Sechzehntes Buch - Rinaldo ging auf den Pavillon zu. Unweit davon, bei der Fontana, stand Oriane und band Blumen in einen Strauß zusammen. ...

Sechzehntes Buch

Nicht Trompetenruf allein zum Streite,
Auch zur Tafel ruft ihr Feierton;
Ja, der Freude höheres Geleite
Rief dich in so manchen Tönen schon!


Rinaldo ging auf den Pavillon zu. Unweit davon, bei der Fontana, stand Oriane und band Blumen in einen Strauß zusammen. Sie fragte:

„Habt Ihr auch Blumen gesammelt? – Wenigstens für mich hättet Ihr es tun können, denn ich habe mich empfindlich an einem Dorn geritzt. Doch wollte ich alles verschmerzen, wenn ich nur wüßte, wie ich mit Euch daran wär’. Denn, seid Ihr ein Zauberer, so fürchte ich Euch, und seid Ihr keiner, so – fürchte ich Euch auch.“

„Die Schönheit“, – antwortete Rinaldo, – „hat, wie Ihr erfahren habt, überall nichts zu fürchten, nicht einmal das, was andere von ihr zu fürchten haben.“

„Fürchtet Ihr mich?“

„Seid Ihr grausam?“

„Zuweilen.“

„So seid Ihr auch zu fürchten.“

„Jetzt will ich einmal nicht grausam, ich will sogar, was ich nur höchst selten bin, freigebig sein. – Ich schenke Euch diesen Strauß, in welchem eine Rose glänzt, die mit meinem Blute gefärbt ist, wenn Ihr mir das Kunststück dagegen mitteilen wollt, mit einem: Wie? Börsen zu sichern?“

„Ihr besitzt es schon, auch ohne ein Wie?“

„Ihr weicht aus! – Vertraut Euch mir lieber. Ich spiele gar zu gern die Vertraute.“

„Was ich Euch vertrauen könnte“ –

„Ist es von Wichtigkeit?“

„Mein Herz sagt Ja.“

„Das Herz bleibt diesmal ganz aus dem Spiele.“

„Das meinige nicht.“

„Sicher aber das meinige.“

„So habe ich Euch auch nichts zu vertrauen.“

„Wir sind einander fremd, sehen uns, wenn Ihr abreiset, vielleicht nie wieder, und noch dazu, –“

„Ihr brecht ab?“

„Hört Ihr? Die Trompete ruft zur Tafel!“

„Ach! wohin riefen mich nicht schon Trompeten?“

„Auch ins Gefecht?“

„Nur allzuoft.“

„Ihr seid Soldat?“

Der Marquis trat herbei. Man ging zur Tafel. – Rinaldo vergaß sich, war zerstreut, sah gedankenvoll oft vor sich hin und ward scharf beobachtet. – Die Tante schlug vor, Geschichtchen zu erzählen. Man loste. Schon hatten Oriane und der Marquis erzählt, als die Reihe an die Tante kam. – Diese begann:

„Ich will Euch ein Geschichtchen erzählen, das mir mein Bruder erzählt hat. Aber erschrecken dürft ihr Mädchen nicht!“

ORIANE Es ist gewiß eine Gespenstergeschichte?

TANTE Nein.

ORIANE Oder ein Geschichtchen von einem alten Spukschlosse?

TANTE Auch nicht. – Der Held meiner Erzählung ist der Räuberhauptmann Rinaldini.

ORIANE Rinaldini?

TANTE Es ist ein spaßhaftes Histörchen.

ORIANE So laßt es hören!

TANTE Rinaldini saß einst, ohne daß man ihn kannte, an einer Tafel –

RINALDO Mit vier Damen in einem Pavillon. Nicht wahr? – O! ich kenne das Geschichtchen und weiß es auch zu erzählen.

TANTE Erzählt nur ein wenig weiter und ich will Euch gleich sagen, ob Euer Geschichtchen auch das meinige ist.

RINALDO Waren denn vier Damen an Eurer Tafel, an der Rinaldini saß?

TANTE Die Anzahl weiß ich nicht. Es war eine Gesellschaftstafel.

RINALDO In einem Pavillon?

TANTE Auch den Ort weiß ich nicht. Man kannte ihn, wie gesagt, nicht und sprach Verschiedenes von ihm. Man lobte, man schalt ihn. Besonders aber zeichnete sich ein Abbate aus, der ihn mit Schimpfhamen aller Art belegte. Rinaldini ergrimmte und fragte den Abbate, ob er es wohl wagen würde, diese Schimpfnamen dem Geschimpften ins Gesicht zu sagen. „O ja!“ – erwiderte dieser, – „Wenn ich den Schuft nur einmal zu sehen bekommen könnte!“ – Hier steht er vor Euch! sagte Rinaldini, indem er aufstand. – Der Abbate erblaßte, sank vor ihm auf die Knie nieder und bat demütig um Verzeihung. – Lachend setzte sich Rinaldini wieder nieder und sagte: „Herr Abbate, gut schimpfen könnt Ihr wohl, aber Ihr seid der Held nicht, für den Ihr Euch ausgebt. Ihr sankt sogleich zu Boden, als ich im Scherz mich Rinaldini nannte, und ich sehe doch gewiß nichts weniger als diesem furchtbaren Manne gleich. Was würdet Ihr nicht erst getan haben, hätte sich Rinaldini Euch wirklich selbst gezeigt!“ – Die ganze Gesellschaft lachte laut auf, und der Abbate schlich sich beschämt davon. Man tadelte nun des Abbate Furchtsamkeit, und alle machten sich über ihn lustig. Endlich erhob sich Rinaldini wieder und sagte: „Meine Herren, lacht nicht so sehr. Den Abbate neckte ich; Euch aber sage ich die Wahrheit. Rinaldini hat wirklich mit Euch gegessen.“ – Er küßte, als er das sagte, seiner Nachbarin die Hand, die in Ohnmacht sank, und verließ, indem man teils dieser Dame zu Hilfe sprang, teils blaß und zitternd, unbeweglich saß, schnell den Speisesaal.

MARQUIS Das Geschichtchen ist allerliebst! Wie gefällt es.

ORIANE Dennoch wäre ich sicher, ebenso wie jene Dame, in Ohnmacht gesunken, hätten seine Lippen meine Hand berührt.

RINALDO Er hatte vielleicht sich gar in die Dame verliebt.

ORIANE Eine schöne Ehre! – Ich würde meine Hand zwanzig Jahre lang gewaschen und gerieben haben, hätte sie das Unglück gehabt, von einem Räuber geküßt zu werden.

TANTE Man schildert ihn als einen schönen Mann.

ORIANE Wie kann ein Räuberhauptmann schön sein? – Doch, nun Euer Geschichtchen, Herr Graf! – Ich weiß nicht, wie es kommt, daß man so gern zuhört, wenn etwas von dem bösen Kerl Rinaldini erzählt wird.

TANTE Er gefällt, interessiert. – Nun, das Geschichtchen!

RINALDO Rinaldini, – erzählte man mir in Neapel, – war einst in einer Kirche, ich glaube in Messina oder wo es sonst war. Genug! in einer Kirche war er. Er kniete hinter einer schwarz verschleierten Dame, die sehr emsig betete, die vergaß, daß sie nicht allein war, und in ihrer Andacht laut wurde. Rinaldini hörte, daß sie den Himmel bat, auf einer bevorstehenden Reise ihr Sicherheit und Schutz zu geben, auch gegen Rinaldinis Bande, die damals der Schrecken aller Reisenden war. Er lispelte ihr ins Ohr: „Ihr könnt das näher haben!“ – Sie drehte sich herum; er drückte ihr eine seiner Sicherheitskarten, die er gewöhnlich Reisenden gab, die von seinen Leuten nicht beraubt werden sollten, in die Hand, stand auf und verließ die Kirche.

TANTE Abermals ein Galanteriestück!

ORIANE Das ist aber nicht die Geschichte, die Ihr vorhin erzählen wolltet.

RINALDO Sie ist nicht halb so spaßhaft und artig als die beiden, die Ihr schon gehört habt.

ORIANE Wenn auch das nicht, so ist sie doch von dem Manne, von dem man gern erzählen hört.

RINALDO Bei dem Nachtisch will ich sie erzählen.

Die Nichten erzählten nun, und der Marquis gab auch noch eine Geschichte preis, die sehr hübsch war. – Nun aber legte Oriane einen Finger ihrer Rechten auf Rinaldos Hand und bat ihn, sein Versprechen zu erfüllen. Er sah sie an, ergriff einen Becher, nickte ihr eine Gesundheit zu und trank. Sie erwiderte seine Höflichkeit. Er begann:

„Unter vier Damen saß einst in einem Pavillon, an einer Tafel, Rinaldini. Sie wußten nicht, daß er es war, und unterhielten sich mit ihm wie mit einem Manne ihres Standes. Er war galant und artig, nur zuweilen sehr zerstreut, welches man auf die Nähe seiner reizenden Nachbarin schrieb, in deren Augen er wirklich gern den schönsten Erdenhimmel sah.“ – Man sprach, man unterhielt sich von ihm. Er selbst tat das. „Er ist ein Räuber!“ – sagte seine schöne Nachbarin. „Dies leugnet er nicht!“ – rief Rinaldini aus und raubte schnell ihr einen Kuß.

Er sagte dies und küßte Orianen. Sie bog sich rasch zurück und schrie entrüstet:

„Keinen solchen Spaß!“

„Ernst ist es“, – sagte Rinaldo.

„Ernst?“ – schrie die Tante.

„Ernst?“ – fragte aufspringend der Marquis.

Ruhig blieb Rinaldo, winkte ihnen zu, sich zu setzen, und sagte ganz gelassen:

„Ich bin Rinaldini.“

Wie Bildsäulen saßen alle vor ihm; so standen auch die Diener, zu denen sich Rinaldo wendete und sie lächelnd fragte:

„Greift ihr mich nicht?“

Erschrocken traten diese einige Schritte zurück. Rinaldo warf sich vor Oriane nieder:

„Verzeiht!“ – sagte er; – „Euer Bild im Herzen, Euern Kuß auf meinen Lippen, wandere ich in meine Einsamkeit zurück. Dort lächelt keine Oriane mir, dort finde ich nur die Verzweiflung, die dieses unglücklichen Herzens Braut sich nennt!“

Er sprang auf und sagte zu dem Marquis:

„Ich weiß es und erkenne dankbar, daß ich Eurer Gastfreundschaft verbunden bin. Erwidern kann ich sie nicht. In meine Höhlen kommt kein Gast. Dort bin ich stets allein, bewacht von Unruh, Furcht und Sorgen. Doch bitte ich Euch, als ein kleines Andenken mein Roß zu behalten und Euch meiner zuweilen zu erinnern.“

Noch wurde kein Wort gesprochen, das nicht Rinaldo sprach. Er ging zur Tür und rief mit Ausdruck und Gefühl ein: Lebewohl! ihnen zu. – Da sprang der Marquis auf und sagte: „Ich kann Euch nicht von hier lassen!“

„Nicht?“ fragte Rinaldo, indem er wieder zurückkam.

„Wenigstens, – nicht ohne Bedeckung.“

„Für diese ist gesorgt.“

Er gab sein Zeichen. Jordano trat mit zehn Bewaffneten herbei. – Der Marquis sank auf seinen Stuhl zurück; die Diener drängten sich zusammen. Oriane drückte beide Hände vor die Augen und jammerte laut, die Nichten weinten, die Tante zitterte, Rinaldo rief:

„Oriane! Lebe wohl!“

So verließ er mit seinen Leuten den Garten.

Oriane hielt Rechnung mit sich selbst: – „Es hätte dir möglich sein können, diesen Mann zu lieben? – Aber wußte ich denn, wer er war? – Da du es aber nun weißt? – Wie? und du könntest dennoch? – – Schweige! – Wohin willst du ihm folgen? Willst du ihn sehen in seinen Räuberhöhlen, wo er als Regent unter Banditen thront? – Nein! Auch nicht einmal dürfen deine Gedanken ihn dorthin begleiten. – Aber du trittst wieder zurück in deine Zirkel; man nennt seinen Namen, du errötest: man sagt dir wohl gar: Auch dich hat er geküßt. – Unbesonnener! was hast du getan? Wie sehr hast du mich und dieses Herz beleidigt!“

Rinaldo fühlte das Unbesonnene seiner Handlung selbst sehr lebhaft. Er schrieb an Orianen, bat um Verzeihung und versicherte seine tiefste Reue. Dieser Brief blieb, wie man leicht denken kann, unbeantwortet.

Die Damen verließen nach einigen Tagen das Schloß des Marquis. Er selbst ging mit ihnen in die Stadt. – Oriane besuchte eine Anverwandte, die Äbtissin des Klaren-Klosters unweit Sesto war.

Dort durchstreifte sie, ihren Gedanken hingegeben, in der Einsamkeit die herrlichen Fluren und reizenden Auen, die das Kloster umzogen, prangend mit Schönheit und Reichtum des fruchtbringenden Herbstes.

Ein Pilger grüßte sie freundlich, redete sie an und fuhr begeistert fort:

„O! welch ein schönes Land! welch frisches, liebliches Grün erquickt das Auge! welch ein Zauber umschwebt diese Fluren! Die schönen, himmelanstrebenden Bäume, wie so brüderlich vereinigen sie ihre Äste! So verschlingen sich Arme der Liebenden; so umarmt, trotzen sie jedem Sturme! – Jeden Baum umschlingen Reben, so dicht und innig, wie der Liebende die Geliebte umschlingt. In den Wipfeln der Bäume glänzen die schönsten, vollsten Trauben. Sie schenken uns den Nektar, der uns labt und erquickt. Sieh über dich, freundliches Mädchen! Wie unter einem Thronhimmel stehst du hier, und über dir glänzen in gelben, purpurnen, blauen und rosenroten Farben, gleich Gesteinen, die herrlichen Trauben! Hell und sanft schleicht dahin der Fluß. Ruhig spiegelt der bekränzende Wald sich in seinen Silberwellen!“

ORIANE Du schwärmst umher in einer Dichterwelt!

PILGER Nur dichterisch, in wirklichen Gefilden des Paradieses, in welchem ein Engel wandelt. Ach! Oriane –

ORIANE Du nennst meinen Namen? Kennst du mich?

PILGER Dieses Gesicht ist nicht mein wirkliches Gesicht, es gehört der Kunst. Wenn ich mich dir zeige, wie du mich schon sahst, wirst du mich wiedererkennen, aber – dennoch mich fliehen.

ORIANE Was sagt mir mein ahnendes Herz!

PILGER Es sage dir, was deine Augen dir sagen.

Er nahm die Larve vom Gesicht. Laut auf schrie Oriane, bedeckte mit den Händen ihr Gesicht und konnte nicht entfliehen. Rinaldo stand vor ihr.

ORIANE Was suchst du hier?

RINALDO Dich hier zu finden: und ich habe dich gefunden.

ORIANE Du wußtest, wo ich war?

RINALDO Ich weiß, was in der ganzen Gegend hierherum geschieht. Ich wollte dich noch einmal sehen und sprechen, ehe du den Schleier nimmst.

ORIANE Noch war ich dazu nicht entschlossen; jetzt bin ich es, wenn du mich den Klostermauern überlassen willst.

RINALDO Was sagst du?

ORIANE Furchtbarer! Bin ich nicht in deiner Gewalt?

RINALDO So nahm ich’s nicht! – – Du in meiner Gewalt? O nein! Die Rollen sind gewechselt. Du befiehlst und ich gehorche.

ORIANE Verlaß mich!

RINALDO So grausam kannst du sein?

ORIANE Darüber willst du klagen? – Was hoffest du denn? Was darfst du hoffen? Vergißt die Welt, was du vergessen hast? Schnell aus dem Busche trat zwischen beide ein zweiter Pilger, verlarvt und hochgegürtet. Er ergriff Rinaldos Hand, erhob die andere drohend und sagte:

„Hüte dich!“

Rinaldo zog den Dolch. Oriane floh, laut aufschreiend, dem Kloster zu. Der Pilger fuhr fort:

„Den Dolch steck ein!“

„Ich soll –“

„Mir droht kein Dolch.“

„Ich soll sie kennen –“

„Das Mädchen?“

„Deine Stimme.“

„Das glaube ich selbst.“

„Wer bist du?“

„Du bist doch hierherum zu Hause?“

„Nicht fern von hier.“

„In deiner Wohnung siehst du mich ohne diese Larve. – Fort! fort! Hier ist kein Zögern ratsam.“

Rinaldo verlarvte sich. Schweigend ging der Pilger mit ihm. Jener tat verschiedene Fragen, die dieser nur ganz kurz beantwortete. – Sie kamen an die Schlucht, die zu dem Felsengange führte, der, wie wir wissen, hinauf zu der verfallenen Burg ging, die Rinaldo bewohnte. Er fragte:

„Kannst du ohne Furcht durch Schluchten mir und Felsengänge folgen?“

„Ich folge dir“, – war die Antwort.

Er folgte. – Sie erreichten die Ruinen. Rinaldo stand still und sagte: „Ehe ich dich in meine Wohnung führe, verlange ich von dir genannt zu sein, damit ich höre, daß du mich wirklich kennst.“

„Ich will dich Ritter de la Cintra nennen“, – war die Antwort.

„Jetzt nenne mich bei meinem wahren Namen.“

„Ich weiß, daß du Rinaldini bist.“

„Am Tone deiner Stimme höre ich, daß du Astolfo bist.“

„Der bin ich nicht.“

„So ist es Olimpia, die sich in diese Kutte steckte.“

„Auch diese bin ich nicht.“

„Du bist Olimpia. Ich kann mich gar nicht irren.“

„Du irrst dich. Olimpia bin ich nicht. – Führe mich nur auf dein Zimmer, – wenn es in diesen Ruinen Zimmer gibt, – dort siehst du mein Gesicht.“

Rinaldo ging voran, hinauf die alte Wendeltreppe. Der Pilger folgte ihm. Sie traten in Rinaldos Gemach.

„Hier sieht es ja ganz artig aus!“ – sagte der Pilger.

Rinaldo legte Larve und Kutte ab. Der Pilger hob die Finger und zeigte ihm geläufig der korsischen Partei gewählte Murra1, indem er fragte:

„Kannst du noch nichts erraten?“

„Ich sehe nur“ – antwortete Rinaldo, – „daß du zu der unglücklichen korsischen Partei gehörst.“

„Und weiter nichts?“

„Nichts weiter.“

„Hast du denn gar keine Ahnungen, keine Vermutungen?“

„Entlarve dich, wie du versprachst.“

„Du willst aber auch gar nichts tun, etwas durch Raten zu erfahren! So sieh denn mein Gesicht.“

Der Pilger nahm die Larve ab. Rinaldo sah den Gast betroffen an, der vor ihm stand, und langsam drängte sich der verwunderungsvolle, fragende Ausruf über seine Lippen:

„Du bist es?“

Es war Fiametta, die vor ihm stand. – Lächelnd fragte sie: „Nun kennst du mich doch? – Aber siehst du mich auch gern bei dir?“

„Du dich bei mir?“ – fragte er zurück.

„Ich bin doch wohl hier in Sicherheit?“

„So sicher wie ich selbst.“

„Du bist es?“

„Ich glaube es zu sein. – Doch nun erzähle mir, was du mir zu erzählen hast, ohne meine Fragen zu erwarten.“

„Nun dann, ganz kurz! – Wir wurden überfallen; wenn man das einen Überfall nennen kann, unvermutet arretiert zu werden. Auf Ansuchen des französischen Gesandten geschah alles. Der Prinz Nicanor war nicht bei uns. Ich war so glücklich zu entkommen, ehe wir noch nach Cagliari abgeführt wurden. Ich kannte einen geheimen Ausgang aus der Villa. Durch diesen entkam ich. – In Sorini ging ich als Haushälterin bei einem Landpfarrer in Dienst, wo mich die Gräfin Loriona sah, die mich zu ihrer Gesellschafterin erkor. – Sie war Witwe, lebte einsam auf dem Lande und ich zufrieden bei ihr. – Auf einmal durchflog der Ruf die Insel: Rinaldini steht an der Spitze einer –“

„Räuberbande“, – fiel dieser ein.

„– Gesellschaft entschlossener Männer“, – fuhr Fiametta fort. – „Dieses Gerücht drang auch in unsren ländlichen Winkel. Die Gräfin war Tag und Nacht in Unruhe. Stündlich befürchtete sie ausgeplündert, wohl gar ermordet zu werden. Sie jammerte und betete und war in einer Angst, die sich nicht schildern läßt.“

„Wie weit habe ich es gebracht! Alten Weibern sogar preßt mein Name Angstschweiß aus und ermuntert zum Gebet.“

„Ich fürchtete mich nicht. – Kommt er, dachte ich, so heißest du ihn willkommen und gibst ihm, was du hast, wenn er es verlangt, wo nicht, so kannst du es auch behalten.“

„Wie entschlossen!“

„Bei dir muß man es sein. – So aber, wie ich, dachte meine Gräfin nicht: sie grämte sich und härmte sich aufs Krankenlager. Hier lag sie lange, und Rinaldini kam nicht, wie ich es wünschte.“

„Ei! wenn er das gewußt hätte!“

„Über diesen Wünschen und Erwartungen starb die Gräfin, und ich war so verwegen, den aufzusuchen, der nicht kommen wollte. Dies ist gelungen.“

„Und nun siehst du dich umfangen mit den Höhlen des Unglücks.“

„Wer weiß, in welchem Kerker ich jetzt säß, wär’ ich nicht entkommen! Hier finde ich doch wenigstens einen freundlichen Kerkermeister; nicht wahr?“

„Wie aber, wenn man dich nun in einer Gesellschaft findet, mit der man gar nicht lange prozessiert?“

„Mit der korsischen Gesellschaft wird man sich auch nicht in Weitläufigkeiten einlassen. Hat man besonders gewisse Papiere gefunden, so sitzt kein Kopf zu fest, er fällt. Vielleicht hat man unsere Freunde schon nach Korsika abgeführt, vielleicht bestiegen sie schon längst in Bastia das Blutgerüst, denn die Franzosen sehen nur gar zu gern Blut. – Ob ich unter den Sarden oder unter den Augen mißhandelter Patrioten sterbe, das ist gleichviel. Wenigstens spannt man in Cagliari mich gewiß nicht auf die Folter, wie es unsere Unterjocher in Bastia und S. Fiorenza getan haben.“

Rinaldo ergriff rasch ihre Hand und sagte:

„Du bleibst bei mir!“

Sie fiel ihm um den Hals und rief: „Ich bleibe bei dir!“

Die Glocke an der Zugbrücke ertönte. Rinaldo bat Fiametten in ein Nebengemach zu treten und ließ die Brücke fallen. – Jordano kam. Er verlangte Befehle und das Losungswort. Ihm folgten Sanardo und Filippo.

Nebenan war Fiametta eine aufmerksame Zuhörerin des Gesprächs.

RINALDO Nun, Sanardo, bis du wieder aus den Bergen zurück?

SANARDO Hauptmann, es sind treffliche Berge; sie tragen Wein und Öl.

RINALDO Und auch wohl Früchte unseres wilden Gewächses?

SANARDO Ich habe nichts davon bemerkt. Einige verwachsene Sprößlinge möchte es wohl dort geben, Früchte tragen sie aber gewiß nicht.

RINALDO Wir könnten also dort Pflanzungen anlegen?

SANARDO Treffliche; sobald wir hier etwa delogiert werden sollten; denn man spricht verteufelt laut über uns und mit einer Lizenz, die mir gar nicht behagen will.

RINALDO Wer könnte es aber auch uns recht machen?

JORDANO Die es am wenigsten wollen. Sie tun uns in den Bann und kriechen in ihre Löcher. Ihr Wein hat keine Eskorte, und ihre Kirchen haben Fenster.

SANARDO Es heißt, der Statthalter wolle uns zeigen, wer er wär’.

RINALDO Will er das?

SANARDO Dein Name rouliert im Lande wie Scheidemünze. Man fürchtet dich, und dennoch wünscht jeder dich zu sehen.

RINALDO Ja, ja! – Welch ein Schauspiel voll Wonne für Cagliari, mich auf der Bühne zu sehen, wo das Hochnotpeinliche den Knoten zerhaut. Wie würde der Schmied jubilieren, der die Ketten zu fabrizieren hätte, mit denen man mich an den dreibeinigen Ehrenbogen mit einem Pendens cum latronibus heften würde. Die Inschrift über meinem Scheitel würde gewiß herzbrechend zu lesen sein!

JORDANO Ein Hic jacet könnte sie doch nicht haben.

FILIPPO An eine Fossa, Uma et Ossa würde auch nicht zu denken sein.

JORDANO Leichensteine wirft man uns allen nicht auf den Leib.

FILIPPO Aber zu Leichen können uns wohl Steine machen!

RINALDO Mein Wunsch ist, im Gefecht zu sterben.

FILIPPO Dann aber dürfen sie deinen Körper nicht finden, sonst wirst du dennoch zur Ausstellung gebracht.

SANARDO Ich habe sechs Galeerensklaven angeworben, Kerle wie Riesen, die sich durchgebrochen hatten. Sie waren sehr froh, als ich ihnen unsere Höhlen zeigte. Sie nannten sie Paläste der Freiheit und benetzten die H. Arega mit Tränen. Hauptmann, wenn solche Kerle weinen, da muß ihnen das Wasser bis an die Kehle gehen!

FILIPPO Auf den Galeeren, oft weit genug hinan!

SANARDO Diese fechten sicher für Herd und Höhle, wie der Teufel für Pfuhl und Stuhl und Hölle.

RINALDO Sie sollen uns ihre Kunst zeigen.

SANARDO Dazu kann es bald kommen. In Cagliari gießt man schon Pillen zu einem A is animas!2 für uns. Die Helden in den Wachttürmen drehen die Pillenschachteln, und der Erzbischof von Sassari hat seine Haus-Artillerie dem Gouverneur gratis offeriert; vermutlich, um – die königlichen Kanonen zu schonen, deren Donner wir nicht wert sind.

FILIPPO Oder weil der geistliche Herr auch einmal donnern will.

RINALDO Da sieht’s schlimm aus!

JORDANO Das Gewitter zieht sich zusammen.

RINALDO Sorgt für Proviant und Munition und schärft eure Klingen.

SANARDO Außer den Galeerenhelden habe ich auch noch einen Herkules mit mir hierher genommen. Er ist vom Handwerk. – Heda! Kamerad, tritt ein!

LODOVICO Mein Hauptmann!

RINALDO Lodovico!

LODOVICO Da hast du mich wieder, wie ich gewachsen bin!

RINALDO Wie ist es dir ergangen?

LODOVICO Miserabel! – Nach der entdeckten Münzaffäre dachte ich mich zu Cinthio zu schleichen; aber – fort war er. Ist er nicht entkommen, so ist er jetzt sicher dem Himmel näher als wir. Die Soldaten haben seiner ganzen Gesellschaft das Handwerk auf eine verteufelte Manier gelegt. Nero hängt bei Rizini in einer herrlichen Weingegend. Ich sah ihn. Das war für mich ein trauriges Memento mori! – Ein Schleichhändler nahm sich meiner an. Mit einer seiner Kornbarken kam ich nach Sardegna. Hier hörte ich deinen Namen nennen. Ha! dachte ich, hat der Hauptmann die Fehdehandschuhe wieder angezogen, so kann er dich auch brauchen. Ich quittierte meinen Dienst, kroch in die Berge und suchte dich auf. Da stieß ich auf einen deiner Leute. Männer vom Metier erkennen einander sogleich, und siehe da! – ich bin nun bei dir.

RINALDO Wenn du anderswo nicht besser sein kannst, so ist es mir lieb, daß du bei mir bist! – Geht, Kameraden, macht euch lustig! Bald bin ich bei euch im Tale.

„Du hast gehört“, – sagte Rinaldo zu Fiametten, als die andern fort waren, – „was wir zu hoffen haben. Bleibst du bei mir, so fällt dein Los mit dem meinigen. Wie es auch fallen mag, glücklich fällt es gewiß nicht.“

„Was habe ich zu hoffen?“ – fragte Fiametta, warf die Pilgerkutte ab und setzte entschlossen hinzu: „Ich gehe nicht mehr von hier.“

Rinaldo ließ sie in seiner Burg zurück und ging ins Tal zu seinen Leuten. Die Rekruten legten ihren Eid ab, und das Korps exerzierte. – Darauf visitierte Rinaldo die Höhlen und befahl, einen Weg, der nach dem Tale führte, unzugänglich zu machen.

Einer von den ehemaligen Galeerensklaven präsentierte dem Hauptmann Proben seiner Kunst in Verfertigung falscher Pässe und Siegel, die ihn auf die Galeere gebracht hatten. Er hatte es darinnen so weit gebracht, daß seine Geschicklichkeit mit Vergnügen angesehen wurde. Rinaldo beschäftigte ihn sogleich mit Verfertigung einiger Pässe, die er ihm angab.

Es wurden Streifpartien ausgeschickt. Der Hauptmann schärfte allen Behutsamkeit und Schonung der Armen ein. – Seine Vorposten stellte er weiter vor gegen das flache Land zu. Den Hauptposten gegen Marmilla zu vertraute er Jordano an. Filippo stand unweit Baronia, und gegen Mani zu lag Sanardo. – Die Weinlese war ergiebig. Früchte wurden in großer Menge eingebracht.

Der Winter war durchlebt; schon schmolz der Schnee auf den Bergen, und Lenz und Lerchen kamen wieder. – Rinaldo gebot jetzt 160 Köpfen und dehnte sich in den Bergen bis gegen Capra aus. – Die Bewohner von Oristagni wurden verlegen, man plünderte vor ihren Mauern.

Sanardo war so kühn, der Stadt selbst eine Brandschatzung von 4000 Stück Dukaten anzufordern, und drohte, würde man diese Summe nicht binnen vierundzwanzig Stunden bezahlen, mit Brand. – Der Bischof schrieb um Hilfe; die Bürger bewaffneten sich. Sanardo wiederholte seine Forderung; man trat in Unterhandlung. Es wurden 2000 Stück Dukaten bewilligt, doch verlangte man darüber eine von Rinaldini unterzeichnete Quittung. Ganz lakonisch schrieb dieser der Stadt:

„Soll Rinaldini selbst quittieren, so zahlt ihr viel zu wenig. Nur Sanardo wird über 2000 Stück Dukaten quittieren.“

Diese kecke Antwort brachte die Bewohner von Oristagni auf; sie ergriffen die Waffen, unterstützt von einigen Soldaten, und gingen auf Capra los. – Sanardo zog sich gegen Marmilla und vereinigte sich mit Jordano. Lodovico stieß zu ihnen. Hundert Mann standen gegen dreihundert Bürger und Soldaten. Der Bischof segnete im Tale vor der Stadt die Seinigen ein und gab ihnen eine geweihte Fahne. So versehen rückten sie an. Die Räuber hatten sich verschanzt und erwarteten einen Angriff. Rinaldo eilte ihnen zu, kam an und führte sie sogleich ins blache Feld. Man gab das Signal zum Angriff, Rinaldo blickte über sich und seufzte:

„Jetzt laß mich enden!“

Das Gefecht begann und wurde hitzig. Die Oristagner wichen. Ein Trupp Kavallerie sprengte herbei. Filippo wurde zurückgetrieben. Die Oristagner sammelten sich, rückten vor. Sanardos Leute wichen; umsonst bemühte er sich, sie zu sammeln; sie zerstreuten sich und flohen. Viele fielen.

Hartnäckig focht Rinaldo; überallhin bahnte seine Klinge sich den Weg. Wie Löwen kämpften neben ihm seine Leute. Viele fielen, viele wurden verwundet. Rinaldo wich nicht. – Ein Musketenschuß verwundete ihn: die Klinge entfiel der Hand; blutend lag er mitten unter den Feinden. Lodovico brach ein. Ihm folgten Sanardo, Filippo und andere Entschlossene, ihren Hauptmann zu retten. Mit Wut wurde um den Verwundeten gefochten. Sie wollten ihn retten oder sterben.

Das Gefecht war mörderisch. Hageldicht stürzten Streiche, ein Kugelregen umsauste die Kämpfenden. Jene wollten behaupten, was diese ihnen zu entreißen suchten.

Endlich wichen die Oristagner. Lodovico ergriff mit Jordanos Beistand den Blutenden und nun flohen alle tief in die Berge, in ihre Schlupfwinkel hinein, wohin die Oristagner sie nicht verfolgen mochten. – Vierzig Mann von Rinaldinis Leuten blieben auf dem Wahlplatz, einige wurden gefangen nach Oristagni geführt, viele waren verwundet. Aber auch die Oristagner beklagten sechzig Tote, und mit Wunden kehrten die meisten zurück.

Rinaldo wurde auf seine Burg gebracht, wo Fiametta den Verwundeten mit vieler Sorgfalt und Liebe wartete und pflegte. Er seufzte:

„Warum konnte ich meines Wunsches nicht froh werden! Warum blieb ich nicht auf dem Wahlplatz!“

„Um unsere Scharte uns wieder auswetzen zu helfen“, – sagte Sanardo.

„Um noch länger unser Hauptmann zu bleiben“, – setzte Filippo hinzu.

Das Gefecht bei Oristagni machte, was man leicht denken kann, in Cagliari Aufsehen. Zum Glück für die Geschlagenen, die jetzt ganz ruhig in ihren Winkeln sich verhielten, hatten sie es mit dem großsprecherischsten Stamm aller Sardenstämme zu tun gehabt, sonst würde ihr Untergang entschieden gewesen sein. Denn als der Gouverneur ernstliche Anstalten gegen die Räuber traf, erhielt er von den Bürgern aus Oristagni die Nachricht:

„Wir haben die Räuber geschlagen. Es ist beinahe keiner dem scharftreffenden Schwerte entflohen, der da sagen könnte: Die Bewohner von Oristagni haben uns geschlagen. Wir melden es dir daher. Die Räuber sind vernichtet, und Rinaldini selbst ist in unserer Gewalt. Respekt und Gruß!“

Die Oristagner wollten nun einmal den berühmten Räuberhauptmann in ihrer Gewalt haben, und so gaben sie einem der Gefangenen den Namen Rinaldini. Dieser selbst lächelte und ließ sich Rinaldini nennen. Davon zog er Vorteil. Jeder lief zum Gefängnis, den verrufenen, allbekannten Räuber zu sehen, und wer ihn sah, beschenkte ihn. Die Damen wetteiferten miteinander, dem vermeinten Held des Tages Wein, Kuchen, Torten und Früchte zu senden, und die Bewohner der benachbarten Städte und Dörfer strömten herzu, den Friedensstörer in Ketten zu sehen. Der Kerl, welcher Rinaldinis Rolle spielte, die er spielen mußte, benahm sich dabei so ziemlich. Ganz weislich sprach er nur wenig, stellte sich aber sehr demütig und unterhielt sich gern mit Franziskanern und Kapuzinern von dem, was droben ist.

Die Oristagner waren unentschlossen, auf welche ausgezeichnete Art sie dem Gefangenen sein Recht antun wollten. Schwert, Rad und Scheiterhaufen wollten ihnen nicht genügen, es sollte etwas ganz Sonderbares sein, das dem vermeinten Rinaldini den Garaus machen sollte. Die Richter konnten darüber nicht einig werden. Man wendete sich an den Statthalter in Cagliari. Dieser gab ihnen den Rat, den Verbrecher in Ketten aufzuhängen und dann seinen Kopf auf einen Pfahl zu stecken. – Man schob die Vollziehung dieses Urteils auf und fing wieder an zu deliberieren.

Indessen hatte einer der Gefangenen sich durchgebrochen und war entkommen. Von diesem erfuhren die Räuber, was in Oristagni vorging. Sanardo hatte die Verwegenheit, in korsischer Tracht als ein Reisender nach Oristagni zu gehen. Er ließ sich in den Kerker führen, sprach mit dem vermeinten Rinaldini, der ihn gar wohl erkannte, und steckte ihm eine Lanzette zu. Dieser wußte sie zu gebrauchen, öffnete sich die Pulsadern und eines Morgens fand man den Ungehängten tot auf seinem Lager. Dahin waren nun alle Erwartungen. Ganz still begruben die Oristagner den, über dessen Todesart sie nicht hatten einig werden können. Um aber doch der Nachwelt zu sagen, was sie wissen sollte, legte man auf Unkosten und Rech nung der Stadtkasse eine Platte auf sein Grab und bezeichnete sie mit den Worten:

Rinaldini, Centurio Latronum,

In Domino obdormivit,

In tumulo habitat,

In pace requiescat. Amen!

Darüber erhob sich ein großer Lärm. Der Statthalter befahl, die Platte hinwegzuschaffen. Der Magistrat wollte die Unkosten nicht umsonst gehabt haben und belegte die steinerne Platte mit einer hölzernen.

Rinaldo war hergestellt. In den Bergen wurde es nach und nach wieder lebhaft. Man kam zu sich. Die alte Wirtschaft begann wieder.

An einem schönen Morgen warf Rinaldo seine Doppelflinte auf die Schulter und stieg, als Jäger gekleidet, hinab ins Tal. – Bei einem Grenzsteine saß, vor dem nächsten Dorfe, ein weinender Greis. Mit diesem kam Rinaldo ins Gespräch. Er fragte, was ihm fehle. Der Greis jammerte: „Ach! lieber Herr! mir fehlt nur wenig, aber ich habe auch das Wenige nicht.“

„Rede!“

„Ich bin ein alter, schwacher Mann, habe weder Frau noch Kinder, und ein Hüttchen und ein Gärtchen sind mein ganzer Reichtum. Zu schwach und kraftlos, etwas verdienen zu können, borgte ich von einem reichen Nachbar eine kleine Summe nach der andern, wovon ich spärlich lebte, bis mein Hüttchen und mein Gärtchen aufgezehrt war. Ich dachte, bis dahin wird der liebe Gott dich wohl zu sich genommen haben; aber er hat’s nicht getan. Ich lebe noch und habe nichts mehr, wovon ich leben könnte. Morgen wird mein Hüttchen und mein Gärtchen meinem Gläubiger gerichtlich übergeben, und ich weiß nicht, wovon ich mich ernähren soll. Ach! ich soll betteln. Das kann ich nicht! Deshalb weine ich und rufe den Himmel an, mich zu sich zu nehmen.“

„Wieviel bist du deinem Nachbar schuldig?“

„Es sind, leider! 20 Dukaten. – Ich bin ein unglücklicher Mensch! Auch der liebe Gott will mich nicht haben.“

„Er will dir helfen.“

„Mir? – Wie? – Gott wird für mich kein Wunder tun.“

„Er wird dir helfen.“

„Womit?“

„Hier sind 30 Dukaten, bezahle deinen Gläubiger. Von dem Übrigen lebe dankbar gegen Gott. Für mich aber bete.“

„Ach Herr! seid Ihr ein Engel?“

„Ich bin ein unglückseliger Mensch. Hier ist das Geld. – Lebe wohl!“

Er gab ihm die Börse und eilte davon.

Einige hundert Schritte weiterhin fand er ein Bauernmädchen schlafend auf ihrem Graskorbe liegen. Er nahm den Blumenstrauß von ihrem Busen und legte ein Goldstück auf den beraubten Platz. Sie erwachte, fuhr auf und schrie:

„Mein Strauß! Mein Strauß!“

„Ich habe ihn bezahlt“, – sagte Rinaldo, auf das Goldstück zeigend, das von seinem hohen Platze herab auf die Erde gefallen war.

„Den Strauß bezahlt man mir nicht. Ich habe ihn geschenkt bekommen und verkaufe ihn nicht.“

„Wenn’s so ist! – Hier ist dein Strauß.“

Er gab ihr den Strauß, hob das Goldstück auf und steckte es zu sich. Das Mädchen sah ihn an und sagte:

„Wenn der Herr es mir recht hätte machen wollen, so mußte er mir den Strauß wiedergeben und dennoch das Goldstück auch lassen.“

„Ich gebe nichts umsonst.“

„Ich aber nehme es. – Diesen Strauß kann ich nicht verkaufen, aber einen Strauß, den ich selbst binde, den kann ich dem Herrn geben. – Wollt ihr den?“

„Zu einem solchen Geschenk gehört auch noch ein Kuß.“

„Verschenkt wird nichts. Aber bezahlt ihn der Herr, so kann er auch den Kuß bekommen.“

„Küsse bezahle ich nicht.“

„So habe ich auch keine wegzugeben.“

„Küsse bekommt man allenthalben umsonst.“

„Bei mir nicht. Entweder ich nehme andere dafür, oder Geld.“

„So werden wir des Handels nicht einig!“

„Wer ist denn der Herr?“

„Das siehst du mir nicht an?“

„Er sieht so aus – wie ein Jäger. Aber die Herren Edelleute tragen zuweilen auch solche Kleider, wenn sie mit uns Bauernmädchen ihren Scherz treiben wollen. Dabei kommt aber nichts Gutes heraus. – Hebe Er mir den Korb auf den Rücken, wenn Er so gut sein will!“

„Herzlich gern!“

Das geschah; das Mädchen ging nach dem Dorfe zu. Rinaldo ging mit ihr. – Sie sprachen mancherlei, und das Mädchen erzählte ihm, morgen sei bei ihrem Dorfe großer Markt.

„Es ist“ – sagte sie, – „die Jahresfeier des Namenstages der H. Claudia. Auf der großen langen Wiese, auf der ihre Kapelle steht, ist Markt. Da gibt es allerlei zu kaufen, und da hätte ich Euer Geld recht gut anwenden können.“

„Du sollst mich“, – antwortete Rinaldo, – „morgen auf dem Markte finden, und wenn du freundlich bist und artig, kaufe ich dir etwas.“

„Es wär’ doch besser, wenn ich es selbst kaufen könnte. Mein Schatz ist gar eifersüchtig. Ein Fremder darf sich mir nicht nahen; das leidet er nicht. Das Goldstück aber hätte ich gefunden gehabt, und er wüßte nicht, wie ich dazu gekommen war.“

Es kamen Bauern. Rinaldo drückte dem Mädchen die Hand und verließ sie, indem er sagte:

„Ich halte Wort!“

Er ging den Rain hinunter nach einem Wäldchen zu, wo er auf eine Eiche stieg und sanft in ihren dichten Zweigen ruhte.

Aus seinem Schlummer weckte ihn ein ziemlich lautes Gespräch. Zwei, dem Anscheine nach, ziemlich verwegene Kerle saßen unter der Eiche, auf welcher sich ein ungebetener Lauscher befand, und instruierten einander sehr laut. Man hörte sie im Doppelgespräch:

„Also – der Marquis hat pränumeriert?“

„Die Hälfte, wie ich dir sage! Hier ist dein Anteil. – Die andere Hälfte bekommen wir, sobald wir ihm den Schatz überliefern.“

„Du mußt mir den ganzen Zusammenhang der Affaire kundmachen.“

„Was ist dabei groß kundzumachen! Der Marquis liebt das Fräulein, und weil sie nicht auf eine andere Art zu haben ist, so läßt er sie entführen. – Morgen ist der Claudiens-Markt auf der großen Wiese bei Lienzo. Dahin kommt gewöhnlich der ganze benachbarte Adel, und dahin kommt auch, wie schon ausgekundschaftet ist, das Fräulein mit ihrer Mutter. Gegen Abend passiert sie auf dem Rückwege das Wäldchen, und dort wird sie entführt.“

„Wenn ich der Marquis Lomanieri wär’, ich ließ das Fräulein unentführt.“

„Das will er aber nicht. Sie ist schön; ihr Vater, der alte Baron Moniermi, ist der reichste Edelmann in der ganzen Gegend, und – da ist es schon der Mühe wert, ein Fischchen dieser Art zu erangeln.“

„Es wird einen schönen Lärm geben!“

„Was geht das uns an? – Für die Folgen haftet der Marquis.“

„Gesetzt aber, das Fräulein hat Bedeckung?“

„Die hat sie nicht.“

„Es reitet etwa ein Liebhaber neben ihrem Wagen her? – Dergleichen Herren haben besonders im Angesicht ihrer Liebchen verteufelt viel Courage!“

Sie sprangen auf und liefen schnell davon. – Einige Kohlenbrenner gingen vorüber und sprachen von den morgenden Vergnügungen auf dem Markte zu Lienzo.

Als sie vorüber waren, stieg Rinaldo von der Eiche und schlenderte seinen Ruinen wieder zu. Er hatte mancherlei im Kopfe. Besonders schien er etwas darauf setzen zu wollen, das Fräulein zu retten und die Entführung zu vereiteln.

Er ließ Lodovico und Sanardo kommen und sprach mit ihnen über den Markt zu Lienzo.

SANARDO Den Markt müssen wir allerdings besuchen! Aber zu diesem Besuche dürfen nur die Behutsamsten von uns gewählt werden.

RINALDO Diese magst du selbst wählen.

SANARDO Gut! – Die meisten können als Pilger passieren, denn deren kommen eine große Menge nach Lienzo. Andere sind Kohlenbrenner, Bauern, und einige sind als Zigeuner da. Bei diesem Zuge stecken wir auch einige in Weiberkleider, die, welche die längsten Finger haben.

RINALDO Du instruierst die Burschen.

SANARDO Gut! – Sie sollen ihre Sache schon machen.

RINALDO Ich habe auch etwas vor. – Du, Lodovico, wirst dich immer etwas nahe zu mir halten.

LODOVICO Soll geschehen!

RINALDO Du wirfst dich in Kavaliers-Kleider, was auch ich tun werde. Und weil Fiametta mir täglich anliegt, sie doch auch einmal zu einem kleinen Spaße mitzunehmen, so mag sie dich in Pagentracht begleiten.

FIAMETTA Allerliebst!

RINALDO Ihr seid zu Pferde wie ich, und beide wohlbewaffnet. – Nun wollen wir einmal sehen, wenn etwa Schüsse fallen müßten, ob der Page nicht vom Pferde fällt.

FIAMETTA Keine Sorge! Sie wird sitzen und auch schießen.

RINALDO Winke ich dir, Sanardo, so müssen zehn Mann sich fertig halten, dahin zu gehen, wohin ich sie schicke.

SANARDO Diese zehn sollen die Pilger sein.

RINALDO Ordnet an und setzt alles in Bereitschaft, damit die Expedition gut abläuft. Jordano und Filippo mögen die Pässe besetzen und wachsam sein, damit wir wissen, wo Hilfe steht, und daß keine Bönhasen sich in unsere leeren Nester schleichen können.




Fußnoten

1 La Murra, eine Zeichensprache mit Händen und Fingern

2 Aufruf der Saiden für die armen Seelen im Fegefeuer.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.