Rosa Luxemburg - Briefe aus dem Gefängnis

Die in dieser Sammlung enthaltenen Briefe sind an Frau Sophie Liebknecht gerichtet.
Autor: Luxemburg, Rosa (1871-1919) polnische-deutsche Sozialdemokratin, marxistische Theoretikerin und Antimilitaristin, Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Schutzhaft, Krieg, I. Weltkrieg, Weibergefängnis, Berlin, Breslau, Wronke, Gefangenschaft, Einsamkeit, Briefe, Literatur, Wendehals, Singvögel, Bücher, Zensur, Leidenschaft, Erkenntnis, Korrespondenz, Tierbeobachtungen, Nächstenliebe, Freundschaft, Sehnsucht,
Zur Einführung.

Drei Jahre und vier Monate hat Rosa Luxemburg während des Krieges im Gefängnis verbracht, ein Jahr — vom Februar 1915 bis Februar 1916 — im Berliner Weibergefängnis (Barnimstraße) für eine in Frankfurt a. M. gehaltene Rede über die Soldatenmisshandlungen, dann zwei Jahre und vier Monate (vom 10. Juli 1916 bis zum 10. November 1918) in „Schutzhaft“ in Berlin, Wronke und Breslau. Sie war ganz von der Außenwelt abgeschnitten, nur Bücher und Briefe, die strenge Zensur passiert hatten, durften sie erreichen. Einmal im Monat war Besuch unter strenger Aufsicht gestattet.

Die Kraft der mutigsten Vorkämpferin des Proletariats sollte gebrochen und ihre weckende, die Lüge geißelnde, die Wahrheit wissende Stimme sollte zum Schweigen gebracht werden. Beides misslang. Dieser stählerne Wille erschlaffte nicht. Rosa Luxemburg hat in diesen Gefängnisjahren unermüdlich gearbeitet. — Die unsagbare Einsamkeit endloser Tage und Nächte sammelte alle Kräfte ihres Geistes und ihrer Seele. Die Leidenschaft der Erkenntnis ließ ihre Stimme zu Fanfarentonen anschwellen: die berühmte „Junius-Broschüre“, die hinter Gittern entstand, war nicht der einzige Weckruf, der den Weg aus dem Gefängnis fand. Flugblätter, Aufrufe und wesentliche Beiträge zu den „Spartakus Briefen“ wusste Rosa Luxemburg ihren politischen Freunden zu übermitteln. Durch aufreibende illegale Korrespondenz und Arbeit suchte sie von ihrer Zelle aus die revolutionäre Entwicklung der deutschen Arbeiter tu lenken.

Doch weder ihre wissenschaftliche noch ihre agitatorische Arbeit aus diesen furchtbaren Jahren soll hier gewürdigt werden. Hier gilt es, der Jugend, den Arbeitern, all denen, für deren Wohl und Freiheit sie kämpfte, litt und starb — durch feige Verbrecherhände starb — die ganze Seele der Vielverleumdeten zu zeigen. Hier schwindet die Scheu vor Preisgabe persönlichen Lebens. Diese privaten Briefe sind keine Privatbriefe mehr. Wer die Wissenschaftlerin und Kämpferin Rosa Luxemburg kennt, kennt noch nicht alle Seiten ihres Wesens. Die Briefe aus dem Gefängnis runden das Bild. Die Anhänger und Mitkämpfer Rosa Luxemburgs haben ein Recht darauf, den Reichtum ihres unermüdlich quellenden Herzens zu kennen. Sie sollen sehen, wie diese Frau, über ihren eigenen Leiden stehend, alle Wesen der Schöpfung mit verstehender Liebe und dichterischer Kraft umfängt, wie ihr Herz in Vogelrufen erzittert, wie Verse beschwingter Sprache in ihr wiederklingen, wie Schicksal und tägliches Tun der Freunde in ihr geborgen sind. So stellen wir das Denkmal auf, das die Tote sich selbst errichtet hat.

Die Herausgeber.*

Berlin, August 1920.

*)Herausgegeben vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale

Rosa Luxemburg (1817-1919)

Rosa Luxemburg (1817-1919)

Aus dem Brief vom 20. Juli 1917

Aus dem Brief vom 20. Juli 1917