Einleitung. Allgemeiner Charakter des dreizehnten Jahrhunderts. Das Abendland und seine Haupt-Staaten
Ein reiches, jugendlich bewegtes Leben ging im dreizehnten Jahrhundert durch Europa.
Es ist das Jahrhundert, wo das Mittelalter, diese Zeit des Überganges von der antiken zur modernen Welt, seinen Höhe- und Glanzpunkt erreicht. In Religion und Kirche, in Wissenschaft und Kunst, auf dem politischen und sozialen Gebiet sehen wir in grotesker Mischung alte Formen und einen neuen Inhalt, den Niederschlag einer großartigen, aber in sich zerfallenen Zivilisation und die straffen naturwüchsigen Ansätze einer lebenskräftigen neuen Kulturepoche zur Hervorbringung der merkwürdigsten Bildungen in allen Lebenssphären sich vereinigen.
Die katholische Kirche, die antik-moderne schützende Form, in der die christliche Religion unter den Stürmen drangvoller Zeiten aus dem Altertum in die Neu-Zeit hinübergeführt ward, erlangte in diesem Jahrhundert unter den großen Päpsten, einem Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV. den Höhepunkt ihrer Entwicklung; das Papsttum, der Schlussstein der großen hierarchischen Pyramide, an deren Bau zwölf Jahrhunderte gearbeitet hatten, hatte die Bedeutung einer geistlich-weltlichen Universal-Monarchie errungen, welche dem kaiserlichen Universalismus der Hohenstaufen erfolgreich die Spitze bieten konnte. Dabei gärte es mächtig auf dem religiösen Gebiet. Wo sich die Bewegung innerhalb der legalen kirchlichen Schranken hielt, da erzeugte sie neue Bildungen, wie die beiden berühmten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, welche seit ihrer Begründung im Anfang des 13. Jahrhunderts schnell eine unglaubliche Ausdehnung und die tiefgreifendste Bedeutung für das religiöse, wissenschaftliche und soziale Leben des Mittelalters gewannen. Wo aber der Strom der religiösen Bewegung das kirchliche Bette verließ, da erzeugte er sektiererische Erscheinungen, wie die Waldenser und Albigenser, bei denen sich berechtigte Reformbestrebungen, echt christliche und sittliche Elemente, mit schwärmerischem Wahnsinn, der in der ganzen Schöpfung nur das Werk des Teufels erblickte, zu einer wundersamen Mischung vereinigten.
Die bildenden Künste, vorzugsweise noch im Dienst der Kirche, nehmen an dem religiösen Aufschwung der Zeit Teil. Während indes Skulptur und Malerei noch zurücktreten, beginnt für die Baukunst in diesem Jahrhundert jene Periode hoher Vollendung, welche wir als die , der Gotischen Architektur zu bezeichnen gewohnt sind. Von dem nördlichen Frankreich ausgehend verbreitete sich der Gotische Baustil bald nach England, nach den Niederlanden, nach Deutschland und über einen großen Teil des kultivierten Europa. Die mächtigen Dome von Köln, von Straßburg, von Freiburg, um nur diese zu nennen, gehören wesentlich dem 13. Jahrhundert mit seinem kühnen Ideenaufschwunge an.
Während die bildenden Künste, wenigstens in ihren bedeutendsten Produktionen, noch den kirchlichen Stempel tragen, sehen wir die Dichtkunst bereits ihre eigenen Bahnen gehen. Es ist das Jahrhundert der Liebeshöfe und Troubadours, der Skalden, Barden und Minnesänger. Es ist das Jahrhundert, wo wir Fürsten nach dem Lorbeer des Dichters oder wenigstens nach dem Ruhme eines Mäzens der Musen geizen sehen; das Jahrhundert des Sängerkriegs auf der Wartburg, die Epoche eines Wolfram von Eschenbach, eines Heinrich von Osterdingen, eines Walter von der Vogelweide. Es ist die Zeit, wo unser größtes deutsches Heldengedicht, das Lied von den Nibelungen, seinen Abschluss und seine gegenwärtige Form erhielt, während unter den Romanischen Völkern der poetische Ritterroman aus den Sagen-Kreisen von König Arthur und seiner Tafelrunde, von Karl dem Großen und seinen Paladinen, von Alexander dem Mazedonier seine Lieblingsstoffe entnimmt.
Wie für die Künste bezeichnet das dreizehnte Jahrhundert auch für die Wissenschaften eine Zeit mächtigen Aufschwungs. Als die Pflanzstätten derselben sind neben den Höfen einzelner ihrer Zeit vorangeschrittener Fürsten, eines Friedrich II. von Neapel-Sizilien, eines Alphons X. von Kastilien und Anderer, namentlich die Klöster und vor Allem die hohen Schulen und Universitäten zu bezeichnen, unter denen Bologna und Paris die erste Stelle behaupten, während Neapel und Köln, Oxford und Salamanca in zweiter Linie als Sitz der Gelehrsamkeit glänzen. Zwar die Geschichtsschreibung machte geringere Fortschritte, als man nach den Leistungen der nächst vorangegangenen Jahrhunderte hätte erwarten dürfen; der Drang schöpferischer Tätigkeit war in der Gegenwart zu mächtig, als dass sich die Forschung mit ruhiger Sammlung der Vergangenheit widmen könnte. In den Naturwissenschaften bemerken wir einerseits zwar die Erweiterung des Gesichtskreises durch die Kreuzzüge und einen regeren Völkerverkehr, andererseits aber auch die Einwirkung Orientalischer, namentlich Arabisch-Maurischer Elemente in der Verschmelzung abenteuerlicher Phantastik und auf dem realen Grunde der Beobachtung erwachsenen Kenntnisse. Grammatik und Rhetorik blühten namentlich in Italien; sie lehnten sich an die Römischen Muster der späteren Zeit, oder wie die Philosophie wenigstens in formaler Beziehung, an den Altmeister Aristoteles, der, nachdem man ihn lange Zeit nur aus schlechten Arabischen Übersetzungen und Kommentaren gekannt hatte, dem Abendlande in diesem Jahrhundert namentlich durch die Bemühungen Kaiser Friedrichs II. aus der Griechischen Ursprache zugänglich gemacht ward. Im Übrigen war die Philosophie in dieser Zeit materiell kaum mehr als die Dienstmagd der Theologie. Die letztere erreichte zu Paris, Köln und Oxford den höchsten Grad der mittelalterlichen Blüte in derjenigen Form, welche als die Scholastische Theologie bekannt ist. Es ist der erste große Versuch der neueren Weltanschauung, Vernunft und Glauben als im Einklang stehend nachzuweisen, und mit der Spekulation nicht nur den kirchlichen Glauben, sondern die Gesamtheit der Dinge zu erfassen. Die Namen eines Thomas von Aquino, eines Albert des Großen, eines Roger Bacon, alle drei dem Mönchtum angehörig, sind nur die hervorragendsten unter den Trägern der spekulativ-theologischen und allgemein wissenschaftlichen Bewegung der Zeit.
Die Rechtskunde hatte namentlich zu Bologna ihr Hauptquartier, wo an die zehntausend lernbegierige Hörer aus allen Weltgegenden zusammengeströmt sein sollen. Wie in der Anschauung der Zeit Geistliches und Weltliches geschieden war, so schied nun auch die Wissenschaft das kirchliche und das staatliche Recht. Während jenes, das kanonische Recht, an den Entscheidungen der Konzilien und den Dekretalien der Päpste ihre festen Grundlagen hatte, sehen wir die Wissenschaft des weltlichen Rechts sich mehr und mehr dem Studium des Römisch-Justinianeischen Systems zuwenden, um seine Begriffe, mit Beseitigung der altmittelalterlichen Volksrechte, auf die neuen Rechtszustände zu übertragen. Daraus entstehen denn zunächst barbarische Mischformen, denn die Römisch-Justinianeischen Rechtsbegriffe passen auf die Zustände des dreizehnten Jahrhunderts oft wie die Faust aufs Auge.
Mit der Wissenschaft wetteifert auch die praktische Fortbildung des Rechts ans dem Gebiet der Gesetzgebung. Fast in allen Ländern Mittel- und Westeuropas sehen wir Gesetzsammlungen hervortreten, in denen sich das Rechtsbewusstsein der Zeit spiegelt. Was in dieser Beziehung für Italien die Zeit Kaiser Friedrichs II. und seiner rechtsgelehrten Minister war, leistete für Frankreich die Regierung Ludwig IX. des Heiligen, und nicht minder hatten Spanien, England, Schottland, Skandinavien ihre Gesetzsammlungen. Für Deutschland sind die Sammlungen des Sachsen-, des Deutschen-und Schwabenspiegels wie des Kaiserrechts und eine große Anzahl von Stadtrechten auf dem Gebiet des praktischen Rechts von Bedeutung.
Freilich zeigt sich in den Gesetzen dieser Zeit selbst noch die tiefe Disharmonie, welche uns die realen Zustände des Lebens noch kund geben, die Disharmonie zwischen den Errungenschaften einer vergangenen abgeglätteten Zivilisation und der rohen naturwüchsigen Barbarei der Anschauungen und des Lebens der Gegenwart. Zwar strebt die Gesellschaft der neueren Zeit sich mit dem Vermächtnis der alten auch innerlich zu durchdringen, sich daran zu bilden und heraufzuarbeiten; allein im Allgemeinen ist das Verhältnis in dieser Zeit noch ein sehr äußerliches und loses, und die angeborene mittelalterliche Rohheit bildet mit dem Streben nach Verfeinerung und Kultur noch die schroffsten Kontraste, welche auch durch das alte und neue Zeit verbindende Mittelglied, die christliche Religion und Kirche, noch nicht ausgeglichen wird. Denn in ihr selbst liegen noch die Elemente wahrhafter Frömmigkeit und Sittlichkeit im Kampf mit finsterem Aberglauben, unchristlicher Unduldsamkeit und roher Sittenlosigkeit; die Trennung des Geistlichen und Weltlichen, auf welcher der ganze Organismus der katholischen Kirche beruht, wie er nach der einen Seite die Überschwänglichkeit mönchischer und sektiererischer Entsagung erzeugt, ruft nach der andern eine Verweltlichung und Verwilderung des geistlichen Standes hervor, welche verderblich nach allen Seiten wirkt. Und ähnliche unausgeglichene Gegensätze finden wir überall in dieser Zeit. Der Gelehrte sprach und schrieb zwar lateinisch, aber unter die zierlichen rhetorischen Floskeln mischt er ganz unbedenklich barbarische aus den damals lebenden Sprachen entnommene Worte und Wendungen. Der Theologe beweist seine Glaubenssätze von Erbsünde und unbefleckter Empfängnis, von Fegefeuer und Auferstehung des Fleisches mit den Kategorien des alten Heiden Aristoteles. Der Jurist findet für die staats-, kriminal- und zivilrechtlichen Verhältnisse einer eben erst aus dem Rohesten herausgearbeiteten Zeit die Formeln in der Römischen Gesetzgebung Justinians, welche Jahrhunderte raffiniertester Zivilisation zur Voraussetzung hat, und bei aller Sophistik in der Theorie lebte man praktisch doch meist nach dem Grundsatz: „Wer die Macht hat, hat auch das Recht.“ Und der Ungeniertheit, mit welcher die Gesetze übertreten wurden, entsprach dann die rohe Barbarei in Verhängung der Strafen. Während für manche Verbrechen, welche eine fortgeschrittene Zeit schon zu den schwereren rechnet, noch die gelinden Strafen der Büßung durch Geld oder Verweisung fortbestehen, sehen wir für andere grausame Verstümmelungen an der Tagesordnung; Arme und Beine abhacken, Nasen und Ohren abschneiden, Augen ausstechen, Entmannen, glühendes Metall in Mund und Ohren gießen, Sieden in heißem Öl, waren nicht sehr ungewöhnliche Strafen, von den gottesgerichtlichen Entscheidungen durch Zweikampf oder Feuerprobe nicht zu reden. Die einfache Hinrichtung durch Schwert oder Strang war eine milde Strafart; Einmauern und Verhungernlassen, Verbrennen, Pfählen und Vierteilen kommen häufig genug vor, sei es als Strafen, sei es als Taten rachsüchtiger Sieger. Denn der ritterliche Sinn der Zeit, welcher nach der einen Seite die Taten der bewunderungswürdigsten Tapferkeit gebar, schändete sich nach der anderen oft durch die grausamsten Untaten gegen die Besiegten. Die Gräuel, welche die Ritter des Kreuzes in Konstantinopel verübten, als sie im Anfang des Jahrhunderts das Griechische Kaiserreich über den Haufen warfen, gaben denen nichts nach, durch welche zweihundert und fünfzig Jahre später die Osmanischen Türken an eben der Stelle ihren Sieg feierten. Das Rittertum des Mittelalters trägt überhaupt nur nach der einen Seite den Charakter eines glänzenden Heroismus; nach der andern ist es rohe Selbsthilfe und räuberische Gewalttat. Und der zarte Duft des Minne- und Frauendienstes, den die Poesie ritterlicher Sänger über die Zeit ausgoss, findet seine Kehrseite an den rohen Ausschweifungen einer zügellosen Sinnlichkeit, im Stil Orientalischen Sultan- und Paschatums.
Als der Schauplatz der neuen Entwicklungsperiode wird gerade durch dies Jahrhundert für eine lange Zukunft das Europäische Abendland festgestellt. Der Orient hatte zwar durch das meteorartige Aufflammen des Mahomedanismus, durch seine lawinenartige Verbreitung über das östliche Asien, das nördliche Afrika und die südlichsten Spitzen von Europa, durch seine überraschend schnelle Entfaltung zu staatlicher, wissenschaftlicher, künstlerischer und gewerblicher Blüte einen mächtigen Aufschwung genommen. Aber es war ein kurzer Glanz, der sich in etwa vier Jahrhunderten aufzehrte. Gerade das dreizehnte Jahrhundert lieferte den Beweis, wie sehr der orientalische Mahomedanismus dem Christentum als der abendländischen Kulturreligion an tiefer, schöpferisch nachhaltiger Lebenskraft nachstand.
Zwar die Kreuzzüge, in denen sich im vorigen Jahrhundert das christliche Abendland abwehrend und angreifend auf den mahomedanischen Orient gestürzt hatte, erlahmten im Laufe des 13. Jahrhunderts allmählich und hörten schließlich ganz auf, ohne die Freiheit des heiligen Landes von der Herrschaft der Ungläubigen sicher stellen zu können. Aber das Kalifat der Nachfolger Mahomeds, schon lange machtlos und zur Schattengewalt entnervt, sank in diesem Jahrhundert vor dem wüsten Ansturm der Mongolischen Horden in den Staub und die Wunderstadt Bagdad mit allen ihren Herrlichkeiten und märchenhaften Schätzen, mit dem ganzen Erbe einer blühenden und zuletzt bis zum Übermaß verfeinerten Kultur verfiel einer gräuelvollen Zerstörung durch die wilden barbarischen Söhne der Steppe.
Der Mongolische Völkersturm, der ganz Asien von China bis nach Persien und Arabien hin mordend und zertrümmernd durchtobte, brauste noch vor der Mitte des Jahrhunderts auch gegen das christliche Abendland heran. Russland, Polen, Ungarn stürzten vor ihm über den Haufen; aber an den Grenzmarken Deutschlands brach er sich und wandte sich rückwärts; auf der Wahlstatt bei Liegnitz (1241) hatte das Mongolentum zwar den Sieg über ein kleines Heer Polnischer und Deutscher Ritter und Bürger erfochten, aber der Sieg ward so teuer erkauft und die Tapferkeit des christlich-abendländischen Rittertums, von dem man hier erst eine schwache Vorhut kennen gelernt hatte, machte einen so gewaltigen Eindruck auf die Mongolischen Horden, dass sie froh waren in den inneren Wirren ihrer fernen Heimat einen passenden Vorwand zur Rückkehr zu erhalten. Seitdem beschränkten sie ihre Herrschaft und ihre verwüstenden Züge auf den Orient; nur Russland, in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Steppen belegen, blieb ihnen länger als zwei Jahrhunderte hindurch unterworfen und ward dadurch der mittelalterlichen Kulturentwicklung des Abendlandes mehr als sonst geschehen wäre entfremdet.
Hatte das christliche Abendland gegen den Einbruch heidnisch-mongolischer Barbarei sich mehr in der Defensive gehalten, so ging es gegen den Rest mittelalterlichen Heidentums, der sich noch auf Europäischem Boden an den östlichen Gestaden des Baltischen Meeres behauptete, mit so energischem Angriff vor, dass er im Laufe dieses Jahrhunderts fast vollständig erlag*). Das heidnische Preußen, Kurland, Livland, Estland und Ingermannland, mit einem Wort die ganze Ostseeküste von der Weichsel bis an das äußerste Ende des Finnischen Meerbusens, ward der christlichen Kultur gewonnen. Der Bekehrungseifer der Kirche, die Eroberungslust und, der Tatendurst des Rittertums, der Unternehmungsgeist und die Gewinnsucht des neu aufstrebenden Bürgertums der Städte, also Kreuz, Schwert und Gold, vollendeten in kurzer Zeit das Werk. Die Christianisierung dieser weiten Gebiete war zugleich ihre Germanisierung; denn Deutsche Geistliche, Deutsche Ritter, Deutsche Kaufleute und Gewerbetreibende waren es vorzugsweise, welche in dem unwirtlichen Lande und unter einer rohen Bevölkerung als die Pioniere der Kultur erscheinen. So erstand hier eine Reihe von Deutschen Städten, unter ihnen Riga und Königsberg auch durch spätere Bedeutung hervorragend, und der Ordensstaat der Deutsch-Ritter, mit den Schwertbrüdern als Alliierten, gab dem Kolonisationswerk militärische Haltung. Auch Schweden und Dänen, die Blutsverwandten der Deutschen, beteiligten sich an dem Kolonisations- und Bekehrungswerk; die Schweden, indem sie im Nord-Osten des Finnischen Meerbusens die Reste von Finnland und Karelien, die Dänen, indem sie einen Teil von Estland unterwarfen und bekehrten.
*) Nur in Litauen erhielt sich das Heidentum noch bis ins letzte Viertel des folgenden (14ten) Jahrhunderts. Erst als 1385 der Großfürst Jagello sich um die Hand der Polnischen Prinzessin Hedwig bewarb und die Annahme des Christentums zur Bedingung des Jaworts gemacht ward, sanken die Altäre des Perun zu Wilna und anderwärts vor dem Kreuz in den Staub.
Während hier im Nord-Osten Europas der letzte Rest heidnischer Barbarei dem Andrang christlicher Kultur erlag, ward auch im äußersten Südwesten unseres Weltteils die Mahomedanische Macht durch die rastlosen Angriffe der christlichen Königreiche von Portugal, Kastilien und Aragonien auf einen kleinen Umkreis an der Süd-Küste Spaniens beschränkt, und bereits gab es Zeiten, wo das Maurische Königreich von Granada sich genötigt sah, die Oberherrlichkeit des christlichen Kastilien vertragsmäßig anzuerkennen. Bereits im dreizehnten Jahrhundert war es klar, dass die Vernichtung des Mahomedanismus auf der Pyrenäischen Halbinsel nur noch eine Frage der Zeit war.
In der südöstlichen Ecke Europas sehen wir gleich im Anfang desselben Jahrhunderts das verlebte mit Blut und Schandtaten aller Art besudelte Griechische Kaiserreich von einem Haufen tapferer abendländischer Kreuzfahrer und der Flotte der kleinen Handelsrepublik von Venedig im ersten Anlauf über den Haufen geworfen. Aber es fehlt an nachhaltiger Unterstützung und es ist als ob die Luft von Byzanz und die Berührung mit dem sittlich verkommenen Griechenvolk die naturwüchsige Kraft der Eroberer nur zu rasch demoralisiert und korrumpiert. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts schon war die Herrschaft der Abendländer in Konstantinopel wieder gestürzt; das Griechische Kaisertum stellt sich auf dem alten Fuß wieder her, um noch ein paar Jahrhunderte lang ein verknöchertes Dasein zu fristen.
Zwischen diesen äußersten Grenzen, an denen das Christentum teils noch im Kampfe liegt mit heidnischer Barbarei oder Mahomedanisch-orientalischer Zivilisation, teils noch in eine ohnmächtige, aller schöpferischen Kraft ermangelnde Erstarrung versunken ist, bewegt sich nun die eigentliche Kulturentwicklung des Abendlandes. Ihr Hauptschauplatz sind die mitteleuropäischen Länder Italien und Deutschland, Frankreich, England und Skandinavien.
In Skandinavien bestanden die drei Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen wenn gleich durch vielfache Wechselbeziehungen verknüpft, noch unabhängig neben einander. Während Schweden durch den Zwist der großen Familien und Bürgerkrieg zerrissen sich noch zu keiner höheren politischen Bedeutung erhebt, nimmt Norwegens Macht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter seinem König Magnus VII. einen raschen Aufschwung, freilich nur um unter seinen Nachfolgern eben so rasch wieder zu sinken. Dänemark hatte in den beiden ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts unter dem zweiten Waldemar die höchste Spitze seiner politischen Machtentwicklung erreicht. Aber schon in der zweiten Hälfte der Regierung Waldemars, seit seiner Gefangenschaft und der Schlacht bei Bornhöved*), gingen die glänzenden Errungenschaften wieder verloren, und Dänemark sank unter seinen Nachfolgern durch Königsmord und innere Fehden. Hier wie in Schweden rissen Adel und Geistlichkeit die Macht an sich, welche die schwachen Träger des Königtums Preis gaben.
*) Vergl. Rügensch-Pommersche Geschichten I. p. 97.
In England vollzieht sich in dem Jahrhundert, welches uns beschäftigt, in aller Stille der große Verschmelzungsprozess der Normannischen Sieger mit den Angelsächsischen Besiegten, ohne dass wir die Stadien dieses Prozesses und den genaueren Hergang desselben im Einzelnen zu verfolgen im Stande wären. Jedenfalls haben die nationalen Freiheiten, welche die Englischen Großen in der berühmten Magna Charta zu Anfang des Jahrhunderts und auch später noch den schwachen Königen Johann und Heinrich III., wie dem zwar energischen, aber geldbedürftigen Eduard I. abrangen, das schützende Schirmdach gebildet, unter dem die verschiedenartigen Schichten der Bevölkerung zu jenem zähen, elastischen, lebenskräftigen Ganzen zusammenwuchsen, welches wir im nächsten Jahrhundert in den großen Kriegen mit Frankreich erblicken.
Während in England die einigende zentripetale Bewegung von unten herauf erfolgte, durch den Verschmelzungsprozess der Bevölkerungsschichten und die Erringung gemeinsamer freisinniger Institutionen, sehen wir in Frankreich im 13. Jahrhundert das Werk der Zentralisation und nationalen Kräftigung umgekehrt von oben herab gehen. Unter den bedeutenden Französischen Königen dieser Periode, einem Philipp August, Ludwig VIII., Ludwig IX. dem Heiligen, Philipp dem Schönen, gewann Frankreich nicht nur beträchtlich an Macht und Umfang nach außen, sondern auch an innerer Konsolidierung. Zu Anfang des Jahrhunderts waren der Französischen Königsmacht noch sehr enge Grenzen gesteckt. Die nordwestlichen Provinzen Frankreichs waren nur dem Namen nach Lehen der Französischen Krone; in Wirklichkeit gehorchten sie den Normannischen Königen, welche auf dem Englischen Königsthron saßen. Im Nordosten stand Flandern mit seinen mächtigen Grafen und reichen Freistädten in einem zweifelhaften und kaum als Abhängigkeit zu bezeichnenden Verhältnis zu den Französischen Königen. Im Südosten gehörten Burgund und Arelate seit Friedrich Barbarossa zum Deutschen Reich, wenigstens dem Namen nach, und Südfrankreich bis an die Pyrenäen erfreute sich unter einheimischen Grafen, unter denen die von Toulouse die berühmtesten, und in zahlreichen und blühenden städtischen Gemeinwesen einer fast vollständigen Unabhängigkeit. Am Ende des Jahrhunderts sehen wir große Stücke der Englischen Besitzungen in Frankreich von der Französischen Krone wiedergewonnen, die Grafen von Flandern geplündert und unterworfen, endlich vor Allem in Südfrankreich in Folge der großen Ketzerkriege gegen die Albigenser die schönsten und reichsten Provinzen durch das Schwert und eine gewandte Politik für Frankreich erworben. Dazu im Inneren die Königsmacht gestärkt, die Gesetzlichkeit der Zustände gehoben, der große Feudal-Adel niedergehalten, die Städte in zunehmender Blüte.
Während in England und Frankreich die politische Strömung zur Einheit geht, bewegt sie sich in Italien und Deutschland in umgekehrter Richtung. Im Vordergrunde steht hier der große welthistorische Kampf der Deutschen Kaiser aus dem Höhenstaufischen Geschlecht mit dem Papsttum und allen mit demselben verbundenen Elementen. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts gelangt das große Drama dieses Kampfs zum Abschluss. Das Resultat war der Untergang des Hauses der Hohenstaufen und die Niederlage der von ihnen vertretenen Ideen. Die antike Idee der weltlichen Universal-Monarchie, welche die Hohenstaufen durch Begründung einer starken Hausmacht in Deutschland und Italien zu verwirklichen bestrebt waren, erlag dem geistlichen Universalismus des Papsttums, welches sich mit allen dem individualisierenden Selbständigkeitstrieb der Zeit entsprossenen Elementen verbündet hatte. Die Folge jener Niederlage war eine beispiellose Zersplitterung und Zersetzung aller Zentralgewalt in Deutschland wie in Italien. In Italien verschwindet sie ganz, in Deutschland schwebt sie ein paar Jahrzehnte in der „kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“ hart am Rande des Unterganges, um sich dann mit Rudolf von Habsburg auf neuer Grundlage zu rekonstruieren, und allen universalmonarchischen Bestrebungen auf lange hinaus zu entsagen. Dabei sehen wir, während nach oben die Bande der Einheit sich lösen, und die Macht der Zentralgewalt in der bedenklichsten Weise geschwächt wird, nach unten eine Reihe lebenskräftiger in selbständigem Nebeneinander sich bewegender Gestaltungen, von denen namentlich die Städte mit ihrem jugendlichen Bürgertum den Ansatz zur Bildung eines neuen sozialen und politischen Elements bezeichnen.
Es ist das Jahrhundert, wo das Mittelalter, diese Zeit des Überganges von der antiken zur modernen Welt, seinen Höhe- und Glanzpunkt erreicht. In Religion und Kirche, in Wissenschaft und Kunst, auf dem politischen und sozialen Gebiet sehen wir in grotesker Mischung alte Formen und einen neuen Inhalt, den Niederschlag einer großartigen, aber in sich zerfallenen Zivilisation und die straffen naturwüchsigen Ansätze einer lebenskräftigen neuen Kulturepoche zur Hervorbringung der merkwürdigsten Bildungen in allen Lebenssphären sich vereinigen.
Die katholische Kirche, die antik-moderne schützende Form, in der die christliche Religion unter den Stürmen drangvoller Zeiten aus dem Altertum in die Neu-Zeit hinübergeführt ward, erlangte in diesem Jahrhundert unter den großen Päpsten, einem Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV. den Höhepunkt ihrer Entwicklung; das Papsttum, der Schlussstein der großen hierarchischen Pyramide, an deren Bau zwölf Jahrhunderte gearbeitet hatten, hatte die Bedeutung einer geistlich-weltlichen Universal-Monarchie errungen, welche dem kaiserlichen Universalismus der Hohenstaufen erfolgreich die Spitze bieten konnte. Dabei gärte es mächtig auf dem religiösen Gebiet. Wo sich die Bewegung innerhalb der legalen kirchlichen Schranken hielt, da erzeugte sie neue Bildungen, wie die beiden berühmten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, welche seit ihrer Begründung im Anfang des 13. Jahrhunderts schnell eine unglaubliche Ausdehnung und die tiefgreifendste Bedeutung für das religiöse, wissenschaftliche und soziale Leben des Mittelalters gewannen. Wo aber der Strom der religiösen Bewegung das kirchliche Bette verließ, da erzeugte er sektiererische Erscheinungen, wie die Waldenser und Albigenser, bei denen sich berechtigte Reformbestrebungen, echt christliche und sittliche Elemente, mit schwärmerischem Wahnsinn, der in der ganzen Schöpfung nur das Werk des Teufels erblickte, zu einer wundersamen Mischung vereinigten.
Die bildenden Künste, vorzugsweise noch im Dienst der Kirche, nehmen an dem religiösen Aufschwung der Zeit Teil. Während indes Skulptur und Malerei noch zurücktreten, beginnt für die Baukunst in diesem Jahrhundert jene Periode hoher Vollendung, welche wir als die , der Gotischen Architektur zu bezeichnen gewohnt sind. Von dem nördlichen Frankreich ausgehend verbreitete sich der Gotische Baustil bald nach England, nach den Niederlanden, nach Deutschland und über einen großen Teil des kultivierten Europa. Die mächtigen Dome von Köln, von Straßburg, von Freiburg, um nur diese zu nennen, gehören wesentlich dem 13. Jahrhundert mit seinem kühnen Ideenaufschwunge an.
Während die bildenden Künste, wenigstens in ihren bedeutendsten Produktionen, noch den kirchlichen Stempel tragen, sehen wir die Dichtkunst bereits ihre eigenen Bahnen gehen. Es ist das Jahrhundert der Liebeshöfe und Troubadours, der Skalden, Barden und Minnesänger. Es ist das Jahrhundert, wo wir Fürsten nach dem Lorbeer des Dichters oder wenigstens nach dem Ruhme eines Mäzens der Musen geizen sehen; das Jahrhundert des Sängerkriegs auf der Wartburg, die Epoche eines Wolfram von Eschenbach, eines Heinrich von Osterdingen, eines Walter von der Vogelweide. Es ist die Zeit, wo unser größtes deutsches Heldengedicht, das Lied von den Nibelungen, seinen Abschluss und seine gegenwärtige Form erhielt, während unter den Romanischen Völkern der poetische Ritterroman aus den Sagen-Kreisen von König Arthur und seiner Tafelrunde, von Karl dem Großen und seinen Paladinen, von Alexander dem Mazedonier seine Lieblingsstoffe entnimmt.
Wie für die Künste bezeichnet das dreizehnte Jahrhundert auch für die Wissenschaften eine Zeit mächtigen Aufschwungs. Als die Pflanzstätten derselben sind neben den Höfen einzelner ihrer Zeit vorangeschrittener Fürsten, eines Friedrich II. von Neapel-Sizilien, eines Alphons X. von Kastilien und Anderer, namentlich die Klöster und vor Allem die hohen Schulen und Universitäten zu bezeichnen, unter denen Bologna und Paris die erste Stelle behaupten, während Neapel und Köln, Oxford und Salamanca in zweiter Linie als Sitz der Gelehrsamkeit glänzen. Zwar die Geschichtsschreibung machte geringere Fortschritte, als man nach den Leistungen der nächst vorangegangenen Jahrhunderte hätte erwarten dürfen; der Drang schöpferischer Tätigkeit war in der Gegenwart zu mächtig, als dass sich die Forschung mit ruhiger Sammlung der Vergangenheit widmen könnte. In den Naturwissenschaften bemerken wir einerseits zwar die Erweiterung des Gesichtskreises durch die Kreuzzüge und einen regeren Völkerverkehr, andererseits aber auch die Einwirkung Orientalischer, namentlich Arabisch-Maurischer Elemente in der Verschmelzung abenteuerlicher Phantastik und auf dem realen Grunde der Beobachtung erwachsenen Kenntnisse. Grammatik und Rhetorik blühten namentlich in Italien; sie lehnten sich an die Römischen Muster der späteren Zeit, oder wie die Philosophie wenigstens in formaler Beziehung, an den Altmeister Aristoteles, der, nachdem man ihn lange Zeit nur aus schlechten Arabischen Übersetzungen und Kommentaren gekannt hatte, dem Abendlande in diesem Jahrhundert namentlich durch die Bemühungen Kaiser Friedrichs II. aus der Griechischen Ursprache zugänglich gemacht ward. Im Übrigen war die Philosophie in dieser Zeit materiell kaum mehr als die Dienstmagd der Theologie. Die letztere erreichte zu Paris, Köln und Oxford den höchsten Grad der mittelalterlichen Blüte in derjenigen Form, welche als die Scholastische Theologie bekannt ist. Es ist der erste große Versuch der neueren Weltanschauung, Vernunft und Glauben als im Einklang stehend nachzuweisen, und mit der Spekulation nicht nur den kirchlichen Glauben, sondern die Gesamtheit der Dinge zu erfassen. Die Namen eines Thomas von Aquino, eines Albert des Großen, eines Roger Bacon, alle drei dem Mönchtum angehörig, sind nur die hervorragendsten unter den Trägern der spekulativ-theologischen und allgemein wissenschaftlichen Bewegung der Zeit.
Die Rechtskunde hatte namentlich zu Bologna ihr Hauptquartier, wo an die zehntausend lernbegierige Hörer aus allen Weltgegenden zusammengeströmt sein sollen. Wie in der Anschauung der Zeit Geistliches und Weltliches geschieden war, so schied nun auch die Wissenschaft das kirchliche und das staatliche Recht. Während jenes, das kanonische Recht, an den Entscheidungen der Konzilien und den Dekretalien der Päpste ihre festen Grundlagen hatte, sehen wir die Wissenschaft des weltlichen Rechts sich mehr und mehr dem Studium des Römisch-Justinianeischen Systems zuwenden, um seine Begriffe, mit Beseitigung der altmittelalterlichen Volksrechte, auf die neuen Rechtszustände zu übertragen. Daraus entstehen denn zunächst barbarische Mischformen, denn die Römisch-Justinianeischen Rechtsbegriffe passen auf die Zustände des dreizehnten Jahrhunderts oft wie die Faust aufs Auge.
Mit der Wissenschaft wetteifert auch die praktische Fortbildung des Rechts ans dem Gebiet der Gesetzgebung. Fast in allen Ländern Mittel- und Westeuropas sehen wir Gesetzsammlungen hervortreten, in denen sich das Rechtsbewusstsein der Zeit spiegelt. Was in dieser Beziehung für Italien die Zeit Kaiser Friedrichs II. und seiner rechtsgelehrten Minister war, leistete für Frankreich die Regierung Ludwig IX. des Heiligen, und nicht minder hatten Spanien, England, Schottland, Skandinavien ihre Gesetzsammlungen. Für Deutschland sind die Sammlungen des Sachsen-, des Deutschen-und Schwabenspiegels wie des Kaiserrechts und eine große Anzahl von Stadtrechten auf dem Gebiet des praktischen Rechts von Bedeutung.
Freilich zeigt sich in den Gesetzen dieser Zeit selbst noch die tiefe Disharmonie, welche uns die realen Zustände des Lebens noch kund geben, die Disharmonie zwischen den Errungenschaften einer vergangenen abgeglätteten Zivilisation und der rohen naturwüchsigen Barbarei der Anschauungen und des Lebens der Gegenwart. Zwar strebt die Gesellschaft der neueren Zeit sich mit dem Vermächtnis der alten auch innerlich zu durchdringen, sich daran zu bilden und heraufzuarbeiten; allein im Allgemeinen ist das Verhältnis in dieser Zeit noch ein sehr äußerliches und loses, und die angeborene mittelalterliche Rohheit bildet mit dem Streben nach Verfeinerung und Kultur noch die schroffsten Kontraste, welche auch durch das alte und neue Zeit verbindende Mittelglied, die christliche Religion und Kirche, noch nicht ausgeglichen wird. Denn in ihr selbst liegen noch die Elemente wahrhafter Frömmigkeit und Sittlichkeit im Kampf mit finsterem Aberglauben, unchristlicher Unduldsamkeit und roher Sittenlosigkeit; die Trennung des Geistlichen und Weltlichen, auf welcher der ganze Organismus der katholischen Kirche beruht, wie er nach der einen Seite die Überschwänglichkeit mönchischer und sektiererischer Entsagung erzeugt, ruft nach der andern eine Verweltlichung und Verwilderung des geistlichen Standes hervor, welche verderblich nach allen Seiten wirkt. Und ähnliche unausgeglichene Gegensätze finden wir überall in dieser Zeit. Der Gelehrte sprach und schrieb zwar lateinisch, aber unter die zierlichen rhetorischen Floskeln mischt er ganz unbedenklich barbarische aus den damals lebenden Sprachen entnommene Worte und Wendungen. Der Theologe beweist seine Glaubenssätze von Erbsünde und unbefleckter Empfängnis, von Fegefeuer und Auferstehung des Fleisches mit den Kategorien des alten Heiden Aristoteles. Der Jurist findet für die staats-, kriminal- und zivilrechtlichen Verhältnisse einer eben erst aus dem Rohesten herausgearbeiteten Zeit die Formeln in der Römischen Gesetzgebung Justinians, welche Jahrhunderte raffiniertester Zivilisation zur Voraussetzung hat, und bei aller Sophistik in der Theorie lebte man praktisch doch meist nach dem Grundsatz: „Wer die Macht hat, hat auch das Recht.“ Und der Ungeniertheit, mit welcher die Gesetze übertreten wurden, entsprach dann die rohe Barbarei in Verhängung der Strafen. Während für manche Verbrechen, welche eine fortgeschrittene Zeit schon zu den schwereren rechnet, noch die gelinden Strafen der Büßung durch Geld oder Verweisung fortbestehen, sehen wir für andere grausame Verstümmelungen an der Tagesordnung; Arme und Beine abhacken, Nasen und Ohren abschneiden, Augen ausstechen, Entmannen, glühendes Metall in Mund und Ohren gießen, Sieden in heißem Öl, waren nicht sehr ungewöhnliche Strafen, von den gottesgerichtlichen Entscheidungen durch Zweikampf oder Feuerprobe nicht zu reden. Die einfache Hinrichtung durch Schwert oder Strang war eine milde Strafart; Einmauern und Verhungernlassen, Verbrennen, Pfählen und Vierteilen kommen häufig genug vor, sei es als Strafen, sei es als Taten rachsüchtiger Sieger. Denn der ritterliche Sinn der Zeit, welcher nach der einen Seite die Taten der bewunderungswürdigsten Tapferkeit gebar, schändete sich nach der anderen oft durch die grausamsten Untaten gegen die Besiegten. Die Gräuel, welche die Ritter des Kreuzes in Konstantinopel verübten, als sie im Anfang des Jahrhunderts das Griechische Kaiserreich über den Haufen warfen, gaben denen nichts nach, durch welche zweihundert und fünfzig Jahre später die Osmanischen Türken an eben der Stelle ihren Sieg feierten. Das Rittertum des Mittelalters trägt überhaupt nur nach der einen Seite den Charakter eines glänzenden Heroismus; nach der andern ist es rohe Selbsthilfe und räuberische Gewalttat. Und der zarte Duft des Minne- und Frauendienstes, den die Poesie ritterlicher Sänger über die Zeit ausgoss, findet seine Kehrseite an den rohen Ausschweifungen einer zügellosen Sinnlichkeit, im Stil Orientalischen Sultan- und Paschatums.
Als der Schauplatz der neuen Entwicklungsperiode wird gerade durch dies Jahrhundert für eine lange Zukunft das Europäische Abendland festgestellt. Der Orient hatte zwar durch das meteorartige Aufflammen des Mahomedanismus, durch seine lawinenartige Verbreitung über das östliche Asien, das nördliche Afrika und die südlichsten Spitzen von Europa, durch seine überraschend schnelle Entfaltung zu staatlicher, wissenschaftlicher, künstlerischer und gewerblicher Blüte einen mächtigen Aufschwung genommen. Aber es war ein kurzer Glanz, der sich in etwa vier Jahrhunderten aufzehrte. Gerade das dreizehnte Jahrhundert lieferte den Beweis, wie sehr der orientalische Mahomedanismus dem Christentum als der abendländischen Kulturreligion an tiefer, schöpferisch nachhaltiger Lebenskraft nachstand.
Zwar die Kreuzzüge, in denen sich im vorigen Jahrhundert das christliche Abendland abwehrend und angreifend auf den mahomedanischen Orient gestürzt hatte, erlahmten im Laufe des 13. Jahrhunderts allmählich und hörten schließlich ganz auf, ohne die Freiheit des heiligen Landes von der Herrschaft der Ungläubigen sicher stellen zu können. Aber das Kalifat der Nachfolger Mahomeds, schon lange machtlos und zur Schattengewalt entnervt, sank in diesem Jahrhundert vor dem wüsten Ansturm der Mongolischen Horden in den Staub und die Wunderstadt Bagdad mit allen ihren Herrlichkeiten und märchenhaften Schätzen, mit dem ganzen Erbe einer blühenden und zuletzt bis zum Übermaß verfeinerten Kultur verfiel einer gräuelvollen Zerstörung durch die wilden barbarischen Söhne der Steppe.
Der Mongolische Völkersturm, der ganz Asien von China bis nach Persien und Arabien hin mordend und zertrümmernd durchtobte, brauste noch vor der Mitte des Jahrhunderts auch gegen das christliche Abendland heran. Russland, Polen, Ungarn stürzten vor ihm über den Haufen; aber an den Grenzmarken Deutschlands brach er sich und wandte sich rückwärts; auf der Wahlstatt bei Liegnitz (1241) hatte das Mongolentum zwar den Sieg über ein kleines Heer Polnischer und Deutscher Ritter und Bürger erfochten, aber der Sieg ward so teuer erkauft und die Tapferkeit des christlich-abendländischen Rittertums, von dem man hier erst eine schwache Vorhut kennen gelernt hatte, machte einen so gewaltigen Eindruck auf die Mongolischen Horden, dass sie froh waren in den inneren Wirren ihrer fernen Heimat einen passenden Vorwand zur Rückkehr zu erhalten. Seitdem beschränkten sie ihre Herrschaft und ihre verwüstenden Züge auf den Orient; nur Russland, in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Steppen belegen, blieb ihnen länger als zwei Jahrhunderte hindurch unterworfen und ward dadurch der mittelalterlichen Kulturentwicklung des Abendlandes mehr als sonst geschehen wäre entfremdet.
Hatte das christliche Abendland gegen den Einbruch heidnisch-mongolischer Barbarei sich mehr in der Defensive gehalten, so ging es gegen den Rest mittelalterlichen Heidentums, der sich noch auf Europäischem Boden an den östlichen Gestaden des Baltischen Meeres behauptete, mit so energischem Angriff vor, dass er im Laufe dieses Jahrhunderts fast vollständig erlag*). Das heidnische Preußen, Kurland, Livland, Estland und Ingermannland, mit einem Wort die ganze Ostseeküste von der Weichsel bis an das äußerste Ende des Finnischen Meerbusens, ward der christlichen Kultur gewonnen. Der Bekehrungseifer der Kirche, die Eroberungslust und, der Tatendurst des Rittertums, der Unternehmungsgeist und die Gewinnsucht des neu aufstrebenden Bürgertums der Städte, also Kreuz, Schwert und Gold, vollendeten in kurzer Zeit das Werk. Die Christianisierung dieser weiten Gebiete war zugleich ihre Germanisierung; denn Deutsche Geistliche, Deutsche Ritter, Deutsche Kaufleute und Gewerbetreibende waren es vorzugsweise, welche in dem unwirtlichen Lande und unter einer rohen Bevölkerung als die Pioniere der Kultur erscheinen. So erstand hier eine Reihe von Deutschen Städten, unter ihnen Riga und Königsberg auch durch spätere Bedeutung hervorragend, und der Ordensstaat der Deutsch-Ritter, mit den Schwertbrüdern als Alliierten, gab dem Kolonisationswerk militärische Haltung. Auch Schweden und Dänen, die Blutsverwandten der Deutschen, beteiligten sich an dem Kolonisations- und Bekehrungswerk; die Schweden, indem sie im Nord-Osten des Finnischen Meerbusens die Reste von Finnland und Karelien, die Dänen, indem sie einen Teil von Estland unterwarfen und bekehrten.
*) Nur in Litauen erhielt sich das Heidentum noch bis ins letzte Viertel des folgenden (14ten) Jahrhunderts. Erst als 1385 der Großfürst Jagello sich um die Hand der Polnischen Prinzessin Hedwig bewarb und die Annahme des Christentums zur Bedingung des Jaworts gemacht ward, sanken die Altäre des Perun zu Wilna und anderwärts vor dem Kreuz in den Staub.
Während hier im Nord-Osten Europas der letzte Rest heidnischer Barbarei dem Andrang christlicher Kultur erlag, ward auch im äußersten Südwesten unseres Weltteils die Mahomedanische Macht durch die rastlosen Angriffe der christlichen Königreiche von Portugal, Kastilien und Aragonien auf einen kleinen Umkreis an der Süd-Küste Spaniens beschränkt, und bereits gab es Zeiten, wo das Maurische Königreich von Granada sich genötigt sah, die Oberherrlichkeit des christlichen Kastilien vertragsmäßig anzuerkennen. Bereits im dreizehnten Jahrhundert war es klar, dass die Vernichtung des Mahomedanismus auf der Pyrenäischen Halbinsel nur noch eine Frage der Zeit war.
In der südöstlichen Ecke Europas sehen wir gleich im Anfang desselben Jahrhunderts das verlebte mit Blut und Schandtaten aller Art besudelte Griechische Kaiserreich von einem Haufen tapferer abendländischer Kreuzfahrer und der Flotte der kleinen Handelsrepublik von Venedig im ersten Anlauf über den Haufen geworfen. Aber es fehlt an nachhaltiger Unterstützung und es ist als ob die Luft von Byzanz und die Berührung mit dem sittlich verkommenen Griechenvolk die naturwüchsige Kraft der Eroberer nur zu rasch demoralisiert und korrumpiert. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts schon war die Herrschaft der Abendländer in Konstantinopel wieder gestürzt; das Griechische Kaisertum stellt sich auf dem alten Fuß wieder her, um noch ein paar Jahrhunderte lang ein verknöchertes Dasein zu fristen.
Zwischen diesen äußersten Grenzen, an denen das Christentum teils noch im Kampfe liegt mit heidnischer Barbarei oder Mahomedanisch-orientalischer Zivilisation, teils noch in eine ohnmächtige, aller schöpferischen Kraft ermangelnde Erstarrung versunken ist, bewegt sich nun die eigentliche Kulturentwicklung des Abendlandes. Ihr Hauptschauplatz sind die mitteleuropäischen Länder Italien und Deutschland, Frankreich, England und Skandinavien.
In Skandinavien bestanden die drei Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen wenn gleich durch vielfache Wechselbeziehungen verknüpft, noch unabhängig neben einander. Während Schweden durch den Zwist der großen Familien und Bürgerkrieg zerrissen sich noch zu keiner höheren politischen Bedeutung erhebt, nimmt Norwegens Macht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter seinem König Magnus VII. einen raschen Aufschwung, freilich nur um unter seinen Nachfolgern eben so rasch wieder zu sinken. Dänemark hatte in den beiden ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts unter dem zweiten Waldemar die höchste Spitze seiner politischen Machtentwicklung erreicht. Aber schon in der zweiten Hälfte der Regierung Waldemars, seit seiner Gefangenschaft und der Schlacht bei Bornhöved*), gingen die glänzenden Errungenschaften wieder verloren, und Dänemark sank unter seinen Nachfolgern durch Königsmord und innere Fehden. Hier wie in Schweden rissen Adel und Geistlichkeit die Macht an sich, welche die schwachen Träger des Königtums Preis gaben.
*) Vergl. Rügensch-Pommersche Geschichten I. p. 97.
In England vollzieht sich in dem Jahrhundert, welches uns beschäftigt, in aller Stille der große Verschmelzungsprozess der Normannischen Sieger mit den Angelsächsischen Besiegten, ohne dass wir die Stadien dieses Prozesses und den genaueren Hergang desselben im Einzelnen zu verfolgen im Stande wären. Jedenfalls haben die nationalen Freiheiten, welche die Englischen Großen in der berühmten Magna Charta zu Anfang des Jahrhunderts und auch später noch den schwachen Königen Johann und Heinrich III., wie dem zwar energischen, aber geldbedürftigen Eduard I. abrangen, das schützende Schirmdach gebildet, unter dem die verschiedenartigen Schichten der Bevölkerung zu jenem zähen, elastischen, lebenskräftigen Ganzen zusammenwuchsen, welches wir im nächsten Jahrhundert in den großen Kriegen mit Frankreich erblicken.
Während in England die einigende zentripetale Bewegung von unten herauf erfolgte, durch den Verschmelzungsprozess der Bevölkerungsschichten und die Erringung gemeinsamer freisinniger Institutionen, sehen wir in Frankreich im 13. Jahrhundert das Werk der Zentralisation und nationalen Kräftigung umgekehrt von oben herab gehen. Unter den bedeutenden Französischen Königen dieser Periode, einem Philipp August, Ludwig VIII., Ludwig IX. dem Heiligen, Philipp dem Schönen, gewann Frankreich nicht nur beträchtlich an Macht und Umfang nach außen, sondern auch an innerer Konsolidierung. Zu Anfang des Jahrhunderts waren der Französischen Königsmacht noch sehr enge Grenzen gesteckt. Die nordwestlichen Provinzen Frankreichs waren nur dem Namen nach Lehen der Französischen Krone; in Wirklichkeit gehorchten sie den Normannischen Königen, welche auf dem Englischen Königsthron saßen. Im Nordosten stand Flandern mit seinen mächtigen Grafen und reichen Freistädten in einem zweifelhaften und kaum als Abhängigkeit zu bezeichnenden Verhältnis zu den Französischen Königen. Im Südosten gehörten Burgund und Arelate seit Friedrich Barbarossa zum Deutschen Reich, wenigstens dem Namen nach, und Südfrankreich bis an die Pyrenäen erfreute sich unter einheimischen Grafen, unter denen die von Toulouse die berühmtesten, und in zahlreichen und blühenden städtischen Gemeinwesen einer fast vollständigen Unabhängigkeit. Am Ende des Jahrhunderts sehen wir große Stücke der Englischen Besitzungen in Frankreich von der Französischen Krone wiedergewonnen, die Grafen von Flandern geplündert und unterworfen, endlich vor Allem in Südfrankreich in Folge der großen Ketzerkriege gegen die Albigenser die schönsten und reichsten Provinzen durch das Schwert und eine gewandte Politik für Frankreich erworben. Dazu im Inneren die Königsmacht gestärkt, die Gesetzlichkeit der Zustände gehoben, der große Feudal-Adel niedergehalten, die Städte in zunehmender Blüte.
Während in England und Frankreich die politische Strömung zur Einheit geht, bewegt sie sich in Italien und Deutschland in umgekehrter Richtung. Im Vordergrunde steht hier der große welthistorische Kampf der Deutschen Kaiser aus dem Höhenstaufischen Geschlecht mit dem Papsttum und allen mit demselben verbundenen Elementen. Bald nach der Mitte des Jahrhunderts gelangt das große Drama dieses Kampfs zum Abschluss. Das Resultat war der Untergang des Hauses der Hohenstaufen und die Niederlage der von ihnen vertretenen Ideen. Die antike Idee der weltlichen Universal-Monarchie, welche die Hohenstaufen durch Begründung einer starken Hausmacht in Deutschland und Italien zu verwirklichen bestrebt waren, erlag dem geistlichen Universalismus des Papsttums, welches sich mit allen dem individualisierenden Selbständigkeitstrieb der Zeit entsprossenen Elementen verbündet hatte. Die Folge jener Niederlage war eine beispiellose Zersplitterung und Zersetzung aller Zentralgewalt in Deutschland wie in Italien. In Italien verschwindet sie ganz, in Deutschland schwebt sie ein paar Jahrzehnte in der „kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“ hart am Rande des Unterganges, um sich dann mit Rudolf von Habsburg auf neuer Grundlage zu rekonstruieren, und allen universalmonarchischen Bestrebungen auf lange hinaus zu entsagen. Dabei sehen wir, während nach oben die Bande der Einheit sich lösen, und die Macht der Zentralgewalt in der bedenklichsten Weise geschwächt wird, nach unten eine Reihe lebenskräftiger in selbständigem Nebeneinander sich bewegender Gestaltungen, von denen namentlich die Städte mit ihrem jugendlichen Bürgertum den Ansatz zur Bildung eines neuen sozialen und politischen Elements bezeichnen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten (Bd. II)
Begrüßung eines Turnierteilnehmers
Mittelalterliche Burganlage
Turnierteilnehmer
Anreise der Turnierteilnehmer per Schiff
Siegerehrung
Huldigung
Angriff auf eine Burg
Rittermahl
Beratschlagung
Beim Lanzenstechen am Hals getroffen
alle Kapitel sehen