Sechstes Buch. - Rinaldo empfing von dem Alten einen kleinen Vorbericht über die Geheimnisse der Ägyptischen Mysterien und sah dann ein ebenso merkwürdiges als glänzendes Schauspiel aufführen, ...

Sechstes Buch

Man sucht die Ruh, sie nie zu finden,
Man findet sie, genießt sie nicht;
Der Hoffnung hellste Sterne schwinden,
Die Dämm’rung wird dann Sternenlicht.


Rinaldo empfing von dem Alten einen kleinen Vorbericht über die Geheimnisse der Ägyptischen Mysterien und sah dann ein ebenso merkwürdiges als glänzendes Schauspiel aufführen, in welchem der Einzuweihende alle sieben Grade der Krata Repoa mit der größten Feierlichkeit durchging. Er sah ihn unter Blitz und Donner die heilige Leiter der sieben Sprossen ersteigen, hörte die Rede des Hierophanten, sah das Tor der Menschen und die schwarze Kammer, die Versuchungsszene der schönen Priesterinnen, denen der Einzuweihende widerstand, die Wasserszene und die Schlangenkammer, den Greif und die Säulen. Er sah den Eingeweihten durch das Tor des Todes gehen, sah ihn die Krone ausschlagen, sah ihn im Orkus und hörte, welche Lehren ihm gegeben wurden. Seinen Augen stellte sich die Schlacht der Schatten dar, die Höhle des Feindes und das gemordete Frauenzimmer. Er sah den Kampf mit Orus und Typhon und die große Feuerprobe. Er erblickte den Eingeweihten vor der Pforte der Götter, sah den Priestertanz, der den Lauf der Gestirne bezeichnete, sah dem Eingeweihten den Trank Oimellas reichen und erblickte das Ende seiner Proben und seine förmliche feierliche Aufnahme in das große Heiligtum.

Die Darstellung dieses Schauspiels hatte sehr lange gedauert. Rinaldo wurde wieder mit Trank und Speisen bewirtet, und als er diese genossen hatte, sagte der Alte zu ihm:

„Jetzt, mein Freund! gehe auf das Schloß zurück, welches du verlassen hast, wo diese Nacht deine Gegenwart nötig sein wird. Gedenke deines Freundes zu Fronteja und bewege, was du gesehen und gehört hast, wohl in deinem Herzen.“

Rinaldo ging in das Schloß zurück und vernichtete durch seine Ankunft alle Ängstlichkeit, die seine Abwesenheit verursacht hatte.

Es war gegen Mitternacht, und noch floh der Schlaf Rinaldos Augen, als auf einmal ein schreckliches Getümmel im Schlosse entstand. Er hörte Schwerter klirren, die Hunde bellten, ein lautes Geschrei ertönte aus dem Schloßhofe herauf, und endlich fielen Schüsse.

Rinaldo sprang vom Lager, warf einen Überrock über, steckte seine Pistolen zu sich, ergriff den Säbel und eilte auf den Saal. Hier standen Laura und ihr Vater, blaß und zitternd; die Zofen hielten Lichter in den bebenden Händen; von unten herauf wogte das Getümmel des Waffengeklirrs, und Schüsse fielen lauter und schneller.

„Was gibt es?“ fragte Rinaldo.

„Das Schloß ist von Räubern überfallen worden!“ – stammelte ein verwundeter Diener. – „Wir sind zu schwach zu widerstehen, und einige meiner Kameraden liegen schon tot darnieder gestreckt.“

Jetzt stürzte Lodovico mit gezogenem Säbel herbei und schrie: „Laßt uns den Eingang des Saals verteidigen!“

Rinaldo flog an die Saaltür. Die Räuber drängten sich schon frohlockend die breite Marmortreppe herauf.

„Haltet an!“ – schrie ihnen Rinaldo mit donnernder Stimme entgegen. – „Sagt, wer ihr seid und was ihr wollt?“

„Wer hat uns hier zu gebieten?“ fragte einer aus der Schar.

„Ich“, – antwortete Rinaldo.

„Aha! über den gebietenden Junker! Gehe er vom Platze, oder es kostet sein Leben.“

„Haltet an! sage ich euch, und seht zu, mit wem ihr es zu tun habt.“

„Zurück! und kein Wort weiter verloren.“

„Haltet an! und laßt mit meinem Namen euch nicht zu Boden schmettern.“

Die Räuber lachten laut auf. Einer antwortete: „Männer, die eure Schwerter nicht fürchten, verlachen eure Namen.“

„Den meinigen gewiß nicht.“

Sie lachten wieder und schrien: „Vorwärts!“

Rinaldo rief ihnen mit erschütternder Kommandostimme zu: „Haltet an! das gebietet euch Rinaldini.“

Die Schar stand betroffen. Endlich sagte einer:

„Bursche! entweihe diesen berühmten Namen nicht. Ich diente unter Rinaldini und kenne ihn.“

„Wenn du ihn kennst, so tritt näher und gebiete deinen Kameraden einzuhalten.“

Rinaldo trat von der Tür in die Mitte des Saals zurück und nahm einer Zofe das Licht aus der Hand. – Lodovico flog auf seinen Wink auf die andere Zofe zu, nahm ihr das Licht und zündete die Kerzen der Wandleuchter des Saals an.

Die Szene wurde hell. – Rinaldo blieb in seiner Stellung. Der Baron und Laura erwarteten zitternd, was geschehen würde.

Der eine, der sich vermaß, Rinaldini zu kennen, bat seine Kameraden, jetzt ruhig zu sein. Diese drängten sich zur Tür. Er ging mit ungewissen Schritten auf Rinaldo zu, blieb stehen, sah ihn fest an, legte seinen Säbel nieder und sprach:

„Großer Hauptmann! Ich beuge meine Knie. Du bist es. Du bist Rinaldini, mein berühmter Hauptmann.“

Alsobald jauchzte laut auf die ganze Schar:

„Viva Rinaldini!“

„Ich kann“ – sagte Rinaldo, – „euern Freudengruß nicht eher erwidern oder annehmen, als bis ich euch folgsam finde.“

„Fordere!“ – schrien alle, – „Fordere, berühmter Hauptmann! Was wir dir zu geben schuldig sind, wirst du empfangen.“

„Nun dann“, – begann Rinaldo, – „so fordere ich von euch, daß ihr dieses Schloß sogleich verlaßt.“

Nach dieser Forderung wurde es still. Endlich begann ein Gemurmel und zuletzt trat einer aus der Schar hervor und sprach: „Wir haben kein Geld und haben Mangel an Lebensmitteln. Deshalb haben wir das Wagestück unternommen, das uns geglückt ist. Du weißt, berühmter Hauptmann, wozu die Not treiben kann. Aber um dir zu zeigen, wie groß die Hochachtung ist, die wir für berühmte Männer deinesgleichen haben, so wollen wir dieses Schloß verlassen, wenn du uns versprichst, zu uns zu kommen und bei uns, wie ein Freund unter Freunden, zu weilen. Schlägst du uns dies ab, so gehen wir nicht. So tapfer und berühmt du auch bist, so wirst du doch wohl einsehen, daß Gewalt uns nicht von hier vertreiben kann. Zähle uns selbst. Unserer sind achtzig, die das Schwert führen, im Schlosse. Wir fürchten den Tod nicht, und die Entschlossenheit ist unsere Waffengefährtin. Dreißig unserer Kameraden stehen vor dem Schlosse; sie sind des Namens unserer Waffengesellen nicht unwert.“

„Bist du“ – fragte Rinaldo – „der Anführer dieser Tapfern?“

„Der bin ich.“

„Dein Name?“

„Luigino.“

„Gut dann! Tritt vor und rüste dich zum Kampfe. – Dir wird die Ehre, mit Rinaldini zu fechten. – Besiegst du mich, so handle im Schlosse nach Willkür; nur empfehle ich dir Menschlichkeit. Liegst du unter, so ziehst du mit deinen Leuten sogleich aus dem Schlosse ab. Dieses sind des Kampfes Bedingungen.“

Luigino sah ihn mit großen Augen an und sagte:

„Ich fechte nicht mit dir.“

„So nenne ich dich im Angesicht deiner Leute einen feigen Beutelschneider!“ – schrie Rinaldo.

„Bei Gott, Hauptmann! das bin ich nicht. Und das lasse ich mir auch selbst von dir nicht sagen“, – antwortete Luigino und zog den Säbel.

Rasch, wie vom Sturm ergriffen, sprang Laura auf, fiel Rinaldo in den Arm und sprach:

„Du darfst dich nicht schlagen. Für uns dein Leben auf dieses Spiel zu stellen, hast du keinen Beruf. Wir wollen uns mit diesen Leuten abfinden und ihnen geben, was sie brauchen und fordern. Ist es nicht schon genug, daß wir dir unser Leben zu verdanken haben? Sollten wir auch noch unsern Wohltäter bluten sehen?“

„Geh, Luigino!“ – sagte Rinaldo – „und erzähle, daß ein Mädchen dich um die Ehre gebracht hat, dich mit Rinaldini zu messen. Ich erkenne dich für einen tapferen Mann.“

Luigino warf sein Schwert in die Scheide und sagte:

„Wir ziehen ab.“

„Nicht so!“ – begann der Baron und holte eine Schatulle herbei.

„Hier, nehmt dieses Reisegeld mit und kauft euch, was ihr braucht.“

Rinaldo zog einen Ring vom Finger und sagte:

„Luigino, trag diesen Ring mir zum Andenken.“

Luigino nahm den Ring und fragte, fast weich:

„Und du willst uns nicht besuchen?“

„Ich will“, antwortete Rinaldo.

Mit frohlockenden Donnerstimmen brüllte die Schar:

„Viva Rinaldini.“

„Laßt diesen Mann bei mir“, – fuhr Rinaldini fort, – „der in den Apenninen mit mir gefochten hat. Er wird mich zu euch bringen.“

Luigino wendete sich gegen ihn, schüttelte ihm die Hand und sagte: „Wackerer Nero! der du unter Rinaldinis Anführung gefochten hast, bleib bei deinem Hauptmann und bringe ihn bald zu uns.“

Hierauf nahm er Rinaldos Hand, drückte sie an sein Herz und sagte:

„Diese Augenblicke bleiben mir unvergeßlich!“

Dann drehte er sich herum, gab seinen Gesellen einen Wink. Im Sturm flogen diese die Treppe hinab und zum Schlosse hinaus. Luigino mit ihnen.

Rinaldo gab Lodovico und Nero Winke, sich zu entfernen; eben das tat der Baron gegen seine Leute. Rinaldo blieb mit ihm und Laura allein.

„Ihr habt nun“ – begann er, – „das größte meiner Geheimnisse gehört; eine Menge Menschen haben es mit Euch gehört, der Schleier ist gefallen, dies gibt mir den Scheidebrief von Euch. Der verfolgte, geächtete Räuberhauptmann kann nicht mehr ein Glied Eurer Familie sein, darf nicht mehr der Gegenstand Eurer herzlichen Gastfreundschaft sein. Das verbieten euch Verhältnisse und Gesetze. Die Nacht, die so manches verdeckt, verberge auch mich Euern Augen. Lebt wohl! Ich ziehe von dannen.“

„Eure Großmut“ – sagte der Baron, – „entlockte Euch Euer Geheimnis und rettete uns vom Tode. Diese Nacht wird mir stets unvergeßlich bleiben. Ich beklage nichts mehr, als daß ich Euch nun muß scheiden sehen. – Ihr rettetet mir zweimal das Leben, und ich bin Euer doppelter Schuldner. Wie soll, wie kann ich bezahlen?“

RINALDO Ihr könnt es.

BARON So bin ich reicher, als ich glaube. Was ich kann, will ich auch. Ich bezahle.

RINALDO Gewährt mir eine Bitte.

BARON Gewährt. – Wohl mir, daß ich mit Erfüllung einer Bitte bezahlen kann!

RINALDO Gut. – So bitte ich, gebt Laura, Eurer Tochter, den Mann, den sie liebt.

BARON (erschrickt) Was ist das?

RINALDO Ich habe Euer Wort.

BARON (mit bebender Stimme) Ihr habt mein Wort, das ich nie gebrochen habe; nehmt sie hin.

RINALDO Ihr irrt Euch. Ich bin nicht der Mann ihres Herzens.

BARON (froh) Wirklich hätte ich geirrt?

RINALDO Gebt Ihr den Mann, den sie liebt. Haltet Wort!

BARON Euer Schuldner zahlt. Ich halte Wort. Sie soll ihn haben.

RINALDO Laura, ich scheide nun beruhigt. Ich weiß Euch glücklich.

Laura fiel ihm um den Hals und dann ihrem Vater zu Füßen. Rinaldo verließ den Saal, schickte den Sekretär hinauf, befahl zu satteln und ritt mit Lodovico und Nero zum Schlosse hinaus.

Der Tag brach an. Die Sonne ging auf in all ihrer Pracht. Das Schloß des Barons lag schon weit hinter den Reitern und war nicht mehr zu sehen. Rinaldo stieg vom Pferde und warf sich unter einen Baum. – Lodovico und Nero taten in einiger Entfernung, was ihr Hauptmann tat. Die Pferde gingen nach Futter.

Rinaldo seufzte tief auf und sprach, wie er zu tun pflegte, wenn sein Herz voll war, mit sich selbst:

„Was andere meiner Faust und meinem Namen verdanken, wird mir zum Fluch. Ich bin gebannt, geächtet; ich werde verfolgt und habe doch so manches Unglück schon verhütet. – Aber Blut habe ich vergossen, auf meinen Namen ist geraubt und geplündert worden. Wehe mir! Wie viele sind gefallen! Wie viele habe ich schon in den Tod getrieben! – Ach! wer hätte mir das prophezeiend an meiner Wiege gesungen? Was riß mich aus meinem stillen Tale, von dem Quell, der mich labte und meine Ziegen in friedlicher Einöde tränkte? Wehe, wehe mir!“

„Spricht der Hauptmann noch immer, wie sonst, mit sich selbst?“ fragte Nero. Lodovico bejahte es kopfnickend und winkte ihm, zu schweigen. Rinaldo sprach weiter:

„Soll ich denn nirgends Ruhe finden? Der Schiffer freut sich nach dem Sturme des sichern Hafens und vergißt die Gefahren der Wellen, die ihn umschwebten; mir aber lächelt kein freundlicher Port.“

Nach einer langen Pause fragte er: „Nero! wie kamst du nach Sizilien?“

„Als du mich nach Rom schicktest, Hauptmann“, – antwortete Nero, – „suchte mich und Nicolo unser Cinthio dort auf. Er nahm uns mit nach Kalabrien. Dort bekam ich einst Händel mit einem meiner Kameraden und spaltete ihm den Schädel. Weil Cinthio diesen Menschen sehr liebte, wagte ich es nicht, ihm unter die Augen zu kommen, und ging nach Sizilien. Hier hatte ich nichts zu leben und ergriff mein altes Handwerk.“

„›Wo hauset Luigino?‹“

„In den Gebirgen von Cerone.“

„›Haben wir weit dahin?‹“

„Gegen Abend können wir dort sein.“

„›Führe mich hin.‹“

Sie bestiegen die Pferde und trabten davon. In einem schlechten Dorfe hielten sie Mittag, und ehe die Sonne unterging, waren sie in den Ceronischen Bergen.

Sie waren kaum hundert Schritte weit geritten, als sie einen Hornstoß vernahmen, dem bald ein zweiter, dann ein dritter folgten. Dies Signal gaben Luiginos ausgestellte Wachen. – Bald erreichten sie ein Tal. Nero gab das Signal. Einige zwanzig Banditen umringten sie, erhoben ein fürchterliches Freudengeschrei und führten den willkommenen Gast unter einem jauchzenden:

„Viva valoroso Rinaldini! valorosissimo Capitano del mondo!“

zu Luigino, der aus seinem Gezelte ihm entgegen sprang und Rinaldo vom Pferde hob.

Das Getümmel und die Freude, den berühmten Rinaldini bei sich zu sehen, war unter der Bande sehr groß; und selbst Luigino fühlte sich hochgeehrt, daß der berühmteste Räuberhauptmann seiner Zeit bei ihm, in seinem Gezelt und auf seinem Lager schlief.

Der Morgen brach an, als Luigino, der seinen Gast schon munter sah, sich demselben mit einer Proposition näherte, welche die Frucht seiner nächtlichen Überlegungen war. Sie bestand in nichts Geringerem als in dem Antrage, an seiner Stelle das Kommando über seine Bande zu übernehmen und dieselbe, wie er sich ausdrückte, „durch sich unsterblich zu machen“.

„Freund!“ – antwortete Rinaldo: – „Ich bin dir herzlich für dein uneigennütziges Anerbieten verbunden, allein ich kann davon keinen Gebrauch machen, weil ich fest entschlossen bin, Sizilien zu verlassen und mich in ein anderes Land zu begeben, wo ich im Stillen das Ende meiner Tage erwarten will.“

Umsonst bot Luigino seine ganze Beredsamkeit auf; Rinaldo blieb bei seinem Vorsatz. Er blieb noch diesen Tag bei ihm und reiste den folgenden mit Lodovico und Nero ab.

Gegen Abend erreichten sie den Gasthof eines Fleckens, von welchem derselbe mehrere hundert Schritte entfernt an der Landstraße lag.

Der Wirt kam ihnen am Tore entgegen und sagte, sein Gasthof sei so sehr mit Menschen besetzt, daß er dem Herrn Kavalier schwerlich ein anständiges Nachtlager anweisen könne. Noch dazu wären eben ein Herr und eine Dame mit ihren Leuten angekommen, die nicht weitergehen wollten und das letzte Kämmerchen seiner Wohnung in Beschlag genommen hätten.

Rinaldo, der keine Lust hatte, weiterzureiten, erklärte, er wolle mit jedem Plätzchen vorliebnehmen, das man ihm anweisen würde, und sprengte in den Hof. Hier stieg er vom Pferde und warf seine Augen auf einen Wagen, der soeben ausgespannt wurde, als er neben demselben mit Auspacken einiger Sachen beschäftigt, – wer schildert sein Erstaunen? – die wohlbekannte Signora Olimpia erblickte. – Noch hatte er sich nicht gefaßt, als er an den Wagen, von der anderen Seite her, den verrufenen Kapitän treten sah.

Dieser hatte ihn nicht so bald erblickt, als er, gleich einem Wütenden, eine Pistole aus dem Kutschenschlage zog und damit auf Rinaldo zustürzte, indem er schrie:

„Ha, Bandit! treffe ich dich endlich doch noch?“

Er sprach’s, gab Feuer, und seine Kugel streifte Rinaldos linke Achsel. – Olimpia stürzte lautaufschreiend mit der Hälfte des Leibes in den Wagen zurück. – Lodovico sah kaum, was geschah, als er seinen Karabiner anlegte, Feuer gab und dem Kapitän den rechten Arm zerschmetterte.

Dieser sank zu Boden und schrie aus Leibeskräften:

„Schließt das Tor! Im Namen des Königs, haltet diese Reiter fest! Rinaldini ist mitten unter uns!“

Auf dieses Geschrei kam alles in Aufruhr, der Wirt, seine Knechte, des Kapitäns Bediente, einige Maultiertreiber, Packknechte, Fuhrleute und ein paar Dragoner, die eben als Patrouille in dem Wirtshause lagen, brachen, bewaffnet mit Peitschen, Knütteln, Hacken, Heugabeln und Säbeln auf Rinaldo und seine Diener los.

Ein Knecht lief nach dem Tore, um es zu sperren. Nero schoß ihn durch die Gurgel und jagte im schärfsten Galopp zum offenen Tore hinaus.

Rinaldo griff nach seinen Pistolen, fühlte sich aber schnell von hinten angegriffen und war zu Boden geworfen, ehe er nur einen Schuß tun konnte. Ihrer Sechse waren über ihn her, banden ihm die Füße und knebelten seine Hände auf den Rücken.

Lodovico spaltete einem Bedienten des Kapitäns den Schädel und hackte dem andern den halben Arm vom Leibe, bekam aber mit einer Heugabel einen Schlag über den Kopf und taumelte zu Boden, wo es ihm wie seinem Herrn erging. – Er knirschte mit den Zähnen, und ohnmächtige Wut verzerrte seine Gesichtszüge.

Rinaldo sah ihn ernsthaft an und sagte:

„Pfui Lodovico! Warum gebärdest du dich so? Jeder Mensch hat sein Ziel. Unsere Stunde hat endlich auch geschlagen.“

„Das ist es nicht, was mich wütend macht!“ – brüllte Lodovico. – „Aber das ist es, daß eine Handvoll Lumpenkerle uns überwältigt hat und daß wir nicht, Mann gegen Mann, im offenen Kampfe gefallen sind.“

„So wollte es das Schicksal“ – antwortete Rinaldo. – „Sei ruhig und gelassen. Wir stehen ja noch nicht auf dem Schaffott. Sollen wir aber auch dort unser Leben endigen, so können wir mit unserer Ohnmacht es doch nicht ändern.“

Indessen hatte der Kapitän dem Wirt und den Dragonern die Gebundenen auf ihr Gewissen empfohlen und ihnen den Preis genannt, den sie von der Regierung für ihre Heldentaten erhalten würden. – Man beschloß also, die Gefangenen diese Nacht hindurch vorsichtig zu bewachen und sie morgen im Triumph dem nächsten Kriminalrichter zu überliefern. – Die Gebundenen wurden auf eine Kammer gebracht und bekamen Wache.

Den Kapitän trug man auf ein Lager und verband ihn, so gut man konnte, bis ein Wundarzt kam. Olimpia war in einer größeren Verlegenheit, als die Leser vielleicht glauben.

Indessen versammelte der Wirt alle die um sich her, die Anteil an dem Kampfe und der Verhaftung der Räuber genommen hatten, und sagte:

„Seht hierher auf den Tisch! Hier steht’s von mir mit Kreide angeschrieben, was ein jeder von uns auf seinen Anteil von dem Preise bekommt, den die Regierung auf Rinaldinis Kopf gesetzt hat. Seht, und hier steht das Fazit. Es trifft wie eine Kirchenrechnung. – Überdies haben wir bei dieser Gelegenheit auch großen Ruhm und hohe Ehre, ja, ich will sagen, den Dank und die Ehrerbietung der ganzen Insel erfochten. Mein Gasthof wird durch diesen Fang ebenso berühmt werden als der Ort eines Schlachtfeldes, oder sonst ein Platz, auf welchem etwas zum Besten des Staates vorgegangen ist. Gebt acht, was geschieht!“

„Aber“ – fragte einer von den Maultiertreibern und schob die Mütze bedenklich von dem rechten aufs linke Ohr; – „aber, wird nun Rinaldinis Bande wohl einen Stein deines Gasthofs auf dem andern lassen?“

Der Wirt wurde verlegen und fragte ängstlich: „Hat er denn eine Bande?“

„Narr!“ – schrie der Maultiertreiber, – „das kannst du dir einbilden. Eine Bande von Kerlen, die die ganze versammelte Hölle nicht fürchten. – Ich, an deiner Stelle, hätte ihm alle Tore und Pforten geöffnet, daß er entkommen wär’. Er hätte dir gewiß ein besseres Fazit gemacht, als dir nun seine Bande machen wird.“

„Gut!“ – sagte der Wirt, – „so ziehe ich von hier weg. Mit dem Gelde, das ich bekomme, kann ich allenthalben Wirtschaft treiben.“

„Daran tust du wohl!“ – sagte der Maultiertreiber, – „denn die Rinaldinische Kompanie macht dein Wirtshaus sicher der Erde gleich. Dabei ist gar keine Zeit zu verlieren. Ich fürchte, die Kerle sitzen morgen schon hier. – Ich sehe sie schon hausen, plündern, sengen und brennen! Und wenn sie dich erwischen, so ziehen sie dir sicher die Haut über die Ohren.“

Der Wirt wollte eben antworten, als er zu der fremden Dame gerufen wurde. Er eilte zu ihr. Olimpia zog ihn auf die Seite, sprechend:

„Herr Wirt! Ihr seid ein glücklicher Mann, daß bei Euch der berühmte Rinaldini seine Freiheit verloren hat. Aber das, was Ihr dabei verdient, würde Euch wohl doppelt von ihm gegeben werden, fändet Ihr Mittel und Wege, ihn entwischen zu lassen.“

„Allerschönste Signora!“ – antwortete der Wirt, – „das ist nun wohl keine Möglichkeit. Ja, wenn die Teufelsdragoner nicht hier wären! – Und dann meine Pflicht, meine Untertanenschuldigkeit!“ –

„Recht so!“ – fiel Olimpia schnell ein. – „Ihr seid ein braver Mann! Ich gestehe es Euch offenherzig, daß ich bloß Eure Denkungsart erforschen wollte. Denn Ihr könnt doch wohl leicht denken, daß mir viel daran gelegen sein muß, diesen Feind meines Bruders, des Kapitäns, bestraft zu wissen. Ich wollte nur fühlen, ob meine Rache in guten Händen wäre. Sie ist es; und Ihr habt noch eine Belohnung von mir selbst zu erwarten. Jetzt schlafe ich ruhig und weiß, daß ich bei einem durchaus ehrlichen Manne übernachte.“

Sie ging. – Der Wirt murmelte ihr nach: „Eine außerordentlich brave Dame!“

Rinaldo verlangte Wein und Speisen. Er erhielt, was er forderte. Lodovico war wieder zu sich gekommen und war jetzt in eben dem Grade standhaft und entschlossen geworden, als sein Herr mißmutig und niedergeschlagen war. Sie sprachen in ihrer rotwelschen Räubersprache miteinander, wovon die Wache kein Wort verstand, unterhielten sich von ihrem Unglück und Zustand. – Rinaldo eröffnete Lodovico, daß er willens sei, sich zu vergiften. Dieser riet ihm, nicht zu rasch zu Werke zu gehen; er fange jetzt an, auf Hilfe zu hoffen.

RINALDO Auf wessen Hilfe hoffst du?

LODOVICO Das weiß ich selbst nicht, aber ich hoffe dennoch. Der Mut ist mir ganz unvermutet gewachsen, und ich bin völlig überzeugt, daß wir jetzt noch nicht sterben werden. Zum Vergiften habt Ihr noch Zeit. Und es ist im Grunde ganz einerlei, ob man sich vom Gift die Eingeweide zerreißen läßt oder ob man verbrannt wird. Schmerz ist Schmerz!

RINALDO Wohl wahr!

LODOVICO Dreierlei Dinge ärgern mich abscheulich. Erstens, daß ich den Kapitän nicht durch den Schädel getroffen habe; zweitens, daß uns Packknechte, Maultiertreiber und andere Lumpenkerle überwältigt haben, und drittens, daß uns Nero, wie eine feige Memme, verlassen hat. – Hätten wir alle drei nebeneinander gestanden und hätten den Rücken frei gehabt, das Lumpenvolk hätten den kürzeren ziehen sollen, oder ich will ein Hundekopf sein!

So sprachen sie die Mitternacht herbei und entschlummerten endlich doch auf ihrem Strohlager. – Ein Gepolter weckte sie. Sie fuhren auf, sahen ein paar Menschen in ihrer Kammer, sahen Dolche blinken, und ihre Wache lag röchelnd am Boden.

„Was gibt es?“ – fragte Rinaldini.

„Ruhig, Hauptmann! Es gilt Eure Rettung!“ – war die Antwort.

„Bist du es, Nero?“

„Ich bin es“, antwortete dieser. – „Das Haus ist umzingelt. Ich und ein braver Kamerad sind hereingeschlichen. – Der Tag bricht an. Munter! auf! daß wir Euch in Sicherheit bringen.“

Damit machten sie sich über Rinaldos und Lodovicos Strickfesseln her, zerschnitten sie und halfen ihnen auf die Beine.

„Nero!“ – sagte Lodovico, – „Ich habe dir Unrecht getan. Ich hielt dich für eine Memme. Ich bitte dir alles ab, braver Kamerad!“

„Aha!“ – antwortete Nero, – „das habe ich vermutet. ‘s hat nichts zu sagen. – Ich machte mich davon, traf auf Luiginos Vorposten-Corps, schickte einen davon zu Luigino und ließ ihm melden, was geschehen sei. Die andern acht nahm ich mit mir. Wir stiegen über die Mauer, zum Fenster herein, und da sind wir. Ich wette darauf, Luigino ist nun auch schon da.“

„Nero! – Ich belohne dir und deinen Kameraden diesen Dienst gewiß rechtschaffen!“

„Nur fort und mit uns die Treppe hinab! Hier sind Waffen, wenn’s etwa Lärm gibt!“

Sie schlichen hinab. Alles blieb still im Hause. – Im Hofe warteten die andern. Sie zogen so viele Pferde und Maultiere aus dem Stalle, als sie habhaft werden konnten, und da gab’s Lärm. Im Gasthofe wurden die Schlafenden munter; man hörte Alarm rufen.

Jetzt stieg vor dem Gasthofe eine Rakete in die Luft.

„Ha! das ist Luiginos Signal!“

Nun waren die Kerle nicht mehr zu halten. Sechs Schüsse geschahen aufeinander in die Stube, wo alles durcheinander lag, und drinnen gab’s ein fürchterliches Geheul.

Auf die Schüsse wurde von außen das Tor eingebrochen und Luiginos Bande flutete in den Hof. – Da gab’s Lärm auf allen Ecken, und die Pferdeställe waren im Nu ausgeleert.

Luigino, als er hörte, Rinaldini sei gerettet, eilte auf ihn zu, umarmte ihn und gab sogleich das Zeichen zum Abzuge. Die Räuber schossen ihre Pistolen noch gegen Stube, Stall und Mist ab und jagten mit der Beute davon. – Kaum waren sie hundert Schritte geritten, als sie die Sturmglocken hörten. Sie sahen hinter sich, und der Gasthof stand in Flammen.

Ein wildes Jauchzen durchtönte den zügellosen Haufen.

Rinaldo fuhr’s durch die Seele. Er verhüllte sein Gesicht und jagte dem Gebirge zu.

Wachend, im Traume seiner Verhältnisse, lag Rinaldo auf seinem Lager unter einem Gezelte. Der größte Teil der Bande war auf Streifereien ausgezogen, mit ihr auch Lodovico und Nero. Luigino nahte sich Rinaldo, sah ihn ein wenig an und sagte:

„Hauptmann! Du siehst, daß du nicht für die Menschen außer unserm Zirkel taugst; die polizierte Welt ist kein Aufenthalt mehr für dich; bleib in den unwirtbaren Tälern, in Wäldern und Einöden, gefürchtet und geehrt an der Spitze deiner Kameraden. Überlaß dich nicht den Sorgen. Wie es ist, ist dein Los gefallen.“

RINALDO Ich fühle die Wahrheit deiner Worte nur allzu lebhaft!

LUIGINO Das ist mir lieb! Ich erneuere hiermit meinen alten Vorschlag. Übernimm das Kommando meiner Leute. Ich will als zweiter Befehlshaber unter dir dienen.

RINALDO Bei dir bleiben werde ich, aber Anführer deiner Leute kann ich nicht werden. Doch rechne im Fall der Not auf mich, wie auf jeden der Deinigen.

LUIGINO Nach deinem Willen! – Auf jeden Fall wird deine Anwesenheit großen Eindruck auf meine Leute machen. Sie werden sich alle für die Deinigen halten.

Sie sprachen noch, als die Signale die Rückkehr einer Streifpartie mit Beute verkündigten.

Beinahe atemlos trat Lodovico in das Gezelt und sagte:

„Hauptmann! wir haben einen herrlichen Fang getan, einen Fang, der dich vergnügen wird. Der verdammte Hund, der Kapitän, und die schöne Olimpia sind uns in die Hände gefallen.“

Er sprach noch, als man beide gebunden in das Gezelt brachte, wobei der ganze Haufe jubelte:

„Viva valorosissimo Capitano Rinaldini!“

Rinaldo fuhr zusammen, als er die Gebundenen erblickte. Olimpia sah ihn einige Augenblicke schweigend und mit fragenden Blicken an, fiel dann vor ihm nieder und sagte:

„Ich überlasse mich deiner Gnade!“

Rinaldo winkte ihr betroffen, aufzustehen, und antwortete:

„Ich bin nicht der Anführer derer, die Euch beide zu Gefangenen gemacht haben. Dieser, der neben mir steht, ist es; an ihn richtet Eure Bitten. Ich bin nicht Euer Richter. – Aber da ich dir, großmütige Freundin Olimpia, mein Leben verdanke und dir meine Freiheit in Kalabrien schuldig bin, so bitte ich meinen Freund Luigino, dir um meinetwillen die Freiheit zu schenken.“

„Sie ist frei!“ – rief Luigino.

Sogleich wurde sie entfesselt. Luigino aber fuhr fort:

„Was aber diesen sogenannten Kapitän betrifft, so führt ihn in die Höhle zur Haft, bis ich mich durch Lodovico unterrichtet habe, was er alles gegen meinen Freund, den großen Rinaldini, getan hat.“

Der Kapitän, der bisher unbeweglich gestanden hatte, erhob jetzt seine Stimme und sprach: „Was ich gegen Rinaldini tat, würde jeder gute Staatsbürger getan haben, der einen Gauner der ersten Größe unter seinen Mitbürgern sah.“

„Du bist strafbar“, – sagte Rinaldo, – „daß du diese deine Pflicht nicht eher erfüllt hast. Sie war dir aber für Geld feil. – Deinetwegen konnten die Staaten durch mich in Kontribution gesetzt werden, wie es mir beliebte, hätte ich dir nur mich selbst, als ein gewisses Kapital, überlassen, als einen Notpfennig, den du stets angreifen konntest, sobald es dir beliebte.“ –

„›Wie würdest du, Mann, dem sogar seine Heldentaten feil waren‹“, – fiel der Kapitän ein, – „›wie würdest du an meiner Stelle gegen den Räuber Rinaldini gehandelt haben?‹“

„Nicht so wie du.“

„›Das gilt Erklärung und Beweise.‹“

Rinaldo sah Luigino an und fragte: „Willst du mir auch diesen, deinen Gefangenen, schenken?“

Schnell antwortete Luigino: „›Er ist dein‹“

„Gut dann“, – fuhr Rinaldo fort, – „so gehe, du mein ewiger Verfolger, und lerne mich kennen. Du bist frei, kannst gehen, wohin du willst, kannst sogar das Vergnügen fort genießen, mich von neuem zu verfolgen, zu verraten und sogar endlich, – wie du sagst, nach deiner Pflicht, – mich der Obrigkeit zu überliefern. – Der Himmel hat Pest, hat Feuer- und Wasserplagen gegen die Menschen. Ich habe dich zu meiner Strafrute. Geh’ und handle gegen mich, wie dein Herz dir gebietet. – Ich will meinem Schicksal nicht vorgreifen, und du – wirst dem deinigen auch nicht entgehen.“

Als er dies gesagt hatte, verließ Rinaldo das Gezelt. – Der Kapitän sah keck ihm nach. Luigino kommandierte ergrimmt:

„Führt diesen After-Korsen mir aus dem Gesicht und aus dem Lager.“ –

Sogleich wurde Anstalt gemacht, diesen Befehl zu vollziehen. Trotzig folgte der Kapitän. Luigino rief ihm nach:

„Was Rinaldini tat, tut Luigino nicht. Nimm dich in acht, und mir komme nicht in den Weg!“

Er ging davon. – Olimpia blieb im Gezelt, bis Rinaldo dahin zurückkam.

OLIMPIA Berühmter Rinaldini! Du, der Schrecken und die Furcht der italienischen Staaten! Geächteter Mann! – Wie edel, wie groß hast du gehandelt.

RINALDO Nicht in diesem Tone!

OLIMPIA Sage mir die Wahrheit! Bist du wirklich nicht mehr Anführer dieser Menschen?

RINALDO Nein.

OLIMPIA Lebst aber doch unter ihnen?

RINALDO Das ist nicht meine Schuld. Ich soll, ich darf ja nicht in den Schoß der polizierten Welt zurückkehren.

OLIMPIA Tut dir das leid? O! bleib’ in deinen Tälern, lebe zwischen Felsen ruhig und zwänge dich nicht in die bangen Scheidewände der Convenienzen. Was du dort findest, ist leicht zu entbehren. – O! daß es mir vergönnt sein möchte, zu leben in stiller Einsamkeit!

RINALDO Kannst du nicht in die Einsamkeit zu dem Alten von Fronteja gehen?

OLIMPIA Du kennst ihn?

RINALDO Wie wollte ich das sagen können? Gesehen, gesprochen habe ich ihn; er hat mir vielerlei gesagt und gezeigt, ja, die Szenen der berühmten Krata Repoa habe ich sogar mit angesehen; aber wie könnte ich mich vermessen, zu sagen: ich kenne ihn? – Kennst du ihn?

OLIMPIA Ich habe ihn nie gesprochen, nie gesehen und glaube doch, ihn zu kennen.

RINALDO Diesen feierlichen, geheimnisvollen, allumfassenden Scharlatan?

OLIMPIA Er ist mehr als das. Die Kette, die er durch ganz Italien geschlungen, über Meere gezogen hat, ist ein Kunstwerk, das den Meister lobt. Du bist, seit du anfingst Aufsehen zu erregen, immer für ihn ein willkommenes Augenmerk seines Wunsches gewesen. Du warst ein Glied für seine Kette, das er suchte. Er fand dich, ehe du es glaubtest. Du warst sein, ehe ihr euch gesehen hattet.

RINALDO Was sprichst du?

OLIMPIA Was ich weiß.

Sie lächelte, als sie das sagte, so, wie die Zuverlässigkeit selbst lächeln würde. Rinaldo heftete seine Blicke an den Boden. – Endlich fragte er:

„Gehörte der Kapitän auch mit zu der Kette des Alten von Fronteja?“

SIE Er war ein Abtrünniger. – Er lebte von Spekulationen, vom Spiele, von magischen Tändeleien.

ER Wie kamst du aber, und auch jetzt wieder, zu diesem Betrüger, den du als einen solchen kanntest?

SIE Ach! glaube mir; nur aus Geldmangel.

ER Aber deine vornehmen Verbindungen –

SIE Von der Notwendigkeit geknüpft, von der Laune zerrissen.

ER Was gedenkst du nun zu tun?

SIE Mich in deine Arme zu werfen, bei dir zu bleiben; mit dir allen Gefahren, selbst dem Tode entgegenzugehen. An deiner Seite will ich stehen, selbst fechten –

ER Ich fechte nicht mehr. Meine Waffen will ich gegen Hacke und Spaten vertauschen und ein Einsiedler werden.

SIE So begleite ich dich in die Klause als deine Einsiedlerin. In meinen Armen sollst du ruhen, wenn du des Tages Schwüle und Last getragen hast. Erquicken will ich dich als eine sorgliche Wirtin mit Speis’ und Trank, und in unsrer Einsiedelei soll es nicht an stillen Freuden fehlen. Komm, laß uns ziehen, mein Rinaldo, in die stille Freistätte des Glücks und der Ruhe. Nichts soll mir schwer, nichts unbequem werden. Die Liebe zu dir trägt leicht, trägt sicher und gern.

ER Du schwärmst!

SIE Ich bin ja bei dir, mein Lieber!

Hier ließen sich recht gut einige psychologische Bemerkungen einstreuen. Ob sie aber wohl gelesen, ob sie gefühlt würden werden! – Olimpia war das Weib, wie sie sein wollte. Übrigens war sie ein schönes Weib und Rinaldo ein Mann voll Kraft und Leidenschaft. So, liebenswürdig, stand er vor den Weibern: Ein herrliches Rot strahlte von seinen Wangen; die hellsten braunen Augen lagen, wie sanfte Sterne, in seinem Gesichte. Sein Gang war edel, fest und keck1. Über sein ganzes Wesen und Benehmen war eine Haltung, Feinheit und Waglichkeit ausgegossen, die ihm eben das gab, was Weibern gefallen kann.

Ein lautes Gespräch vor dem Gezelte brachte drinnen alles wieder in Ordnung.

Luigino hatte Lebensart. Er ließ auftragen, was Küche und Keller vermochten. Keine Aufwartung machte das Mahl beschwerlich. Man blieb, ohne Zeugen, den besten und gesuchtesten Gefühlen überlassen.

Da sprang der Pfropf von einer Champagnerflasche mit lautem Knall und flog der holden Donna gerade an die Stirn. Man lachte und – leerte die Flasche.

„Man kommt“ – sagte Olimpia, indem sie die Gläser füllte, – „bei süßen Genüssen doch selten ungeneckt davon; das aber macht sie nur angenehmer, reizender, sogar – begehrenswerter!“

Nicht ohne Geräusch trat Luigino in das Gezelt und sagte:

„Meine Leute haben eine Pilgerin aufgefangen, die Lodovico kennt.“

„Das ist Rosalie!“ schrie Rinaldo ahnend, sprang auf, stürzte aus dem Gezelte und flog wirklich Rosalien in die Arme.

Die Freudenszene des Wiedersehens läßt sich nicht schildern. – Rosalie, jener Blutnacht in Kalabrien entronnen, hatte lange in Einöden gelebt, war dann nach Sizilien gegangen, wo sie in Pilgerkleidern die einsamen Täler durchstreifte und endlich ihres Herzenswunsches gewährt wurde, des Wunsches, ihren Rinaldo wiederzufinden. – Olimpia, als eine sehr gewandte Liebende, benahm sich bei der Sache sehr klug, aber Rosalie konnte ihren Argwohn nicht verbergen. Sie gestand Rinaldo, was sie fürchtete, und er suchte sie darüber, so gut er konnte, zu beruhigen.

Luigino stellte Betrachtungen an, und als er mit Rinaldo allein sprechen konnte, nahm er sich die Freiheit, ihm seine Meinung zu sagen.

LUIGINO Ich sehe, Hauptmann, daß das Gerücht wahr redete, wenn es dich als einen erklärten Weiberfreund schilderte. Man hat dir also in diesem Punkte nicht zuviel getan.

RINALDO Vielleicht hat man es aber dennoch übertrieben.

LUIGINO Das will ich nicht entscheiden. Ich halte mich an das, was ich sehe.

RINALDO Und was denkst du dabei?

LUIGINO Das will ich dir offenherzig sagen. Ich denke, daß es sich nicht für dich schickt, deine Zeit mit Weibern zu vertändeln.

RINALDO Bist du ein Weiberfeind?

LUIGINO Das nicht. Aber meine Freundschaft gehört ihnen nur für einzelne Augenblicke, in denen mich die Leidenschaft überrascht, die uns angeboren ist. Damit ist aber alles bald abgetan. Wir beiden leben nun einmal in einer Lage, in der wir einer Frau weder Haus noch Herd anweisen können. Unsere Kinder können wir nicht großziehen. Und wenn auch; wozu? Zu unserm Handwerk? – In die Welt können wir sie nicht schicken. Sollen wir sie geradezu für Rabensteine erziehen? Das wollen wir doch wohl nicht?

RINALDO Laß uns also enden.

LUIGINO Der Weiber wegen doch nicht? – Enden? – Wir?

RINALDO Ich habe Schätze, die sicher vergraben liegen. Sie sind wiederzufinden. Auf den Kanarischen Inseln lächelt ein herrliches Klima. Reizende Täler, stille Auen laden uns dort ein. Nimm ein Weib und folge mir!

LUIGINO Ich kann mich nicht dazu entschließen. – Ich fürchte die Ruhe und in der Ruhe mein erwachendes Gewissen. – Nicht auch du?

RINALDO Ich öffne der Reue mein Herz. Ich höre ihre versöhnende Stimme und folge ihrem Rufe.

LUIGINO Und was kann sie tun? – Bereuen. – Kann sie aber auch ungeschehen machen, was geschehen ist?

RINALDO Sie kann vergüten.

LUIGINO Laß ihr Kirchen und Altäre bauen, sie schenkt dir dennoch keine sanften Träume. Der heitere Blick auf die entflohenen Tage deines Tatenlebens wird dir von keiner Reue gegeben. Du hast dich berauscht; du erwachst, wehe dir! Nur ein zweiter Rausch kann den ersten vertilgen. Sieh, das ist meine Meinung: Rausch auf Rausch, bis es nichts mehr zu trinken gibt.

RINALDO Ach, Luigino!

LUIGINO Im Weine liegt Wahrheit. Höre meine Geschichte. – Ich bin von Geburt ein Korse. Mein Vater war Gouverneur zu Bastia. Luigino ist nicht mein wahrer Name. Mein Vater war ein rechtschaffener Mann; er liebte sein Vaterland und haßte seine Unterdrücker, die Franzosen. Seine Gesinnungen blieben nicht unbekannt. Der französische General beobachtete ihn genau. – In den Tälern von Ajaccioli gab es einst einen Auflauf. Ein französischer Offizier war der Frau eines Korsen zu nahe gekommen. Dieser erschlug den Nichtswürdigen. Der General ließ den Korsen binden und verurteilte ihn zum Tode. Die Korsen befreiten ihn und ergriffen die Waffen. Mein Vater sollte den Auflauf stillen. Er war so unvorsichtig, zu sagen: er führe die Waffen nur gegen die Feinde seines Vaterlandes. Das brachte ihn ins Gefängnis. Der General ließ ihn in dem Gefängnis als Hochverräter erdrosseln. Meine Mutter nahm einen Eid von mir, den Tod meines Vaters zu rächen, und stieß sich den Dolch in die Brust. – Dieser Dolch blieb mein Vermächtnis. Mit eben diesem Dolch stieß ich den französischen General nieder und entfloh in die Gebirge. Auf einem englischen Schiffe kam ich aus Korsika nach Sizilien. Meine Güter waren eingezogen worden, mein Name ward an den Pranger geschlagen. – Ich ergriff das Handwerk, das ich noch treibe. Dies war Wahl und Plan. – Ich zähle jetzt etliche Neunzig, denen ich befehle. Sie wissen zu fechten. Ihre Anzahl ist leicht zu vermehren. Schiffe sind zu kaufen. – Rinaldini, du hast Schätze, lege sie gut an; erwirb dir den Segen einer mißhandelten Nation.

RINALDO Luigino! Wohin soll das führen?

LUIGINO Nach Korsika. Zerbrich mit mir die Ketten meines Vaterlandes! Tausende fliegen uns zu, vereinigen sich mit uns, und dein jetzt so verrufener Name glänzt dann gefeiert und hoch in den Jahrbüchern der Korsischen Geschichte. – Dieses Glück können dir deine Liebschaften nicht geben; das Glück, der Befreier einer unterdrückten, tapferen Nation zu sein. Jetzt irrst du unstet und flüchtig aus einem Winkel in den andern, bist geächtet, verfolgt, dem geringsten Missetäter gleich geachtet, der im Hohlwege mordet, und wenn du willst, kannst du auf den Fittichen des Ruhmes emporsteigen zu dem Tempel der Unsterblichkeit. Vergessen sind deine Räuberstreiche. Die ganze Welt spricht dann von deinen glorreichen Taten. Münzen und Denkschriften, Ehrenbogen und Statuen verewigen deinen Namen; deine Büste steht im Tempel des Nachruhms, dein Name in der Reihe der Nationen-Retter. – Willst du enden, so ende so, und du endest beneidenswert groß!

RINALDINI Luigino, diesen Gedanken goß ein Gott in deine Seele.

LUIGINO Rinaldo, fühlst du das?

RINALDO Ja, Luigino, der Klang der zerbrochenen Sklavenketten deines Vaterlandes wird unser Gewissen beruhigen, alle Vorwürfe werden vor der angenehmen Harmonika zerbrochener Fesseln verstummen, und uns bricht ein neuer Tag des Lebens mit der wiedergeborenen Freiheit von Korsika an.

Marco erschien, lispelte Luigino etwas in die Ohren. Dieser sprang auf und ging mit ihm davon.

Rinaldo sah sich nach Rosalien um, und Olimpia kam auf ihn zu.

„Es ist nicht richtig!“

„›Was ist nicht richtig?‹“

„Man spricht von Soldaten, von einem Angriff, von Gegenwehr“, – antwortete Olimpia.

Rinaldo verließ sein Gezelt, ging hinaus, suchte Luigino und fand Rosalien mit roten Augen unter einem Baume. Als sie Rinaldo kommen sah, suchte sie ihre Tränen zu verbergen, aber das konnte ihr nicht gelingen.

RINALDO Du hast geweint, Rosalie? Warum?

ROSALIE Ich – – die Freude, daß – daß ich dich wiederhabe – daß ich bei dir bin –

ER Keine Verstellung, kein Vorgeben! Warum hast du geweint?

SIE Ich weiß es selbst nicht recht. Ich dachte nur –

ER Was dachtest du?

SIE Ich dachte, wenn Rinaldo – Ach! ich bin ein Kind!

ER Nur weiter!

SIE Wenn er dich nicht mehr liebte –

ER Warum dachtest du das?

SIE Weil – Ich weiß es selbst nicht.

ER Ich will alles wissen!

SIE Die Signora –

ER Soll dich nicht beunruhigen. – Ich liebe dich.

SIE Ich liebe dich nur ganz allein, und – Rinaldo! heiß mich von dir gehen, oder sag’ das der Signora. In ihrer Gesellschaft bleibe ich nicht hier.

ER Kleiner Trotzkopf!

SIE Ich liebe dich.

ER Wenn du gehst, wird Olimpia bleiben. Bleibst du, so geht sie. So wird’s wohl werden. Und wenn ich dich bitte, hierzubleiben, so ist das ebensogut, als hieß ich die dir verhaßte Signora gehen. Verlangst du mehr?

SIE Deine Liebe allein und ungeteilt.

ER Du kennst mich ja bei Teilungen. Habe ich je anders als großmütig gehandelt, wenn ich teilte?

Lodovico sprang herbei und brachte die Nachricht, man vermute im Umfange von einigen Stunden von Truppen eingeschlossen zu sein; Luigino visitiere eben die Vorposten und verstärke die Kommandos bei den Eingängen in das Gebirgstal. – Rinaldo ging mit Lodovico fort. Sie suchten Luigino auf und fanden ihn. Er schien etwas verlegen zu sein. Rinaldo fragte ihn, was ihm sei?

LUIGINO Ich habe soeben sichere Nachricht erhalten, daß wir umgeben sind.

RINALDO Korse! kann dich das ängstigen?

LUIGINO Das nicht, denn man kann sich durchschlagen, aber wenn ich bedenke, daß vielleicht diese Nacht noch, nachdem wir einen so schönen Plan gemacht haben, unserm Walten ein Ziel steckt. – Wir sind, sagt man, von 400 Mann umschlossen.

RINALDO Was denkst du zu tun?

LUIGINO Ich erwarte den Angriff.

RINALDO Mein Rat ist, dich an der südlichen Gebirgsseite durchzuschlagen, um in die Berge von Larino zu kommen. Dort hast du Waldungen im Rücken und die Bergkette auf der Seite.

LUIGINO Ich bin es zufrieden, wenn du mit uns fechten willst.

RINALDO Das werde ich. Lies unter deinen Leuten mir etwa sechszehn der kühnsten aus. Ich nehme noch Nero und Lodovico zu mir. Wir alarmieren die Truppen. Indessen schlägst du dich mit deinem ganzen Corps, mit Weibern und Gepäck durch. Wir wollen dann den Weg zu euch schon finden.

Sogleich gab Luigino Befehl, die Gezelte abzubrechen, das Gepäck zusammenzubringen und Weiber und Kinder auf einen Trupp, in den Mittelpunkt des Lagers, zu führen. Rinaldo erhielt die begehrten Wagehälse; jeder derselben war, nebst Stilett und Säbel, mit einem Doppelrohr und zwei Paar Pistolen bewaffnet. Lodovico und Nero fanden sich ein, und Rinaldo, der mit einem Händedruck von Rosalien Abschied nahm, nachdem er sie Luiginos besonderer Aufsicht empfohlen hatte, zog sich in den Gebirgspaß, wo er die Vorposten einzog und sie zu dem Hauptcorps schickte. Hier rückte er langsam vor, breitete sich über die Ebene aus, und als die Dämmerung einbrach, gab er das Signal zum Angriff.

Das nächste feindliche Piket wurde umgangen, das zweite beinahe ganz zusammengehauen, und nun gab’s Alarm auf der ganzen Front.

Jetzt hörten sie das Feuern im Gebirge, das immer weiter hin schwächer wurde und endlich ganz verhallte. Daraus schlossen sie, es sei dem Corps gelungen, sich den Weg zu öffnen.

Rinaldo schlug sich rechts, um die Berge im Rücken zu behalten, und stieß auf ein starkes Truppen-Kommando. Hier kam es zu einem Gefechte. Schon lagen sechs Mann der Seinigen zu Boden gestreckt, als das Kommando wankte, noch herzhafter angegriffen wurde und sich in völliger Unordnung endlich zurückzog. Sie erbeuteten Pferde, und von zwölf Mann, die Rinaldo noch bei sich hatte, wurden vier beritten gemacht. Rinaldo selbst bestieg auch eins von den erbeuteten Pferden. – Nun zog er sich langsam gegen den Gebirgspaß zurück. Hier schickte er acht Mann in die Berge. Er selbst, Lodovico, Nero, Marco und Mangato, alle beritten, suchten die Pläne und schwenkten sich links feldein, um die Berge von Larino von der westlichen Seite zu erreichen.

Sie waren ungefähr eine halbe Stunde weit geritten, als sie auf einen Trupp von etwa dreißig Mann Soldaten stießen. Hier galt kein Zögern. Sie setzten an, brachen ein, kamen durch und trafen auf eine Kavallerie-Patrouille von acht Mann. Es kam zu einem Gefechte. Zwei Dragoner stürzten von den Pferden, die andern ritten davon. Nero und Mangato wurden verwundet.

Jetzt vernahmen sie hinter sich ein Getümmel. Die von Rinaldo in das Gebirge abgeschickten Kameraden hatten den Paß tiefer drinnen besetzt gefunden und zogen sich in die Ebene. Hier fanden sie drei ihrer vom Haupt-Corps versprengten Gesellen, zogen sie an sich, und Terlini, ein Kerl von Mut und Kopf, der sich an ihre Spitze setzte, griff beherzt das Truppen-Kommando an, das Rinaldo im Rücken hatte. Dieser hörte an den Büchsenschüssen, daß Kameraden im Gefecht waren, sprengte mit den Seinigen herbei, kam dem Kommando in den Rücken, und bald war es zersprengt. Von zehn Mann, die Terlini anführte, waren mit ihm selbst noch zwei unverwundet. Sechs lagen tot, die andern tödlich blessiert auf dem Platze. Terlini erhielt ein erbeutetes Pferd. Seine Gesellen, Romato und Bellione, wurden von Lodovico und Marco mit auf ihre Rosse genommen, und der Trupp verfolgte seinen Weg. Sie traten einige Stunden weit, als ein starkes nahes Feuern sie nötigte, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen, und so erreichten sie mit Tagesanbruch einen Forst. Tief in demselben sattelten sie bei einer Quelle ab und überließen sich der Ruhe.

Nach einer ziemlich langen Pause gab endlich Terlini Gelegenheit zu einer Unterredung.

RINALDO Was ist dir, Terlini? Du scheinst ungeduldig zu sein? – Worüber?

TERLINI Ich bin ungeduldig, und bin es über unsere Ruhe.

RINALDO Und wenn wir derselben auch gar nicht bedürften, so müßten wir sie doch unsern Rossen gönnen, wenn wir haben wollen, daß sie uns weiter tragen sollen.

TERLINI Wir haben hier auch nichts zu leben.

RINALDO Das vermisse ich selbst. Wir werden also, sobald es sein kann, aufbrechen. Ich habe schon einen Plan entworfen, indessen möchte ich aber doch über unser Fortkommen und über das, was nun zu tun sein möchte, auch eure Meinung hören: denn daran zweifle ich gar nicht, daß ein jeder von euch im stillen darüber nachgedacht haben wird. – Sprich also, Terlini! Was meinst du?

TERLINI Ich meine ganz kurz, wir suchen in die Larinischen Berge zu kommen, wo wir Luigino gewiß antreffen werden.

BELLIONE Das ist auch meine Meinung.

ROMATO Auch die meinige. Denn hier sind wir weder sicher noch stark genug, uns halten zu können, da es uns noch dazu an Proviant und Munition fehlt.

RINALDO Das wär’ zu bekommen. – Was meint ihr andern?

MARCO Ich habe keine Meinung als die deinige.

MANGATO Mir ist alles recht. Geht hin, wohin ihr wollt, ich gehe mit. – Aber am liebsten wär ich freilich wieder bei unsern Kameraden.

NERO Es ist nur die Frage: ist der Weg in die Larinischen Berge offen oder nicht?

RINALDO Das ist es, was vor allen Dingen untersucht werden muß.

LODOVICO Sicher ist er von Truppen besetzt.

TERLINI Unserer sind acht Mann. –

LODOVICO Über die Hälfte haben wir uns verschossen. Ich habe nur noch vier Patronen.

TERLINI Wir haben Fäuste und Säbel und sind beritten. Wir kommen durch.

RINALDO Wenn’s möglich ist, gewiß. Aber Unmöglichkeiten kann auch der höchste Mut nicht er zwingen. Der Unserigen liegen viele, um nie wieder aufzustehen. Sollen wir ihnen unser Leben hintennachwerfen?

TERLINI Nun wohl, Hauptmann! so laß auch deine Meinung hören.

RINALDO Meine Meinung ist: Du schleichst mit Bellione und Romato auf Kundschaft aus. Eben das tun Marco und Mangato und suchen etwas Proviant zu bekommen. Wir andern durchstöbern den Forst. Vor uns erheben sich die Trümmer einer Burg mitten im Walde auf einem Hügel. Dort ist der Sammelplatz, wo wir wieder zusammenkommen. – Dies ist meine Meinung. Gefällt sie euch nicht, so mag jeder tun, was er will, denn ich habe kein Recht, unbedingten Gehorsam von euch zu fordern. Ihr seid Luiginos Leute. Lodovico und Nero aber gehören mir an und bleiben bei mir.

TERLINI So fordere ich die andern auf, mit mir zu gehen. Wir haben Weiber und Kinder bei Luigino.

RINALDO Ihr habt euern freien Willen. – Geht ihr, so nehmt die Pferde mit euch, uns sind sie hier zur Last.

MARCO Ich gehe mit Terlini. Es ist mir aber doch ärgerlich, daß wir den großen Rinaldini hier ohne Schutz lassen sollen.

RINALDO Ich habe Lodovico und Nero bei mir.

MARCO Sollte dir hier ein Zufall zustoßen, beim Teufel! Luigino würde uns schön anlachen.

RINALDO Seid ohne Sorge! – Wir werden uns bald wiedersehen.

Es entstand eine Pause. Nach derselben gab Terlini Rinaldo die Hand und nahm Abschied. Seinem Beispiele folgten Marco, Romato, Bellione und Margato. Sie nahmen die Pferde mit sich, und Rinaldo blieb mit Lodovico und Nero zurück.

Schweigend bestieg Rinaldo den Hügel, auf welchem die Trümmer des zerfallenen Schlosses lagen. Lodovico und Nero folgten ihm schweigend nach.

„Ich sehe“ – sagte Rinaldo, – „hier Fußtritte im Grase. Seid vorsichtig und auf eurer Hut.“

Sie näherten sich den Ruinen. Vögel flogen bei ihrer Annäherung auf, aber eine menschliche Gestalt war nirgends zu sehen. – Sie kamen in einen großen, rund umbauten Hof, sahen Eingänge ohne Türen und fanden eine Wendeltreppe, welche sie erstiegen. Sie führte bis in den zweiten Stock der Ruinen. Hier trat Rinaldo auf einen mit Lorbeersträuchern umwachsenen Söller, die Gegend zu überschauen. – Er übersah den Forst, blickte links in ein schönes Tal, sah rechts Berge und – ach! sah in eine bekannte Gegend.

„Lodovico!“ – rief er aus, – „Kennst du die Gegend dort, rechts, noch?“

LODOVICO Sie kommt mir sehr bekannt vor.

RINALDO Sie ist es. – Siehst du dort jenes Schloß?

LODOVICO Ja, beim Teufel! es ist das Schloß der guten Frau Gräfin von Martagno.

RINALDO Es ist es! – Ja! es ist Dianorens Schloß! O Lodovico! erinnerst du dich noch des Schlosses?

LODOVICO Ich werde mich ja noch des Schlosses erinnern! Dort ging’s uns wohl. Und wir konnten nicht bleiben.

RINALDO Ach Lodovico! so ist es nun einmal, so wird es immer sein! Wir dürfen nirgends bleiben, wo es uns wohl geht. Die Verfolgung kettet sich an unsere Fersen. – Ach Dianora! Weilst du noch zwischen jenen Mauern? – Denkst du an mich Unglücklichen? – Deine Lage? – O Gott! – Lodovico! du mußt fort. Du mußt kundschaften. –

LODOVICO Ich verstehe dich, Hauptmann, ohne daß du mir weiter ein Wort zu sagen brauchst, ganz. Laß mich nur machen! Du sollst Nachrichten haben, so gut sie nur zu haben sind. – Adio! Wir sehen uns bald wieder.

Er eilte davon. Rinaldo blieb in tiefes Nachdenken versunken, bis ihn Nero durch die Bemerkung, er sehe ein Haus im Walde, aus seinem Traume weckte.

Rinaldo sah nach der bezeichneten Gegend, und sah das Haus, von welchem aber nichts als das Dach zu sehen war. – Sogleich war er entschlossen, die Bewohner des Hauses kennenzulernen, und verließ die Ruinen des Schlosses. Schweigend folgte ihm Nero nach.

Sie kamen auf einen freien Platz und waren kaum noch zehn Schritte von dem Hause entfernt, als der Klang einer Guitarre ihren Fortschritten ein Ziel setzte. Sie lauschten und hörten singen, konnten aber nichts genau, als die Worte:

Und liebst du mich,
So lieb ich dich!

verstehen, die der Refrain jeder Stanze des gesungenen Liedchens waren.

„Hier ist Saitenspiel und Sang“, – sagte Rinaldo; – „es ist die Rede von Liebe. Hier haben wir nichts zu fürchten. Wo Fröhlichkeit und Liebe wandeln, wohnt keine Hinterlist.“

Er sprach’s und ging auf das Haus zu.

Nero folgte ihm ganz mechanisch, doch auf jeden schlimmen Fall bereit, das Rohr in der Hand, mit gezogenem Hahne nach.

Vor der Tür des Hauses saß ein Mensch in einem braunen Waldbrudergewand, der kaum den unerwarteten Besuch erblickte, als er seine Guitarre aus der Hand warf, einen Schritt vor sich sprang, dann stehenblieb, und ausrief:

„Ist es möglich! – Täuschen mich meine Augen, oder ist es Wahrheit? Bist du es wirklich? Sehe ich dich wieder?“

„Diese Stimme!“ – fiel Rinaldo ein – „Gütiger Himmel! Bist du es? Cinthio, bist du es wirklich?“

„Ich bin es!“ – schrie jener und flog in Rinaldos Umarmung.

„Ja! beim Teufel! ‘s ist Cinthio! – Da muß das Wetter dreinschlagen!“ – lachte Nero mit inniger Herzensfreude heraus.

RINALDO O mein Freund! Mein Cinthio! – Sehen wir uns wieder?

CINTHIO Mein Wunsch ist erfüllt, der heiße Wunsch, dich, wenn du noch lebtest, wiederzusehen. Jetzt drücke ich dich an meine Brust, und mein Herz klopft dir freudig entgegen.

NERO Ihr kennt mich doch auch noch, alter Kamerad?

CINTHIO Ha! Nero? – Tausendmal willkommen!

NERO Nun! ‘s freut mich herzlich, daß Ihr noch lebt, daß Ihr wohlauf seid und singen und musizieren könnt!

CINTHIO Herein in meine Wohnung! Becherklang feiere unser frohes Wiedersehen.

NERO Beim Teufel! so etwas fehlt uns. Wir haben gefastet wie Karthäuser.

Sie saßen am Tische, besetzt mit Butter, Käse, Brot und Wein, ließen sich es trefflich schmecken und füllten und leerten die Gläser nach Herzenslust.

Dabei kam’s zum Gespräch.

RINALDO Wie kommst du aber hierher? In dieses Haus? – Hast du es selbst gebaut?

CINTHIO Höre an: Jener Mordnacht in Kalabrien entronnen, irrte ich in den Gebirgen verwundet umher und kam endlich zu einem alten, guten Waldbruder, der mich in seine Klause nahm und mich pflegte und wartete. Diesem braven Manne entdeckte ich mich und ließ mir so lange von ihm zureden, bis ich ihm versprach, mein bisheriges Handwerk zu verlassen und in ein Kloster der strikten Observanz zu gehen.

RINALDO Laß mich lachen!

CINTHIO Lache nicht. Halb und halb war es, und es wurde beinahe ganz mein Ernst. – Mein Wohltäter gab mir Briefe an ein Kloster mit, und ich machte mich auf den Weg.

RINALDO Ich sehe dich im Geiste auf dem Wege und in dem Kloster!

CINTHIO Dahin kam ich nicht. Das Unglück ließ mich auf sechs unserer Kameraden treffen, die sich gerettet hatten. Diese hatten sich in einen gebirgigen Schlupfwinkel gesetzt, hatten noch fünf Herumstreicher an sich gezogen und trieben ihr Werk, nach wie vor, auf alte Firma fort. – Ich ließ mich überreden, blieb bei ihnen und ging nicht ins Kloster. Die Wirtschaft ging auf den alten Fuß fort. Ich zog mich tiefer ins Land hinab und schlug meine Residenz in den Bergen von Girace auf. Hier hatte sich mein Corps bald vermehrt, und wir waren schon wieder sechsundzwanzig Mann stark, als ich einen Hauptstreich auf ein reiches Kloster ausführen wollte. Da kamen wir aber übel an.

NERO Wetter!

CINTHIO Ich weiß nicht, wie unser Plan hatte verraten werden können, oder fügte es der Zufall so, genug! die Mönche hatten Miliz in der Nähe. Wir wurden schlimm empfangen, und ich wurde beinahe gefangengenommen. Doch mein Glück ließ mich auch diesmal noch entkommen und führte mich sogar glücklich auf eine Kornbarke, die nach Malta segelte. Mit dieser ging ich ab, und als wir in Sizilien anlegten, ging ich davon und ins Land hinein. Ich fand etliche Kerle unsers Schlags, wir vereinigten uns, setzten uns fest und trieben’s im Kleinen, wie wir’s sonst im Großen getrieben hatten. – Wir hatten ein artiges Häufchen Geld zusammengeschlagen, als meine Burschen auf eine Teilung bestanden. Diese ging vor sich. Nun nahmen sie Abschied von mir, sagten, sie hätten jetzt genug, um ein ehrliches Geschäft anfangen zu können, und ließen mich allein. – Der kleinen Buschklepperei überdrüssig, warf ich mich in Kleider und machte den Reisenden. Aber meine Vorliebe zu Handwerksgegenden machte, daß ich alle Schlupfwinkel aufsuchte, wo ich glaubte, vielleicht einmal wieder Leute meines Schlages finden zu können. Da war ich einst so glücklich, zwei Säckchen mit Goldstücken zu finden, die gewiß keinem armen Teufel gehört hatten, denn sie waren mit einem großen Wappen versiegelt. Diese eignete ich mir zu. – Kaum war ich Besitzer dieses Schatzes, so fiel mir ein, mich der Ruhe zu überlassen.

RINALDO Glücklicher Gedanke!

CINTHIO Ich warf diese Kutte über und kam in ein Dorf, eine Stunde von hier gelegen, wo ich mich an den Förster des Orts wendete und ihm mein Vorhaben, ein Waldbruderleben zu führen, bekanntmachte. Dieser erzählte mir: sein verstorbener Baron habe, drei Jahre vor seinem Tode, auch ein solches Leben aus Neigung angefangen, habe sich ein Haus in den Forst gebaut und sei als Waldbruder gestorben. Sein Sohn lebe in der Stadt, brauche immer Geld und werde mir das Haus gewiß überlassen. – Das tat er auch, und ich kaufte es ihm ab. – Seht, so bin ich zu dem Hause gekommen.

RINALDO Aber wie kamst du zu einer Geliebten?

CINTHIO Wer hat dir gesagt, daß ich eine Geliebte habe?

RINALDO Dein Gesang.

CINTHIO Aha! hat mich der verraten? Nun gut! Ja, ich habe eine Geliebte, ein liebes, gutes Mädchen, das mich mit Milch, Brot, Eiern, Butter und andern Lebensmitteln versorgt und alle drei Tage zu mir kommt. Es ist die Tochter des Försters.

NERO Am Ende gibt’s wohl gar noch eine Heirat?

CINTHIO Warum nicht?

RINALDO Bravo Cinthio! So gefällst du mir.

CINTHIO Und so gefalle ich meinem Mädchen noch besser. Wir haben schon ein Plänchen gemacht. Der Vater weiß um unsere Liebschaft und will mir seinen Dienst abtreten, will in meine Wohnung ziehen, hier das Ende seiner Tage erwarten und sein einziges Kind mit mir glücklich sehen.

RINALDO Laß dich küssen! – Nimm und mache sie glücklich, Freund! – Wie heißt sie?

CINTHIO Eugenia.

RINALDO Die Gläser gefüllt! Eugenia soll leben! – Du und Sie! – Euer Glück! – Eure eheliche Liebe! – Mein Glück, wie das deinige, braver Cinthio!

CINTHIO Ich habe oft an dich gedacht. Als einen Toten habe ich dich beklagt, aber deine Schwärmereien habe ich dann selbst mit deiner Asche geliebt, so wie ich jetzt die meinigen liebe.

Ganz unvermutet fand sich Eugenia ein. Sie erstaunte, Gäste bei ihrem Liebhaber zu finden. Dieser machte ihr dieselben als seine Freunde bekannt. Sie nahm keinen besonderen Anteil an dieser Bekanntmachung und schien vielmehr über irgend etwas in Verlegenheit zu sein. Cinthio sah das und bat sie zu sprechen.

CINTHIO Du brauchst meine Gäste nicht zu scheuen. Sie sind, wie ich schon gesagt habe, meine Freunde. Und, Geheimnisse hast du doch wohl nicht?

EUGENIA Geheimnisse habe ich nicht, aber – in großer Verlegenheit bin ich.

CINTHIO Was hast du? Weswegen bist du in Verlegenheit?

EUGENIA Deinetwegen.

CINTHIO Meinetwegen? – Was droht mir?

EUGENIA Ach! man kann nicht wissen –

CINTHIO Sprich. – Willst du mich auch ängstlich machen?

EUGENIA Du wirst doch auch wohl von dem großen Räuber, Rinaldini, gehört haben? – Der ist bei uns, mitten im Lande.

CINTHIO Unmöglich!

EUGENIA Nein, nein! Es ist wahr. Er muß ein schrecklicher Mensch sein! – Die Miliz hat seine Bande angegriffen. Sie sind noch im Gefecht. Nun sind auch unsere Soldaten aufgeboten worden und die Jäger dazu. Da meint nun mein Vater, du könntest dein Probestück ablegen und an seiner Stelle mit gegen die Räuber ziehen. – Ich kenne dich. Du wirst’s tun. Und das ist es, was mich so ängstlich macht. – Du kannst erschossen werden. Und wenn sie dich nun tot in unser Haus brächten. – Ach! das könnte ich nicht überleben.

CINTHIO Also wünschest du, dein Vater möchte lieber selbst mit ausziehen? Nicht wahr?

EUGENIA Ja freilich?

CINTHIO Der arme alte Mann! – Wenn sie ihn nun tot in sein Haus brächten? –

EUGENIA Ach, heilige Mutter Gottes! das würde mir das Herz zerreißen. Aber ich hätte doch dann dich noch. Wenn du aber umkommen solltest – mein Vater ist alt –

CINTHIO Ich dächte, ein anderer Liebhaber wär’ weit leichter wiederzubekommen als ein anderer Vater.

EUGENIA Das wohl! Aber doch kein Cinthio.

CINTHIO Ich danke dir, liebe Eugenia, für deine Aufrichtigkeit. – Aber was ist nun zu tun?

EUGENIA O! der häßliche Kerl, Rinaldini.

CINTHIO Er soll ein artiger Mann sein.

EUGENIA Ei meinetwegen! Wenn er nur schon in der Luft hinge, daß du hierbleiben könntest, da wär’ er noch zehnmal artiger für mich.

RINALDO Ich will einen Vorschlag tun. Statt Cinthio schicke du mich gegen Rinaldini, ich will ihn dir zum Hochzeitsgeschenk bringen.

EUGENIA Behaltet ihn, wenn Ihr ihn kriegen könnt! Er wird teuer genug bezahlt. Ich gönne Euch alles und mag nichts davon haben. Wenn ich meinen Cinthio behalte, habe ich Überfluß in allen Ecken.

CINTHIO Gutes Mädchen!

EUGENIA Cinthio! stelle deinen Freund für dich, weil er Lust dazu hat.

CINTHIO Dann wird er aber auch deines Vaters Dienst bekommen.

EUGENIA Das ist auch wahr!

CINTHIO Und was fangen wir dann an?

EUGENIA Je nun! wir müßten zusehen, wie wir durchkämen. Wenn wir nur am Leben bleiben, so hat es nichts zu sagen. Wir wollen uns schon rühren.

CINTHIO Und was würden die Leute von mir denken und sagen? Ich sei ein feiger Kerl. – Willst du einen solchen elenden Burschen zum Manne haben?

EUGENIA Freilich wär’ das auch schlimm! – Was ist also zu tun?

CINTHIO Ich ziehe mit aus.

Da fiel vor dem Hause ein Schuß. Sie fuhren erschrocken zusammen. Eugenia schrie:

„Heilige Jungfrau! mir sagt’s mein Herz! Rinaldini ist hier.“

Sie sank auf einen Stuhl, Cinthio und seine Freunde griffen nach dem Gewehr.




Fußnoten

1 Leontino Monte Bello. 1. T. S. 226.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.