Aloys Wilhelm Schreiber - Die Belagerung von Neueberstein.

Im Jahre 1357 geriet Graf Eberhard von Württemberg mit dem Grafen Wolf von Wunnenstein, der gleißende Wolf genannt, in eine schwere Fehde, in welche auch Wolfs Bruder, Graf Wilhelm auf Neueberstein, verwickelt wurde. Der Württemberger zog mit großer Heeresmacht vor Alteberstein und zerstörte die Burg. Fast zu derselben Zeit entstand aber auch eine große Unzufriedenheit unter dem schwäbischen Adel, und dieser errichtete einige Jahre später einen Bund unter dem württembergischen und benachbarten Adel, welcher der Bund der Schlegler oder Martinsvögel genannt wurde. Haupt desselben war Graf Wolf von Wunnenstein, der mit einigen Fehdegenossen einen Anschlag auf Graf Eberhard machte. Letzterer hielt sich damals mit seinem Sohne in Wildbad auf, und die Verschworenen hatten so gute Kundschafter, daß ihr Plan auf Vater und Sohn kaum mißlingen konnte. Beide wurden jedoch, als das Städtlein bereits in den Händen der Feinde war, durch einen Hirten gerettet, der sie schleunigst unbekannte Gebirgswege führte.

Eberhard klagte die Ebersteiner und ihre Mitverbündeten bei dem Kaiser als Landfriedensbrecher an; dieser ernannte den Grafen von Öttingen als Richter, und der Graf lud die von Eberstein und ihre Helfer vor seinen Richterstuhl, aber niemand erschien. Jetzt wurde vom Kaiser die Acht gegen sie ausgesprochen, und es erging an einige Herren, an Straßburg und die Reichsstädte in Schwaben der Befehl, mit ihren Truppen zu Graf Eberhard zu stoßen, dem man gestattete, die Reichsfahne zu führen. Aber Markgraf Rudolf von Baden begünstigte heimlich seine Vettern, die Ebersteiner, und Pfalzgraf Ruprecht von der Pfalz erklärte, die Grafen von Eberstein seien verurteilt worden, ohne daß man sie gehört habe; außerdem sei Graf Wilhelm von Eberstein sein Lehensmann und er müsse diesen schützen.


Unterdessen zog Graf Eberhard mit Truppen der Reichsstädte vor Neueberstein; der Pfalzgraf schlug einen Vergleich durch Schiedsrichter vor und begab sich selbst in das Lager vor Eberstein. Eberhard wollte aber keinen der vorgeschlagenen Schiedsrichter annehmen.

Auf Neueberstein führte Wolf von Wunnenstein den Befehl. Von ihm war der erste Gedanke zur Stiftung des Bundes der Martinsvögel ausgegangen, und Eberhard hatte deshalb seine Burg im Vottwartale niedergebrannt. Er besaß eine Tochter, Ida mit Namen, die er mit sich nach Eberstein nahm, weil er sonst nirgends Sicherheit für sie wußte. Graf Wilhelm von Eberstein hatte sich nach Baden geflüchtet und ihm die Verteidigung der Burg anvertraut, weil er ein einsichtsvoller, tapferer Krieger war.

Unter den Belagerungstruppen des Grafen Eberhard befand sich auch ein Fähnlein aus Heilbronn, welches von einem jungen, in der Reichsstadt angesessenen Edelmanne, Georg vom Stein, angeführt wurde. Der junge Rittersmann hatte längst für die schöne Ida eine heftige Leidenschaft gehegt und auch Gelegenheit gefunden, ihr seine Liebe zu erklären. Ida war gegen ihn nicht gleichgültig; das wußte ihr Vater, und darauf baute er einen Plan zur Rettung von Eberstein. Er ließ Graf Eberhard wissen, wie er geneigt sei, eine Kapitulation abzuschließen; man möge ihm daher den Ritter vom Stein als Unterhändler schicken, denn nur mit diesem allein werde er einen Vertrag schließen. Eberhard willigte ein, und Georg, nachdem er vorher die feierliche Zusicherung freien Geleites erhalten, begab sich nach der Burg. Der Wunnensteiner stellte ihm jetzt vor, wie Graf Eberhard ebensowohl der Feind der Reichsstädte als des Adels sei, wie er nach und nach beide sich unterwürfig machen werde. Nur um ihrer Freiheit willen hätten ja die Schlegler sich verbunden, und ihr Bund sei ebensowohl zum Frommen der freien Städte als des Adels geschlossen. Georg schien das einzusehen, denn in der Tat war Eberhard ebensowenig ein Freund der freien Städte als der Ritterschaft. Während der Unterredung trat Fräulein Ida ins Gemach.

»Ihr hier, Herr vom Stein?« sagte sie errötend.

»Ihr hättet mich wohl nicht hier erwartet,« bemerkte der Ritter.

»Wenigstens nicht unter unseren Feinden,« erwiderte das Fräulein.

Der Ritter geriet in die größte Verlegenheit. Er beteuerte, daß er noch immer sein Leben einsetzen werde zur Erhaltung des ihrigen.

»Das sind eitle Versicherungen,« versetzte Ida. »Sagt, was wird meines Vaters Los und das meinige sein, wenn vielleicht Eberstein durch Sturm genommen werden sollte?«

»Neueberstein soll nicht gestürmt werden!« rief Georg, »und Ihr, Ida, und Euer Vater sollt nicht in die Hände Eurer Feinde fallen!«

»Wie wollt Ihr Eurem Worte Kraft geben?« fragte der Wunnensteiner.

»Wie? Das ist meine Sache,« entgegnete der Anführer, »aber laßt mich die Hoffnung mit mir nehmen, daß, wenn Ihr wieder frei seid, Ida meiner noch in Liebe gedenken wird.«

»Rechnet auf die Dankbarkeit des Vaters und der Tochter,« erwiderte der Wunnensteiner, und Georg schied, von dem Liebreiz des Fräuleins noch fester gefesselt als zuvor.

Bei seiner Zurückkunft ins Lager gab er Graf Eberhard Nachricht von dem Erfolg seiner Sendung. »Die Belagerten,« sagte er, »suchen nur Zeit zu gewinnen, und scheinen auf Hilfe vom Pfalzgrafen und Markgraf Rudolf von Baden zu rechnen!« Gegen die Führer der reichsstädtischen Fähnlein dagegen führte er eine andere Sprache. Er machte sie aufmerksam auf die wachsende Macht des Württembergers, der auch die freien Städte unterjochen werde, wenn er erst den Adel bezwungen hätte. »Wir arbeiten,« setzte er hinzu, »an unserem eigenen Untergange und opfern unsere besten Kräfte für einen gefährlichen Feind, dessen ehrgeizige Absichten keinem von euch verborgen sein können.«

Diese Worte wirkten umso stärker auf die reichsstädtischen Führer, je unzufriedener sie schon über den langsamen Gang der Belagerung waren, und da ohnehin schon längst unter vielen ein Mißtrauen gegen den Grafen von Württemberg herrschte. Georg suchte zugleich die Nachricht zu verbreiten, der Pfalzgraf bereite einen Einfall in Schwaben vor. Dies alles hatte denn auch zur Folge, daß eines Morgens sämtliche Anführer des reichsstädtischen Zuzugs in sein Zelt traten und ihm ihren Entschluß erklärten, mit ihren Truppen heimzuziehen, wenn er sich ihnen anschließen wolle. Nach einigen unbedeutenden Einwürfen, unter welchen Georg seine Freude über die gelungene List zu verbergen suchte, wurde beschlossen, diesen Beschluß zuerst dem Grafen und dann ihren Truppen zu eröffnen und am nächsten Morgen abzuziehen. Eberhard bat und zürnte und tobte, versprach und drohte, alles war umsonst, zumal als die Soldaten erfuhren, was vorging. Alles schrie: »Nach Hause, nach Hause!« und dem Grafen von Württemberg blieb nichts anderes übrig, als ziehen zu lassen, was er nicht zurückhalten konnte. Am andern Morgen, vor Anbruch der Dämmerung, verließen die Truppen der Städte Augsburg, Heilbronn, Eßlingen, Straßburg, Ulm, Nördlingen und anderer das Lager und zogen in tiefer Stille ab, um die Belagerten nicht aufmerksam zu machen. Diese erfuhren aber bald, was vorgegangen war, und machten häufige Ausfälle, so daß sich Graf Eberhard zu schwach fühlte, die Belagerung mit Erfolg fortzusetzen. Wenige Tage nach dem Abzuge der Hilfstruppen hob er die Belagerung auf und kehrte in sein Land zurück. Georg vom Stein vergaß seiner Geliebten nicht. Als Eberstein wieder frei war, begab er sich selbst dahin, und seine Werbung wurde vom Vater und der Tochter freundlich aufgenommen, denn er hatte ja Wort gehalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen