Siebentes Buch. - Draußen blieb es nach dem Schusse still. Eugenia kam wieder zu sich. Cinthio trat in die Haustür. Die andern folgten ihm. Es war kein Mensch zu sehen und zu hören. ...

Siebentes Buch

Der Laune Ball! Von allen Seiten
Gedrängt, verfolgt und ohne Ruh!
O! wie so manche Erdenleiden
Wirft dir zum Dolch dein Schicksal zu!


Draußen blieb es nach dem Schusse still. Eugenia kam wieder zu sich. Cinthio trat in die Haustür. Die andern folgten ihm. Es war kein Mensch zu sehen und zu hören. Sie umgingen das Haus und fanden keine Seele in der Nähe. – Als sie wieder in das Haus zurückgehen wollten, vernahmen sie menschliche Stimmen in der Entfernung. Sie verloren sich aber wieder, und alles blieb ruhig. Cinthio sendete Eugenien mit der Nachricht an ihren Vater zurück, er werde für ihn bei dem Aufgebot gegen Rinaldini erscheinen. Eugenia verließ ihn, ziemlich unruhig.

Nero wurde unter die Ruinen geschickt. Er sah sich vergebens nach Lodovico um. Es wurde Abend, Nero kam zurück, und von Lodovico war nichts zu sehen und zu hören.

Nach einer beinahe ganz durchwachten Nacht ging Rinaldo selbst unter die Ruinen, erstieg den Söller und blickte mit klopfendem Herzen rechts in die Gegend, wo sein Herz und seine Gedanken waren.

In majestätischer Pracht stieg die Sonne im Feuerglanze über die Berge empor. Schon funkelten die metallenen Turmspitzen und Kreuze des Schlosses, auf welchem seine Augen ruhten; der Nebel entfloh, lichter wurde das Tal. – Jetzt schwamm die Sonne im blauen Äther unverschleiert einher. Wald und Tal erwachten und tausend Kehlen frohlockten ihrer Erscheinung in frohem Morgengesange entgegen. – Rinaldo senkte sein Haupt und stürzte nieder auf seine Knie, überwältigt vom Gefühl, hingerissen von Andacht, Wehmut und Entzücken.

„Wie ist mir?“ – rief er aus. – „Was empfinde ich? Was schlägt mich zu Boden und füllt mein Herz mit Wehmut? Deine reinen Strahlen, großes Licht der Welt, durchdringen mein Innerstes. – O! vernichte mich und laß mich anbetend hier vergehen.“

Nach einer langen Pause schlug er seine Augen auf, blickte gen Himmel und seufzte. Tränen entströmten seinen Augen. Er sprach:

„Unglücklicher! Hier liegst du in Wildnissen und Einöden, mußt die Menschen fürchten und fliehen das schöne Licht der Sonne. Alle deine Träume sind dahin, und die schrecklichste Wirklichkeit hält dich in ehernen Banden. – O Rinaldo! du kannst nicht glücklich enden!“

Da rauschten Fußtritte durch die Büsche. Rinaldo sprang auf. Es fielen Schüsse; er ergriff sein Gewehr. Er blickte hinab. Terlini und seine Kameraden stürzten auf die Ruinen zu, Soldaten folgten den Fliehenden nach. In den Ruinen kam es zum Gefecht. Die Klugheit verließ Rinaldo, er schoß hinab auf die Soldaten. Diese vermehrten sich, Terlini und seine Gesellen wurden zusammengehauen, und Rinaldo, von acht Mann, die die Ruinen erstiegen, in eine Ecke gedrängt, mußte sich ergeben. „Ich will des Todes sein!“ schrie einer von den Soldaten, – „wenn dieser Vogel nicht Rinaldini selbst ist.“

„Bist du Rinaldini!“ – fragte ein Offizier.

Seiner sich selbst unbewußt, wie das in schlimmen Fällen oft der Vorsicht selbst geht, antwortete Rinaldo seufzend:

„Ich bin es.“

Alsobald erhob sich ein lautes Frohlocken. Man band dem Gefangenen die Hände und legte Schlingen an seine Füße. Langsam ging der Marsch nach dem Ausgange des Waldes zu. Jauchzend marschierten die Soldaten einher. Rinaldo hob kein Auge von der Erde.

Vor dem Walde lagerte man sich auf eine breite Ebene. – Der Offizier ließ Rinaldo Wein und Brot reichen. Er nahm wenig davon zu sich.

„Aber“, – sagte der Offizier, – „so herzhaft warst du doch nicht, dich selbst zu entleiben. Ich, an deiner Stelle, würde das gewiß getan haben: denn wie schimpflich wird der Tod sein, der dich erwartet.“

Rinaldo sah ihn düster an und antwortete kein Wort.

„Der Kerl ist verstockt!“ – schrien die Soldaten. – „Auf der Folterbank wird er schon sprechen lernen.“

Bei dem Worte Folterbank erbebte Rinaldo. Eine krampfartige Bewegung zuckte wie ein elektrischer Schlag durch seine Nerven, sie war heftig, vermochte aber nicht, seine Banden zu zerreißen. Er bat um einen Mantel, erhielt ihn, ließ ihn über sich werfen, verhüllte sein Gesicht, und seine Tränen fielen auf das Gras.

„Endlich kommt sie, die Stunde meiner Auflösung“, – sprach er bei sich selbst. – „Das Schattenspiel meines Lebens naht sich dem Ende. Fahre wohl, Rinaldo! Deine Träume bleiben Träume. Du bist in Banden, und Korsika bleibt in Fesseln. Hinauf, auf den Rabenstein, Rinaldo! dort ist dein Triumphbogen, dort ist das Ziel deiner glänzenden Taten.“

Einige Stunden darauf wurde er weitergeführt und, als er über Müdigkeit klagte, auf einen Strohwagen gesetzt, der mit einer starken Eskorte versehen wurde. So kam er gegen Abend zu Serdona an, sollte hier der Justiz übergeben und den folgenden Tag nach Messina abgeführt werden.

Es war um Mitternacht, als die Tür seines Kerkers geöffnet wurde. Das Licht einer Wachskerze strahlte ihm entgegen. Er richtete sich auf und sah – wer schildert sein Erstaunen? – den Alten von Fronteja vor sich stehen.

RINALDO Was sehe ich? – Dich? – Bist du es wirklich? – Der Weise von Fronteja?

DER ALTE Wie du mich kennst. – Ich komme als Freund zu dem Freunde; durch meine Macht.

RINALDO Kannst du Ketten brechen?

DER ALTE Das kann ich.

RINALDO So zerbrich die meinigen.

DER ALTE Mit Bedingung, o ja! – Warum nicht?

RINALDO Mit Bedingung? Wie verstehst du das?

DER ALTE Ich bin eigennützig.

RINALDO So bist du ein ganz gewöhnlicher Mensch.

DER ALTE Nicht so sehr, wie du meinst. Mein Eigennutz ist verzeihlich, weil er planmäßig ist.

RINALDO Was forderst du von mir als Lösegeld?

DER ALTE Deine gänzliche Ergebung an mich und meine Forderungen.

RINALDO Wahrlich, viel!

DER ALTE Ich entziehe dich der Folter und dem Rade.

RINALDO Sehr viel!

DER ALTE Unerhört viel. Die Justiz treibt mit solchen Gefangenen, wie du einer bist, kein Spiel. – Du bist, ohne meinen Beistand, gänzlich verloren. – Hast du noch zu wählen?

RINALDO Ich kann mich also nur dir oder den Raben übergeben.

DER ALTE Du weißt sonderbar zu paaren! – Gute Nacht!

RINALDO Einem Weisen ziemt es nicht, gegen einen Unglücklichen empfindlich zu sein. Laß hören, wozu du meine Ergebung an dich und an deine Forderungen forderst.

DER ALTE Ich bestimme keine einzelnen Fälle. Wir handeln im Ganzen miteinander. Du ergibst dich mir unbedingt, und ich rette dich aus dem Kerker und vom Tode.

RINALDO Ich bin keine Maschine. – Gute Nacht!

DER ALTE Unzeitiger Stolz! Du bist seit Anbeginn deiner celebren Bahn nichts als eine Maschine gewesen. – Freilich ohne es zu wissen, aber doch Maschine, und zwar die meinige. – Du siehst mich verwunderungvoll an? – Ich wiederhole es, du warst meine Maschine, schon längst, bist es noch und wirst es bleiben – so lange ich will. Von mir und meinem Planen hängt auch jetzt dein Verderben oder deine Rettung ab. Zwar deine Unglücksfälle waren nie mein Werk, aber ich wußte dich immer wieder zu retten, wenn du dich gleich selbst oft verloren gabst.

RINALDO Nun dann, du Hexenmeister! so entlaß jetzt deinen gebannten Teufel.

DER ALTE Das lasse ich wohl bleiben!

RINALDO Ich mag, ich will dir nicht mehr dienen. Was geschehen ist, ist ohne mein Wissen, ist ohne meinen Willen geschehen. Jetzt will ich frei sein, und sollte es auch nur sein, um freiwillig sterben zu können.

DER ALTE Auch das kannst du nicht. Dich richten Kriminalgesetze. Dabei hast du keinen Willen.

RINALDO Ich kann den Atem zurückhalten und kann mich ersticken.

DER ALTE Du kannst es versuchen. – Gute Nacht!

RINALDO Noch eine Frage. – Wenn ich wirklich deine Maschine war, bin und noch ferner sein soll, wenn du willst, warum forderst du von mir eine ausdrückliche Ergebung an deine Forderungen? Wozu bedurftest du diese, da ich ohnehin in deiner Gewalt, nur das Spielzeug deiner Laune war?

DER ALTE Du kannst glauben, daß das nötig war, sonst würde es nicht geschehen sein. Denn, daß ich wenigstens nicht viel einfältiger bin als du selbst bist, kannst du denken.

RINALDO Deine Klugheit habe ich nie in Zweifel gezogen, wohl aber die gute Absicht deiner Sendung. Auch kann ich nicht leugnen, daß die Größe und Gewalt deiner Machtkraft mir verdächtig ist.

DER ALTE Du kannst davon halten, was du willst. – Aber, wie glaubst du wohl, daß ich durch deine Wachen bis hierher, durch Schlösser und Riegel in deinen Kerker gekommen bin?

RINALDO Durch Zauberei wahrlich nicht!

DER ALTE Das habe ich auch nicht gesagt. Indessen – – Doch wozu so viele Worte? Laß du dich jetzt auf einem armen Sünderkarren nach Messina führen. Dein Aufzug wird dem Volke viel Spaß und deinen vornehmen Bekannten dort große Freude verschaffen! Ich wette darauf, eine gewisse Dianora –

RINALDO Schweig, Barbar! Du spannst mich auf die Folter, ohne das Recht und Gesetz dir das erlauben. Schaffe mich fort von hier, aber –

DER ALTE Du weißt die Bedingung.

RINALDO Ich will sterben.

Er drehte sich gegen die Wand. Der Alte ging, und die Tür schloß sich wieder.

Rinaldo wurde des Morgens aus seinem Gefängnisse geholt, um weitergeführt zu werden. Ein Offizier der Miliz übergab ihm, versteckt, ein Papier und nahm dasselbe, als er es gelesen hatte, wieder zurück. – Rinaldo las:

„Du hast die Probe überstanden. Zweifele nun nicht an dem Beistande Deines bekannten Freundes.“

Der Offizier entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Rinaldo aber wurde auf einen bedeckten Wagen gebracht, der, mit starker Bedeckung versehen, ihn weiterführen sollte.

Sie reisten den ganzen Tag ohne Anstoß und kamen, als die Sonne sank, in ein enges Tal, dessen Mitte sie kaum erreicht hatten, als einige Schüsse in der Nähe von den Bergen herab auf Rinaldos Bedeckung fielen. Bald zeigten sich Menschen, die mit einem wilden Geschrei auf die Miliz losbrachen. Das Gefecht wurde lebhaft. Das enge Tal wurde mit Streitenden bedeckt. Die Schüsse fielen rasch hintereinander, Säbel klirrten an Säbeln, und endlich wurden die Soldaten, die nicht fielen, von dem Wagen, auf welchem Rinaldo saß, abgedrängt und entfernt. Die Maultiere wurden angetrieben, der Wagen rollte schnell davon. Bald sprangen einige mutige Burschen hinauf und lösten Rinaldos Banden. Zwei Ritter führten ein lediges Pferd, hießen Rinaldo aufsitzen, ihnen folgen, und jagten mit ihm rasch davon.

Immer tiefer ging’s in die Berge hinein. Der Mond ging auf und bestrahlte die rauhen Pfade. Sie trabten, ohne ein Wort zu sprechen, noch immer rasch zu, bis an einen mit Strauchwerk bewachsenen Platz, wo sie haltmachten, Rinaldo absteigen hießen, ihm ein Felleisen übergaben, sein Pferd bei dem Zügel nahmen und ohne ein Wort zu sprechen davonjagten.

Vergebens rief ihnen Rinaldo nach. Sie gaben keine Antwort und waren bald seinen Augen entschwunden. Endlich verlor sich auch der Schall des Hufschlags ihrer Rosse, und Rinaldo war in einer ihm unbekannten Einöde allein. – Er dachte dem Abenteuer seiner Errettung nach, die er augenscheinlich dem Alten von Fronteja zu verdanken hatte, nahm das ihm übergebene Felleisen auf den Arm und wanderte weiter.

Er war eine ziemliche Strecke gegangen, als er endlich den Schein eines Lichtes gewahr wurde. Darauf wanderte er zu und kam zu der einsamen Wohnung eines Klausners, aus welcher ihm der Bewohner derselben mit einer Laterne entgegentrat.

„Bist du da?“ – rief er ihm entgegen und beleuchtete ihn. – „Ich wollte dir eben entgegengehen.“

„Kennst du mich?“ fragte Rinaldo.

„Der Alte von Fronteja läßt dich grüßen“, – antwortete jener: – „und ersucht dich, bei mir zu übernachten. Daraus wirst du sehen, zu welcher Fahne ich geschworen habe.“

Rinaldo ging in die Klause, fand eine kleine Mahlzeit und ein gutes Nachtlager.

Gesprochen wurde zwischen ihm und seinem Wirte nichts. Rinaldo entschlief bald, ziemlich ermüdet.

Als er erwachte, sah er den wohlbekannten Theosophen von Fronteja vor seinem Lager, der in einem Buche las.

DER ALTE Du hast lange geruht und, wie ich hoffe, wohl geschlafen; wenigstens gewiß besser als in deinem vorigen Nachtquartier.

RINALDO Wo bin ich?

DER ALTE Unter Freunden, wo du so lange bleiben wirst, bis du ohne Gefahr weiterreisen kannst.

RINALDO Wohin soll ich reisen?

DER ALTE Das muß überlegt werden. – Du hast eine Probe meiner Gewalt und meiner Freundschaft erhalten, wie sie deine Standhaftigkeit verdient hat. – Du bist frei und ungebunden, handle nach Einsicht und Belieben. Verlangst du aber guten Rat, so soll er dir nicht fehlen. Doch wird er dir nicht aufgedrungen werden. Es könnte leicht sein, daß du hier ein paar Wochen verweilen müßtest, ehe du ohne Gefahr weitergehen könntest, deshalb hat man für Gesellschaft für dich, in der Einöde, gesorgt.

Er verließ, als er das gesagt hatte, die Kammer, und gleich darauf trat Olimpia ein.

Sie breitete ihre Arme gegen ihn aus. – Er sah sie schweigend an.

SIE Hast du keinen Gruß für deine Olimpia? Freust du dich nicht der Ankunft einer Freundin, die sich freiwillig zu dir in eine Einöde verbannt?

ER Ich bewundere das, was du tust.

SIE Mit bloßer Bewunderung speist man keine Freundin ab. Ich kann mehr als das verlangen. – Du bist gerettet, geborgen und hast nicht einmal Dank für deine Freunde?

ER Ich danke Euch meine Rettung gewiß herzlich, aber – lebt Luigino?

SIE Ich glaube gehört zu haben, daß er noch lebt. Aber wo, das weiß ich nicht.

ER Wo ist Rosalie?

SIE Vermutlich noch bei Luigino. Ich habe darüber aber keine Gewißheit. Ist sie nicht mehr bei Luigino, so hat er sie gewiß zu dem Alten von Fronteja bringen lassen.

ER Kennen sich diese, kennen sich Luigino und der Alte auch?

SIE Warum nicht? Der Alte kennt uns alle.

ER Aber, kennen wir ihn?

SIE Wenigstens von Person.

ER Ist er noch hier?

SIE Er ist fort, als ich eintrat. Er weiß dich ja nun in guten Händen.

ER Woher der Anteil, den er an einem Manne nimmt, den alle Menschen verfolgen?

SIE Daher, weil er verfolgt wird.

ER Das ist es nicht allein.

SIE Sei es mehr oder weniger, was kümmert uns das? Genug, daß wir unter seinem mächtigen Schutze stehen.

ER Ist er wirklich mächtig?

SIE Hast du das nicht gestern noch selbst erfahren? Ohne seinen Beistand warst du verloren.

ER Das Leben ist mir verhaßt. – Verdammt, ewig in Einöden und Wäldern umherzukriechen, die Menschen zu fliehen, zu fürchten und mich selbst am meisten zu hassen, kann mein Dasein mir nur zur Last und nie zur Freude werden.

SIE Ist Sizilien die Welt? – In Korsikas fruchtbaren Auen –

ER Woran erinnerst du mich? – O! dieser Traum –

SIE Muß Wirklichkeit werden. In dir umarme ich den Befreier der Korsen!

ER Ich bin es noch nicht.

SIE Du mußt, du wirst es werden! Luigino rechnet darauf, wir alle wünschen eben das; deine bekannten und dir unbekannten Freunde rechnen wie wir. – Dein mächtiger Beschützer, dein Freund, der Alte von Fronteja, rechnet auch darauf. Er ist ein Korse, wie Luigino. – Und auch deine Olimpia ist eine Korsin.

ER In Neapel warst du eine Genueserin.

SIE Die Zeiten ändern sich. Jetzt bin ich, was ich wirklich bin, deine zärtlichste Freundin und eine Korsin. Ich huldige dir als dem Befreier meines Vaterlandes und als dem einzigen, wahren Besitzer meines Herzens. – Ich gehe jetzt, unsere kleine Haushaltung einzurichten. Wir wollen keine Not leiden.

„So weit wär’ ich denn endlich gekommen“ – sprach Rinaldo mit sich selbst, als er allein war: – „zu wissen, daß ich bei all meiner vermeinten Selbständigkeit nur ein Werkzeug wahrer oder erdichteter Pläne listiger Menschen bin. Aber, Geduld! auch sie sollen erfahren, was ich wirklich bin oder nicht. – Und doch, was will ich tun? – Ist die Rolle, die sie mich wollen spielen lassen, nicht ehrenvoll genug? Mein Untergang ist gewiß. Soll ich nicht lieber den Tod unter den Waffen als am Hochgerichte suchen?“ Olimpia unterbrach dieses Selbstgespräch. Sie trug sehr geschäftig ein gutes Frühstück auf. So, wie sie sich jetzt benahm, schien sie zu einer Haushälterin geboren zu sein. – Rinaldo machte diese Bemerkung gegen sie. Sie lachte und antwortete nur, indem sie ging:

„Laß es dir wohl schmecken.“

Rinaldo ließ sich das Frühstück wirklich schmecken. – Olimpia kam bald zurück und leistete ihm Gesellschaft. Sie sprach von nichts als von Haushaltungsgeschäften, so detailliert, daß Rinaldo selbst Kenntnisse bewundern mußte, die er nie bei ihr zu finden geglaubt hätte. Er suchte sie aber bald wieder auf ihr voriges Gespräch zurückzubringen, und sie wiederholte nur, was sie schon gesagt hatte. Dann wollte sie, wie sie sagte, Vorbereitungen zur Mittagsmahlzeit zu machen, aus dem Zimmer gehen. Er hielt sie aber zurück und fragte:

„Soll denn die edle Korsin nichts weiter sein als Rinaldinis Köchin?“

SIE Sie ist wohl mehr als dies. Sie wünscht dem Befreier ihres Vaterlandes alles zu sein, und dazu gehört die Köchin und Haushälterin auch mit. Ich habe bei diesen häuslichen Geschäften Prinzessinnen zu Vorbildern und schäme mich keiner Arbeit, die ich aus so edlen Absichten übernehme. Wenn der Name Rinaldini im Marmor prangt, schreibe ich den Namen seiner Köchin mit Kohle daneben und setze dazu: diese hat ihn mit Speisen erhalten, damit er ihrem Vaterlande das werden konnte, was er ihm wirklich wurde. Zwar dein Name steht dann fester als der meinige auf der Säule des Ruhms, aber ich kann ihn erneuern, sooft ihn der Regen verwischt hat. – Wenn aber meine Tränen einst auf den Hügel fallen sollten, der deine Asche deckte, so würde ich den Himmel bitten: gib ihm, um den ich weine, nicht nur meine Tränen, gib mich ihm ganz, wie ich ihm mich selbst gegeben habe.

ER Olimpia! diese Schwärmereien sind –

SIE O! keine Antwort! so etwas will nicht beantwortet, es will gefühlt sein.

ER Träume lassen kein Gefühl zurück.

SIE Die Rückerinnerung.

ER Auch jenseits des Grabhügels?

SIE Das hoffe ich.

ER Und weißt du gewiß, daß der meinige sich in Korsikas Tälern erheben wird?

SIE Wo es auch sein mag, nur immer so spät als möglich; und kann es sein, neben dem meinigen: denn ich gehe nicht wieder von dir, bis das Schicksal mich von dir reißt. Mein Dasein ist an das deinige gekettet und ich kann sterben; aber von dir gehen, dich verlassen kann ich nicht. Hier hast du mein Bekenntnis. –

ER Bei dem Alten von Fronteja, meinst du, sei Rosalie?

SIE In Sicherheit ist sie gewiß, und in deinem Herzen ist sie auch, das weiß ich. Daraus kann ich sie nicht vertreiben. Ich verlange aber auch dort nur den zweiten Platz, die Stelle nach ihr. Meine Forderung wird stets ebenso billig sein, als meine Liebe wahr und zärtlich ist. Sie ist keine Korsin, aber mein Herz hat sich in meine Vaterlandsliebe gehüllt. Willst du es enthüllen! Ich widerstrebe nicht. Du sollst nicht von Schleiern hintergangen werden. Sieh und finde es, wie es wirklich ist.

Sie legte, als sie das sagte, ihren Kopf an seine Brust, umschlang ihn mit beiden Armen und große Tropfen entstürzten ihren tränenschweren Augen. Es wurde kein Wort gesprochen. Sie drückte ihn heftig an sich und ging schnell davon.

„Ja! so ist es!“ – sagte Rinaldo zu sich selbst. – „Ein Spiel alter Taschenspieler und listiger Weiber sollst du werden. Darauf ist es angelegt. Laß sehen, Rinaldo, wie du dich halten wirst?“

Er ging vor das Haus und überschaute die enge, begrenzte, wilde Gegend seines Aufenthaltes.

Olimpia war in der Küche beschäftigt und sang bei ihrer Arbeit in starken Pausen. Dies weckte Rinaldos Gesangsliebe. Er fand eine Guitarre, sein Lieblingsinstrument, nahm sie, setzte sich vor die Tür seiner Wohnung, spielte und sang:

Froh und heiter, unbeklommen,
Irrt’ ich sonst durch Feld und Wald;
Und ein Sammelplatz der Leiden
Ist mir jetzt mein Aufenthalt;
Mag ich durch die Felder wandern,
Such’ ich einen kühlen Hain,
Überall, mit Gram und Kummer,
Bin ich, ohne Trost, allein.

Ruh und Freude lachten heiter
Mir in jedem Sonnenstrahl,
Und ich find’ im Sonnenglanze
Jetzo nur ein Meer von Qual.
O! ihr frohen Morgenstunden,
O! du sanfter Abendstern,
Ach! ihr seid so schnell verschwunden,
Seid mir nun auf ewig fern!

An die Tage froher Freude
Knüpfte sich des Kummers Band.
Ach! es hat mich ganz umschlungen
Seit es mich als Jüngling fand.
Wahnsinn trieb mich in die Wälder,
Trieb mich in der Felsen Nacht,
Und auf blutbespritzten Pfaden
Hat mir nie ein Stern gelacht.

Was den müden Wandrer labet,
Was ihm lächelt und entzückt,
Hat, umlagert von Verbrechern,
Nie mein armes Herz erquickt.
Fittiche des Totenengels
Rauschten fürchterlich um mich,
Aber keines Westwinds Kühlen
Schlich um meine Locken sich.

Fiel ein holder Strahl der Sonne
Hier und da auf meinen Pfad,
Glänzt’ er blutig mir entgegen,
Floh er eine Räubertat;
Und im sanften Mondenschimmer
Hört’ ich keinen Grillensang,
Hört’ ich nur das Mordgewimmer,
Das aus Klüften zu mir drang.

Ach! wohin bist du geflohen,
Meiner Jugend Heiterkeit?
Ach! wie schnell bist du entschwunden,
Meines Lebens Rosenzeit?
Einsam, traurig, und verachtet,
Weil ich, wo die Furcht mich deckt,
Wo kein Glanz der Morgensonne
Mich zu Lebensfreuden weckt.

„Rinaldo“, – sagte Olimpia, die herzugetreten war, indem sie die Hand auf seine Schulter legte, – „Rinaldo, nie wieder ein solches Lied oder ich vergehe. – Grausamer, wozu diese Selbstpeinigung?“

„Sie ist meine Buße“, – antwortete Rinaldo.

„Nein! sie ist dein Verderben!“ – fuhr Olimpia fort. – „Sie nimmt dir Mut und Kraft und macht dich zaghaft. In Gefahren wird dich dein Mut verlassen und du wirst deinen Qualen eher als deinen Feinden unterliegen. Mit diesen Empfindungen kannst du nicht an die Spitze der Korsen treten, und so, selbst zermartert, wirst du den Kampf des Helden nie fechten.“

„Ich verlange nur einen ehrlichen Tod!“ – seufzte Rinaldo.

„Armes Vaterland!“ – stöhnte Olimpia und verließ ihn.

Er blieb lange nachdenkend sitzen, stand endlich auf, nahm die Guitarre mit sich, erkletterte einen Berg und warf sich unter einer hochbejahrten Fichte nieder. Hier überschaute er die Gegend. Er wurde einen Menschen gewahr, der auf das Tal zuging und sich endlich seiner Wohnung nahte. – Er ging in dieselbe, und bald darauf trat Olimpia in die Haustür und rief Rinaldo. Dieser ging hinab und fand einen Boten mit folgendem Briefe an sich.

„Deine Freunde freuen sich deiner Errettung und verehren deinen Erretter. Unsere Anzahl wächst täglich und Schiffe sind schon im Handel. Wir treffen uns alle dort, wo dich Ruhm und Ehre und die Tapfersten ihres Vaterlandes erwarten.“

Rinaldo wollte den Boten sprechen, und er war schon wieder fort. – Bald darauf lud ihn Olimpia zum Mittagsmahl ein. Die Mahlzeit war klein, aber gut, und herrlicher Wein strömte in die Becher.

Drei Tage entflohen in dieser Einsamkeit Rinaldo im dumpfen Unbewußtsein seiner selbst; Olimpia schien ihn mehr bemerken als stören zu wollen. Sie schrieb Briefe. Rinaldo war nicht neugierig, sie zu lesen, ob sie gleich oft offen, vielleicht absichtlich, vor seinen Augen lagen. Sie erhielt Briefe durch einen Boten, dem sie die ihrigen mitgab. Rinaldo verlor kein Wort an den Boten.

Den vierten Tag gegen Abend saßen die Hüttenbewohner vor der Haustür still und stumm, wie ein paar verstimmte Eheleute, nebeneinander, als eine menschliche Figur das Tal herauf auf ihre Wohnung zukam. Sie kam näher, trat dreist herzu und grüßte sie mit den Worten:

„Friede sei mit euch! im Namen des Alten von Fronteja, dessen Jünger einer ich bin.“

Es war ein hübscher Bursch, der das sagte und zugleich Olimpia einen Brief überreichte. Indes sie las, fragte Rinaldo:

„Wie befindet sich dein Meister?“

„Wie immer ist er wohl und auf das Glück seiner Freunde bedacht“ – war die Antwort.

Olimpia hatte gelesen. Der Jünger des Alten von Fronteja klagte Durst, Hunger und Müdigkeit. Sie trug sogleich Speise und Trank auf und wies dem Gaste alsdann ein Nachtlager an.

Rinaldo saß noch vor der Haustür und hatte sich in Betrachtungen am Firmament verloren, als Olimpia wieder zu ihm trat. Es kam jetzt zum Gespräch.

SIE Soeben erhalte ich Nachricht, daß Freunde aus Korsika bei unserm Freunde in Fronteja angekommen sind. Sie brennen vor Begierde, dich kennenzulernen, und werden uns in einigen Tagen besuchen. Ich sage dir das mit besonderer Freude, denn mein Bruder ist mit unter den Korsen, die gekommen sind und uns besuchen werden. – Luigino hat sich wieder verstärkt und hat eine vorteilhafte Position genommen. Binnen drei Wochen werden für uns vier Fregatten segelfertig sein. Alles läßt sich erwünscht an, und nur der kühne Rinaldo, auf den die Blicke der Erwartung gerichtet sind, ist nicht, wie er sein sollte. Er ist zurückhaltend, in sich selbst verloren. –

ER Da, wo er sich braucht, wird er sich schon wieder finden.

SIE O! daß wir das hoffen könnten! – Rosalie ist zu Fronteja. – Ich werde ihr schreiben, du wünschtest sie hier zu sehen.

ER Das willst du tun?

SIE Und warum nicht? Vielleicht – ja, gewiß! macht dich ihre Gegenwart heiterer als die meinige. Das ist ja Gewinn für uns alle. Mit deiner Heiterkeit wird dein unternehmender Geist wieder erwachen, den deine üble Laune eingeschläfert hat. Ja, Rosaliens Gegenwart wird ihn wecken. Sie bleibt bei dir, und ich gehe nach Fronteja.

ER Warum das?

SIE Du wirst mir doch wohl nicht zumuten wollen, hier zu bleiben, wenn Rosalie bei dir ist? Nein, Rinaldo, so unempfindlich ist mein Herz nicht, daß es die Gegenwart einer glücklichen Nebenbuhlerin ohne Eifersucht ertragen könnte. Meine Entfernung wird mir deine Freundschaft erhalten, und meine Liebe – will ich zu verabschieden suchen.

Rinaldo schwieg, Olimpia zündete Licht an, wünschte ihm wohl zu ruhen und ging. – Er wankte vor dem Hause auf und ab, ging ins Zimmer, ging wieder ins Freie, kam wieder zurück und träumte wachend die Mitternacht herbei. – Rasch sprang er endlich auf, nahm das Licht und eilte, er wußte selbst nicht warum, in Olimpiens Kammer. Er trat leise ein, sah sie ruhen in den Armen des Jüngers des Alten von Fronteja, – und ging ebenso leise wieder zurück als er eingetreten war.

Der Tag brach an. Die Liebebeglückten waren noch nicht munter. Rinaldo warf eine Büchse über die Schulter und verließ die Wohnung. „Lebt wohl!“ – murmelte er und ging mit raschen Schritten davon.

Gegen Mittag erreichte er ein Dorf, ruhte hier ein wenig und ging weiter.

Schon wurden die Schatten länger, die Sonne ging unter. Er verdoppelte seine Schritte, ein vor ihm liegendes Schloß zu erreichen. Er erreichte es, klopfte und wurde eingelassen.

„Wer seid Ihr?“ – fragte ihn der Pförtner.

„Der Baron Tegnano bin ich und habe mich auf der Jagd verirrt“, war Rinaldos Antwort.

Der Pförtner sah ihn schweigend an, wie einer, der nicht weiß, was er sagen oder tun soll. – Rinaldo fragte:

„Wem gehört dies Schloß?“

„Der Gräfin Martagno.“

„Der Gräfin Martagno?“ – fiel Rinaldo hastig ein. – Ist sie hier?

„Nein, sie ist nicht hier“, – antwortete der Pförtner gedehnt.

„Wer bewohnt das Schloß?“

„Eine Freundin der Gräfin, Madonna Violanta.“

„Madonna Violanta? Ich kenne sie. Sie kennt mich.“

Dies gesagt, drängte er den Pförtner zurück, eilte an ihm vorbei in das Schloß, die Treppen hinauf, und traf auf eine Magd. Dieser sagte er, sie möchte den Baron Tegnano bei ihrer Herrschaft anmelden.

Das Mädchen ging ihm viel zu langsam, er eilte ihr vor und trat in ein Vorzimmer.

Auf das Geräusch seines Eintritts wurde eine Zimmertür geöffnet, und die uns bekannte Signora Violanta stand vor ihm.

SIE Heilige Jungfrau! Baron Tegnano! – Seid Ihr es wirklich? – Mein Gott! wo kommt Ihr her?

ER Ich suche hier ein Nachtlager.

Violanta sah ihn schweigend an und trat in das Zimmer zurück. Er folgte ihr nach. Sie warf sich auf ein Sofa und stammelte:

„Vergönnt mir, mich zu fassen.“

Er blickte im Zimmer umher und sah an der Wand das Bildnis der Gräfin.

„Dianora hier!“ – rief er aus. – „Ach! aber nur ihr Bild, nicht sie selbst.“

Hastig griff er nach dem Portrait, nahm es von der Wand und küßte es heftig. – Violanta sah ihm schweigend zu. Er, in das Anschauen des geliebten Gegenstandes verloren, bemerkte Violantens Aufmerksamkeit auf sein Betragen nicht. Nach einer langen Pause nahte er sich ihr, ergriff ihre Hand und fragte:

„Wo ist Dianora? Wie lebt sie?“

Violanta seufzte und schwieg. Er fragte dringender:

„Wo ist Dianora; meine geliebte Dianora?“

Violanta seufzte stärker und schlug die Augen nieder.

ER Ist sie tot?

SIE Noch lebt sie.

ER Sie lebt? Sie lebt? und wohl? und glücklich?

SIE Ach! Baron, wie könnt ihr so fragen?

ER Ich verstehe Euch! Mein Unglück ist auch das ihrige. – Und wie könnte es anders sein? – Ihr wißt ja – – Ihr kennt mich doch?

SIE Gesehen habe ich Euch ja oft, Baron, und –

ER Ach! nennt den Unglücklichen nur bei seinem wahren Namen. Ihr beschämt mein Herz nicht.

SIE Bei Euerm wahren Namen soll ich Euch nennen? Heißt Ihr nicht Tegnano?

ER Wie? und Ihr wüßtet nicht – Die Gräfin hätte euch nichts gesagt? – Ach! Violanta! Aufrichtig! was wißt Ihr von mir? – O, gute, von mir gerettete Frau! Liebe Freundin! was weißt du?

SIE Daß Ihr mehr geliebt werdet als Ihr es verdient. Daß Ihr ungetreu, und – kein Wort weiter! Wenn Ihr Euch nicht selbst Vorwürfe machen könnt, so –

ER Sie gelten meinem Schicksal. – Violanta! ich habe dich gerettet aus der schrecklichen Todesnacht, die dich umfangen hielt, ich entriß dich der Finsternis des Kerkers und der Verzweiflung, ich gab dir das freundliche Tageslicht wieder, – ich habe ein Recht auf deine Dankbarkeit. Darf ich darauf rechnen?

SIE Ihr dürft und könnt es.

ER So beschwöre ich Euch bei dieser mir schuldigen Dankbarkeit, sagt mir aufrichtig, wie weit hat sich die Gräfin Euch entdeckt?

SIE Ich weiß, daß sie Euch liebt und daß Ihr sie verlassen habt. – Euer Verschwinden brachte sie dem Tode nahe. Sie überstand eine schreckliche Krankheit, und der Name einer unglücklichen Mutter ging mit der Wirklichkeit verloren.

ER Wo ist sie? wo lebt sie?

Violanta schwieg und blickte ihn mit forschenden Augen an. – Rinaldo, der aus ihren Antworten schloß, daß sie wirklich nicht wußte, wer er eigentlich war, und daß ihr die Gräfin seinen wahren Namen verhehlt hatte, um sich selbst vielleicht eine Beschämung zu ersparen, der sie bei der Entdeckung hätte unterliegen müssen, wurde dreister, und da er sich mit Violanten allein glaubte, wendete er seine ganze Beredsamkeit an, den Aufenthalt der Gräfin zu erfahren, aber vergebens. Violanta wich ihm aus, schwieg oder setzte seinen Fragen andere entgegen, die ihn von der Sache abbringen sollten, es aber nicht vermochten.

Indem sie noch sprachen, wurde auf einmal eine Glocke, die in Violantens Zimmer ging, heftig angezogen. Sie sprang auf, nahm einen Schlüssel und ein Licht und wollte das Zimmer verlassen. Rinaldo war dreist genug, sie zurückzuhalten.

ER Wohin geht Ihr?

SIE Das – darf ich Euch nicht sagen.

ER Wohin ruft Euch diese Glocke? – Ach! gewiß zu Dianoren? – Sie ist hier!

SIE Ihr irrt Euch.

ER Nein, nein! Mein Herz sagt es mir, sie ist hier. Ihr wollt zu ihr gehen. O! sagt ihr, daß ich hier bin, daß – – Nein! ich gehe mit Euch, ich folge Euch, ich muß sie sehen.

SIE Der Schreck würde sie töten.

ER Ha! Ihr habt Euch verraten. Sie ist hier! – Fort, fort! zu ihr.

SIE Um aller Heiligen willen, nicht!

ER Sie ist hier!

SIE Ja, das Geheimnis ist verraten. Sie ist hier. Aber sehen dürft Ihr sie nicht. Sie lebt still und einsam gleich einer Büßenden. Euer Anblick würde sie vernichten.

ER O Violanta! wenn Ihr je geliebt habt, laßt sie mich sehen.

SIE Ich darf und kann es nicht tragen. Ihre Gesundheit ist ganz zerrüttet, ihre Nerven sind abgespannt, Eure Erscheinung würde sie zu Boden schmettern.

ER Kann ich sie nicht, ungesehen von ihr, sehen? – Ich will sie ja nur sehen, nicht sprechen, wenn es nicht sein darf. O! sie ist mir so teuer! Ich liebe sie! Ihr Leben ist mir werter als das meinige –

Die Glocke ertönte wieder, schneller und stärker.

SIE Heiliger Gott! es könnte ihr etwas zugestoßen sein. Haltet mich nicht auf!

ER Ich muß sie sehen!

SIE Ungestümer! folgt mir, aber hütet Euch, ein Wort zu sprechen.

Sie ging. Er folgte ihr durch eine Galerie in ein Zimmer. Hier wies ihm Violanta seinen Platz an einem kleinen Fenster an und ging von ihm.

Rinaldo sah in ein ganz schwarz dekoriertes Zimmer, in welchem auf einem Tische vor einem Kruzifix und einem Totenkopf zwei brennende Wachskerzen standen, die die Nacht des Zimmers nur schwach erhellten. – In dem Zimmer selbst wankte eine weibliche, schwarz gekleidete Gestalt auf und ab; bleich und abgezehrt. Rinaldo erkannte in ihr Dianoren. Tränen entstürzten seinen Augen, seine Lippen bebten, seine Hände zitterten, seine Füße wankten.

Violanta trat in das Zimmer und nahte sich Dianoren. Rinaldo hörte sie sprechen.

„Ach wo bleibst du?“ – sagte Dianora, indem sie ihr Gesicht auf Violantas Schulter legte. – „Ich war ein wenig eingeschlummert und hatte einen schrecklichen Traum. Es träumte mir: Er war hier, der Ehrvergessene, nahte sich und fuhr mit blutiger Hand mir über das Gesicht. Das Blut rann von seiner Hand über meinen Busen hinab auf mein Kleid und brannte wie Feuer durch alle meine Glieder. – Der Schreck machte mich wach! ich dankte der gnadenreichen Jungfrau, daß ich nur geträumt hatte. Aber der Traum hat mich sehr angegriffen. – Ach! daß ich den Unglücklichen doch nie wieder säh’!“

VIOLANTA Nie?

DIANORA Nie! weder wachend noch im Traume.

VIOLANTA Meintet Ihr neulich nicht, gewisse Anzeigen von seinem Tode zu haben?

DIANORA Ja! das war – Ich glaubte es. – Und es wird auch wohl so sein.

VIOLANTA Wenn Ihr ihn nie wieder zu sehen wünscht, so glaubt es. Ist es aber das nicht, –

DIANORA O ja! es sei. Um meinetwillen und um seinetwillen sei es.

VIOLANTA Auch um seinetwillen?

DIANORA Auch, und noch mehr als um meinetwillen, denn der Unglückliche ist ein – Ungetreuer. Untreue verdient den Tod. Und er – hat ihn schon längst verdient. Er hat mich betrogen, und sein Name ist – – Ach! nichts mehr von ihm. Es war ja alles nur ein Traum! Er bleibe ewig von mir fern. – Er wird nie wieder zu mir kommen.

VIOLANTA Wenn aber nun –

DIANORA Nein, nein! Er darf nicht wieder zu mir kommen. Ich darf keine Gemeinschaft mit ihm haben, denn er ist ja – ein Ungetreuer.

VIOLANTA Und wenn nun seine Reue –

DIANORA Seine Reue kann seine Verbrechen nicht ungeschehen machen. Er ist ein großer, ein gefürchteter Verbrecher.

VIOLANTA O! fürchtet ihn nicht. Vielleicht liebt er Euch doch noch.

DIANORA Aber ich darf ihn nicht lieben. – O Violanta! wenn du wüßtest – Genug! Kein Wort weiter von ihm.

Sie setzte sich auf ein Sofa, Violanta setzte sich zu ihr. – Nach einer langen Pause fragte Dianora:

„Weißt du nichts Neues aus der Welt?“

VIOLANTA Etwas aus der Nähe, aus unserm Schlosse.

DIANORA Was ist es?

VIOLANTA Ein Fremder ist hier und hat um ein Nachtlager gebeten.

DIANORA Er weiß doch nicht, daß ich hier bin?

VIOLANTA Nein. Ich habe ihm das Nachtlager zugesagt, weil er ganz rechtlich aussieht.

DIANORA Wer er ist, weißt du nicht?

VIOLANTA Er hat seinen Namen noch nicht angegeben.

DIANORA Seht euch alle wohl vor! Ihr wißt, daß Räuber umherschweifen.

VIOLANTA Der Fremde hat nichts Räubermäßiges an sich.

DIANORA Der Schein trügt! Ich sage dir: der Schein trügt. Von dem Äußern schließe ja nicht zu rasch auf das Innere. Ich selbst habe einmal – Die Räuber verkleiden sich, geben sich Titel und Namen, und – – Seid auf eurer Hut! Selbst der gefürchtete Rinaldini – Ach Gott! – Wenn er –

VIOLANTA Was ist Euch?

DIANORA Meine Augen – Ach! – Mein Kopf –

VIOLANTA Gräfin!

DIANORA Ruhig, es wird vorübergehen. – Ein Schwindel – – Es ist schon wieder gut. – Ach! der Traum! der Traum! – Bringe mich zu Bette.

Violanta führte sie in ein Seitenzimmer. – Rinaldo ging über die Galerie in Violantens Zimmer zurück, wo er sich auf das Sofa warf und seinen Tränen freien Lauf ließ. Laut jammerte er:

„Dahin, Unglücklicher, hast du sie gebracht! Nicht genug, daß du selbst der Unglücklichste der Unglücklichen bist, mußt du auch die reinsten Herzen, die sich dir nahen, dir nach in den Abgrund ziehen, der mit allen Schrecken des Todes sich dir entgegendehnt.“

Die Tür des Zimmers ging auf. Er suchte sich zu sammeln. – Ein Mädchen trat ein und sagte:

„Herr Baron, ich soll Euch Euer Zimmer anweisen.“

Er stand auf und folgte dem Mädchen, die ihn in ein artiges Zimmer führte. Sie ließ ihm Licht, ging, kam wieder, deckte den Tisch und besetzte ihn mit kalten Speisen, Früchten und Wein. „Madonna Violanta läßt Euch wünschen, wohl zu ruhen“, – sagte das Mädchen und verließ das Zimmer.

Rinaldo hatte weder Appetit noch Schlaf. Die Stunde der Mitternacht nahte sich schon, und er war noch immer munter und wach. – Da klopfte es leise an seine Tür. Er öffnete die Tür, und Violanta stand vor ihm.

„Es ist mir sehr lieb“, – sagte sie, als sie ins Zimmer trat, „daß ich Euch noch wach und munter finde.“

ER O! Ihr findet mich in einer Unruh, in einer Bewegung, die ich nicht zu schildern vermag. – – Euer Gespräch – Alles habe ich gehört. – O! es hat mich zermalmt.

SIE Was gedenkt Ihr zu tun?

ER Dianora wird gewiß endlich noch nachgeben, mich zu sehen.

VIOLANTA O! sie hat es schon.

ER Hat sie? – Violanta! Sie will mich sprechen? O! sagt Ja und macht mich glücklich. – Was will sie? – Was sagte sie?

SIE Wir haben noch viel und lange von Euch gesprochen, als ich sie zu Bette gebracht hatte. Ich habe sie halb und halb schon vorbereitet. In einigen Tagen, hoffe ich, sollt Ihr sie sehen und sprechen können.

ER O Violanta! wenn ich –

SIE Keinen Dank! Ich bin Euch meine Rettung und das freundlichste Geschenk des Daseins, mein Leben, schuldig. – Morgen sprechen wir weiter davon. – Nehmt meine gute Nachricht mit aufs Lager zur sanften Ruh.

Sie ging. Rinaldo blieb in einer heftigen Bewegung zurück. – Er wollte endlich sich entkleiden, als er Fußtritte vernahm, die auf sein Zimmer zukamen. Die Tritte waren männlich und stark. Sie kamen näher. Die Tür ging auf. Eine lange, hagere, schwarz gekleidete männliche Gestalt trat in das Zimmer. Eine schwarze Larve bedeckte das Gesicht der Figur, und eine Kapuze war über ihren Kopf gezogen. Ein Knotenstrick umgürtete ihren Leib; Füße und Hände waren bloß. Diese imponierende Gestalt stellte sich gerade vor ihn hin und drohte ihm mit aufgehobenem Zeigefinger. Rinaldo blieb fest stehen, legte die rechte Hand an ein Terzerol und fragte:

„Wer bist du? Was willst du?“

Mit dumpfer Stimme gab die Gestalt ihm Antwort:

„Ich lade dich ein, binnen 24 Stunden vor dem Richterstuhle der strengen Richter der Wahrheit, der Richter aller Verbrechen, die im Verborgenen schleichen, ihnen aber aufgedeckt sind, zu erscheinen. Kommst du nicht, so wird man dich abholen.“

„Was habe ich mit Unbekannten zu schaffen?“ – sagte Rinaldo. – „Und wer gab Euch das Recht, Euch meine Richter zu nennen?“

„Deine Vergehungen, deine bösen Taten und Verbrechen gaben es uns, welche uns das Recht geben, alle Menschen zu richten.“

„Du sprichst von Recht? – Recht verkriecht sich nicht in Dunkel und Nacht.“

„Wohl dir, wenn wir dich nicht ans Licht bringen, denn dort erwartet dich das Henkersschwert.“

Gelassen, doch nicht ohne Bitterkeit, fragte Rinaldo:

„Und was erwartet mich bei Euch?“

„Buße.“

Rinaldo lächelte, wie einer lächelt, der den andern einer Großsprecherei wegen etwa bemitleidet. – Der Schwarze behielt seinen imponierenden Blick, seine gebietende Stellung, und fragte:

„Keine Antwort?“

Schweigend wies ihm Rinaldo die Tür und lächelte.

„Keine Antwort?“ – fragte der Schwarze wieder.

Rinaldo wies ihm abermals die Tür und sagte: „Dies ist meine Antwort.“

Der Schwarze trat einen Schritt näher, fixierte ihn stark und fragte:

„Du wirst also nicht gutwillig zu uns kommen?“

„Nein!“ – antwortete Rinaldo entschlossen.

„So wird dich Gewalt zu uns bringen.“

„Die erwarte ich. – Was könntet ihr tun? Wie weit geht eure Gewalt gegen Männer meinesgleichen?“

„Du wirst es erfahren.“

Damit verließ die sonderbare Gestalt trotzig das Zimmer. – Rinaldo ergriff das Licht, ihr nachzueilen, trat in das Vorzimmer, fand es verschlossen und konnte nicht begreifen, wohin die Gestalt so schnell gekommen war. Er durchleuchtete alle Winkel und sah nichts; er lauschte und hörte nichts.

Im Zurückgehen nach seinem Zimmer wurde er auf dem Vorsaale eine halboffene Tür eines Schrankes gewahr, glaubte die Gestalt etwa in dem Schranke zu finden, riß die Tür heftig auf, sah ein Skelett, bebte betroffen zurück, und das Licht fiel ihm aus der Hand.

Er eilte in sein Zimmer, holte ein anderes Licht, stürzte mit gespanntem Terzerol auf die vorher offene Schranktür zu und fand sie jetzt fest verschlossen. Umsonst bemühte er sich, sie zu öffnen, sie war so fest eingepaßt und verschlossen, als sei sie niemals geöffnet gewesen.

Er stand, stutzte und wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte. – Unmutig und betroffen raffte er endlich das ihm entfallene Licht auf, ging in sein Zimmer, verschloß die Tür und legte sich zu Bette.

Kaum war er den folgenden Morgen dem Lager entstiegen, als er zu Violanten eilte, die eben im Begriff war, ihr Zimmer zu verlassen, und zu Dianoren gehen wollte.

„Die Gräfin ist gar nicht wohlauf“, – sagte sie. – „Ich darf sie heute keinen Augenblick verlassen. Es soll Euch aber an Eurer Bequemlichkeit nichts abgehen. Sobald ich Euch sprechen kann, komme ich zu Euch. Vielleicht kann es heute Abend nur spät, vielleicht gar nicht geschehen. Laßt Euch das nicht irremachen. Morgen vielleicht sehen wir uns öfter; vielleicht seht und sprecht Ihr auch morgen schon Dianoren. Wir wollen hoffen, daß alles nach Wunsche gehen kann.“

Mit dieser Erklärung wenig befriedigt, ging Rinaldo nach seinem Zimmer zurück. – Als er an den mysteriösen Schrank kam, blieb er stehen, betrachtete denselben genau und fand ihn noch immer wohlverschlossen. Einige Gemälde auf dem Saale fesselten seine Aufmerksamkeit. Sie schienen die Folge einer geheimnisvollen Geschichte in Bildern zu sein. Auf zweien sah er die ihm erschienene schwarze Richtergestalt abgebildet. Einmal stand sie drohend mit einem gezogenen Dolche vor einem liebenden Paare, das sich fest umschlungen hielt; das zweitemal erschien sie in einer Kapelle und faßte ein Frauenzimmer bei dem Arm, das betend vor dem Altare lag.

Die Ankunft des Mädchens, welches ihm ein Frühstück brachte, störte ihn in seinen keineswegs artistischen Betrachtungen.

„Habt ihr“ – fragte er das Mädchen, als sie im Zimmer waren, – „schwarzbekuttete Mönche in der Nachbarschaft?“

„Ja“, antwortete das Mädchen. – „Auf dem steilen Berge dort oben, über dem Dorfe, liegt ein Kloster der Karmelitermönche, und diese tragen schwarze Kutten.“

„Kommen zuweilen welche von diesen schwarzen Mönchen hierher?“ –

„Jährlich dreimal“, – gab das Mädchen zur Antwort, – „kommt der Terminierer zu uns und sammelt die bestimmten Almosen ein.“

„Sind diese Karmeliter die Beichtväter des Schlosses?“

„Nein! das sind Franziskaner. Ihr Kloster liegt dem Schlosse gleich gegenüber. – Mit den Karmelitern haben wir hier gar keinen Verkehr im Schlosse.“

Rinaldo fragte nicht weiter. Das Mädchen ging, und er trat ans Fenster, das Karmeliterkloster genau in Augenschein zu nehmen.

Die Zeit wurde ihm lang. Er forderte etwas zu lesen. Man brachte ihm eine alte Chronik. Er las und gähnte, harrte und hoffte. – Der Tag verging, der Abend kam, und Violanta ließ sich nicht sehen. – Endlich erhielt er durch das Mädchen ein Billett von ihr. Sie schrieb:

„Heute sprechen wir uns nicht. Morgen werdet Ihr mehr von mir hören.“

Es wurde Nacht. Er verschloß seine Tür. Der schwarze Gerichtsbote kam nicht.

Als er früh aufgestanden war und zu Violanten gehen wollte, kam ihm das Mädchen mit einem Briefe von ihr entgegen. Er riß ihn auf und las:

„Dianora hat von mir erfahren, daß Ihr hier seid. Sie hat ihr schreckliches Geheimnis ganz in meinen Busen geschüttet, und ich weiß nun, wer und was Ihr seid. Verlaßt eilig dieses Schloß. Auch wir haben es verlassen. Wenn Ihr diesen Brief empfangt, sind wir schon viele Stunden weit von hier entfernt. Ihr werdet uns nicht finden, dazu sind unsere Maßregeln schon getroffen. Flieht und rettet Euch: denn wenn die strengen Richter der Wahrheit Euern Aufenthalt auskundschaften sollten, werden sie Euch nicht lange Zeit gönnen, Eure Freiheit zu benutzen. Lebt wohl, Ihr furchtbarer, verrufener, unglücklicher Mann! – Gott bessere, bekehre und schütze Euch!

Violanta.“

Bin ich denn überall ein Spiel der Verkappten! Muß ich allenthalben nur im Dunkeln schleichen? Flieht auch selbst die Liebe meinen Namen wie ein Verbrechen? Nun dann, hinab mit dir, Unglücklicher, in den Schoß deiner Mutter! schrie Rinaldo außer sich, ergriff ein Terzerol, spannte und setzte es an den Mund.

Wie von einem elektrischen Schlage getroffen, sank sein Arm, und das Terzerol entfiel seiner Hand. Er wendete sich rasch herum, und der schwarze Forderer stand hinter ihm. Er drohte ihm mit dem Finger und verließ das Zimmer.

Rinaldo erholte sich kaum nach und nach, als er seine Büchse ergriff und das Schloß verließ.

Er schlug einen Hohlweg ein und war kaum hundert Schritte weit in demselben gegangen, als der Schwarze ihm entgegenkam und ihm zurief:

„Erscheine!“

„Wo trifft man euch?“ – fragte Rinaldo entschlossen.

„Rechts auf jener mit Pappeln bewachsenen Anhöhe wirst du eine Kapelle sehen. Dort trifft man uns“, – sagte jener und ging gelassen an Rinaldo vorbei.

Dieser ging langsam weiter fort, aber nicht nach der Kapelle zu. „Eine Spiegelfechterei von dem alten Scharlatan zu Fronteja!“ – sprach er zu sich selbst, – „dessen Maschine ich bin, wie er mir selbst gesagt hat. – Ich komme nicht. Und erscheint mir der Unglücksrabe noch einmal, so“ –

Hier stand der Schwarze wieder vor ihm und fragte:

„Was willst du dann tun?“

Rasch riß Rinaldo seine Büchse von der Schulter, sprang einige Schritte zurück, spannte, legte an und drückte auf ihn ab. Das Pulver brannte ab und der Schuß versagte.

Der Schwarze lachte: „Armer Schütze! Schieß nach Raben, aber nicht nach mir. Wagst du so etwas zum zweitenmal, so zerschmettere ich dich.“

„Du? mich?“ schrie Rinaldo wütend und außer sich, warf die Büchse von sich, stürzte auf ihn los, packte ihn bei der Brust und fühlte sich auf einmal von gigantischen Armen umfaßt, gedrückt und so heftig zu Boden geworfen, daß ihm Hören und Sehen verging.

Als er wieder zu sich kam, fand er seinen Kopf blutend, und der Schwarze war nicht mehr zu sehen. – Seine Wut gestattete ihm keine Worte. Er raffte sich auf, nahm sein Gewehr und eilte mit raschen Schritten davon.

Kaum war er etliche dreißig Schritte weit gegangen, als er am Wege hinter einem Strauche eine elende, zerlumpte, menschliche Figur erblickte, die ihn kaum gewahr wurde, als sie aus vollem Halse ihm zuschrie:

„Ach mein lieber, guter, edler Hauptmann!“

Rinaldo stutzte, ging näher und erblickte seinen getreuen Lodovico, der sich aufzuraffen suchte, indem ihm die Freudentränen über die Wangen liefen.

RINALDO Um des Himmels Willen, Lodovico! wie siehst du aus?

LODOVICO Schrecklich muß ich aussehen! Nicht wahr, ich bin ein wahres, leibhaftiges Konterfei des menschlichen Elends? ein Bild des Unglücks und der Verzweiflung?

RINALDO Unglücklicher, wie bist du in diesen Zustand geraten? du siehst fürchterlich aus.

LODOVICO Elend, zerlumpt, am ganzen Leibe zerrissen und zerschlagen.

RINALDO Rede nur, was ist dir begegnet?

LODOVICO Ach! hört mich an. – Als Ihr mich in jenem Walde fortschicktet, mich in der Gegend des Schlosses der Frau Gräfin Martagno aufs Rekognoszieren zu legen, richtete ich meine Sache recht klug ein und erfuhr, daß die Gräfin dermalen nicht dort, sondern auf einem andern Schlosse sei, das mir beschrieben wurde. Ich machte mich gleich dahin zu auf den Weg. Schon hatte ich die Gegend erreicht und war kaum noch hundert Schritte von dem Schlosse entfernt, als auf einmal, der Teufel weiß, wo er herkam! – ein ganz schwarz verkappter Mann vor mir stand.

RINALDO Wie? Ein schwarzer verkappter Mann?

LODOVICO Wie ich Euch sage. – Er forderte mich in einem gebietenden Tone vor den strengen Richterstuhl der Richter der Wahrheit im Verborgenen. Ich lachte darüber, und als er grob wurde, schlug ich ihn hinter die Ohren. Das bekam mir übel. Der Kerl packte mich mit Riesenstärke an, warf mich wie einen Sperling zu Boden, maulschellierte mich, links und rechts, so lange ab, bis mir alle Sinne vergingen, warf mich dann wie ein Feldhuhn auf die Achsel und schleppte mich fort bis vor eine Kapelle, wo er mich wie einen Nußsack niederwarf. – Sogleich ging die Tür der Kapelle auf, zwei schwarze Kerle kamen heraus, zogen mich bei den Beinen hinein, wie eine abgeschlachtete Ziege, und warfen mich wie einen Tornister in eine finstere Kammer. Da lag ich ein paar Tage auf einer Handvoll Stroh und bekam Wasser und Brot, und noch dazu sehr spärlich, zur Kost. – Endlich wurde ich abgeholt und vor drei verkappte Figuren geführt, die, von vielen natürlichen Skeletten umgeben, an einer schwarzen Tafel saßen. Diese nannten sich meine Richter und sagten mir, ich sei ein Schelm, ein Spitzbube und dergleichen mehr. Ich war der Klügste und schwieg. Endlich sagten sie, ich hätte schon längst den Strang verdient, von ihnen sollte ich nicht gehängt werden, für meine begangenen Verbrechen aber zu einer Total-Buße verdammt sein. Mit der Sentenz wurde ich abgeführt, von vier Henkersknechten entkleidet und bis aufs Blut gegeißelt. So ging’s alle Tage. Die Kerle hieben so unbarmherzig auf mich zu, daß mir die Geißelhiebe bis auf die Knochen drangen. Endlich war nichts mehr an mir zu zerhauen und so warfen sie mich diesen Morgen zur Kapelle hinaus. Ich kroch bis hierher, und weiter kann ich nicht.

RINALDO Wie? und dieser Buße sollte ich mich auch unterwerfen?

LODOVICO Ihr? Gott bewahre Euch und alle Menschen davor! Hier erzählte ihm Rinaldo, was ihm begegnet sei. Lodovico kreuzte und segnete sich und Rinaldo schrie:

„Komm, laß uns das infernalische Nest in Brand stecken!“

Kaum hatte er ausgesprochen, als der schwarze Unhold vor ihm stand und ihm entgegendonnerte:

„Elender Wurm! Hast du die Kraft meines Armes noch nicht genug gefühlt? Soll ich dich ganz vernichten?“

Wie ein Rasender eilte Rinaldo, ohne Antwort, mit gezogenem Dolche auf ihn zu. Der Schwarze wich aus. Rinaldo raffte alle seine Kräfte zusammen, packte ihn mit der rechten und stieß ihm mit der linken Hand den Dolch auf die Brust. Der Stoß gab einen dumpfen Schall, und Rinaldo merkte, daß er auf einen Panzer gestoßen hatte; er stieß zum zweitenmal und durchbohrte des Verkappten linken Arm. Laut aufbrüllend riß sich dieser mit Riesenkräften los, schleuderte Rinaldo so kräftig zurück, daß er zu Boden taumelte, und entfloh mit schnellen Schritten.

„Mord und Wetter!“ – jammerte Lodovico, – „wie wird es uns ergehen, wenn der Unhold seine Gesellen herbeiruft. Sie schlagen uns bei Gott! die Knochen zu Brei.“

Indem vernahmen sie das Geklingel von Maultieren und wurden bald zwölf Maultiertreiber gewahr, die mit dreißig ledigen Maultieren die Anhöhe herabkamen, um in Saldona Salz zu holen. Diese redete Rinaldo an und fragte, indem er auf Lodovico zeigte, ob sie diesem Unglücklichen, der von Räubern mißhandelt worden sei, nicht vergönnen wollten, Platz auf einem ihrer Maultiere zu nehmen, er wolle für ihn bezahlen.

„Will der Herr bezahlen“, – antwortete der Anführer der Maultiertreiber, – „so mag sich der Bursch aufsetzen. Das kann er aber auch tun, wenn der Herr nicht bezahlt, denn wir sind Christen und haben Religion. Das Teufelsgeschmeiß von Rinaldinis Bande macht tausend Unglückliche. Wir haben schon mehreren Ausgeplünderten Beistand geleistet, die oft nackend und bloß, halbtot auf der Straße lagen und die Spitzbuben verfluchten.“

Lodovico, der sehr froh war, sich in so guter Bedeckung zu sehen, wurde auf ein Maultier gebunden; die Reise ging weiter und Rinaldo setzte sein Gespräch mit den neuen, handfesten Gesellschaftern, die noch obendrein gut bewaffnet waren, fort.

RINALDO Ihr sprecht von Rinaldinis Bande? Ist sie denn nicht ganz aufgerieben?

MAULTIERTREIBER Den Teufel auch! Nichts weniger als das. Was ist das, wenn ein paar Dutzend solcher Gauner totgeschlagen werden? Das ist so viel als nichts. Sie wachsen wie die Schwämme hinter allen Büschen hervor.

RINALDO Ist denn Rinaldini nicht schon längst selbst niedergeschossen worden?

MAULTIERTREIBER Ja, prosit! Es heißt wohl immer so, aber es ist nicht wahr. Sie werden ihm auch nichts anhaben.

RINALDO Warum nicht?

MAULTIERTREIBER Hm! – Könnt Ihr das nicht erraten? – Er ist fest. Das ist ganz sicher. Ihm schadet weder Hieb noch Stich. Und einige sagen gar, er könne sich unsichtbar machen. Das will ich nun zwar nicht als gewiß behaupten, aber das ist doch wahr, sie können ihn nicht festhalten. Haben sie ihn auch einmal, witsch! ist er wieder fort. Es muß übrigens ein ganzer Kerl sein, der Rinaldini, aber in seiner Haut möchte ich doch nicht stecken. Was hat er davon? Am Ende kommt Herr Urian, spricht: die Zeit ist vorbei, da ist der Kontrakt, marsch, mit mir fort! und dreht ihm den Hals auf den Rücken.

RINALDO Sollte er denn ganz und gar Teufels gewesen und ein Pactum –

MAULTIERTREIBER Ja! er hat ein Pactum mit dem Bösen, denn sonst zappelte er schon längst in der Luft. Er ist also doch ein unglücklicher Mensch. Wozu helfen ihm alle Schätze der Welt, wenn seine Seele verlorengeht. Das ist ja doch das teuerste, was der Mensch hat. Weiß er diesen Schatz nicht zu bewahren, so gebe ich ihm für all das andere keine Melone. Redlich gelebt und selig gestorben, das ist das beste. Bei Rinaldini heißt’s aber, fröhlich gelebt und traurig gestorben. Das taugt nichts! Er schläft einst auf seinen erstohlenen Geldkisten doch nicht so sanft ein, als ich auf meinen redlich erworbenen Maultierdecken. Das ist ein ganz anderes Lager!

RINALDO Er soll aber, wie man sagt, sehr wohltätig sein.

MAULTIERTREIBER Mitunter. Aber, hole ihn der Teufel mit seiner Wohltätigkeit! Erst stiehlt er’s, hernach verschenkt er’s. Ich mag nichts von ihm haben. Segne mir Gott mein redlich erworbenes Stückchen Brot. Betrügen oder bestehlen möchte ich keinen Menschen auch nur um eine Bohne.

RINALDO Es ist wahr, er treibt ein elendes Handwerk.

MAULTIERTREIBER Ein Allerweltskammerdiener ist er und kommt ungerufen, wie der Rabe aufs Aas. Er hätte doch wohl etwas Besseres lernen können, denn er soll gar nicht dumm sein. Spitzbubenkniffe muß er genug im Kopfe haben. Gott behüte und bewahre jeden ehrlichen Christen vor solchen Kenntnissen und Wissenschaften!

RINALDO Er selbst soll nicht stehlen, wie ich gehört habe.

MAULTIERTREIBER Aber er läßt stehlen. Das ist gleich viel. Kurz, es ist kein gutes Haar an ihm; aber ein verzweifelter Kerl ist und bleibt er doch immer. Denn so wie er, hat noch keiner die Justizen genarrt.

RINALDO Wie alt mag er wohl sein?

MAULTIERTREIBER Er soll noch nicht einmal sechsundzwanzig Jahre alt sein, sagen einige. Andere aber wollen wissen, er sei ein Dreißiger. Das ist aber wohl gleichviel! Reif zum Galgen ist er schon längst gewesen. – Sehen möchte ich ihn wohl einmal. Es müßte aber im Guten sein, denn im Bösen mag ich nichts mit ihm zu tun haben.

RINALDO Wo mag er jetzt wohl eigentlich stecken?

MAULTIERTREIBER Wer will das wissen! Er ist, wie Herr Niemand, allenthalben. Gar oft spaziert er als Kavalier umher, lebt sogar in Städten, sponsiert unter den vornehmen Damen herum und soll deren ein paar schon weidlich gezogen haben. Kommen sie ihm auf die Spur, so ist er fort und kein Teufel weiß wohin. Er zieht beständig verkleidet im Lande umher und nimmt allerlei Gestalten an. Heute ist er da, morgen dort, und seine Bande umschwärmt ihn allenthalben. Er ist mit einem Worte: ein Himmeltausend elementischer Kerl!

Jetzt wurde Lodovico auf der Anhöhe die bewußte Kapelle der Schwarzen gewahr. Ein kalter Schauer lief ihm durch alle Glieder. Er seufzte tief auf und gab seinem Herrn einen bedeutenden Wink. Dieser blickte hinauf, sah die Kapelle und verstand ihn sogleich.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.