Moritz Bermann - Der Baumeister von St. Stephan.

Der St. Stephansdom zu Wien, dieses herrliche Denkmal altdeutscher Baukunst, ist die vorzüglichste gotische Kirche in ganz Österreich. Mit Liebe und Innigkeit blickt das lebende Geschlecht auf den stolzen, altersgrauen Zeugen der Vergangenheit. Mitunter allerdings durchfröstelte die alte Zeit das graue Gebäude; es löste sich eine verwitterte, längst abgeblühte Rosette von dem Gemäuer und zerfiel zerstäubt auf das Pflaster herab; ja der alte Turm selbst hat sich schon wie zur Ruhe geneigt, und es schien, als sei ihm der Sturm in den heitern Höhen zu arg und als sehnte sich der Riese nach der längst vermißten Mutter Erde. Aber da kam ihm die Gegenwart zu Hilfe. Ein »Dombauverein« entstand, neue Giebel haben seine Seite geschmückt, die Spitze wurde ihm neu aufgesetzt, und die Baumeister der Gegenwart haben nach Jahrhunderten dort wieder gewaltet und geschaltet, wo die Baumeister aus alter, großer Zeit ihr unsterbliches Werk gegründet und vollbracht hatten.

Besonders berühmt ist der hohe, schlanke Turm zu St. Stephan, das eigentliche Wahrzeichen von Wien. Von ihm sagt ein altes Sprichwort: »Wien hat viele Türme, aber nur einen St. Stephan«. Von welcher Weltgegend immer, Süd und Südwest ausgenommen, der Reisende kommen mag, so wird er, bevor er von der Stadt nur das geringste wahrnehmen kann, doch schon den grauen Turm erblicken, der ihm den Platz ankündet, wo Wien liegt. Der Wiener kann sich seine Vaterstadt ohne Stephansturm, auf den er so stolz ist, gar nicht denken, und sie schien ihm verwaist, als die baufällig gewordene Spitze zweimal im vorigen Jahrhundert, 1839 und 1860, abgetragen werden mußte. Wie freute sich aber jeder Wiener, als die erneuerte Spitze nach den alten Plänen wieder vollendet war!


Es ist daher an der dankbaren Nachwelt, des Meisters zu gedenken, der den Turm erbaut hat, des Baumeisters Hans Puchsbaum.

Am Orgelfuß ist er im steinernen Brustbild zu schauen; er blickt herab mit edlen, gedankenvollen Zügen. Die großen Augen muß einst ein tiefes, leuchtendes Feuer erfüllt haben, in den Wangen liegen die Falten des Grams, der Arbeit; lang und schlicht wallt das Haar herab und kräuselt sich über der Stirne; das malerische Gewand der alten Tage liegt kleidsam um die wohlgebauten Glieder. Wie man ihn auch des Ruhmes entkleiden wollte, als sei er nicht der Begründer des unausgebaut gebliebenen Turmes, wie man ihm seinen Anteil auch bestreiten wollte an der Vollendung des Langhauses als leitender Werkmeister – Hans Puchsbaum ist für das Volk und seine Sage doch die volkstümliche Gestalt des Domes und seiner Geschichte bis zum heutigen Tage geblieben.

Hans Puchsbaum, genannt Hennslein der Wurmitzer, Werkmeister am Dome zu Stephan, war der Gehilfe des Baumeisters Peter von Prachatitz, der den Bau bis zum Jahre 1429 leitete. Er mochte damals 29 Jahre alt sein und war Wohl in der Jugend ein schöner, schmucker, liebreizender Geselle, voll Anstand und Kraft, voll feinen Wesens. Seinem Herrn war er ein treuer Diener. Es lag ihm das Werk am Herzen, und er schuf und wirkte daran mit treuem Fleiß und reger Ausdauer. Da starb der geliebte Meister, und es kam ein anderer nach, genannt Hans von Prachatitz, und dieser warf grimmigen Haß auf den strebsamen Gehilfen. Er sah in ihm einen Nachfolger, der seinen Ruf verdunkeln könnte, und beschloß in seiner schwarzen Seele sein Verderben.

Hans von Prachatitz, der düstere Mann, hatte eine wunderliebliche Tochter, Marie mit Namen, die oft und viel den Bau zu beschauen kam und mit ihm den eifrigen Gesellen, der an ihm wirkte und schuf. Puchsbaum warb um ihre Hand beim Vater, aber dieser setzte höhnisch dem Gesellen die Aufgabe, er müsse in kürzest angegebener Frist auch den zweiten Turm erbauen, dann würde Marie seine Gattin. Dem Puchsbaum brach ob dieser Antwort schier das Herz; aber er faßte sie als ernste Wahrheit auf. Sinnend und trübsinnig, ratlos schlich er umher. Da nahte sich ihm der Böse, der damals in Wien und in der Welt noch in menschlicher Gestalt umherging, wie man meinte, und Hans Puchsbaum, in der Sinne Verwirrung, in des Herzens Gram, verschrieb sich ihm. Es war die einzige Bedingung, die der Böse dem Puchsbaum auferlegt hatte, nie den Namen des Herrn, der heiligen Jungfrau oder eines aus der Schar der Heiligen auf dem Bau zu nennen. Darauf war Hans Puchsbaum eingegangen, alsbald förderten unsichtbare Hände den Bau, daß er bald seiner Vollendung nahe war.

Da, an einem heitern, stillen Abende beschlich den Puchsbaum der Stolz über sein Werk; er stieg hinauf auf die oberste Spitze des Gerüstes und blickte auf den mächtigen Bau. Tief unten war es dämmerig, einsam, der Platz wie verlassen, ringsum lagen die Steine, lagen Baugeräte, und aus der fernen Bauhütte tönte vollstimmiger Gesang. Da war es dem Puchsbaum, als träte aus dem Schachte eine schlanke, weiße Gestalt, die langsam näher käme, und er vermeinte seiner geliebten Braut Maria holde Züge zu erkennen. Mit erhobenen Armen, in jubelndem Selbstvergessen rief er den Namen, rief er »Maria« in die Lüfte – da war das Wort gebrochen, hinter ihm erhob sich dunkel, glühend die Gestalt des Bösen und warf zürnend den Puchsbaum vom neuerbauten Turme auf den Platz hinab.

An dem Turme aber ward nicht fortgebaut, und die Sage erhielt sich bis auf die neueste Zeit, wenn auch andere Meinungen sich kundgaben, nach denen es der neidische Bauherr Hans von Prachatitz selbst gewesen sein soll, der die düstere Tat vollbrachte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen