines Glückes, welche flammte! – ... So gehe hin, mein Sohn, und lerne lieben. Als der Morgen graute, nahm Jakob seines Vaters Segen und den Stab und wanderte, bald an dürren Ufern heißer Ströme, bald durch Palmenwälder, bald über Zedernberge. Am Abend des dritten Tages, da er müde und durstig war, hörte er eine Quelle murmeln, und er folgte ihrer Stimme. Er sah ein Mädchen, das sich bückte, den Stein wegzuwälzen, mit welchem Hirten die Mündung der Quelle verschlossen. Jakob nahte sich unbemerkt, dem Mädchen zu helfen. Die Hirtin richtete sich auf, gewahrte Jakob, ein Himmelsstrahl spaltete sich, zündete in beider Herzen, und sie sanken sich lautlos in die Arme. Jakob erwachte zuerst aus dem Entzücken, schaute dem Mädchen in das leuchtende Auge und sprach: Wie nennst du dich? – Ich bin Labans Tochter, und Rahel nennt mich der Vater. Und du? – Ich bin der Sohn Isaaks und Rebekkas, und Jakob nennt mich die Mutter. – Jakob drückte Rahels Hände an seine Brust und sprach: Hier, hier, wo die Seele sitzt, da war es mir wie gebunden; jetzt bin ich frei. Freiheit, süße Freiheit! Du, Rahel, reichtest mir der himmlischen Lust unvermischten Trank. – Rahel sprach zu Jakob: Hier, hier, wo es mir im Verborgenen schlägt, ach, da war es mir so bang und düster! Jakob, mein Hort und Licht, ich zittere nicht mehr, es ist mir nicht mehr dunkel. – Willst du mein Weib sein, Rahel? Das Mädchen errötete nicht und sprach: fordere mich von meinem Vater. Dort hinter dem Hügel lagert er, unter seinen Knechten und Herden, und das ganze Land ehrt und fürchtet den mächtigen Laban. Sie gingen den Hügel hinauf, hinter ihnen sprangen die Lämmer. Sie gingen den Hügel hinab, und Rahel zeigte ihres Vaters Zelt, das im Lager hervorragte. Jakob, Rahel an der Hand, trat kühn und frank vor Laban und sprach: Gottes Segen über Euch, Herr Fürst! Ich heiße Jakob, gebt mir Eure Rahel zum Weibe! – Laban war ein mächtiger und schlimmer Herr, und der Zorn kochte in seinem Herzen über des Jünglings kühne Rede. Doch Laban war ein Schelm, und er lächelte nur. – Herr Jakob, sprach er, Rahel kann ich Euch nicht gewähren; doch wollt Ihr dort meine Tochter Lea zum Weibe, so nehmt sie, und mit ihr Knechte und Herden, so viel Ihr begehrt. – Herr Fürst! erwiderte Jakob, Eure Herden begehre ich nicht, nach Rahel steht mein Sinn. – Guter Jakob, sprach Laban sanft und lächelte wieder, Ihr seid zu jung für meine Rahel. Wartet, bis Ihr älter geworden. Dient mir sieben Jahre, treu, wie es einem Knechte geziemt; dann führt Rahel in Euer Zelt. – Das will ich tun, Herr Fürst! sprach Jakob; und treu diente er seinem Herrn. Jakob und Rahel liebten sich, sie sahen sich, und ungezählt gingen sieben Jahre vorüber. Aber die tückische Lea, tückischer, weil sie verschmäht war, kränkte oft ihre Schwester, verleumdete Jakob bei ihrem Vater, und Rahel weinte im stillen. Jakobs Dienstzeit ging zu Ende, und der verheißene Tag seines Glückes kam. Die Flamme loderte auf dem Altare, die Braut, von einem dichten Schleier verhüllt, der ihr bis zu den Füßen wallte, stand davor; der Priester sprach den Segen. Während dieser murmelte, vernahm Jakob eine weinende Stimme. Es ist Lea – dachte er. Sie hat Rahel oft betrübt; doch sie ist unglücklich; ich will ihr Freund sein. – Der Segen war gesprochen; die Anvermählte hob ihren Schleier auf – Jakob trat blaß und erschrocken zurück. Es war nicht Rahel, es war Lea, der Jakob angetraut, und die weinende Stimme, die er vernommen, war der getäuschten Rahel ihre. Laban der Schelm, hatte ihn betrogen. – Ergrimmt nahm Jakob einen Feuerbrand vom Altare und stürzte auf Laban zu; der wurde bleich. Doch Laban war alt und schwach, und dem Jüngling sank der drohende Arm. Da lächelte Laban der Schelm, und sprach: Seid nicht böse, guter Jakob! Ihr seid zu alt für meine Rahel. Dient mir sieben andere Jahre, bis Rahel mehr herangewachsen, dann sei sie Euer. – Jakob begegnete Rahels flehendem Blick – und er willigte ein. Laban lächelte. Auch diese sieben Jahre gingen vorüber; doch Laban verschob von Morgen zu Morgen seiner Pflicht Erfüllung. Da kam gerechter Zorn über Jakob, und er sprach: Gewalt gegen Gewalt, Trug gegen Trug. In einer Nacht führte er Herden weg, soviel ihm gebührte; wählte unter den Knechten, die ihm alle folgen wollten, denn sie liebten ihn, eine auserlesene Schar und entfloh mit Rahel, Laban der Schelm setzte ihm nach .... „O, bitte, mein Herr, nur einen Augenblick! Mama hat mich gerufen.“

Der Augenblick ward zur Minute, der Minute folgten noch viele andere Minuten; aber Adele kam nicht zurück. Ich trat in den Saal. Man stritt noch immer; Frau von Beauvais wirtschaftete so emsig wie zuvor; man lachte, scherzte, aß Gefrorenes und spielte Karten. Aber Adele saß am Fenster neben Alphons und koste die letzte Wolke der Eifersucht von seiner Stirne weg. Sie hatte Laban, Rahel, mich und die Septennalité vergessen. Glücklicher Alphons! Liebe ist noch schöner als Freiheit. Liebe, Alphons; und wenn du satt bist – hasse!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.