Czar (Zar) Iwan und der Landmann.
Czar Iwan, welcher um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts in Rußland regierte, verkleidete sich zuweilen nach Art der frühern Beherrscher des Orients, um mit Zuverlässigkeit zu erfahren, was das Volk von seiner Regierung dächte.
Einst, als Bettler verkleidet, ging er allein in den Umgebungen Moskwa’s. Ermüdet kam er am Abend in ein Dorf, und bat um ein Unterkommen. Die Besitzer großer Häuser versagten dem abgerißnen Bettler mit Härte ein Obdach. Schon im Begriff, das große, reiche Dorf zu verlassen, wurde er noch am Ausgange eine abgelegene Hütten gewahr. Der Czar klopfte leise an die Tür. Ein armer Bauer trat heraus und fragte, was er verlange?
„Ich sterbe vor Müdigkeit und Hunger,“ antwortete der Czar. ,,könnt Ihr mich die Nacht beherbergen?“
,,Ach,“ rief her Bauer, indem er die Hand des Unbekannten treuherzig ergriff: ,,Da würd’ Euch wenig geholfen seyn; ich bin in großer Angst. Meine Frau ist eben in Kindsnöten. Aber kommt nur, wenigstens sollt Ihr vor Kälte geschützt seyn und meine Kinder sollen ihr Abendbrod mit Euch teilen.“
Er führte den Czar nun in eine Stube, in welcher sich viele Kinder befanden. Zwei schliefen ruhig in der Wiege; ein kleines Mädchen saß neben solchen auf einer Matte, zwei ältere Schwestern knieeten vor einem Heiligen - eine glückliche Entbindung der Mutter erflehend, die sich in einer kleinen Kammer daneben befand.
,,Bleibt hier bei den Kindern, ich will Euch etwas zu essen holen.“ sagte der Bauer zu seinem Gaste. Er ging zurück, brachte Meth, schwarzes Brod und Eier.
„Das ist Alles, was ich habe; eßt mit den Kindern, ich muß nun zu meiner Frau, um ihr beizustehen, so viel ich’s kann.“
Wahrlich, erwiderte der Czar gerührt: die Wohlthat, die Ihr mir erweiset, muß Euch Glück in’s Haus bringen. Gott wird Eure Mildthätigkeit belohnen.“
„Bruder“, meinte der Bauer: „bittet Gott nur, daß er mir mein Weib erhalte, dann ist mir geholfen und ich bin hochbeglückt, beglückter, als der Czar in seinem goldnen Kreml.“
„Ihr seyd also wohl recht glücklich?“
„Ja, das bin ich, urtheilt selbst! Ich habe fünnf gesunde Kinder, eine brave Frau, noch Vater und Mutter am Leben. Beide sind gesund, und Alle kann ich durch meiner Hände Arbeit ernähren.“
Und in dieser Hütte wohnen auch Eure alte Aeltern?“
,,Freilich, sie sind hier in der Kammer bei meiner Frau, ihr zu helfen.“
„Aber die Hütte ist so klein!“
,,O, sie ist groß genug für uns Alle.“
Der Bauer ging wieder zu seiner Frau. Sie wurde nach einer Stunde glücklich von einem Knäblein entbunden. Kaum hatte es das Licht erblickt, so brachte es der Bauer freudig dem Gaste, daß er es segne.
„Hier, Bruder, ist das sechste, das mir so eben mein gutes Weib geschenkt hat. Gott erhalt’ es, seht nur, wie stark es ist und gesund.“
Der Czar nahm das nack’te Knäblein in seine Arme, betrachtete es mit Rührung und rief dann: ,,O, ich verstehe mich auf die Gesichtszüge; das Kind wird großes Glück machen.“
Der Vater lächelte fröhlich. Jetzt waren auch die betenden Töchter aufgestanden, küßten den Bruder und gingen mit der Großmutter und dem Neugebornen in die Kammer. Der Landmann breitete eine Strohmatte auf die Erde und lud den vermeintlichen Bettler ein, sich neben ihm zu legen. Nach wenigen Minuten lag er im festen Schlaf. Eine kleine Lampe verbreitete einen schwachen Schein in der Hütte. Der Czar, sich von seinem harten Lager aufrichtend, betrachtete den Schlafenden und seine Kinder. Tiefes Schweigen herrschte rund umher. O, du tugendhafter Mensch, dachte der Czar, wie schläfst du so sanft auf deinem harten Lager! dich quält nicht der Ehrgeiz, der Argwohn, der bittre Vorwurf eines unruhigen Gewissens. Dein Schlaf ist erquickend, denn er ist der Schlaf der Unschuld.
Mit Tages Anbruch erwachte der Bauer. Der Czar nahm von ihm Abschied.
,,Väterchen! ich kehre nach Moskwa zurück, dort kenne ich einen wohlätigen reichen Mann, ich werde ihn schon dazu bewegen, die Pathenstelle bei deinem Kinde zu übernehmen, um das wahr zu machen, was ich in den Gesichtszügen des Kleinen gelesen habe. Versprich mir, mit der Taufe zu warten. In drei Stunden bin ich wieder bei dir.“
„Reiset in Gottes Namen, Bruder! aber versprecht nicht mehr als Ihr halten könnt. Doch will ich nach Eurem Wunsche wohl die Taufe vier Stunden verschoben werden.“
Vier Stunden waren verflossen. Eben machte sich der Bauer bereit, sein Kind in Begleitung seiner Aeltern in die Kirche zu tragen. Da vernahm er großes Geräusch von Wagen und Pferden. Die Straße war mit Reitern und schönen Kutschen bedeckt. Er erkannte bie Garde des Czars. Das ganze Dorf hatte sich versammelt, um den Czar vorüberfahren zu sehen. Der Hauptwagen hielt vor der Hütte des Landmanns. Der Czar sprang heraus, und, seinen Wirth bemermerkend, rief er ihm zu:
,,Väterchen, hierher! zu mir! Ich habe Euch einen Pathen versprochen, seht, hier ist er. Gebt mir Euer Kind und folgt mir zur Kirche.“
Der Bauer war anfänglich von Ueberraschung wie verstummt, dann warf er sich voll Freude auf sein Angesicht. Geblendet von der glänzenden Umgebung des Monarchen und den blitzenden Edelsteinen, die diesen schmückten, erkannte er in ihm den Bettler nicht, mit dem er so traulich sein hartes Lager getheilt hatte. Der Czar weidete sich einige Augenblicke an der Ungewißheit und dem Erstaunen seines gestrigen Wirths, dann sagte er:
,,Väterchen,“ gestern Abend habt Ihr die Pflichten der Gastfreundschaft redlich erfüllt; heute komme ich, um war zu machen, was ich Euch verbrach. und Eure Tugend zu belohnen. Ich lasse Euch in der Lage, deren Unschuld und Ruhe ich Euch beneide, aber was Euch mangelt, sollt Ihr haben. Noch heute Abend sollt Ihr in einer größern Hütte schlafen, die Euch sogleich aufgerichtet werden soll. Ich werde sie Euch schmücken und mit Geräthschaften versehen lassen. Zahlreiche Heerden und Baumgärten sollt Ihr besitzen, damit Ihr die Tugend der Gastfreundschaft, die jeder gute Russe ehrt oder doch ehren sollte, ausüben möget und könnt. Die Erziehung meines Pathen übernehme ich selbst, doch so, daß er die ersten Jahre seines Lebens bei seinen braven Aeltern bleibe.“
Statt aller Antwort lief der Landmann in die Hütte, und legte sein Kind zu den Füßen des Monarchen. Der Czar, gerührt, nahm das Kind auf den Arm, trug es selbst zu der Kirche und hielt es über den Taufstein; dann brachte er es in die Hütte zurück, grüßte und küßte nach russischer Sitte Mutter und Kind, und übergab es der Erstern zur Pflege. Iwan hielt sein Wort. Noch lebt ein russischer Großer, ein Abkömmling dieses Knaben.
Einst, als Bettler verkleidet, ging er allein in den Umgebungen Moskwa’s. Ermüdet kam er am Abend in ein Dorf, und bat um ein Unterkommen. Die Besitzer großer Häuser versagten dem abgerißnen Bettler mit Härte ein Obdach. Schon im Begriff, das große, reiche Dorf zu verlassen, wurde er noch am Ausgange eine abgelegene Hütten gewahr. Der Czar klopfte leise an die Tür. Ein armer Bauer trat heraus und fragte, was er verlange?
„Ich sterbe vor Müdigkeit und Hunger,“ antwortete der Czar. ,,könnt Ihr mich die Nacht beherbergen?“
,,Ach,“ rief her Bauer, indem er die Hand des Unbekannten treuherzig ergriff: ,,Da würd’ Euch wenig geholfen seyn; ich bin in großer Angst. Meine Frau ist eben in Kindsnöten. Aber kommt nur, wenigstens sollt Ihr vor Kälte geschützt seyn und meine Kinder sollen ihr Abendbrod mit Euch teilen.“
Er führte den Czar nun in eine Stube, in welcher sich viele Kinder befanden. Zwei schliefen ruhig in der Wiege; ein kleines Mädchen saß neben solchen auf einer Matte, zwei ältere Schwestern knieeten vor einem Heiligen - eine glückliche Entbindung der Mutter erflehend, die sich in einer kleinen Kammer daneben befand.
,,Bleibt hier bei den Kindern, ich will Euch etwas zu essen holen.“ sagte der Bauer zu seinem Gaste. Er ging zurück, brachte Meth, schwarzes Brod und Eier.
„Das ist Alles, was ich habe; eßt mit den Kindern, ich muß nun zu meiner Frau, um ihr beizustehen, so viel ich’s kann.“
Wahrlich, erwiderte der Czar gerührt: die Wohlthat, die Ihr mir erweiset, muß Euch Glück in’s Haus bringen. Gott wird Eure Mildthätigkeit belohnen.“
„Bruder“, meinte der Bauer: „bittet Gott nur, daß er mir mein Weib erhalte, dann ist mir geholfen und ich bin hochbeglückt, beglückter, als der Czar in seinem goldnen Kreml.“
„Ihr seyd also wohl recht glücklich?“
„Ja, das bin ich, urtheilt selbst! Ich habe fünnf gesunde Kinder, eine brave Frau, noch Vater und Mutter am Leben. Beide sind gesund, und Alle kann ich durch meiner Hände Arbeit ernähren.“
Und in dieser Hütte wohnen auch Eure alte Aeltern?“
,,Freilich, sie sind hier in der Kammer bei meiner Frau, ihr zu helfen.“
„Aber die Hütte ist so klein!“
,,O, sie ist groß genug für uns Alle.“
Der Bauer ging wieder zu seiner Frau. Sie wurde nach einer Stunde glücklich von einem Knäblein entbunden. Kaum hatte es das Licht erblickt, so brachte es der Bauer freudig dem Gaste, daß er es segne.
„Hier, Bruder, ist das sechste, das mir so eben mein gutes Weib geschenkt hat. Gott erhalt’ es, seht nur, wie stark es ist und gesund.“
Der Czar nahm das nack’te Knäblein in seine Arme, betrachtete es mit Rührung und rief dann: ,,O, ich verstehe mich auf die Gesichtszüge; das Kind wird großes Glück machen.“
Der Vater lächelte fröhlich. Jetzt waren auch die betenden Töchter aufgestanden, küßten den Bruder und gingen mit der Großmutter und dem Neugebornen in die Kammer. Der Landmann breitete eine Strohmatte auf die Erde und lud den vermeintlichen Bettler ein, sich neben ihm zu legen. Nach wenigen Minuten lag er im festen Schlaf. Eine kleine Lampe verbreitete einen schwachen Schein in der Hütte. Der Czar, sich von seinem harten Lager aufrichtend, betrachtete den Schlafenden und seine Kinder. Tiefes Schweigen herrschte rund umher. O, du tugendhafter Mensch, dachte der Czar, wie schläfst du so sanft auf deinem harten Lager! dich quält nicht der Ehrgeiz, der Argwohn, der bittre Vorwurf eines unruhigen Gewissens. Dein Schlaf ist erquickend, denn er ist der Schlaf der Unschuld.
Mit Tages Anbruch erwachte der Bauer. Der Czar nahm von ihm Abschied.
,,Väterchen! ich kehre nach Moskwa zurück, dort kenne ich einen wohlätigen reichen Mann, ich werde ihn schon dazu bewegen, die Pathenstelle bei deinem Kinde zu übernehmen, um das wahr zu machen, was ich in den Gesichtszügen des Kleinen gelesen habe. Versprich mir, mit der Taufe zu warten. In drei Stunden bin ich wieder bei dir.“
„Reiset in Gottes Namen, Bruder! aber versprecht nicht mehr als Ihr halten könnt. Doch will ich nach Eurem Wunsche wohl die Taufe vier Stunden verschoben werden.“
Vier Stunden waren verflossen. Eben machte sich der Bauer bereit, sein Kind in Begleitung seiner Aeltern in die Kirche zu tragen. Da vernahm er großes Geräusch von Wagen und Pferden. Die Straße war mit Reitern und schönen Kutschen bedeckt. Er erkannte bie Garde des Czars. Das ganze Dorf hatte sich versammelt, um den Czar vorüberfahren zu sehen. Der Hauptwagen hielt vor der Hütte des Landmanns. Der Czar sprang heraus, und, seinen Wirth bemermerkend, rief er ihm zu:
,,Väterchen, hierher! zu mir! Ich habe Euch einen Pathen versprochen, seht, hier ist er. Gebt mir Euer Kind und folgt mir zur Kirche.“
Der Bauer war anfänglich von Ueberraschung wie verstummt, dann warf er sich voll Freude auf sein Angesicht. Geblendet von der glänzenden Umgebung des Monarchen und den blitzenden Edelsteinen, die diesen schmückten, erkannte er in ihm den Bettler nicht, mit dem er so traulich sein hartes Lager getheilt hatte. Der Czar weidete sich einige Augenblicke an der Ungewißheit und dem Erstaunen seines gestrigen Wirths, dann sagte er:
,,Väterchen,“ gestern Abend habt Ihr die Pflichten der Gastfreundschaft redlich erfüllt; heute komme ich, um war zu machen, was ich Euch verbrach. und Eure Tugend zu belohnen. Ich lasse Euch in der Lage, deren Unschuld und Ruhe ich Euch beneide, aber was Euch mangelt, sollt Ihr haben. Noch heute Abend sollt Ihr in einer größern Hütte schlafen, die Euch sogleich aufgerichtet werden soll. Ich werde sie Euch schmücken und mit Geräthschaften versehen lassen. Zahlreiche Heerden und Baumgärten sollt Ihr besitzen, damit Ihr die Tugend der Gastfreundschaft, die jeder gute Russe ehrt oder doch ehren sollte, ausüben möget und könnt. Die Erziehung meines Pathen übernehme ich selbst, doch so, daß er die ersten Jahre seines Lebens bei seinen braven Aeltern bleibe.“
Statt aller Antwort lief der Landmann in die Hütte, und legte sein Kind zu den Füßen des Monarchen. Der Czar, gerührt, nahm das Kind auf den Arm, trug es selbst zu der Kirche und hielt es über den Taufstein; dann brachte er es in die Hütte zurück, grüßte und küßte nach russischer Sitte Mutter und Kind, und übergab es der Erstern zur Pflege. Iwan hielt sein Wort. Noch lebt ein russischer Großer, ein Abkömmling dieses Knaben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rurika. Eine Auswahl interessanter Anekdoten, Scenen und Ereignisse zur Charakteristik der Russen.