Ludwig Bechstein - Das Bernsteinrecht.

Am Gestade des Frischen Haffs war vor Zeiten das edle Naturgeschenk des Bernsteins überaus reich. Aber der Menschen Habgier schmälert gar oft den Gottessegen. Sonst konnte den Bernstein, den die See an den Strand warf, auflesen wer wollte, aber das ist schon lange her. Als der Marienorden in das Samland kam, eignete er sich den Alleinbesitz des Bernsteins zu, und Bruder Anselmus von Losenberg, der Vogt auf Samland, machte ein neues Recht und Gesetz, daß jeden Sammler, der nicht vom Orden Erlaubnis oder Auftrag habe, die Strafe des Stranges treffen sollte. Das ging dem Volk schwer ein, daß es nicht aufheben sollte, was verstreut am Boden lag und keines Menschen Eigentum war, insonderheit dem Volke der Fischer, denen es leicht geschehen konnte, daß eine Meereswelle ihnen ein Stück oder mehrere in Boot und Nachen warf. Aber der Vogt hielt unerbittlich auf seinem Gesetze, und wer zur Anzeige kam und geständig war, daß er Bernstein aufgehoben, ward ohne Gnade am nächsten besten Baum aufgehenkt. Als aber Anselmus, der Vogt, gestorben war, hat es nicht gut um die Ruhe seiner Seele gestanden. Man hat seinen irren Geist in Sturmnächten, in denen die See den meisten Bernstein auswarf, am Strande wandeln sehen und ihn rufen hören: »O mein Gott! Bernstein frei! Bernstein frei!«

Und seit so viele Menschen um des Bernsteins willen eingekerkert, gequält und hingemordet worden sind, ist des Bernsteins viel, viel weniger geworden, und die See wirft nicht den tausendsten Teil so viel mehr aus als früher. Es war eine Zeit, da baute und bildete man aus Bernstein Altäre, Heiligenstatuen, große Prunkschreine und kostbare Gefäße, hoch und weit und voll köstlichen Zierates, was heutzutage nur noch selten gemacht werden kann, man bildet nur allerlei kleines Geräte und Tand daraus.


Bisweilen sehen die beutesüchtigen Strandreiter und Wächter große, herrliche Stücke in Ufernähe herumschwimmen, wenn man aber mit den Gezeugen hinrudert und sie einfischen will, ist's ein Blendwerk und ein Schaum.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen