Siebzehntes Buch. - Aus den benachbarten Städten, Flecken und Dörfern, von Schlössern und aus Hütten strömten Menschen herbei auf den Wiesenmarkt von Lienzo. Käufer, Verkäufer, Pfaffen, Pilger, Edelleute, Damen, Bauern, Zigeuner und Beutelschneider ...

Siebzehntes Buch

In den Kreis erwünschter Träume
Tritt die holde Wirklichkeit,
Führt durch blumenvolle Räume
Zu dem Port der Sicherheit.


Aus den benachbarten Städten, Flecken und Dörfern, von Schlössern und aus Hütten strömten Menschen herbei auf den Wiesenmarkt von Lienzo. Käufer, Verkäufer, Pfaffen, Pilger, Edelleute, Damen, Bauern, Zigeuner und Beutelschneider wandelten, wie auf einem Karneval, in buntem Gewühle durcheinander und nebeneinander. Hier wurde gekauft, hier wurde gegessen und getrunken, dort tönte die sardische Pfeife, hier erklangen Zither und Triangel, und tanzlustige Füße stampften den Boden. Hier standen schöne Gezelte, und unter denselben webte die vornehme Welt; dort loderten Feuer, und dampfende Kessel standen darüber, gefüllt mit mancherlei Speisen, leckerhaft und einladend für sardische Gaumen und Magen. Bretterne Baracken und grüne Hütten waren mit Zechenden besetzt. In der Kapelle der heiligen Claudia gab’s Messen, geweihte Blumen und Absolutionen. Hier stand ein Wurmdoktor auf einer bretternen Bühne, verkaufte Kräuter, Salben und Öle, indes sein Lustigmacher die Käufer mit derben Schwänken unterhielt und die wunderbarsten Kuren seines Herrn auf Unkosten aller Könige in Europa erzählte. Dort hörte man Bänkelsänger schreckliche Balladen herkreischen. Nahe dabei bat sich ein lebendes Franziskaner-Geripp etwas zu Seelenmessen aus, die er für noch unerlöste Seelen zu lesen versprach. Kurz, das bunte Bild der belebten Welt schwebte auf dieser Wiese im kleinen.

Rinaldos Leute fanden sich zeitig ein und kaum waren sie angekommen, als schon mancher Marktgast seine Börse nicht mehr sah. Sanardo hinkte als Bettler an Krücken einher. Er bettelte selbst seinen Hauptmann an, der eben in ein Gezelt treten wollte, von dem er Geld erhielt, ohne daß er erkannt worden wär’. Das erfreute des Gauners Herz.

Rinaldo forderte Wein und kam mit einem jungen Manne ins Gespräch, der Uniform trug und in der vornehmen anwesenden Welt bekannt war. Von diesem erfuhr er die Namen der Edelleute und ihrer Damen. Endlich ward ihm auch die Baronin Moniermi nebst ihrer Tochter gezeigt. – Diese waren es ja, die er kennenlernen wollte; und nun ließ er sie nicht aus den Augen.

Er ging zwischen einer Reihe von Buden hin, als er das Bauernmädchen sah, mit der er Tages vorher gesprochen hatte. Er zupfte sie und fragte:

„Habe ich nicht Wort gehalten?“

Liana, so hieß das Mädchen, sah ihn an, musterte ihn vom Kopf bis auf die Füße und sagte lächelnd:

„Habe ich es doch gleich gesagt, daß der Herr kein gemeiner Jäger ist!“

„Es gibt auch vornehme Jäger.“

„O ja! – Warum nicht?“

„Ich bin da, Wort zu halten und dir etwas zu kaufen. Ist dein Schatz in der Nähe?“

„Nein! Der ist unter der Miliz, die den Platz bewacht und Ordnung hält. Nachmittag aber wird er abgelöst, dann wird er bei mir sein.“

„Wähle dir etwas. Was willst du haben?“

„Diese seidenen Tücher gefallen mir.“

„Das beste ist dein. Welches möchtest du haben?“

„Dieses.“

Rinaldo kaufte das bezeichnete Tuch und gab es ihr. Liana nahm es, sah es an und sagte:

„Das Tuch ist recht schön! Aber – wie soll ich nun dazu gekommen sein?“

„Du wirst schon was zu erdenken wissen! Du bist ja ein Mädchen.“

„Hinter der Kapelle bedanke ich mich.“

Sie warf das Tuch über und ging davon. Rinaldo folgte ihr nach. Hinter der Kapelle stand Liana, ergriff seine Hand, küßte sie und sagte:

„Ich erfülle mein Versprechen und danke für das schöne Tuch.“

„Rinaldo drückte lächelnd ihr die Hand, zog sie zu sich und küßte, indem sie sich wendete, ihr die Wange“. – Ein Kapuziner trat herbei; er drohte mit dem Finger. Liana schrie:

„Da haben wir’s!“

und sprang davon.

Der Kapuziner kam näher und sagte:

„Ei, ei! So hinter dem Rücken der Heiligen, der diese Kapelle geweiht ist! Das ist nicht gut! So etwas kann nicht erlaubt werden!“

„Es ist nun einmal geschehen!“ – antwortete Rinaldo lächelnd.

„So gebe man wenigstens einen Sühnpfennig in den Almosenstock der Kapelle.“

„Das soll geschehen.“

„Und – tue dergleichen nicht wieder.“

„Sie ist ja fort.“

„Kann aber wiederkommen.“

„Jetzt nicht.“

„Nie wieder. – Mein Sohn! sei genügsam. Wiederholter Genuß erweckt endlich Reue und Ekel.“

Er ging und Rinaldo trat in die Kapelle. Nach angehörter Messe bedachte er den Opferstock und sah sich hinter der Kapelle um, sah aber weder den Kapuziner noch, was ihm weit lieber gewesen wär’, die schalkhafte Liana.

Er fand sie endlich bei der Bude des Marktschreiers. Leise nahte er sich ihr und zwickte sie sanft. Sie sah sich um und lachte. Bald war sie aus dem Gedränge, und am Ende der Wiese fand er sie wieder. Sie sah sich fragend um:

„Es ist doch kein ehrwürdiger Herr in der Nähe?“

„Ich sehe keinen als mich.“

„Ich bin recht erschrocken, als wir vorhin überrascht wurden. Wir wollen uns hier nicht wieder sprechen. Wenn Ihr aber fleißig auf den Platz kommen wollt, auf welchem ihr mich gestern saht, so könnt Ihr mich wohl einmal wiederfinden. Doch vorher müßt Ihr mir sagen, wer Ihr seid.“

„Ich bin ein Fremder, und lange werde ich in dieser Gegend nicht mehr bleiben.“

Sie sah zur Erde und zupfte an dem Busentuche. Schweigend nahm sie den Strauß vom Busen, gab ihm denselben und sah ihn seufzend an, indem sie sagte:

„Dieser Seufzer gilt Eurer Abreise. Lebt wohl!“

Damit eilte sie rasch davon und verschwand in dem Menschengedränge.

Auf einmal entstand ein Lärm. Man hatte einen von Rinal dos saubern Gesellen auf der Tat ertappt, als er eben einer Beutel kapern wollte. Man hielt ihn fest. Die Miliz eilte herbei und nahm ihn in Empfang. Sanardo hinkte hinzu und gab einem entschlossenen Burschen einen Wink. Die andern kamen, das Gedränge wurde vermehrt; man preßte die Miliz hart an den Arrestanten, und ehe dieser es sich versah, wurde er so geschickt mit einem Stilett getroffen, daß er tot zu Boden sank. Man schrie, lärmte, fluchte, schimpfte, schlug aufeinander los, der Kerl blieb tot, und die Miliz trug den Kadaver davon.

Trompeten riefen zur Prozession. Die heilige Claudia wurde, auf einem hohen Gerüste sitzend, einhergefahren. Freundliche Mädchen streuten Blumen, Weihrauch dampfte in die Luft, geweihte Kerzen flammten und Hymnen ertönten der Heiligen zu Ehren. Der feierliche Zug ging über die Wiese von der Kapelle aus bis zum Dorfe. Die Zuschauer standen dicht auf beiden Seiten; mitten darunter die Baronin Moniermi, ihre Tochter Erminia und neben ihr Rinaldo ganz absichtlich.

Es konnte nicht an Bemerkungen fehlen; eine gab die andere. Den Blumenstreuerinnen wurden mancherlei Beifallsbezeugungen zugerufen. Rinaldo bemerkte:

„Die Mädchen machen Glück!“

„Sie entzücken“ – sagte Erminia, – „dreifach. Durch ihr Amt, durch ihre Blumen und durch sich selbst. Seht nur, wie artig, sogar wie schön einige dieser Mädchen sind!“

„Die Nähe“, – versetzte Rinaldo etwas leise, – „verdunkelt die Ferne.“

Erminia schlug die Augen nieder und sagte noch etwas leiser als er:

„Die Nähe ist nie so gefährlich als die Ferne.“

„Sie täuscht nicht.“

„Sie gibt sich, wie sie sich geben muß. Dabei bleibt ihr kein Verdienst.“

„Sich selbst bleibt sie, mit jedem holden Zauber ihrer Gegenwart.“

„Wir sind hier auf dem Lande.“

„Wo die Natur in schöner, kunstloser Fülle prangt!“

Erminia zeigte schnell auf einen Greis und rief aus:

„O! welch ein schöner Apostel-Kopf! Wär’ ich ein Maler, der Kopf stünd’ heute noch auf einem Petrus-Rumpfe.“ „Und ich“ – setzte Rinaldo hinzu, – „würde als Maler auch meine Madonna gefunden haben.“

„Doch unter jenen Mädchen?“

„Auch jetzt noch näher!“

„Ein Künstler darf kein Schmeichler sein!“

Sie sprach etwas zu ihrer Mutter. – Der Zug war vorüber; die Zuschauer gingen auseinander.

In den Gezelten wurden die Tafeln gedeckt. Rinaldo verlor seine Schöne nicht aus dem Gesichte. – Man setzte sich zu Tische. Erminia sah sich um. Rinaldo stand hinter ihr. Sie griff nach einem Stuhle, sie saß; Rinaldo neben ihr; sie neben ihrer Mutter. Bei Tische wurde viel gesprochen. Erminia sprach wenig, noch weniger ihr Nachbar. – Der Nachtisch kam.

„Wir haben viel gehört“, – sagte Erminia.

„Ich“ – antwortete Rinaldo, – „war so glücklich, mit meinen Augen zu hören.“

Sie schwieg. – Die Tafel ward aufgehoben. Die Gesellschaft zerstreute sich.

Das Fräulein trat an eine Glücksbude. Er folgte ihr auch dahin. Sie lächelte:

„Ich bin im Spiele nicht glücklich, und dennoch wage ich gern etwas im Spiele des Glücks.“

Sie nahmen beide Lose. Erminia gewann ein Paar Pistolen. Rinaldo einen schönen Fächer.

„Wie sonderbar!“ – lächelte das Fräulein.

Rinaldo bot ihr einen Tausch an, der auch sogleich getroffen ward.

„Um zu verwunden“, – sagte er, – „bedürft Ihr keines Gewehrs. Auch Anadyomene ist unbewaffnet, und ihr gehorcht der Erdkreis. – Ich nehme diese Pistolen und weihe sie Eurer Verteidigung.“

ERMINIA Vielen Dank, edler Ritter! – Doch hoffe ich, es wird so arg nicht kommen.

RINALDO Ich halte Wort.

ERMINIA Aber ich muß meinen Ritter auch kennen. Aus dieser Insel seid Ihr nicht.

RINALDO Ich bin ein Römer.

ERMINIA Und ein Ritter?

RINALDO So ist es. Ostiala ist mein Name.

ERMINIA Schon lange auf der Insel?

RINALDO Einige Wochen.

ERMINIA In Geschäften?

RINALDO Auf Reisen.

ERMINIA Doch habt Ihr wohl an Höfen viel gelebt? Wenigstens sagt dies Euer Ton.

RINALDO Ich liebe das Land, die Natur, und verehre die Schönheit.

Das Gespräch war geendigt. – Der Abend nahte sich. Sanardo machte sich kenntlich.

„Die Pilger sind bereit“, – sagte er.

Rinaldo bestimmte den Platz, auf den sie sich begeben sollten, und bezeichnete den Wagen und die Personen, die zu beobachten waren. Lodovico und Fiametta fanden sich ein. Filippo hatte Händel mit einigen Vagabunden gehabt. Sanardo zog seine Leute zusammen. Sie gingen nach ihren Bergen, Lodovico und Fiametta folgten ihnen, wie Rinaldo befahl.

Der Wagen stand angespannt. Die Baronin und Erminia stiegen ein. Rinaldo ließ sich nicht sehen. – Schon war der Wagen ihm aus den Augen, als er sein Roß bestieg und davonjagte. – Vor dem Walde holte er den Wagen ein.

Es wurde dunkler. Erminia hörte Hufschlag. Sie blickte aus dem Wagen. Rinaldo erschien am rechten Kutschenschlage; das Fräulein rief:

„Ei, seht doch, Mutter! meinen Ritter.“

„Ich halte Wort“, – sagte er. – „Der Wald ist lang, es wird dunkler, und meine und Eure mir geschenkten Pistolen sind geladen.“

Mutter und Tochter dankten sehr höflich. Das Fräulein fuhr fort:

„Schon glaubte ich Euch verschwunden.“

Die Mutter aber fragte sehr naiv:

„Ihr reitet aber doch nicht um?“

„Ein Fremder ist allenthalben daheim“, – antwortete Rinaldo.

Es erfolgte eine Pause. – Im Walde wurde laut gepfiffen. Die Damen fuhren erschrocken zusammen. Rinaldo hörte das ihm bekannte Zeichen. Er wußte nun, daß seine Leute ihm zur Seite im Walde waren.

„Was war das?“ – stammelte Erminia.

„Ein Wanderer vielleicht“, – sagte Rinaldo, – „der sich die Zeit vertreibt.“

„O nein! Es war ein Schreckenston für jedes Wanderers Ohr.“

„Fürchtet nichts!“

Ein nahes Geräusch. Es rauschte durch die dürren Blätter des Bodens wie menschliche Fußtritte; es kam näher, zwei Kerle wurden sichtbar. – Sie nahten sich dem Wagen.

„Legt die Waffen ab!“ – schrie Rinaldo, indem er mit gezogenem Gewehr auf sie zu ritt.

Der eine wollte Feuer geben. Das Pulver flog von der Pfanne auf, der Schuß versagte.

Besser traf Rinaldo. Der Kerl stürzte sogleich zu Boden. Der andere fiel bittend auf die Knie. Rinaldo ließ ihn von den Bedienten binden und auf den Wagen setzen. Ein Bedienter, den Rinaldo bewaffnete, saß neben ihm; dem Kutscher rief er zu, rasch darauf loszufahren, und seine Gesellen im Walde erhielten von ihm das Zeichen ihrer Entlassung.

Der Wagen hielt vor dem Schlosse des Barons Moniermi. Man stieg aus. – Die Damen klagten dem Baron ihren Unfall und stellten ihm ihren Retter vor. – Der Baron empfing ihn herzlich. Rinaldo nahm bescheiden jede Lobeserhebung an, die man ihm zollte.

Der Gebundene ward vorgeführt. Er sagte aus, was wir schon wissen, und ward ins Schloßgefängnis gebracht. – Man legte sich spät zur Ruhe und stieg des Morgens sehr spät auf.

Rinaldo fand den Baron, seine Frau und Tochter beim Frühstück in einem Pavillon des Gartens.

BARON Mein Herr Ritter, indem ich Euch nochmals danke, bezeige ich Euch zugleich meine Verlegenheit, denn ich muß Euer Schuldner bleiben und weiß nicht, womit ich –

RINALDO Ohne Verlegenheit, Herr Baron! Jeder Mann von Ehre würde getan haben, was ich tat. Ein Reisender muß dergleichen Auftritte beständig vor Augen haben. Es konnten mich Räuber anfallen, und ich würde mich auch gewehrt haben.

ERMINIA Aber ihr wagtet Euer Leben für eine Unbekannte, die –

RINALDO Für eine Dame zu kämpfen, ist Ritterpflicht, gleichviel, sei sie auch eine Unbekannte!

ERMINIA Ihr seid auf Reisen, wir sehen einander vielleicht nie wieder, aber immer wird mein Herz dankbar für meinen Retter schlagen!

BARONIN Mutter und Vater danken Euch die Rettung ihres einzigen Kindes!

Man lustwandelte im Garten umher, und kaum sah Rinaldo sich mit dem Fräulein allein, als es zu einer wechselseitigen Unterhaltung kam.

ER Noch habe ich eine Bitte an Euch, mein Fräulein!

SIE An mich? Geschwind die Bitte!

ER Stellt dem mich vor, für den ich Euch rettete.

SIE Ihr kennt schon meine Eltern.

ER Doch den nicht, dem Euer Herz –

SIE Mein Herz ist noch mein, so wie meine Hand.

ER Ich darf nicht zweifeln, weil Ihr’s sagt, wie gern ich auch zweifeln möchte.

SIE Ich wiederhole es, mein Herz ist frei und meine Hand ist mein.

ER Wenn Ihr dereinst diese teuern Pfänder Eurer Liebe verschenkt, so –

SIE Ihr brecht ab?

ER Mein Fräulein! Das, was ich sagen wollte, darf ich als – Die Mutter kam. – Rinaldo zog die Uhr und sprach von seiner Abreise.

„Wir meinten“, – sagte die Baronin, – „unsern uns so werten Gast einige Tage bewirten zu können.“

„Ich muß“, – versetzte Rinaldo, – „zu meinem Gepäck, zu meinen Leuten. Doch das Vergnügen, mich unter so guten Menschen länger zu sehen, kann ich mir unmöglich rauben. Wir sehen uns wieder. Ich komme zurück.“

Das mußte er versprechen. – Schon als er auf dem Pferde saß, wurden Bitte und Versprechen wiederholt. Erminia bestimmte sogar die Zeit des Wiedersehens.

Rinaldo kam bei seinen Gesellen an. Der Markt hatte etwas eingetragen. Die Teilung ging, wie gewöhnlich, gewissenhaft vor sich. – Einige Tage blieb es ruhig.

Liana fiel dem Hauptmann wieder ein. Er ging aus, sie zu sprechen, und fand sie wirklich da, wo er das erstemal sie gefunden hatte. Sie lächelte ihm entgegen:

„Da sehen wir uns ja doch wieder!“

Im Grünen saßen sie. – Liana sprach von dem Markt und erzählte ihm, wie sie sich divertiert habe. Darauf bemerkte sie: „Ich sah Euch wohl mit einem schönen Fräulein fleißig sprechen. Die hat sicher etwas mehr als ich von Euch bekommen!“

„Auch nicht einmal, wie du, ein seidenes Tuch!“

„Das macht Ihr mir nicht weis! – Ich denke immer –“

„Was denkst du?“

„Sie wird es, denke ich, mit Euch wie ich mit meinem Lorenzo machen.“

„Wie?“

„Zu meinem Manne mache ich ihn.“

„Und wozu machst du mich?“

„Euch mache ich, wenn Ihr noch dann in der Gegend seid, zu einem Hochzeitsgast.“

Sie stieg auf, nahm ihren Korb und wollte gehen. Eine Frage schwebte ihr auf den Lippen, die sie aber sichtbar unterdrückte. Endlich sagte sie:

„Übers Jahr um diese Zeit wollen wir sehen, wie es mit uns aussieht!“

Rinaldo seufzte. – Liana lächelte:

„Wohin wohl dieser Seufzer flog!“

„Dir nach.“

„Ich nehme ihn mit und gebe Euch einen andern dafür.“

Schnell ging sie fort, doch zweimal blieb sie auf dem Wege stehen und sah sich nach ihm um.

Rinaldo streckte sich ins Gras. Seine Phantasie trug ihn zu der schönen Erminia. Lange verweilte er bei ihr. Unmutig begann er endlich:

„Was willst du tun? – Du willst sie wiedersehen? – Du willst sie täuschen? – Mußt du das nicht? – Wirst du nie dich ändern? – Schämst du dich nicht? – Ende, ende!“

Er sprang auf. Langsam ging er seinem Aufenthalte zu. – Fiametta, in männlicher Tracht, kam ihm entgegen.

„Man fragt nach dir und sucht dich allenthalben“, – sagte sie.

Jordano kam.

„Hauptmann!“ begann er, – „Wir suchen dich! – Es kann viel geben.“

„Wieso?“

„Ich habe es ausgekundschaftet. Als Bettler verkleidet schlich ich nach Oristagni, und dort erfuhr ich es. – Ein Schiff ist eingelaufen und hat drei Fässer mit Geld ausgeladen. Dies Geld wird morgen früh zu dem Statthalter nach Cagliari gebracht. – Nun frage ich dich in meinem und deiner Leute Namen: Soll der Statthalter diese Geldfässer bekommen oder nicht? – Was uns betrifft, so meinen wir alle, er soll sie nicht bekommen.“

„Ihr wollt euch also die Hunde selbst an den Leib hetzen?“

„Über lang oder kurz spüren sie uns doch wieder einmal auf.“

„So nehmt das Geld.“

Jordano zog sogleich seine Gesellen zusammen. Gegen Abend rückten sie in die Weinberge vor Marmilla. – Der Tag brach an; sie zogen der Landstraße zu. Alle Büsche und Gräben waren belegt. – Die Geldwagen kamen, begleitet von 20 Reitern. – Jordano brach hervor. Es kam zu einem hartnäckigen Gefecht. Zuletzt behaupteten die Räuber den Platz und führten die Geldwagen in die Gebirge.

Dieses Wagestück brachte ganz Oristagni und Cagliari in Bewegung. – Der Statthalter ließ Soldaten ausrücken. Die Oristagner bewaffneten sich eilig.

Am dritten Tage waren die Berge von dreihundert Soldaten und fünfhundert Mann Miliz umsetzt. Diesen konnte Rinaldo kaum achtzig Mann entgegenstellen.

Die Soldaten drangen gegen die Pässe vor. Sie fanden einen Widerstand, den sie nicht zu finden geglaubt hatten; doch ihr Geschütz entschied, und die Pässe wurden forciert. Jetzt zogen alle Truppen sich in das Gebirg hinein. Rinaldinis Leute flohen in ihre Löcher.

Rinaldo sah, daß er sich nicht halten konnte. Er gab Fiametten Geld und Edelsteine. Er bat sie, sich zu retten. – In eine Pilgerkutte gehüllt floh sie. In Lode hoffte sie ein Schiff zu finden, und Malta war der Platz, den Rinaldo ihr bestimmte, ihn dort, käm’ er in dem bevorstehenden Gefecht davon, zu erwarten.

In einem kleinen Tale mitten im Gebirge zog Rinaldo sein Häuflein zusammen. Hier ward er angegriffen. Drei Stunden dauerte das Gefecht; er mußte weichen und floh mit zwanzig Mann auf seine Burg.

Hier verteilte er, was von Werte noch zu verteilen war, um sie mutig zu machen, für den Besitz ihrer Schätze zu streiten, und erklärte ihnen, daß er entschlossen sei, bis auf den letzten Atemzug sich zu verteidigen. – Alle schwuren ihm zu, mit ihm zu leben und zu sterben. – Wie war aber auf Menschen zu rechnen, die sich selbst keinen Glauben, keine Treue abgewinnen konnten?

Rinaldo mochte wohl selbst ebenso denken, denn er wurde sehr vorsichtig und beobachtete seine Gesellen genau.

Eines Abends schlich er dem verborgenen, unterirdischen Gange zu, der ein Geheimnis für seine Gesellen blieb, wo er seine Kostbarkeiten verborgen hatte, um sein getreues Roß zu füttern, das dort versteckt war. Als er zurückkam, hörte er bei einem Schutthaufen im Schloßhofe sprechen. Er kroch hinter eine Mauer. Da wurde er Zuhörer einer sonderbaren Unterredung zwischen einigen seiner sauberen Kameraden.

„Ich will euch alles“ – sagte der eine derselben, der der Sprecher zu sein schien, – „ganz kurz darstellen. Wozu sollen unsere Verteidigungsanstalten dienen? Unsren Schutthaufen werden die Soldaten bald erstürmen. Wir sitzen dann alle auf Rädern. Der Hauptmann selbst ist verloren. Laßt uns an unsere Selbstrettung denken. Wir wollen akkordieren; den Hauptmann liefern wir aus und erhalten Freiheit und Pardon. Dann können wir unser Geld anwenden, wozu wir wollen, und entgehen dem Galgen auf die beste Manier.“

Man sprach hin und her, und endlich gab man dem Sprecher Beifall.

Rinaldo, der so etwas schon längst befürchtet hatte, zog sich in seinen Gang zurück, führte sein gesatteltes Roß sich nach, nahm seine Kostbarkeiten zu sich, setzte sich auf, trabte davon und überließ die Verräter ihrem Schicksal.

Auf dem Schlosse des Barons Moniermi treffen wir den Entflohenen wieder an, wohl aufgenommen, freundlich bewirtet, in Gesellschaft der schönen Erminia, die es sich selbst gestehen mußte, daß sie gern in der seinigen war.

In das Schloß kam die Nachricht, in einer zerstörten Feste sei endlich Rinaldini mit dem Überrest seiner Leute gefangengenommen und nach Oristagni geführt worden.

„Ich habe“, – sagte der Baron, – „ob er gleich ein Räuber ist, dennoch Mitleid mit Rinaldini. Er hat, wie man erzählt, auch eine sehr großmütige Seite gehabt und ist gegen Arme mitleidig gewesen. Das ist es, was mir an ihm gefallen hat!“

„Nur ein großmütiger Mann, Herr Baron“, – begann Rinaldo, – „kann selbst an einem Räuber etwas bewundern, das großmütigen Handlungen ähnlich sieht. Wenigstens hat sicher Rinaldini die meisten derselben mit Eigennutz ausgeübt. Da Tausend so schlecht von dir sprechen, – sagte er vielleicht bei sich selbst, – so sollen doch wenigstens auch einige Wenige gut von dir reden; dies könnte doch wohl einigen Eindruck machen, einige Entschuldigung geben. – So nehme ich die Sache.“

BARON So werden sie die meisten Menschen nehmen. Ich aber habe noch eine Seite, von der ich sie betrachte. – Vielleicht war Rinaldini durch irgendeinen Unglücksfall in seine Lage gekommen. Die Bahn des Lasters ist breit, er wandelte dieselbe mit Bequemlichkeit. Als er aber dennoch endlich zu sich kam und zurückgehen wollte, war es zu spät.

RINALDO Ja, ja!

BARON Um also nur in etwas gleichsam sich selbst zu entsündigen, – wenn man so reden darf, – wurde er edelmütig.

RINALDO Das ist sehr möglich!

BARON Mir ist es äußerst wahrscheinlich, und ich glaube es sogar.

RINALDO Wenn er aber nun, wie man erzählt, von jeher, ehe er sich am Ziele seiner Räubertaten sah, so handelte?

BARON So brachte er ein gutes Herz mit in seine Wälder, und Gutes zu tun, war ihm gleichsam angeboren.

RINALDO Er soll wirklich mitleidig gewesen sein.

ERMINIA Wenigstens sehr zärtlich. – Von seinen Liebschaften erzählt man viel.

RINALDO Man weiß allenthalben viel von ihm zu erzählen. In Florenz, in Rom, in Neapel und in ganz Sizilien spricht man von ihm. Und, was das Sonderbare ist, man erzählt größtenteils nur Gutes von ihm.

ERMINIA Die Menschen sind sehr gefällig, wenn man nur ihre Aufmerksamkeit zu erhalten weiß.

BARON Mein Vater war ein Florentiner. Er verließ sein Vaterland. – Ich hatte in Florenz Familienangelegenheiten zu berichtigen, und als ich dahin ging, machte ich einst in den Apenninen eine merkwürdige Bekanntschaft mit einem Klausner, Donato genannt. Dieser kannte Rinaldini genau. Er hat mit mir viel von ihm gesprochen. – Diese Nachrichten haben mich, ich kann es nicht leugnen, sehr für ihn eingenommen, und ich glaube, ich hätte beinahe selbst gewünscht, seine Bekanntschaft zu machen, wenn er allein und ohne Gesellen zu sehen gewesen wär’. In unserer Nähe will man ihn allenthalben gesehen haben; doch bis zu meinem Schlosse hat er sich nicht verirrt.

Ganz unvermutet gab Rinaldo diesem Gespräch eine andere Wendung, indem er Erminias Stickerei bewunderte.

Nach Tische sprach man von einem Besuche, den man erhalten würde, und ehe Rinaldo noch den Namen des Gastes erfuhr, trat dieser selbst ins Zimmer. Es war der Marquis Reali, den wir kennen. – Betroffen trat er einen Schritt zurück, faßte sich aber schnell, ging auf Rinaldo zu und fragte: „Treffen wir uns hier?“

„Eine Bekanntschaft?“ – fragte der Baron.

„Eine interessante Bekanntschaft“, – antwortete der Marquis lächelnd und wendete sich zu den Damen.

Der Baron fixierte den vermeinten Ritter Ostila, und dieser war nicht ganz ohne Verlegenheit. – Der Marquis stattete Erminien seine Glückwünsche wegen ihrer Befreiung ab und erzählte, der Marquis Lomanieri habe die Insel verlassen.

„Es war“ – fuhr er fort, – „in der Tat ein Unternehmen, welches dem Marquis Lomanieri teuer würde zu stehen gekommen sein! Er ist, sagt man, nach Turin gegangen, um dort bei dem König um Gnade zu bitten.“

BARON Meine Berichte an den König werden eher dort eintreffen als er. Ich verlange Satisfaktion und muß und werde sie erhalten.

MARQUIS Gewiß!

BARON Der Marquis darf ungestraft meine Ehre nicht angetastet haben.

MARQUIS Natürlich!

ERMINIA Ohne den tapferen Beistand dieses Herrn, den Ihr kennt – wär’ das abscheuliche Unternehmen sicher geglückt.

MARQUIS O! es durfte nicht glücken! Der Himmel hält stets sein schützendes Schild über Schönheit und Tugend.

Der Marquis nahte sich einem Fenster. Rinaldo trat schnell hinzu. – Die Damen zogen sich zurück. Erminiens Augen blieben bei den Sprechenden; der Baron wurde nachdenkend.

„Herr Marquis“, – sagte Rinaido, – „Ihr kennt mich; Ihr wißt, wer ich bin. Hier kennt man mich als den Retter des Fräuleins und nennt mich Ritter Ostiala. Es steht bei Euch, meinen wahren Namen zu entdecken; ich kann nichts dagegen haben, da ich dies selbst bei meiner Abreise tun wollte. Was ich für den Baron tat, berechtigt mich, Anspruch auf seine Dankbarkeit zu machen. Ihr habt gegen mich keine Verbindlichkeit. Aber ich bitte Euch, bringt uns alle nicht in Verlegenheit! Meine Leute sind in der Nähe, und die Not könnte uns etwas erlauben, was wir und ihr alle bereuen würden.“

„Ich habe Pflichten gegen den Staat“, – erwiderte der Marquis, – „die ich erfüllen muß, will ich nicht selbst schuldig erscheinen. Das Wenigste, was ich tun kann, ist, – dem Baron zu sagen, wer sein Gast ist.“

„Ihr wollt ihn also in Verlegenheit setzen?“

„Kennt Ihr die Befehle der Regierung?“

„Sie werden Euch gebieten, mich ihr zu überliefern?“

„So ist es.“

„Wie könnt Ihr das?“

„Wie?“

„Wagt Ihr nicht Euer Leben? – Ich kann mit Euch nicht scherzen, wenn Ihr es ernstlich meint. Ihr fallt zuerst.“

„Was wagt Ihr, mir zu sagen?“ – schrie der Marquis laut und griff an den Degen.

„Mich treibt die Not!“

Der Baron trat herzu.

„Ich will nicht hoffen“, – sagte er, – „daß zwischen Euch ein Mißverständnis –“

MARQUIS Kein Mißverständnis! Wir kennen uns, und mir gebietet die Pflicht –

RINALDO Was sie jetzt, da die Sache so weit gekommen ist, mir selbst gebietet, Euch meinen wahren Namen zu nennen.

BARON Ihr habt uns hintergangen?

ERMINIA Ihr seid der Ritter Ostiala nicht?

RINALDO Der bin ich nicht.

BARON Ihr gabt Euch einen falschen Namen?

MARQUIS Es ist der erste nicht. Der letzte aber kann es sein. – Baron! Ich bin verbunden, diesen Mann –

RINALDO Nun bedarf es weiter keiner Umschweife. – Ich bin Rinaldini.

Das Fräulein sank auf ein Sofa; laut auf schrie die Baronin. Der Baron trat betroffen zurück, indem er sagte:

„Marquis! Ihr habt uns allen keinen Gefallen getan.“

MARQUIS Ihr kennt, wie ich, die Befehle der Regierung. Ich kenne sie auch und weiß, was ich zu tun habe.

RINALDO Tut, was Ihr tun müßt.

BARON Marquis! – In welche Verlegenheit stürzt Ihr uns alle! Meine Dankbarkeit kämpft mit der Pflicht, den Retter meiner Tochter der Obrigkeit zu überliefern.

RINALDO Herr Baron! Ich kann nur mit Gewalt Euch Eurer Verlegenheit entreißen. – Ich öffne dieses Fenster. Ein Schuß, und meine Leute dringen ins Schloß. Mein Leben verkaufe ich teuer. Der Marquis fällt, wenn man sich mir feindlich naht. Furcht kenne ich nicht, und jetzt heißt die Not mich morden.

BARONIN Mein Gott! läßt sich kein Ausweg treffen?

RINALDO Nur einen Ausweg wüßte ich.

BARONIN O! nennt ihn, gebt ihn an!

RINALDO Laßt von meinen Leuten mich hier abholen. Ihr weicht dann der Gewalt und habt keine Verantwortung zu fürchten.

MARQÜIS Ihr schwört, daß Eure Leute sich keine Gewalttätigkeiten erlauben.

RINALDO Das kann ich nicht, selbst um Euretwillen nicht. Gewalt muß mich befreien, sonst könnte man das Ganze für Spiegelfechterei erklären. Der Marquis läßt sein Leben, und um das meinige wird gekämpft. – So weit habt Ihr es selbst getrieben, Herr Marquis! Ich habe keine Schuld.

Er spannte, als er dies sagte, ein gezogenes Terzerol und riß das Fenster auf.

„Haltet ein!“ – schrie Erminia.

BARON Keine Übereilung!

RINALDO Ich werde, was ich tun muß, ewig bereuen. Aber, zwingt man mich nicht, es zu tun?

BARON Marquis! – Nur Ihr könnt uns alle retten.

MARQÜIS Wie könnte ich das?

BARON Unter uns bleibt alles. Ihr gebt Euer Ehrenwort, von diesem unglückseligen Vorfalle nie zu sprechen. – Wer könnte uns verraten?

Der Marquis wollte sprechen, als der Kammerdiener der Baronin eintrat und meldete, der Gärtner habe zwei verdächtige Vermummte um die Gartenmauer schleichen sehen.

Dieser glückliche Zufall machte dem Gedrängten Luft. – Der Baron stammelte:

„Der Gärtner soll die Vermummten genau beobachten!“

Der Kammerdiener ging. Rinaldo redete:

„Meine Leute haben den Marquis gesehen, sie ahnen, was mir bevorsteht. Ihr seht, sie sind wachsam. Zum Unglück kommandiert sie Jordano, der unbändigste meiner Gesellen, der mir schon oft großen Kummer durch seine Wildheit verursacht hat.“

BARONIN Er wird doch nichts ohne Order unternehmen?

RINALDO Ich hoffe und wünsche es nicht. Wie kann ich’s aber ändern, wenn es geschieht?

BARONIN Gebietet ihm, sich zu entfernen.

RINALDO Ich kann, ich darf das nicht.

BARONIN Marquis! – Ich fordere von Euch –

MARQÜIS Wenn ich –

BARONIN Ihr könnt uns retten.

ERMINIA Gebt Euer Wort!

Der Jäger trat ein. Man sehe, sagte er, Bewaffnete im Wäldchen hinter dem Garten.

„Beobachtet sie!“ – sagte der Baron ängstlich.

Der Jäger ging. Rinaldo sah den Marquis fragend an. Dieser erklärte sich, sein Wort zu geben, wenn Rinaldo ihm das seinige geben wolle, sich nicht an ihm oder an seinen Gütern zu rächen.

ERMINIA Das wird er nicht tun!

RINALDO Ich gebe Euch, was Ihr verlangt. Nie werde ich mich an Euch oder an Euern Gütern rächen, solange Ihr schweigt. Wolltet Ihr aber –

MARQÜIS Ich brach noch nie mein Wort. – Es bleibt alles unter uns.

RINALDO Herr Baron! Laßt mein Pferd vorführen. Ich scheide von Euch mit dankbarem Herzen. Ihr wißt, was Ihr von mir gesprochen habt, ehe Ihr mich kanntet. Ach! was empfand ich, als ich Euch so sprechen hörte! – Der Räuberhauptmann hat ein Herz und weiß dankbar zu sein. Lebt wohl! Mein unglückliches Schicksal treibt mich von allen meinen schönen Plätzen, aus allen Wohnungen des Friedens. Ach! wo schöne, edle Seelen weilen, darf ich nur im Geiste sein. So bin ich stets bei Euch. Beklaget mich, verdammt mich aber nicht! Schenkt Euer Mitleid einem Unglücklichen, der nirgends sicher ist, der nie sich zeigen darf, ohne Schrecken und Verwirrung zu verbreiten. Diese Gefühle drücken mich zu Boden. Schenkt, wenn Ihr dürft, mir Eure Freundschaft, und lebt wohl!

Tränen in den Augen, verließ er das Zimmer. Ihm folgte der Baron.

Im Wäldchen hinter dem Schlosse wurde geschossen. Dragoner wurden sichtbar.

„Der rechte Flügel meines Schlosses“ – sagte der Baron, – „ist an ein altes Gebäude angebaut, das ich aus mehr als einer Ursache noch nicht habe abreißen lassen. Dorthin bringe ich Euch. Dort seid Ihr sicher. Ich selbst werde es weder an Nachfrage noch an Verpflegung fehlen lassen. Den Soldaten jage ich Euch nicht entgegen. Ist der Marquis abgereist, und die Gegend ist von Soldaten geräumt, dann – mögt Ihr reisen.“

Rinaldo dankte dem Baron schweigend, mit Blick und Händedruck, und folgte ihm über den Hof. – Sie kamen in das alte Gebäude. Der Baron verschloß die Türen und ging zur Gesellschaft zurück.

Der Marquis war sehr verstimmt und nahm, mit Wiederholung seines Versprechens, Abschied. Erminia ließ sich zu Bette bringen. Die Baronin klagte Kopfweh.

Rinaldo befand sich in einem getäfelten, mit gemaltem und vergoldetem Schnitzwerke verzierten Zim mer, versehen mit wenigen und alten Möbeln. Auf einigen Wandleuchtern staken Wachslichter, welche die Zeit ihres Nichtgebrauchs ganz braun gemacht hatte. Die Seitentür des Zimmers führte in einen Saal, dessen Wände mit Familiengemälden rundherum umhangen waren.

Diese Gemälde betrachtete Rinaldo eben aufmerksam, als der Baron eintrat.

„In diesem Saale“, – sagte er, – „bin ich oft. Dies sind die Bilder meiner Ahnherren und ihrer Weiber; das meinige schließt diese Reihe. Ich sterbe ohne Sohn. Seit vierhundert Jahren blühte mein Geschlecht unter der Republik und unter den Herzögen von Florenz. Mein Vater verließ sein Vaterland mit seinen Schätzen, kaufte dieses Schloß und hängte hier die Bilder einer Familie auf. – Dieser hier focht als General der Florentiner gegen die Venetianer; dieser diente unter Doria bei Lepanto. – Dieser war mein Vater. Ihm zur Seite hängen die Bildnisse seiner beiden Weiber. Die erste gab ihm eine Tochter und einen Sohn, der nicht mehr lebt; die zweite gebar mich. – Ehemals lebte hier die ausgestorbene Familie Sestino. Hier ist ihre Hauskapelle.“

Er öffnete die Tür. Sie traten hinein. – Es rauschte hinter einem seidenen Vorhange. Rinaldo sah den Baron an. Dieser nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm in den Saal zurück.

Schweigend kamen beide in das Zimmer. – Der Baron ging, kam bald zurück und trug einen Korb mit Speisen und Wein. – Sie setzten sich. Der Baron begann:

„Das Geräusch in der Kapelle machte Euch aufmerksam.“

RINALDO Ist die Kapelle bewohnt?

BARON Die Zimmer hinter der Kapelle sind es.

RINALDO Wie?

BARON Seid unbesorgt! – Dort wohnt ein Wesen, das Ihr nicht zu fürchten habt. Ich bitte Euch aber, sie nicht zu beunruhigen.

RINALDO Sie?

BARON Meine unglückliche Schwester wohnt dort.

RINALDO Eure Schwester?

BARON Ein Geheimnis, von dem selbst meine Frau und meine Tochter nichts wissen. – – Euch teile ich es mit. Warum? sollt Ihr nachher erfahren. – Meine Schwester Isotta war durch ein Gelübde ihrer Mutter zum Klosterleben bestimmt, zu dem sie keine Neigung fühlte. Sie wurde mit einem Prinzen bekannt, und ihre Bekanntschaft hatte Folgen. Ihr Bruder suchte den Liebhaber seiner Schwester auf Befehl der Mutter auf. Vergebens waren Vorstellungen und Bitten; er verlangte Blut. Der Prinz mußte sich mit ihm schlagen und war so unglücklich, seinen Gegner zu erstechen. Die Mutter starb; der Vater vermählte sich zum zweitenmal und verließ Florenz. – Isotta ward hierhergebracht. Ihren Sohn hat sie nie wieder gesehen. Er wurde auf dem Lande erzogen, ging verloren, und man weiß nicht, hat es nie erfahren können, wohin er gekommen ist.

RINALDO Und der Vater?

BARON Hat, heißt es, sein Grab in den Morgenländern gefunden. – Ich liebe meine unglückliche Schwester Isotta herzlich, und der Zufall will, daß Ihr dieser Schwester sehr ähnlich seht. – Ich denke jetzt nicht daran, daß Ihr Rinaidini seid. Ich sehe in Euch nur den Fremden, der meine Tochter gerettet hat. – Wo seid Ihr geboren?

RINALDO In Ostiala. Der Jüngste meiner sechs Geschwister, bin ich eines Bauern Sohn. Ein Klausner in jener Gegend, wo ich die Ziegen hütete, war mein Lehrer. Ihm verdanke ich jeden Unterricht, den ich erhielt. Seine Bücher, besonders die Biographien des Plutarch, erhitzten meine Phantasie, und die Welt der Ritterbücher war meine Lieblingswelt. Wär’ ich edler geboren gewesen, wer weiß, welche glänzende Rolle ich gespielt hätte!

Der Baron schwieg. – Er ging endlich zu seiner Schwester und blieb lange bei ihr. Spät trennte er sich von seinem Gaste.

Die Sonne weckte früh den Schläfer, der gegen Morgen erst entschlummert war. Rinaldo stand auf, öffnete ein Fenster und blickte in die schön erleuchteten Fluren. Der Nebel wallte schnell, in hohen Wirbeln, die Berge hinauf. Ein Diamantenmeer flimmerte im Tale. Ergriffen von einem wehmütigen Gefühle, warf sich Rinaldo mit nassen Augen vor dem offenen Fenster nieder. Er seufzte tief auf, hob seine Augen gen Himmel und rief aus:

„O! Gottes Sonne leuchtet dieser Flur so schön! – Auch ich genieße ihre milden Blicke, und dennoch dringt kein Strahl der Freude in dieses klopfende Herz! – Ach! – Ach! überallhin werden diese Strahlen mich begleiten, und überallhin trage ich mein Herz mit mir.“

„Klage nicht!“ – ertönte eine Stimme hinter ihm.

Er wendete sich, sprang auf; die Tür der Kapelle war geöffnet. Eine schwarzgekleidete Dame stand vor ihm. Er blickte sie betroffen an. Sie hob die Hand und bedeckte die Augen, indem sie sagte:

„O! dieser Spiegel blendet mich!“

Rinaldo stammelte:

„Ach! gönnt mir Eure Blicke, wie mir die wohltätige Sonne ihre Strahlen gönnt.“

Sie zog die Hand von den Augen und sagte:

„Seit beinahe dreißig Jahren sah ich kein so freundliches Bild als das deinige, Fremdling! Es tut so wohl, und dennoch schmerzt es! Diese Augen sehen mich selbst. In dir sieht sich Isotta. – Verweile hier bei mir. Ich spreche so selten mit einem Menschen. Ach! und in ein Gesicht, wie in das deinige, habe ich noch nie gesehen. – Ich hatte einen Sohn. – Nur wenige Stunden lächelte er mir! – Wie du, so müßte er jetzt aussehen. – Mein Herz will mich täuschen! – Nein! Ich weiß es ja, daß du nicht mein Sohn bist. – Mein Bruder sagte mir, du seist ein Reisender; ein unglücklicher Zweikampf halte dich hier verborgen. – Ach! auch mein Bruder fiel einst im Zweikampf! – – Solange du noch hier bist, mußt du noch viel, recht viel mit mir sprechen. Denn wenn du fortgehst, bin ich wieder allein und spreche nur zuweilen meinen Bruder und einen Klausner – er wohnt auf jenem Berge –, der durch einen verdeckten Gang, den mein Bruder ihm gezeigt hat, zweimal in jeder Woche zu mir kommt.“

Rinaldo ergriff ihre Hand und benetzte sie küssend mit seinen Tränen.

SIE Du weinst?

ER Mein Herz! mein Herz!

SIE Sonst habe ich viel geweint. Jetzt kann ich nicht mehr weinen. Die Quellen meiner Tränen sind vertrocknet. Ich habe keine Tränen mehr, die das Herz erleichtern. Nur Seufzer sind mir noch geblieben. Ich sende sie vergebens meinem Grabe zu!

ER Auch ich!

SIE Auch du!

ER O ja! Auch ich!

SIE So bist du gewiß nicht glücklich.

ER Ich war es nie!

SIE Ich beklage dich. Auch ich bin sehr unglücklich und kann nie wieder glücklich werden. Mein Gatte, mein Sohn, mein Unglück. – Ach! – – O! dieser Blick von dir! – Ach! keinen dieser Blicke mehr! Doch dieser Händedruck soll – – Gerechter Gott! –

ER Was ist dir?

SIE Was sehe ich? – Täusche ich mich nicht? – Nein! Ich sehe – O Gott!

ER Rede! –

SIE Auf deiner rechten Hand, dies sonderbare Mal –

ER Ich habe es mit auf die Welt gebracht.

SIE Dieses, ach! so sonderbare Mal – trug auch mein Sohn auf seiner rechten Hand. Ich war so froh, als ich es sah, dereinst ihn daran wiederzuerkennen! Ein zweites Mal, auch diesem gleich, trug mein Kind auf seinem linken Knie.

ER Hier ist das Mal! Ich trage es.

SIE Heilige Jungfrau! – Bist du deiner Mutter gewiß?

ER Eine Bäuerin. Nie nannte man mir eine andere.

SIE Nein! Sie war deine Mutter nicht. Zwei Tage warst du auf der Welt, als man dich mir entriß und dich, ich weiß es nicht wohin, brachte. – Du bist mein Sohn! Nicht diese Zeichen allein, auch mein Herz sagt es noch lauter! O! fühle diesen Schlag! An meine Brust! Du bist mein Sohn!

Der Baron trat ein. Betroffen sah er die Umarmung, blieb stehen und konnte nicht sprechen.

ISOTTA O Gott! – Ich habe wieder Tränen! Du bringst sie mir, diese Freudentränen! – Der Mutter gibst du alles wieder; auch Tränen und – dich selbst! dich selbst! –

BARON Schwester!

ISOTTA Mein Sohn!

RINALDO Meine Mutter!

BARON Ewiger Gott!

ISOTTA Er ist es! Ja, er ist es! Die Zeichen sind an ihm; er ist mein Ebenbild; für ihn schlägt dieses Herz. – O! guter Gott! Du gabst mir Tränen wieder und den geliebten Sohn! – Wie mächtig ist dein Zauberruf, Natur! O! wer dies nie empfand, der kann’s auch nicht begreifen. So belehrt der Himmel nur; so kann der Schöpfer nur belehren. O! halte dich, mein Herz! – O Gott! wie ist – Sie sank in Ohnmacht. – Als sie nach mancherlei Bemühungen wieder zu sich gebracht wurde, bat sie der Baron, auf ihrem Zimmer ein wenig zu ruhen. Sie brachten sie dahin.

Als der Baron und Rinaldo wieder in den Saal zurückkamen, warf dieser sich zitternd auf ein Sofa und stöhnte tief auf:

„O! wie ist mir!“

Der Baron ging schweigend auf und nieder, sagte endlich mit gepreßter Stimme:

„Ich muß mich sammeln. – In einigen Stunden seht Ihr mich wieder.“

Er verließ den Saal. – Rinaldo ging auf sein Zimmer, warf sich aufs Lager und weinte laut.

Als der Baron zurückkam, ging er ganz heiter auf Rinaldo zu, ergriff seine Hand und sagte:

„Was mich betrifft, so habe ich guten Rat für euch alle. Mir folgt ein Mann, der dich auch kennt und der dich sprechen will.“

„Wer ist er?“ – fragte Rinaldo und dachte an den Alten von Fronteja.

Dieser aber war es nicht. Onorio trat ein. – Er war der Klausner, dessen Isotta erwähnte, der zuweilen sie besuchte. – Rinaldo flog auf ihn zu. Onorio schloß ihn in seine Arme.

ONORIO Du bist glücklich!

RINALDO Meine Mutter habe ich gefunden!

ONORIO Sie ist es.

RINALDO Du weißt es?

ONORIO Die Bäuerin, die du für deine Mutter hieltst, die dich erzog, war nicht deine Mutter. Das hat sie mir einst selbst gesagt.

Übers Gebirg warst du ihr zur Erziehung zugetragen worden. Deine Pflegeeltern waren arme Leute, sie waren gezwungen, die Kostbarkeiten, die du um dich hattest, zu Gelde zu machen. Sie fürchteten Nachfrage und flohen nach Ostiala, als du zwei Jahre alt warst. So konnte deine Mutter nichts von dir erfahren, und du bliebst der Sohn eines armen Mannes, der aus Not an deinem Eigentume sich vergriffen hatte und dies nicht zu gestehen wagte. – Ich erfuhr dies zu spät. Mein Verdruß trieb mich aus jener Klause, in der du Unterricht von mir empfingst.

RINALDO Und meinen Vater kennst du nicht?

ONORIO Ich hoffe, dein Glück wird dich ihn finden lassen.

RINALDO Du wolltest ja auf Lampidosa bleiben?

ONORIO Ich wollte, aber es sollte nicht sein. – Barbaren störten mich in meiner Ruh, und ich entfloh ihren Nachstellungen nur mit äußerster Gefahr. Dies hat mich bewogen, Lampidosa zu verlassen. Ein Schiff brachte mich auf diese Insel. Der Zufall führte mich in eine Klause, die ich noch bewohne. – Der Baron ist mein Freund; er würdigte mich seines Zutrauens, und Isotta schenkte mir ihr Vertrauen.

RINALDO O! gute Menschen! Ach! hier steht der Räuber zwischen euch.

BARON Behutsam! – Isotta darf nie wissen, nie erfahren, daß du warst, was du nie hättest werden sollen. – Schone deine Mutter!

ONORIO Schone sie, uns alle und dich selbst. – Wir haben keinen Umgang mit dem Räuber, wir lieben unsren Freund. Wir wollen sein voriges Leben nicht kennen.

RINALDO Ach! ich kann ja doch nicht bei euch bleiben.

BARON Nun kommt mein Rat, mein Vorschlag. – Weit entfernt von Italien mußt du der Mutter leben. Sie glaubt dich flüchtig eines Zweikampfs wegen; sie glaube auch, daß du deswegen diese Insel verlassen mußt. Sie gehe mit dem Sohne.

RINALDO Wohin?

BARON Ewiger Frühling lächelt auf den glücklichen Kanarischen Inseln –

RINALDO Dorthin! – O! daß wir doch schon auf dem Meere wären! daß ich, die teure Last in meinen Armen, fröhlich ans Land spräng’ und ausrief: Ihr lachenden Gefilde, ein Glücklicher führt Euch seine Mutter zu! – Hinter mir läge dann der Schauplatz meiner Verbrechen, und vor mir lachte mich das Land meiner Entsündigung an. Ein neues Leben hätte einer neuen Welt mich wiedergeboren.

Erst gegen Abend sah Rinaldo seine Mutter wieder, die, gleichsam neu verjüngt, in seinen Armen lag, weidend sich an seinen Blicken. – Die Stunde der Mitternacht trennte endlich beide.

Onorio und der Baron hatten den folgenden Tag mit Isotta alles abgeredet. Diese willigte mit Vergnügen darein, mit ihrem Sohne Sardinien zu verlassen. Der Zweikampf blieb der Vorwand der Verkleidung, mit der Rinaldo sich umgeben mußte. Auch Isotta nahm Pilgerkleider. Beide gaben eine Wallfahrt vor, zum Wunderbilde der hochheiligen Helferin zu Babato auf Malta.

Der Baron besorgte Kleider und füllte die Kasse seiner Schwester wohl. – Endlich hatte er auch ein englisches Schiff gefunden, und der Tag zur Abreise war festgesetzt.

Schmerzlich war die Trennung der Geschwister; Onorios matte Augen glänzten in Tränen; man schluchzte laut und hatte keine Worte als ein dumpfes Lebewohl!

„Reiset glücklich!“ – schluchzte endlich der Baron und riß sich aus den Armen los, die ihn scheidend umfingen. „Reiset glücklich!“ – wiederholte Onorio.

„Lebet wohl!“ – schluchzte Isotta.

„Lebet wohl!“ – stöhnte Rinaldini.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.