Die Städte, ihre Bedeutung und Machtentwicklung, namentlich in Deutschland

Die Bedeutung der Städte und ihres Bürgertums für die gesamte Entwicklung und Gestaltung der neueren Zeit kann nicht hoch genug angeschlagen werden. Sie bilden das vermittelnde Glied zwischen der Aristokratie der großen und kleinen, weltlichen und kirchlichen Lehnsträger und Ritter auf der einen und der großen Masse mehr und mehr in Unfreiheit und Dienstbarkeit versinkenden ländlichen Bevölkerung auf der andern Seite. In den Städten erwachsen die Pflanzschulen des Sinnes für Gesetzlichkeit und für Freiheit, für Ordnung und Recht, für Arbeit und für Reichtum, Bildung und Macht als die Früchte der Arbeit. Ohne das neue vermittelnde Element, welches durch die mittelalterlichen Städte in die Entwicklung der sozialen und politischen Verhältnisse kam, hätte sich eine immer tiefere und je länger je mehr unausfüllbare Kluft zwischen der kleinen, aber mächtigen Lehnsaristokratie als der herrschenden Kaste und der großen, aber ohnmächtigen Masse gebildet, welche unfrei und dienstbar in Unwissenheit und Armut versunken zu jener lediglich im Verhältnis der Knechte zu den Herren gestanden hatte. Polnische Zustände wären die notwendige Folge gewesen. In dem Bürgertum der Städte bildete sich als Gegengewicht gegen Adel und Kirche der dritte Stand heran, welcher sich seitdem zu einem Hauptfaktor der modernen Kultur-Staaten aufgeschwungen hat.

Schon im vorigen Jahrhundert — dem zwölften — hatte in Italien jener mächtige Aufschwung der mittelalterlichen Städteentwicklung begonnen, welcher die Lombardischen Städte, Mailand an der Spitze, in den Stand setzte, den Kampf mit dem mächtigen Hohenstaufen-Kaiser Friedrich I. aufzunehmen und zu einem glücklichen Ende zu führen. Aus verschiedenartigen Anfängen, unter den schützenden Einflüssen geistlicher und weltlicher Fürsten und den unverkennbaren Einwirkungen alt-germanischer Institutionen, wie des Schöffentums, hatten sich die städtischen Kommunen gebildet, als Vereinigungen der verschiedenen nationalen, staatlichen und sozialen Elemente zu gemeinsamer Wahrnehmung ihrer Interessen und gleichem Schutz für alle ihre Bürger. Mit Beseitigung der älteren im Wege stehenden fürstlichen, kirchlichen oder kaiserlichen Rechte hatten sie sich allmählich zu einer fast unbeschränkten Selbstregierung hinaufgearbeitet. An der Spitze der Kommunen stand meist ein engerer Rat, in der Erinnerung an die höchsten Regierungsbeamten der alten Römischen Republik mit dem prunkenden Namen der Konsuln bezeichnet. Die Regierung hatte bald einen Mehr aristokratischen, bald einen mehr demokratischen Zuschnitt, und ward von den Konsuln unter größerer oder geringerer Mitwirkung. der Kommunen oder ihrer Delegierten geführt. Leider wurden die Italienischen Städterepubliken bald durch die ungezügelte Entfesselung der Partei-Leidenschaften zu einer Verfassungsform geführt, welche schließlich das Grab der Freiheit werden musste. Um bei dem Groll und Hader innerer Faktionen einer unparteiischen Handhabung des Rechts und der Regierungsgewalt sicher zu sein, begann man für die oberste Leitung des Regiments unter dem Namen des Podesta den Träger von auswärts zu berufen. Anfangs nur auf eine bestimmte Zeit und unter mannigfachen Beschränkungen; aber ein kräftiger und ehrgeiziger Inhaber dieser Würde wusste bald die ihm gesetzten Schranken zu überspringen und die Herrschaft, sei es auf Lebenszeit, sei es erblich, für seine Familie zu erringen. Damit hatte man denn die Scylla des Haders der Faktionen vermieden, aber nur um in die Charybdis der Tyrannei einzelner Gewalthaber um so rettungsloser hineinzustürzen. Auch wo es, wie in Venedig, nicht ein Einzelner, sondern eine kleine geschlossene Zahl aristokratischer Familien war, welche die Herrschaft ausübte, machte es in der Sache keinen großen Unterschied*).


*) Für die Entwicklung des hier nur kurz zu berührenden Städtewesens in Italien verweisen wir auf Hegels ausgezeichnete „Geschichte der Städteverfassung von Italien, 2 Bde. 1817“; ein Werk, dessen Studium auch als Einleitung für unsere Deutsche Städte-Geschichte unerlässlich ist.

Das dreizehnte Jahrhundert war indes für die Italienischen Städte noch eine Epoche höchster Blütezeit. Während die Unteritalischen und Sizilischen Städte durch die spezielle Fürsorge Friedrichs II. zwar in vieler Beziehung gefordert, dann aber auch ebenso rücksichtslos gehemmt und in seinem finanziellen Interesse ausgebeutet wurden, sehen wir in Nord- und Mittel-Italien die freien Städte-Republiken im höchsten Flor. Florenz und Pisa, Genua und Venedig, Cremona und Brescia, Bologna, Modena, Ferrara, und von vielen andern zu schweigen vor Allen das königliche Mailand wetteiferten mit einander in Glanz, Reichtum und Macht. Gegen das Ende des Jahrhunderts zählte man in Mailand dreizehntausend Privathäuser, sechstausend Brunnen, dreitausend Mühlen, vierhundert Metzgerbuden, ebenso viele Backöfen, tausend Schenken, und hundert und fünfzig Hospitäler. Unter zweimalhunderttausend Einwohnern sollen, wohl etwas zu hoch veranschlagt, vierzigtausend waffenfähige Männer gewesen sein; ferner zählte man gegen zweihundert gelehrte Richter, vierhundert Notare, zweihundert Ärzte, achtzig Schullehrer, fünfzig Besitzer von Bücher-Aschreibereien (die vor Erfindung der Buchdruckerkunst die Stelle unserer Buchdruckereien vertreten); dazu achtzig Hufschmiede, dreißig Glockengießer, hundert Harnisch-Fabrikanten. Zwei Mauern schützten die Stadt, mit sechs Haupttoren, zwölf Nebentoren und hundert Türmen; der die Stadt umgebende Graben war dreißig Ellen breit. Das Gebiet von Mailand enthielt außer sechzig Vorstädten, hundert und fünfzig Burgen mit den dazu gehörigen Dörfern und außerdem sechshundert selbständige Dörfer; es soll achttausend Ritter und zweimalhundertvierzigtausend Mann zu Fuß haben stellen können. Die Gesamtzahl der Kirchen im Mailändischen betrug dreizehnhundert fünf und fünfzig, die Gesamtzahl aller geistlichen Personen zehntausend, die der geistlichen Lehen mehr als achtzehntausend. — Eine solche Stadt mit ihrem Gebiet wog natürlich manches Königreich jener Zeit auf. Ähnliches, wie von Mailand, wird von Florenz berichtet, und andere Städte unterschieden sich nur durch wenig geringere Dimensionen ihrer Machtentwicklung.

Ein so blühender Zustand wurzelte in der freiesten. Entfaltung aller Hilfsquellen eines von Natur reichen und günstig gelegenen Landes. Gewerbefleiß und Handel zogen aus der Verarbeitung und Verführung einheimischer und fremder Produkte unermesslichen Gewinn. Neben dem reichen Getreide-Bau lieferte der fruchtbare Boden die Olive und der Öl-Handel bildete den Grund des Reichtums mehr als einer Italienischen Stadt. Mit der Zucht der Seidenraupe verbreitete sich die Seidenweberei, und neben der glänzenden Seide bildete die solidere Wolle, wie namentlich in Florenz, einen Hauptartikel der Manufakturen. Dem Orient hatte man die Kunst der Samet-, Gold- und Silberwirkerei abgelernt und die Waffen- und Goldschmiedekunst erreichte, namentlich in Mailand, einen hohen Grad der Vollendung. Was im eigenen Lande nicht erzeugt ward, lieferte der Handel mit allen Teilen der damals bekannten Welt. Die Schätze des Orients wurden namentlich durch Venedigs und Genuas Handelsflotte nach Italien übergeführt, um von dort aus weiter nach allen Seiten verbreitet zu werden. Venedig hatte bei der Eroberung des Griechischen Kaiserreichs durch abendländische Kreuzfahrer den Löwenanteil genommen und die erworbene Stellung für die Ausbreitung seines Handels im Orient auf die geschickteste Weise benutzt. In Konstantinopel hatten die Venetianer ein eigenes Quartier, die Insel Candia gehörte ihnen, überhaupt waren anderthalb Vierteile des Griechischen Reichs auf ihren Beute - Anteil gefallen. Dazu hatten sie ihre Faktoreien in Ägypten und an der Syrischen Küste, und gegen das Ende des Jahrhunderts drang der kühne Venetianer Marco Polo auf seinen Reisen weithin nach Indien und China vor. Genuas Handel bewegte sich in denselben Bahnen; berühmt waren seine Stapelplätze am schwarzen Meer und namentlich auf der Krim, von wo es über Asow seine Waren tief nach Asien bis nach China versandte und die Erzeugnisse des Ostens dafür wieder erhielt.

Mit dem kolossalen Aufschwung des Handelsverkehrs musste auch der Geldverkehr entsprechende Dimensionen annehmen. Die Italienischen Städte waren es in der Tat, bei denen wir in dieser Zeit die ersten Grundlagen des Wechsel-, Bank- und Zinswesens finden, wie es bis in die Gegenwart, nur in höherer Ausbildung, normierend geblieben ist.

So waren die Italienischen Städte des dreizehnten Jahrhunderts in ihrer Betriebsamkeit und ihrem Reichtum, in ihrer Freiheit und ihrer Macht die leuchtenden Vorbilder der Städteentwicklung im ganzen übrigen Europa.

Vor allen waren es die Flandrischen Städte, welche um diese Zeit, wie die Italienischen durch gewerbliche Betriebsamkeit und Handel auf der Grundlage freiester Entfaltung ihrer Kräfte zu einer bewunderungswürdigen Höhe von Reichtum und Macht gelangten. Neben Ypern und Courtray, Tourrout und Dendermonde, Arras und Lille, Ardemburg und Nieupoort glänzen besonders die Namen Gent, Brügge und die berühmte, später versandete Hafenstadt Damme. Was von der Pracht dieser Städte und dem Reichtum und Luxus ihrer Bewohner berichtet wird, ist für jene doch nur eben erst aus der Barbarei sich losringenden Zeiten außerordentlich genug. Von den Erzeugnissen einheimischen Gewerbefleißes waren es namentlich Wollstoffe, deren Fabrikation, in größter Ausdehnung und hoher Vollendung betrieben, eine unversiegliche Quelle des Reichtums für Flandern war; Flandrische Tuche waren weithin durch das ganze Abendland berühmt. Der Handel der Flandrischen Städte bewegte sich, für jene Zeit, in den ausgedehntesten Dimensionen. Flandern war das Hauptland für den Handel des nord-westlichen Europa; seine Verbindungen erstrecken sich nach Italien, Spanien und Portugal auf der einen, nach Skandinavien, Russland und Preußen auf der andern Seite. Vor Allem aber stand es mit England, Frankreich und Deutschland im engsten Verkehr. Von den Regierungen dieser Länder erhielt der Flandrische Handel allmählich die ausgedehntesten Privilegien; ein eigenes Flandrisches Seerecht entstand und eine Verbindung Flandrischer Städte unter dem Namen der Hansa war die Vorläuferin der bekannteren und mächtigeren Deutschen Hansa. Von den ausgedehnten Verbindungen der Städte Flanderns können wir uns eine Vorstellung machen, wenn wir unter den Personen, welche zu Brügge in einem Jahr (1285) das Bürgerrecht erhielten, einen Lombarden, drei aus Montpellier, einen aus Bayonne, einen aus London finden*).
Dem rapiden Aufschwung, welchen die Städte Italiens und Flanderns nahmen, ging eine ähnliche Entwicklung, bald in größeren, bald in geringeren Dimensionen, im ganzen westlichen und mittleren Europa zur Seite.

*) Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte, I. 364.

Auf der Pyrenäischen Halbinsel bildeten sich jene freien und selbständigen Gemeinwesen, welche nach langer Blüte erst im sechszehnten Jahrhundert dem despotischen Zentralisationssystem eines Karl V. und Philipp II. erlagen. Als mächtige Seehandelsplätze in der Zeit unserer

Darstellung wollen wir nur Barcelona und Lissabon nennen, jenes die Heimat des unter dem Namen Consolato del mare bekannten auch von den Italienischen Städten adoptierten Seerechts, dieses, obwohl erst im zwölften Jahrhundert den Mauren entrissen, schon früh in lebhafter Handelsverbindung mit England und Flandern.

Im Süden Frankreichs ging die blühende Entwicklung des Städtewesens unter mannigfachen Einwirkungen Italiens vor sich. Montpellier, Arles, Marseille und Toulouse wetteiferten in Handel, Gewerbefleiß und Reichtum mit ihren Italienischen Vorbildern; an der Westküste Frankreichs waren Bordeaux, La Rochelle und Rouen schon weitberühmte Handelsplätze; im Norden dominierte Paris, als Hauptstadt alle überflügelnd, schon ihm dreizehnten Jahrhundert die mächtigste Französische Stadt.

Hinter Frankreich blieb England nicht zurück. Die Grundlagen der Freiheit, des Wohlstandes und der Macht, durch welche die Städte Großbritanniens heutzutage in der Welt den ersten Rang einnehmen, wurden im dreizehnten Jahrhundert gelegt. Sind auch viele von denen, die jetzt unter den ersten zählen, erst späteren Ursprungs, so haben sie doch ihre Wurzel in demselben großartig durchgeführten Grundsatz der Selbstregierung, wie die älteren. Von den vielen Städtenamen, die uns schon in dieser frühen Zeit begegnen, nennen wir nur die von Oxford und Canterbury, Salisbury und York, als altberühmte Gemeinwesen von geistigem oder wenn man will geistlichem Gepräge, während sich andere, wie Winchester, Exeter, Durham und, an der schiffbaren Saverne, Worcester und Glocester, endlich als Seehandelsplatz Bristol auf den Bahnen materiellen Verkehrs einen Namen erwarben. An der Spitze von allen, wie Paris für Frankreich, tritt schon jetzt die Hauptstadt London hervor, und konnte auch noch von einem Welthandel keine Rede fein, so umfassten ihre Handelsverbindungen doch schon einen guten Teil des Abendlandes.

Überall in den bisher genannten Ländern erwuchsen die Städte zu selbständigen, in sich abgeschlossenen, mehr oder minder mächtigen Gemeinwesen, bald unter dem vorsorglichen Schutz der Landesherren, bald im geheimen oder offenen Kampf mit denselben, und ob Geistlichkeit und Feudal-Adel für die Städte oder ihre Gegner Partei nahmen, hing von dem jedesmaligen, Parteiinteresse ab. In England namentlich sehen wir die Bürger der Städte in dem Kampf, dessen Resultat schließlich die Erringung der großen freiheitlichen Fundamentalgesetze des Landes war, oft mit dem großen Feudal-Adel gegen die Übergriffe fürstlicher Willkürherrschaft Front machen.

Der Grundzug, welcher durch alle Stadtverfassungen der genannten Länder geht und sich in den einzelnen Bestimmungen bald stärker, bald schwächer ausgeprägt findet, ist das Prinzip der Selbstregierung der städtischen Kommunen im weitesten Maßstabe. Allerdings ward die landesfürstliche Gewalt gewöhnlich durch einen hohen Beamten unter dem Namen des Vogts (advokatus) oder Baillis repräsentiert, dem die Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit oder wenigstens die Teilnahme daran oblag, und von den Strafgeldern erhielt er seinen Anteil. Aber seine Macht ward durch die städtischen Behörden immer mehr eingeschränkt, und seine Stellung ward, wo sie nicht im Laufe der Zeit ganz fortfiel, zu einer rein pekuniären Sinekure, welche die Landesherren wegen der damit verbundenen Einkünfte an ihre Anhänger vergaben. Dagegen ward die eigentliche Regierung der städtischen Kommune durch eine höchste kollegialische Behörde geführt, in welcher die ältere Schöffen- und die neuere Ratsverfassung zu einem Ganzen verschmolzen. So finden wir dafür in Flandern und Frankreich die Namen von Schöffen und Geschworenen auf der einen, von Ratmannen, Konsuln, Körmannen auf der andern Seite, während sich in England der Name der Aldermänner einbürgerte*). Für den, oder die Vorsitzenden bildeten sich die Benennungen des Bürgermeister, des Schultheiß, des Mayor oder Mayeur (der moderne Maire) oder in Südfrankreich nach Italienischem Vorbild der Titel der Potestas. Die Ernennung des höchsten städtischen Regierungs-Kollegiums trug anfangs meistens das Gepräge aristokratischer Exklusivität. Die Stadträte rekrutierten sich vorwiegend aus den höheren Gilden, aus den alten städtischen Patrizierfamilien nebst den reicheren Klassen der Bürgerschaft, und erst später gelang es den niederen Schichten, wie sie in den Zünften repräsentiert waren, sich die Zulassung zu erkämpfen. Dabei stand dem eigentlichen engeren Rat häufig noch ein weiterer Rat kontrollierend zur Seite, als vermittelndes Glied zwischen der höchsten Regierungsbehörde und dem Gros der Bürgerschaft, die außerdem durch die Kirchspiels- und Quartier-Verfassung mannichfache Garantien gegen Missbrauch der Gewalt von oben in Händen hatte.

*) Die Common-Councilmen der älteren Englischen Städte entsprachen mehr unserer modernen Stadtverordneten.

Der großartige Aufschwung, den städtisches Leben und städtische Kultur in ganz Süd- und Westeuropa nimmt, gibt sich namentlich auch in Deutschland als dem Herzen des Weltteils in der glänzendsten Weise kund*).

*) Für das Folgende vergl. Hüllmann, Deutsches Städtewesen im Mittelalter, 2 Bde. 1826—27. — Bartheld, Geschichte der Deutschen Städte und des Deutschen Bürgertums, 2 Bde, 1850—51, — Ferner die Spezialgeschichten der einzelnen Städte. — Der Aufsatz „Über Entstehung und Untergang der Deutschen Städteverfassungen“ von v. Tippelskirch in den Baltischen Studien XIX, 1. ist mir erst nach Vollendung meiner obigen Darstellung bekannt geworden.

Die Germanischen Stämme waren, als sie um die Zeit von Christi Geburt in nachhaltigere Berührungen mit dem Römerreiche traten, keine Freunde städtischen Lebens. Sie, die in ihrer Heimat keine Städte kannten, erblickten in den Städten der Römer nur die Pflanzstätten der Unfreiheit, der Verweichlichung und Üppigkeit. Als sich in der Völkerwanderung die Schwärme Deutscher Stämme über die Römischen Provinzen ergossen, hatten vor Allem die Städte den verwüstenden Fußtritt der Sieger schwer zu empfinden. Ohne Sinn für Handel und Gewerbe, für Industrie und Kunst, die Städtebewohner als Sklaven und Feiglinge verachtend, zerstörten die Germanen im Übermut des Sieges nur allzu häufig in den Städten mit der Fäulnis einer verrotteten Überzivilisation auch die mühsam gereiften Früchte jahrhundertjähriger Kultur. Allmählich aber machte sich auch bei den unverdorbenen, aber rohen Siegern jenes zivilisatorische Bedürfnis geltend, wodurch jedes Volk, welches einen gewissen Kulturgrad erreicht hat, mit Notwendigkeit zum städtischen Leben hingeführt wird. Goten und Longobarden, Burgunder und Alemannen, Franken und am letzten von allen die Sachsen sehen wir auf der neuen Bahn städtischer Kulturentwicklung stetig und unaufhaltsam voranschreiten, vorgefundene Elemente in sich aufnehmend und verarbeitend , Neues aus dem eigenen Volksleben schöpferisch hervorbildend.

Die reichste Mannigfaltigkeit städtischen Lebens auf Deutschem Boden gab Zeugnis von einer wunderbaren Fülle jugendlicher Lebenskraft in den Deutschen Stämmen. Eine Reihe von Städten, welche im Mittelalter als Zierde Deutschlands berühmt waren, namentlich im Donau- und Rhein-Tal, reichen mit ihren ersten Anfängen noch in die Römischen Zeiten hinauf; der Ursprung anderer verliert sich in den dunkeln früheren Jahrhunderten des Mittelalters; dann sind es die Zeiten der Karolinger, der Sächsischen, der Fränkischen Kaiser, welche sich jede in ihrer Art fruchtbar für das Werk der Städtegründung oder der Fortbildung städtischen Lebens erweisen. Namentlich aber ist es dann das zwölfte Jahrhundert, wo die Entwicklung der Städte auch in Deutschland, wie in Italien, Frankreich, Spanien, Flandern und England, jene großartigen Dimensionen und jenen wesentlich durch das Ziel der Selbstregierung bestimmten Gang erhalten, dessen Resultat im dreizehnten Jahrhundert als der reichste Flor blühender städtischer Gemeinwesen vor uns liegt.

Lassen wir wenigstens die bedeutendsten eine kurze Revue passieren.
Wien, die Wächterin Deutschen Wesens im äußersten Südosten Deutschlands gegen Slawen und Ungarn, war schon im Anfang des genannten Jahrhunderts eine reiche und mächtige Stadt. Mannigfach begünstigt von den Österreichischen Herzogen, namentlich Leopold dem Glorreichen, wusste es dann aus den Kreuzzügen, deren Scharen sich zum Teil die Donau abwärts wälzten, unermesslichen Gewinn zu ziehen, und frühzeitige Verbindungen mit Venedig setzten es in den Stand, an dem Gewinn des Orientalischen Handels teil zu nehmen. Seit 1198 hatte es eine eigene, dem städtischen Gemeinwesen einen hohen Grad von Selbständigkeit sichernde Verfassung, welche sonst von der Gestalt der Städteverfassungen im übrigen Deutschland mannigfach abweicht. Die Donau aufwärts gehend finden wir dann Regensburg, mit seinen Anfängen bis in die Römerzeit hinaufreichend, als hervorragende Repräsentantin städtischer Kultur im dreizehnten Jahrhundert. Im Kampf mit seinen Landesherren, den Bischöfen, von den Kaisern bald gefördert, bald befehdet, erringt es in diesem Jahrhundert seine Selbständigkeit in so nachhaltiger Weise, dass sie länger als ein halbes Jahrtausend feststeht. München erhielt zwar schon 1158 durch Heinrich den Löwen mit der Befestigung von Mauer und Graben das Stadtrecht, aber seine Blütezeit beginnt erst später und ein eigener Rat tritt erst am Ende des dreizehnten Jahrhunderts hervor. Dagegen erscheint schon vor der Mitte dieses Jahrhunderts Innsbruck, die Schöpfung der Herzoge von Meran, als eine namhafte Stadt mit freier Verfassung im Tiroler Lande. Verfolgen wir die Donau weiter aufwärts nach ihrer Quelle hin, so finden wir den Zyklus der Schwäbischen Städte Augsburg, Konstanz, Ulm, Esslingen, Heilbronn, Schwäbisch-Hall, Reutlingen, Nördlingen und Andere, welche sich unter den Hohenstaufen trotz mannigfacher Bedrängnisse zu einem hohen Grad von Wohlstand emporschwangen. Am Oberrhein blühte Freiburg im Breisgau, die frühe Gründung der Zähringischen Grafen (seit 1118), bald das Vorbild für Bern und Zürich, welche damals dem Deutschen Reich noch nicht entfremdet waren. Basel, die bischöfliche Stadt, ging ihren eigenen Weg und ihre Bürger gewannen aus dem oberrheinischen Handel Reichtum und Macht. Rheinabwärts finden wir dann weiter jene altberühmten städtischen Gemeinwesen, deren Anfänge sich in den Römerzeiten oder in den frühen Jahrhunderten des Mittelalters verlieren, Straßburg, Speyer, Worms, Frankfurt, Mainz, Trier, Köln, Aachen und Utrecht, um nur diese glänzenden Namen zu nennen, deren Geschichte von je aufs Engste mit der Geschichte des Deutschen Reichs verknüpft war. Vor allen ragte durch Macht und Reichtum Köln hervor, die alte Rheinische Metropole, deren Feindschaft oder Freundschaft im dreizehnten Jahrhundert mit dem Gewicht von Königreichen und Fürstentümern in die Waagschale fiel. Zwar erlag hier bald nach der Mitte des Jahrhunderts die bürgerliche Freiheit auf eine Zeitlang den Ränken herrschsüchtiger Priester und innerem Zwist; aber schließlich siegte auch hier wie fast überall das Prinzip städtischer Selbstregierung im Gegensatz zu den absolutistischen Ansprüchen der geistlichen Landesherren. An die Rheinischen schlossen sich, wenn man den Blick gegen Nord-Ost wendet, die Sächsischen Städte; das Land der Sachsen*) nahm in damaliger Zeit den ganzen Nordwesten Deutschlands ein und reichte von den Grenzen Thüringens im Süden bis an die Gestade der Nordsee im Norden, und von den Niederrheinischen und Holländischen Landschaften im Westen bis an die Elbe im Osten. Hier finden wir im Westfälischen als namhafte Städte unserer Periode vor Allem Soest, die alte Stadt der Engern, Dortmund, Minden, Münster und Paderborn; im ehemaligen Ostfalen Braunschweig, als Hauptstadt des Herzogtums von Heinrich dem Löwen mannigfach begünstigt, Magdeburg, die alte Gründung der Sächsischen Kaiser, nebst Halle und Merseburg; im Harz das altberühmte Goslar, ferner Hildesheim, Hannover und Osnabrück, Lüneburg und Celle, Stade und Bremen, die reiche Bischofs- und Kaufmannsstadt, während Bardewyk, das alte Sächsische Handelsemporium an der Nieder-Elbe, sich seit der furchtbaren Zerstörung durch Heinrich den Löwen niemals wieder erholte und von Lübeck weit überflügelt rasch zu der späteren Bedeutungslosigkeit herabsank. Im Deutschen Nord-Albingien, im Holsteinischen Lande, nimmt Hamburg, durch die Vorteile seiner Lage, die Gunst seiner Landesherren und die Tätigkeit seiner Bürger einen überraschend schnellen Aufschwung; Kiel, Rendsburg und Flensburg eifern in zweiter Linie nach, während Schleswig durch die Versandung der Schlei-Mündung und andere ungünstige Umstände seine Bedeutung als uralte Zwischenstation für den Ostsee- und Nordsee-Handel mehr und mehr einbüßt.

*) Nicht zu verwechseln mit dem Königreich Sachsen, welches im dreizehnten Jahrhundert unter das Markgrafentum Meißen und die Lausitz fiel, während die heutigen Sächsischen Herzogtümer damals meist in die Grenzen Thüringens gehörten.

Gehen wir von den Grenzen Sachsens im Deutschen Reich wieder südwärts, so treffen wir in Thüringen auf Nordhausen und Mühlhausen, Erfurt und Eisenach als bedeutendere Repräsentanten städtischer Kultur für unser Jahrhundert. Und noch weiter in das Herz von Mitteldeutschland vorgehend finden wir Wetzlar und Fritzlar, Gelnhausen und Friedberg, Würzburg und Bamberg, die beiden auch von Kaisern vielfach ausgezeichneten Bischofsstädte, endlich Nürnberg, die Krone der Fränkischen Städte, welche im dreizehnten Jahrhundert durch den Fleiß und die Kraft seines Bürgertums die sichere Grundlage zu der hohen Bedeutung legte, welche es in den folgenden Jahrhunderten erreicht. — Schon auf der Grenze der germanisierten Slawischen Gebiete, auf welche wir später im Zusammenhange zurückkommen werden, finden wir, noch auf dem linken Ufer der Elbe, im damaligen Meißen’schen Markgrafentum in unserer Periode bereits Meißen und Leipzig als Städte von Bedeutung; Leipzig namentlich hatte seine Kraft schon im glücklichen Kampfe mit seinem Landesherrn, dem Markgrafen, erprobt und konnte nur durch ein kaiserliches Schelmenstück vorübergehend unter die Macht von Fürsten und Pfaffen gebeugt werden*).

*) Die Leipziger waren mit ihrem Landesherrn zerfallen, weil derselbe ihnen gegen ihren Willen ein Augustiner-Kloster in die Stadt bauen wollte. Nach mehrjähriger Fehde hatten sie ihn zu einem für sie vorteilhaften Vergleich genötigt, Kaiser Friedrich der Zweite hatte dann mit anfangs geringer Begleitung, als Schiedsrichter Einlass in die befestigte Stadt erhalten. Nachdem er seine Begleitung allmählich verstärkt, überfiel er die Bürger Nachts im Schlafe und ließ sie plündern und misshandeln. Die Stadt verlor ihre Befestigungen und ihre besten Privilegien, und erhielt drei Zwingburgen vor den Toren, um sie im Zaum zu halten (1217,) Allein nach dem wenige Jahre später erfolgten Tode des Markgrafen kam Leipzig wieder zu Kräften, und neue stärkere Befestigungen schirmten bald die mehrfach erweiterte Stadt.

In den Rechten und Gesetzen, nach denen das Leben der Deutschen Städte sich regelt, treten alsbald gewisse allgemeine Grundanschauungen hervor, welche einen Fortschritt des Rechtslebens, der Sittlichkeit und der Kulturentwicklung im Ganzen deutlich genug beurkunden. Indem die städtischen Bürgerschaften überall aus dem anderweitigen landrechtlichen Verband heraustraten, sicherten sie sich durch eigenes Gericht und eigene Verwaltung, welche von ihres Gleichen geübt wurden, gegen Willkür und Gewalttat von Seiten der großen und kleinen, geistlichen und weltlichen Feudalen, bei denen die Macht mehr galt als das Recht. Selbst das Privilegium findet sich nicht selten, dass ein Bürger, auch wenn er außerhalb seiner Stadt in Anklagestand versetzt ward, doch nach dem Rechte seines Heimatortes gerichtet werden musste. Vollends innerhalb des Umkreises seiner Stadt oder innerhalb ihres Weichbilds sicherte sich das Bürgertum einen geordneten, für Alle gleichen Rechtsgang. Vor Allem schützte es, soweit es ohne Schaden für das Allgemeine möglich war, den Einzelnen in seiner Freiheit. Den großen Englischen Grundsatz: mein Haus ist meine Burg, finden wir schon in Deutschen Stadtrechten des dreizehnten Jahrhunderts. Zu Goslar sollte in seinem Hause jeder Bürger unverletzlich sein; selbst wenn er einen Geächteten bei sich aufnahm, sollte dies nicht berechtigen, in sein Haus zu dringen, sondern nur ihn vor Gericht anzuklagen.

Mit dem gleichen Recht aller Bürger als solcher waren natürlich die Hörigkeitsverhältnisse der Zeit nicht vereinbar. Es konnte keine freien und unfreien Bürger in dem Gemeindeverband geben. Daher durchbrachen die Städte die historisch überlieferten Verhältnisse auch nach dieser Seite durch die Bestimmung, dass die Luft der Stadt frei macht. Ein unfreier, höriger Mann, der Jahr und Tag unangefochten in der Stadt gewohnt hat, wird eben dadurch von selbst frei. Dies war eine in ihren Folgen so tiefgreifende , für jene Zeit wahrhaft revolutionäre Bestimmung, dass wir uns nicht wundern dürfen, dass sich gerade gegen diesen Punkt die heftigste Opposition der Feudalen richtete. Sie nahmen es als ein Recht in Anspruch, wie die Sklavenbesitzer in Nordamerika es bis auf den heutigen Tag tun, ihr Eigentum zu jeder Zeit und überall wo sie es fanden, wieder reklamieren zu können, und wenn nun die Städte hier einen Riegel vorschoben und das Reklamationsrecht auf eine bestimmte kurze Frist beschränken wollten, so kann man sich den Hass und die Erbitterung vorstellen, den dieser Eingriff in vermeintliches gutes Recht hervorrief.

Eine andere Bestimmung, mit welcher die Städte die ritterlich-feudale Anschauungsweise der Zeit durchbrachen, war ihre Verwerfung des Zweikampfs. Das Duell, welches als der privilegierte Faustkampf von der Kirche als Gottesurteil geduldet, vom Rittertum als Betätigung der persönlichen Tapferkeit und Ehrenhaftigkeit gefordert ward, hatte fast überall als gerichtliches Entscheidungsmittel eine gesetzliche Weihe erhalten. Aber die städtischen Bürgerschaften, welche Recht und Gesetz zur Grundlage ihrer Gesellschaftsverfassung gemacht hatten, konnten die Kraft der Faust und die Geschicklichkeit in Führung der Waffen nicht als einen gültigen Beweis des Rechts gelten lassen. Daher, wenigstens bei vielen von ihnen die gesetzliche Bestimmung, dass ihre Bürger nicht zum gerichtlichen Zweikampf geladen werden dürfen. In andern Städten, wo das Recht des Duells noch anfangs beibehalten war, ward es doch wesentlich beschränkt; so in Lübeck nach den Bestimmungen des Lübischen Rechts auf Fälle, wo es sich um Mord handelte, und auch da war der Zweikampf nur unter gewissen erschwerenden Bedingungen gestattet*). Bald genug kam das Duell als ein Rechtsmittel in den Deutschen Städten ganz außer Brauch. Selbst in internationalen Verträgen, welche von den Städten ausgingen, fand diese Anschauung Aufnahme. In dem ältesten Handelsvertrag der Deutschen Kaufleute, welche auf Gothland und in Riga ihre Handelskontore hatten, mit Mstislaw Davidowitsch, Fürsten von Smolensk, findet sich neben der Bestimmung, welche die Gottesprobe des glühenden Eisens für Russen wie für Lateiner ausschließt, wenn sie nicht wollen, auch ein Paragraph, der Russen wie Lateinern verbietet, sich wechselseitig zum Zweikampf zu fordern**). Und in der Tat, so wenig es als ein Beweis des Unrechts gelten konnte, wenn man sich am glühenden Eisen die Finger verbrannte, so wenig konnte es — vom vernünftigen Standpunkt aus — gegen das Recht eines Klägers oder eines Angeklagten zeugen, wenn er im Zweikampf unterlag.

*) Hach, das alte Lübische Recht p. 201, Codex von 1240, art. 53. 125.
***) Codex Diol. Lubec. (Urkunden der Stadt Lübeck) I. p. 689 f. — Auch in den Fundamentalgesetzen der Flandrischen Städte bildet die Freiheit der Bürger von der Verpflichtung zum Zweikampf einen schon in frühester Zeit vorkommenden Artikel. So in der ältesten Keure von St. Omer, bestätigt 1127 von dem Französischen König Ludwig dem Dicken, § 8. Bei Warnkönig, Flandr. Staats- und Rechtsgeschichte, I. Anhang p. 28 f.

Galten solche Bestimmungen zunächst auch nur in den kleinen Kreisen der Städte und auch nicht einmal in allen gleichmäßig, so brach sich doch die veränderte Denk- und Anschauungsweise, welche sich darin kund gibt, bald weiter Bahn. Denn die Zeit bewegte sich in dieser Richtung vorwärts. Zudem trafen die Bürgerschaften der Städte Sorge, widerstrebende Elemente von allem Einfluss auf die Entwicklung städtischen Lebens möglichst fern zu halten. Dies behielt man im Auge sowohl dem Beamten Adel als der Kirche gegenüber. Landesherrlichen Beamten das städtische Bürgerrecht zu erteilen oder sie gar zu städtischen Ämtern zuzulassen, war durch eine Reihe von Stadtrechten ausdrücklich untersagt, wenn auch in einzelnen Fällen Ausnahmen stattfinden mochten. Und der Kirche gegenüber ging man im Wesentlichen von dem Grundsatz aus, geistlichen Korporationen die Erwerbung von Grundbesitz möglichst zu erschweren, so sehr sich auch sonst die Frömmigkeit der Zeit in Vergabungen an Kirchen und Klöstern gefiel. Daher, wenn au dieselben testamentarisch liegende Gründe vermacht waren, von vorsichtigen Stadtbehörden nur der Erlös derselben in Geld verabfolgt ward, und ward ihnen ausnahmsweise innerhalb der städtischen Ringmauern ein Grundstück überlassen, so mussten sie sich verbinden, alle daran haftenden bürgerlichen Lasten und Pflichten unweigerlich zu erfüllen*).

*) Auch hierin finden wir allerdings Ausnahmen.

Der Entwicklungsgang der Deutschen Städte schloss sich in Betreff der Verfassung und Ausbildung eines selbständigen Stadtregiments gegenüber landesherrlicher und kaiserlicher Gewalt an die allgemeine Entwicklung der städtischen Kommunen im südlichen und westlichen Europa. Doch ward die Gleichmäßigkeit der über die verschiedenen Länder und Nationen sich erstreckenden kommunalen Bewegung auf Deutschlands Boden besonders modifiziert durch die Eigentümlichkeiten der geographischen Lage, des Germanischen Volkscharakters und der geschichtlich überkommenen politischen Zustände. Der Ursprung des selbständigen Verfassungslebens Deutscher Städte verliert sich fast überall in dem Dunkel früherer Zeiten, und nur bei wenigen, wie bei Freiburg im Breisgau, vermögen wir Zeit und Stunde anzugeben, wann ihr städtisches Dasein begonnen hat. Die neuerdings wieder erörterte Frage, ob in Deutschland die ersten Anfänge selbständigen Stadtregiments durch das Schöffentum auf die altgermanische Gemeinde aller freien nicht hörigen Männer, oder aber auf landesherrliche Dienstmannen und Beamte (Ministerialen) zurückzufuhren sei, lässt sich in ganz allgemeiner Fassung schwerlich genügend beantworten. Geschichtlich wird sich die Sache so gemacht haben, dass bald das eine, bald das andere Element überwiegend, bald beide in unklarer Mischung die Grundlage des kommunalen Verfassungslebens der Städte gebildet haben werden. Seit dem zwölften Jahrhundert, noch mehr aber seit dem dreizehnten tritt dann als unzweifelhafte Tatsache die Erscheinung hervor, dass sich die eigentliche Energie des städtischen Regiments überall in einem Kollegium von Ratmannen, lateinisch Konsuln, konzentriert, welches nach der einen Seite die Befugnisse der landesherrlichen Gewalt und ihrer Stellvertreter, der Vögte oder Burggrafen, nach der andern die Mitbeteiligung der gesamten Bürgerschaft, der Kommune, in den Hintergrund drängt und je länger je mehr alle wesentlichen Attribute der Souveränität in sich vereinigt.

Die Emanzipation von der landesherrlichen Gewalt war eine Folge des reißend gewachsenen Wohlstandes der Städte. Ihrem Gewerbefleiß und Handel verdankten sie ihren Reichtum, den gesicherten Besitz und Genuss desselben ihrem mutigen Selbstvertrauen, welches in der eigenen Kraft den besten Schutz fand in einer gewalttätigen und gesetzlosen Zeit, wo der Landesherr oft weder den Willen noch das Vermögen hatte, zu helfen. Die Macht, welche die Folge des Wohlstandes, und das gesteigerte Selbstgefühl, welches die Folge der eigenen Kraftentwicklung war, musste das Bestreben der Städte hervorrufen, fremdartige, von außen kommende Störungen ihres inneren Lebens soviel tunlich ganz zu beseitigen und sich demgemäß den oft hemmenden und lästigen Einwirkungen der landesherrlichen Gewalt ganz zu entziehen. Die Landesherren auf der andern Seite, welche in den Städten eine unversiegliche Quelle des Wohlstandes ihrer Länder und in finanzieller Bedrängnis eine stets bereite Geldhilfe zu haben vermeinten, waren meist nicht gewillt, wirkliche oder angemaßte Rechte von freien Stücken aufzugeben. Hatten sie doch, zu Anfang wenigstens, das Wachstum der Städte durch Privilegien mannigfach begünstigt und ihnen hier und da auch schon wirksamen Schutz angedeihen lassen in Zeiten, wo ihre Pfleglinge selbst sich noch nicht helfen konnten. Sollten sie nun, wo die Schützlinge zu eigener Kraft erstarkt waren, die Aussicht auf lohnende Ausbeute derselben ohne Weiteres aufgeben? So entstanden vielfache Konflikte, namentlich mit den geistlichen Landesherren, den Erzbischöfen und Bischöfen, aus denen schließlich die Städte meistens als Sieger hervorgingen. Dann schieden sie in vielen Fällen ganz aus dem Untertanenverhältnis zu ihren Landesherren aus und traten als kaiserliche oder Reichsstädte unter des Kaisers unmittelbare Oberherrlichkeit, die durch Vögte oder Burggrafen als Stellvertreter gewahrt ward. Die kaiserliche Obergewalt, deren Träger oft fern vom Reich oder anderweit beschäftigt war, schien leichter erträglich, als die der nahen und stets begehrlichen Landesherren, welche in den meisten Fällen weder die Uneigennützigkeit der Zähringischen Herzoge, noch die großen Gesichtspunkte Heinrichs des Löwen zum Muster nahmen.

Die Stellung der Deutschen Kaiser aus dem Geschlecht der Hohenstaufen zu der großen städtisch-kommunalen Bewegung der Zeit war leider von vorn herein eine halbe und unklare. Kaiser Friedrich I. der Rothbart fand an der jungen Städtefreiheit in Italien ein unbesiegliches Hindernis seiner universal-monarchischen Pläne. Kein Wunder, wenn er keine großen Sympathien für das kühn aufstrebende, bewaffnete Bürgertum der Städte hatte. Was er diesseits der Alpen für einzelne Deutsche Städte tat*), geschah mehr aus Politik, um sie sich zu verbinden andern Widersachern gegenüber, als aus wirklichem Sinn für die Entwicklung städtischer Selbständigkeit und Macht; vielmehr hielt er im Allgemeinen streng darauf, dass sich keine „Verschwörungen“ in den Städten unter der Form von Stadträten oder genossenschaftlichen Gilden bildeten. In Trier musste der ohne kaiserliche Zustimmung gebildete Kommunalverband wieder aufgelöst werden, und Mainz, welches gegen seinen erzbischöflichen Landesherrn, einen herrischen Priester, rebelliert und ihn schließlich ermordet hatte, verlor durch kaiserlichen Spruch seine Privilegien und seine Befestigungen, „damit es zum Dorf herabsinke“. Dass der Bürger der Städte sich auf eine Linie mit dem Ritter stelle, widerstrebte der ganz auf ständische Gliederung gerichteten Grundanschauung des Kaisers. Er teilte in diesem Punkt die Anschauungen seines Oheims, des als Geschichtsschreiber seiner Zeit bekannten Bischofs von Freisingen. Demselben war es anstößig, dass die Städte — er denkt zunächst an die Italienischen, aber von den Deutschen gilt dasselbe — Leute von geringer Herkunft, ja gemeine Handwerker, die sich mit verächtlichen Hantierungen abgeben, welche andere Nationen von den freien und edlen Bestrebungen ausstoßen wie die Pest, zu ritterlichen Ehren und hohen Ämtern befördern. Von demselben Standpunkt aus verordnete der Kaiser (1156) in dem ersten Landfrieden zu Regensburg: der reisende Kaufmann solle sein Schwert nicht, wie es Ritterbrauch war, am Gurt, sondern an den Sattel geknüpft oder auf den Wagen gelegt mit sich führen. Ward ein Bauer Harnisch oder Lanze oder Schwert tragend gefunden, so ward ihm die ritterliche Waffe genommen und er selber zur Strafe um 20 Schillinge gebüßt. Und wehe gar dem Leibeigenen, der eine Lanze zu führen wagte! Sie sollte ihm auf dem Rücken zerschlagen werden.

*) Wenn er der Stadt Lübeck 1188 in dem bekannten großen Freibrief ihre alten von Heinrich dem Löwen verliehenen Privilegien bestätigte und erweiterte, so war dies ein Akt politischer Klugheit, da er sonst nicht hoffen konnte, die Stadt, sei es gegen Dänemark, sei es gegen die wieder aufstrebende Welfische Partei zu behaupten, — Ähnlich verhielt es sich in Worms, dem der Kaiser, um das Ansehen des Bischofs herabzudrücken, ausgedehnte Freiheiten verlieh.

Der blutige Tag von Legnano (1176), wo der Kaiser mit seinem Ritterheer den verbündeten Städten Oberitaliens erlag, führte den praktischen Beweis, dass eine neue Zeit im Anzuge sei, dass auch der Bürger das Schwert zu führen wisse, wie der Ritter, dass mit den Städten eine neue Macht auf der Bühne der Weltgeschichte erschienen sei, die man nicht ungestraft als nicht vorhanden oder ohne Berechtigung betrachten könne.

Die dem Tode des energischen Kaisers folgenden Zeiten waren in Deutschland, so verworren und trüb sie auch sonst waren, doch der freien Städteentwicklung günstig. Die kaiserliche Obergewalt war durch den großen Konflikt zwischen Welsen und Hohenstaufen zu sehr gelähmt, um sich, auch wenn sie gewollt hätte, der Ausbildung städtischer Freiheit mit Erfolg zu widersetzen. Und die Hohenstaufen waren klug genug, aus Politik Manches in dieser Beziehung zu begünstigen, was ihren monarchisch-feudalen Grundsätzen eigentlich widerstrebte. Namentlich bei Friedrich II., dem Enkel des Rothbarts, bildete die politische Zweckmäßigkeit die einzige Richtschnur seines Verhaltens gegen die Städte. Während er für sein Erbland Sizilien Todesstrafe auf die Bildung freier Stadtverfassungen setzte, gewährte er in Deutschland, wenigstens im Anfange seiner Regierung, einzelnen Städten, wie Regensburg, Nürnberg, Goslar und Anderen mancherlei Gunst und wertvolle Privilegien. Aber schon jetzt macht sich in dem Verbot der Gilden und Innungen eine kleinliche Furcht vor dem demokratischen Element in dem damaligen Städteleben bemerklich, und als er dann später in seinem welthistorischen Kampf mit dem Papsttum die großen, namentlich geistlichen Reichsfürsten auf feine Seite zu ziehen hoffte, scheute er sich nicht, durch eine Reihe von Verfügungen, welche ihren Kulminationspunkt in dem berühmten Edikt von Ravenna (1232) erreichten, die Städte, ihre Selbständigkeit und damit ihre Zukunft dem Interesse seiner Haus-Politik zum Opfer zu bringen. Für die bischöflichen Städte wurden alle früher von ihm selbst oder seinen Vorfahren gegebenen Privilegien kassiert, alle freie Gemeindeverfassung, alle Gemeinde-Räte und Genossenschaften aufgehoben und für die Zukunft alle städtischen Einrichtungen dieser Art von dem Belieben der geistlichen Herren abhängig gemacht. Ähnliches musste dann sein Sohn Heinrich, der Römische König, den Bürgern von Worms wiederholen, denen soeben erst alle Privilegien bestätigt waren. Für die kaiserlichen und anderen Städte aber war schon früher die Verordnung aufs Strengste eingeschärft, keinem Dienstmann oder Hörigen geistlicher Fürsten in ihnen die Aufnahme zu gestatten. Glücklicherweise fiel dieser Todesstreich für das Städtewesen nur auf dem Papier. Die meisten der bischöflichen Städte Deutschlands, unter ihnen Köln und Mainz, Trier, Worms und Speier, Regensburg, Augsburg und andere, waren längst mächtig genug, das kaiserliche Edikt als nicht geschehen zu betrachten. Und als dann der Kaiser verdientermaßen von seinen geistlichen Großwürdenträgern, denen er sich gefällig hatte beweisen wollen, im Kampfe mit dem Papst verraten ward, trat er mit derselben Leichtigkeit wieder auf die andere Seite hinüber und gestattete, was er unlängst erst strenge verboten hatte. So widerrief er für Regensburg das Edikt von Ravenna ausdrücklich und gestattete den Bürgern „zu seiner und des Reiches Ehre, wie zu ihrem Besten“ einen Gemeinderat zu errichten und Bürgermeister, Pfleger und Amtsleute nach ihrem Belieben zu setzen. Das Edikt von Ravenna bezeichnet er als den geistlichen Fürsten nachgegeben und die jetzt erfolgende Kassation desselben für Regensburg als eine Strafe für den Bischof, seinen ehemaligen Kanzler und vertrauten Rat, der an ihm meineidig geworden und seine Geheimnisse dem Papst verraten. In der Tat, ein sehr offenherziges Eingeständnis der Motive, die ihn leiteten. Es war die reine Zweckmäßigkeitspolitik des Augenblicks und von einer tieferen , wirklich staatsmännischen Auffassung einer so großartigen Erscheinung, wie das Deutsche Städteleben seiner Zeit schon war, finden wir hier auch keine Spur.

Wer vermag zu sagen, welchen Gang die Geschicke Deutschlands genommen hätten, wenn die Hohenstaufen ohnehin schon stark durch reiche und mächtige Besitzungen ihres Hauses in Deutschland sich mit dem jugendlich aufstrebendem Bürgertum der Städte verbunden hätten, um die übergreifenden Souveränitätsgelüste der großen geistlichen wie weltlichen Lehnsträger zu brechen! Freilich hätte dazu gehört, dass sie ihren universal-monarchischen Plänen entsagt und sich statt um Italien um Deutschland bekümmert hätten, welches schon der erste Friedrich Jahre lang, der zweite länger als Jahrzehnte gar nicht sah, die Sorge um das Reich einem launenhaften und früh schon moralisch verdorbenen Knaben überlassend. Dass bei dem Entwicklungsgang, den die Städte in Deutschland wie auch anderwärts nahmen, die Gefahr einer atomistischen Zersetzung der Einheit des Reichs nahe lag, ist gewiss; allein diese Gefahr wäre vermieden, hätte sich ein kräftiges Kaisertum an ihre Spitze gestellt. So hätten die nun vielfach auseinanderstrebenden jugendlichen Ansätze einen gemeinsamen Richtungspunkt bekommen; der monarchische Mittelpunkt hätte wie in England und Frankreich ein anarchisches Auseinanderfallen der vielen in den Städten vorhandenen kleinen Centren verhindert.

Die Hohenstaufen waren unzweifelhaft in vieler Beziehung begabte und talentvolle Männer; aber was den großen und genialen Herrscher kennzeichnet, das ging ihnen ab. Ihnen fehlte der scharfe Adlerblick, welcher unter allen Trübungen die Richtung erkennt, in der die große Strömung der Zeit sich vorwärts bewegt; welcher von den unberechtigten Auswüchsen eines hohlen Neuerungsstrebens die berechtigten und lebenskräftigen Ansätze neuer Gestaltung unterscheidet, denen die Zukunft gehört; ihnen fehlte — namentlich gilt dies von Friedrich II. — die Konsequenz und Energie des politischen Handelns, welche unbeirrt durch das Widerstreben der Anhänger veralteter und verkommener Anschauungen, den neuen schöpferischen Ideen Bahn bricht, selbst auf die Gefahr hin, gegen formell noch bestehende Rechte anzustoßen. In den Hohenstaufen lebte ein doppelter Geist; nach der einen Seite hatten sie einen klaren und praktischen Blick für Menschen und Dinge und sie frappieren uns oft genug durch die Schärfe und Richtigkeit ihres Urteils; nach der andern aber haben sie eine ideologisch-romantische Ader in sich, welche sie weit ab von der Wirklichkeit in das nebelhafte Reich phantastischer und unausführbarer Luftgebilde abirren lässt, um sich dann, wenn die bittere Not sie zwang, in der plattesten und rein auf den Augenblick berechneten Weise mit der Wirklichkeit abzufinden. Die Ziele, welche sich die Hohenstaufische Politik gesteckt hatte, lagen weit seitwärts von der Richtung, in der sich die Zeit im Großen und Ganzen vorwärts bewegte; deshalb litt sie trotz des Talents ihrer Träger und trotz so vieler Umstände, welche ihnen zu Hilfe kamen, so jammervollen Schiffbruch. Die Hohenstaufen sind nicht gescheitert an einzelnen unrichtigen Maßregeln oder widrigen Umständen, sondern an der verkehrten Gesamtrichtung ihrer ganzen Politik.

Als dann nach dem großen Interregnum in dem letzten Drittel des Jahrhunderts Rudolf von Habsburg in die Bahn einer gesünderen Politik einlenkte, war das Unheil bereits nicht wieder gutzumachen; die allgemeine Zersplitterung war bereits zu weit gediehen, und die großen Feudalen waren in Deutschland der kaiserlichen Zentralgewalt bereits über den Kopf gewachsen. Und was er selbst noch durch eine bald kräftige, bald schlaue Politik mühsam zusammen hielt, ging unter seinen Nachfolgern vollends auseinander*).

*) Die Entwicklung der Deutschen Städteverfassungen im 13. Jahrhundert und ihr Verhältnis zur kaiserlichen und landesherrlichen Gewalt konnte hier natürlich nur in allgemeinen Zügen dargelegt werden. Für das Nähere, sowie für die wichtigen, dabei zur Sprache kommenden Unterschiede der Fundamentalanschauung über die Entstehung städtischen Lebens in Deutschland, verweise ich auf die dahin einschlagenden rechtsgeschichtlichen oder geschichtlichen Arbeiten von Eichhorn, Hüllmann und Gaupp bis auf Hegel, Waitz, Schirrmacher, Nitzsch und v. Sybel.

Die Treckschuyde mit Delft im Hintergrunde.

Die Treckschuyde mit Delft im Hintergrunde.

London Hafen

London Hafen

004 Prospekt von Venedig. Aus H. Schedls Weltchronik, 1493 (S. 69)

004 Prospekt von Venedig. Aus H. Schedls Weltchronik, 1493 (S. 69)

005 Prospekt von Venedig. Aus H. Schedls Weltchronik, 1493 (S. 69)

005 Prospekt von Venedig. Aus H. Schedls Weltchronik, 1493 (S. 69)

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

Ansicht der Stefanskirche (nach Rudolf Alt, Heliogravüre)

Wiener Stadtansicht

Wiener Stadtansicht

004 Köln am Rhein. Der Gürzenich

004 Köln am Rhein. Der Gürzenich

014 Marburg an der Lahn. Elisabethkirche

014 Marburg an der Lahn. Elisabethkirche

018 Mainz. Der Marktbrunnen

018 Mainz. Der Marktbrunnen

020 Speyer. Das Altpörtel

020 Speyer. Das Altpörtel

022 Frankfurt am Main. Römerberg

022 Frankfurt am Main. Römerberg

025 Frankfurt am Main. Salzhaus und Römer

025 Frankfurt am Main. Salzhaus und Römer

030 Aschaffenburg. Das Schloss

030 Aschaffenburg. Das Schloss

034 Schweinfurt. Das Rathaus

034 Schweinfurt. Das Rathaus

007. Galaturm mit Resten der alten Stadtmauer

007. Galaturm mit Resten der alten Stadtmauer

076. Tschinili Kiösk im Pop Kapu Serai (jetzt Museum der türkischen Altertümer)

076. Tschinili Kiösk im Pop Kapu Serai (jetzt Museum der türkischen Altertümer)

095. Anatoli Hissar, die Burg wurde gegenüber Rumeli Hissar von Mohammed dem Eroberer gebaut

095. Anatoli Hissar, die Burg wurde gegenüber Rumeli Hissar von Mohammed dem Eroberer gebaut

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